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Liegen lernen

Wir sprechen über Hobbys. Das Kind sagt: «Mama, ich glaube, dein größtes Hobby ist Liegen.» Und das Kind hat recht. Meine aktuell liebste Beschäftigung ist Liegen. Ich habe mein Hobby in diesem Jahr professionalisiert. Auch, weil es zwischenzeitlich nicht anders ging. Aber auch, weil es manchmal nur so ging. «Ich will einfach nur liegen». Keinen Satz habe ich in den vergangenen Wochen öfter gesagt.

Heike Geißler hat das passende Buch dazu geschrieben. Es heißt «Liegen – eine Übung». (Öffnet in neuem Fenster) Ich liebe Liegen; und ich liebe, wie Heike Geißler darüber schreibt.

Ein kurzer Auszug (weiter unten folgt noch ein zweiter):

Ich lag also und dachte darüber nach, was das ist, was ist das mit uns allen. Ich dachte schon gar nicht mehr darüber nach, was es eigentlich mit meinem Liegen auf sich haben könnte. Das war schon längst die uninteressanteste Frage geworden. Ich dachte an all meine müden Freund*innen, die sich um 21 Uhr zu Bett legen, seit Jahren schon. Die keine Kraft haben, ganze Arbeitstage durchzuhalten, die keine Kraft haben, Tage ohne Alkohol zu überstehen, die keine Lust mehr haben, sich Verbesserungen auszudenken, die sowieso keine Lust mehr haben, selbst wenn ihre Arbeit eine selbstgewählte, weitgehend selbst gestaltete ist, eine freie Arbeit, freier als vieles andere. Freund*innen, die die letzten Jahre nicht gut überstanden haben, die nun geradewegs zerfallen. Oft im Einklang mit der Entfernung, die ihre Kinder zu ihnen wählten. Je größer und eigenständiger die Kinder, desto rapider der Zerfall, mit Aussicht auf Besserung. Ohne Aussicht auf Besserung. Müde wir alle, Müdigkeit immer so eine Perspektive, wohin auch geschaut wird, beispielsweise in Richtung des sogenannten Endes des Kapitalismus, aber wo in etwa war das eigentlich, wo genau musste man da hinschauen, in welche Himmelsrichtung, grob gesprochen? Nach oben, nach unten? 

Ich lese einen Thread (Öffnet in neuem Fenster) von Friederike Busch, die darüber schreibt, wie wichtig ihr Erwerbsarbeit ist und wie sie das an ihren Kindern merkt. An ihren Kindern, die immer selbständer werden und die sie deshalb immer weniger brauchen. Deshalb ist sie froh, eine Arbeit zu haben, bei der sie gebraucht wird.

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601492766688968710?s=20&t=VJhnb4ux61-gA5Z4JW1AWw (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601493405473050625?s=20&t=GnAEcfKoeAcRIejzwhVVVA (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601494110308704258?s=20&t=VJhnb4ux61-gA5Z4JW1AWw (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601494883386421248?s=20&t=GnAEcfKoeAcRIejzwhVVVA (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601495520434085888?s=20&t=VJhnb4ux61-gA5Z4JW1AWw (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/rike_tweet/status/1601496063013457921?s=20&t=GnAEcfKoeAcRIejzwhVVVA (Öffnet in neuem Fenster)

Auch ich genieße die Selbständigkeit meines Kindes, weil sie für mich mehr Freiheit bedeutet. Und weil ich viel mit meiner Freiheit anfangen kann. Aber bei Freiheit denke ich nicht an Arbeit. Freiheit, das muss mehr sein als Arbeit, oder? Ich möchte mehr von meiner Freiheit. Liegen zum Beispiel. Und nicht gebraucht werden, wenigstens mal gerade in diesem Moment nicht. 

Frauen sollen eher nicht liegen, sollen nicht faul sein.  Seid faul, Frauen! (Öffnet in neuem Fenster) rief uns bereits 2015 Katrin Gottschalk zu. Sie schrieb: Frauen machen Karriere. Frauen machen den Haushalt. Frauen machen Kinder. Frauen machen Altenpflege. Frauen machen sich hübsch. Frauen machen sich die Beine glatt. Frauen machen sich die Haare schön. Frauen machen Sport. Frauen machen Wellness. Frauen machen Frühstück. Frauen machen Mittag. Frauen machen Abendbrot. Frauen machen Frauenabend. Machen Frauen eigentlich mal frei?

Ich möchte mit ihr mitrufen: Lasst uns einfach mal hinlegen. 

Und ja, an dieser Stelle rufen einige natürlich ebenfalls zurecht zurück: Und dann? Wer übernimmt dann die Arbeit? Die Kinder? Das Essen? Die Pflege? Genau das ist ja das Problem, genau deshalb machen wir immer weiter, statt zu streiken, wie die Frauen im Oktober 1975 in Island. Mit dem Ergebnis: Heute ist in Island der Gender Pay Gap (Öffnet in neuem Fenster) am niedrigsten auf der ganzen Welt. 

Für alle, die das Liegen lernen wollen, habe ich sechs lazy Tipps:

1. Lesen im Liegen
Die beste Lektüre ist natürlich Liegen – eine Übun (Öffnet in neuem Fenster)g von Heike Geißler. 

2. Hören im Liegen
Ja, ich kann den Namen Alice Schwarzer eigentlich nicht mehr hören. Sie vertritt politische Positionen, denen ich keine Plattform bieten will. Und gleichzeitig ist sie aus der deutschen Gleichberechtigungsgeschichte nicht wegzudenken. Die beste Publikation anlässlich ihres 80. Geburtstags ist der Podcast des SZ Magazins Who the f´**** is Alice? (Öffnet in neuem Fenster) von Susan Djahangard und Gabi Herpell. Zwei Redakteurinnen, zwei Meinungen über Alice Schwarzer und genau das stellen sie in den Mittelgrund der Erzählung. Einer meiner liebsten Podcasts überhaupt – und ich hätte nie gedacht, dass über einen Alice Schwarzer-Podcast zu sagen.

3. Lernen im Liegen
Die Kreuzbergerin Salwa Houmsi moderiert eine Doku-Serie, in der sie Menschen porträtiert, die #UnterAlmans (Öffnet in neuem Fenster) leben. Ein wichtiger, bisher viel zu selten gezeigter Blick auf Deutschland. 

4. Lachen im Liegen
Kurt Krömer hört mit Chez Krömer auf, ihm sind es zu viele Arschlöcher geworden. In den letzten Folgen von Chez Krömer merkt man das sehr deutlich, ich habe nicht mehr gern zugeschaut. Viele alte Folgen möchte ich aber von Herzen empfehlen, z.B. die mit Sido (Öffnet in neuem Fenster), die mit Kevin Kühnert (Öffnet in neuem Fenster) (aus der Zeit vor seinem Schnurrbart, als er noch viele Sätze sagte, die ich toll fand), die mit Teddy Teclebrha (Öffnet in neuem Fenster)n und die mit Nikeata Thompson (Öffnet in neuem Fenster)

5. Mitsingen im Liegen
I tell you what I want, what I really really want: Wannabe – Die Spice Girls-Story (Öffnet in neuem Fenster).

6. Kuscheln im Liegen
Ich liege am liebsten in meinem Bett oder auf dem Sofa. Ich sollte mehr auf der Yoga-Matte liegen, aber das ist ein anderes Thema. Was neben einem nicht zu weichen Untergrund für mich am wichtigsten ist, sind warme Füße. Deshalb liebe ich die tired-Socken (Öffnet in neuem Fenster) von The Propcorner.

Ich liege nicht, weil ich müde bin.
Ich liege, weil ich so müde bin.
Ich liege für später.
Ich liege hier zu Lernzwecken.
Ich liege hier für eine gewaltige Pause, die immer wieder unterbrochen wird.

Wie geht’s denn so?
Ach, nächste Frage.
Ich warte auf ein gutes Zeichen.
Ich starre gute Vorzeichen in die Welt.
Ich liege nicht in mathematischer Zuverlässigkeit. Zwei schlechte Ereignisse ergeben kein gutes.

Ich liege als eine mögliche Antwort auf die Frage: »Was tun, wenn einem die Welt in Stücke geht?« Mir fallen keine anderen Antworten ein.

Ich hoffe, du liegst gut.

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