#2 Gute Maßnahmen und Mia Gatow
Ihr Lieben,
meine Freundin C. schrieb mir neulich: “Hoffe, dir geht’s gut und du ergreifst Maßnahmen gegen die Kälte?“ - gute Frage! Wie sieht es bei Euch aus?
Denn gegen “Kälte” braucht’s ja schon die ein oder andere Gegenmaßnahme. Kälte ist ja nicht nur Glatteis und rissige Lippen. Kälte ist auch der zähe Laune-Bär, der sich auf’s Gemüt setzt, alles in Grau tunkt und Erinnerungen an sowas wie Leichtigkeit achselzuckend auslöscht. Da ist auch egal, wieviel Welt-Umdrehungen man schon mitgemacht hat.
Kälte wird nicht älter.
Das mag an manchen Orten weniger schwer auszuhalten sein, in Städten, in Berlin vorweg, ist es extra hart. Sharon Berkal schrieb auf Insta (Öffnet in neuem Fenster):
Ich mag diese Trostlosigkeit und Melancholie des Berliner Winters. Empfinde die Stadt als Film noir, als den Teil eines Films, wo der Protagonist seine Gedanken sortiert. Um dann als neuer Mensch zurückzukehren.
Respekt, hab ich gedacht. Wie erwachsen. Dem Winter gegenüber einfach eine andere Haltung einnehmen und schon wird aus Mordor sowas wie poésie.
Aber auch eine Haltung braucht Stützstreben. Besonders dann, wenn wir es mit der erwachsensten aller Jahreszeiten zu tun haben. In den Winter kann man, anders als in Frühling und Sommer, nicht einfach reinstolpern. Der Winter braucht neben Haltung auch mehr Planung. Gute Maßnahmen eben.
Was sind das für welche? Die üblichen Maßnahmen kennt ihr eh: Licht (Öffnet in neuem Fenster) und Wärme. Bewegung (Öffnet in neuem Fenster), Ernährung (Öffnet in neuem Fenster), Berührung. Aber nun habe ich von etwas gelesen (Öffnet in neuem Fenster), was ich euch gerne noch als flankierende Maßnahme ans Herz legen möchte: die verlorene Kunst der “unstructured hangs with friends”.
Ich mag die englische Formulierung, aber ich versuch’s mal auf Deutsch. Damit ist im Prinzip nichts anderes gemeint als niedrigschwelliges Rumhängen mit Freund*innen. Son bisschen wie früher. Mittlerweile sind unsere Treffen mit Freund*innen ja oft gestaltet wie Freizeit-Tetris und fast immer an irgendeine Aktivität geknüpft. Konzert, Ausstellung, Sport, Restaurantbesuch. Das ist schön, aber auch schade, denn warum nicht mal gemeinsam “nichts tun”?! “Rumhängen” oder einfach nichts tun, schieben wir meist ins ganz Private, ins Allein Sein. Da, wo “nichts tun” als self-care sanktioniert ist und man keine Rechenschaft ablegen muss. Nur wenn wir allein sind, dürfen wir “nichts tun”. Da muss ich an einen Witz aus meinem Soziologie-Studium denken. Ganz grob der Hintergrund: Den Puritaner*innen im 19. Jahrhundert fehlten Zeichen göttlicher Gnade. Um sicherzugehen, dass Gott sie erwählte, mussten sie nach Zeichen seiner Gnade suchen - dazu gehörte auch wirtschaftlicher Erfolg. Wer viel arbeitete hatte also eine größere Chance auf Gnade. Max Weber sah in dieser Einstellung den Geist des Kapitalismus entstehen. Und jetzt kommt der Witz: “Jesus is watching, look busy.”
Will sagen, wir sind - aus vielen, auch anderen Gründen - nicht sonderlich gut im Rumhängen in Gesellschaft.
Dabei könnte uns das eben mal richtig gut tun. Stichwort Kälte-Maßnahme. Und damit ist auch nicht GAR nichts tun gemeint, sondern eben “Unstructured hangs with friends”. Bei irgendwem vorbeigehen, rumlümmeln, Reste essen, durchzappen. Gassi gehen, labern, keine Smartphones. Gemeinsam durch Zeit gleiten, ohne Zweck. Weil gemeinsames Nichts Tun uns nämlich auch helfen kann, uns authentischer zu geben, sagt Psychologin Alexandra Stratyner (Öffnet in neuem Fenster): “Weil es weniger Druck gibt, zu performen oder gewisse Erwartungen zu erfüllen”.
Im Nichts Tun zu sich selber finden, vielleicht auch eine Form der Gnade.
In diesem Abschnitt stelle ich in jeder Ausgabe eine tolle Ü40-Frau vor. Heute mit dabei: Autorin (“Rausch und Klarheit” (Öffnet in neuem Fenster)), Podcasterin (SodaKlub (Öffnet in neuem Fenster)) und Newsletter (Öffnet in neuem Fenster)-Schreiberin Mia Gatow (40).
Mia gehört zu den Leuten, bei denen ich gar nicht mehr weiß, wie genau ich auf sie aufmerksam wurde, es war irgendwie auf Instagram (hier (Öffnet in neuem Fenster) ihr Profil), ich fand sie sofort toll und lese seitdem mit großer Freude ihren Newsletter “Romanzen und Finanzen (Öffnet in neuem Fenster)” - sie ist dabei auch mein persönliches Anti-People-Pleasing-Vorbild geworden:
“Es wird immer irgendwer angepisst sein. Gewöhn dich dran.”
![Mia Gatow](https://assets.steadyhq.com/production/post/c58a6b24-0a52-4944-8d0c-52c08a2a25f9/uploads/images/qrov2wkokl/20240600_MIA_GATOW_Phillip-Zwanzig.jpg.jpg?auto=compress&w=800&fit=max&dpr=2&fm=webp)
Also, Mia Gatow, sag mal…
Ich bin Ü40, aber…
was aber?
Was machen die 40er besser als die 30er?
Ich kann es noch nicht genau sagen, weil ich erst zwei Monate in bin, aber ich vermute, es ist das Geld. (Und natürlich, dass man nicht mehr auf diesen immergleichen Lederjacken Typen reinfällt.)
Was möchtest Du in den 40ern lernen?
Sticken. Einen Lockenstab benutzen. Ferien machen. Womanspreading. Ohne Gefühls Drama eine Steuererklärung machen. Ohne Ausrasten am Straßenverkehr teilnehmen. Überflüssige Männer ignorieren.
Was ist für dich die ultimative Gönnung?
Morgens im Bett Kaffee trinken und schreiben und mit niemandem reden.
Wann warst du das letzte Mal wütend?
Immer, wenn Friedrich Merz Armutsbashing macht.
Was ist dein liebstes Self-Care-Tool?
Schlafen.
Wie sieht der perfekte freie Tag aus?
Kaffee im Bett, ausgedehntes Brunchen, dabei Gala und ZEIT und das Horoskop der VOGUE lesen, dann ein Spaziergang und dazu ein gutes Gespräch, abends Dinner mit allen Freund:innen und jede erzählt, was gerade in ihrem Leben so los ist. Kerzenschein. Sex.
Was ist eine gute Freundschaft für dich?
Eine, bei der man zusammen zuhause auf dem Teppich liegen und seelenruhig nichts machen kann, wie früher nach der Schule.
Auf was bist Du stolz?
Einen Bestseller geschrieben. Podcast ist im fünften Jahr. Die tollsten, interessantesten, schönsten, klügsten Freundinnen der Welt. Die Exfreunde sagen nur Gutes.
Ihr Lieben, das war’s von mir für heute. Also fast, eine Maßnahme (und ein Geständnis) habe ich noch: Ich bin Ü40, aber…ich habe meine Mutter gebeten, mir eine Kapuzenmütze zu stricken. In knallblau. Falls ihr selber stricken könnt, meine Freundin A. empfiehlt diese (Öffnet in neuem Fenster) hier und diese (Öffnet in neuem Fenster).
Am 3. Februar kommt die nächste Ausgabe.
Habt’s schön. Und warm.
Fix&Vierzig ist ein kostenloser Newsletter. Ich freue mich, wenn ihr ihn gerne lest und weiterempfehlt. Und ich freue mich auch über Feedback und Anregungen - schreibt mir einfach an newsletter@fixundvierzig.de oder lasst einen Kommentar da. Auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster) gibt es noch zusätzlichen Mittelalter-Content und eine nette Community.
Über mich
Meine Name ist Gunda, ich bin 44 Jahre alt - freie Journalistin, Podcasterin und Autorin. Infos zu mir und meiner Arbeit findet ihr auf meiner Website (Öffnet in neuem Fenster) und bei Instagram (Öffnet in neuem Fenster). Dort gibt’s Kaffeefotos, Buchtipps, Gewichte und Blümchen.
Disclaimer: Ein Link in diesem Newsletter ist ein affiliate link, d.h. wenn ihr etwas über die Verlinkung kauft, erhalte ich ein bisschen Kaffeegeld. Für euch entstehen keine zusätzlichen Kosten. Grundsätzlich sind alle Empfehlungen völlig unbezahlt und auf meinem eigenen Mist gewachsen.