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Wann streikst du?

«Drei Tage Wochenende. Können wir das nicht immer haben?» fragt mich mein Kind. Und ich weiß nicht genau, was ich antworten soll, denn: Ja, ich möchte das auch. Also sage ich: Ja, ich möchte das auch. «Was müssen wir denn dafür machen?» fragt mich mein Kind. «Streiken», antworte ich. Und das ist vielleicht nicht die perfekte Antwort, aber mir fällt keine bessere ein.

«Kriegen wir im März die Hälfte der Kitas zu? Oder 100 Leute zum Streik? (Öffnet in neuem Fenster)» Um dies Fragen geht es in Jena. «Leute werden abgemahnt, weil sie kurz auf ihr Handy schauen. Amazon nutzt die Abmahnungen dann, um Leuten zu kündigen. (Öffnet in neuem Fenster)» In Winsen an der Luhe geht es um bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon. An beiden Orten probieren Beschäftigte, ihre Arbeitsbedingungen durch Streiks zu verbessern. An beiden Orten haben die Menschen gleichzeitig Angst, ihre Jobs zu verlieren.

Also probiere ich, meinem Kind Gewerkschaften zu erklären: Menschen tun sich zusammen, die ähnliche Jobs haben. Sie gehen dann zusammen zu ihren Arbeitgeber*innen oder auf die Straße oder beides, um zum Beispiel mehr Lohn zu bekommen oder menschlichere Arbeitsbedingungen. «Also wie bei uns Klassensprecher*innen?» Ja, ungefähr so.

Warum wir uns alle in Gewerkschaften organisieren sollten, hat meine Kollegin Tessa Högele erklärt: Darum solltest du einer Gewerkschaft beitreten (Öffnet in neuem Fenster). Sie schreibt: «Die Gewerkschaften kämpfen für mehr als deinen persönlichen Arbeitsplatz: Sie kämpfen für eine gerechtere Politik.» Zum Beispiel mit dem Mittel des Streiks.

Immer, wenn ich an Streiks denke, denke ich an Island. Bereits 2015 appellierte Katrin Gottschalk, mittlerweile Chefredakteurin der taz: «Seid faul, Frauen! (Öffnet in neuem Fenster)» und führte als Beispiel den isländischen Frauenstreik an, bei dem am 24. Oktober 1975 die isländischen Frauen ihre Erwerbs- und Care-Arbeit niederlegten. «Das Telefonnetz des Landes brach zusammen, Schulen blieben geschlossen, Hemden ungebügelt.» Vier Jahre später hatte Island die erste weibliche Präsidentin. Und auch heute ist das Land Vorreiterin in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter.

Im Jahr 2019 sollte auch in Deutschland gestreikt werden. Ein Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen rief zum Streik am 8. März, dem Internationalen Frauentag, nach isländischem Beispiel auf: «Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still», hieß es auf der Webseite (Öffnet in neuem Fenster). So richtig geklappt hat es aber leider nicht, es haben sich zu wenige Menschen beteiligt.

Doch der Streik in Island hat bewiesen, dass ein Tag etwas bewegen kann. Aber wie kann das gehen, im hier und jetzt, wo viele Menschen das Gefühl haben, ein Streik wäre gut und wichtig, aber vielleicht doch utopisch?

Streikende Menschen mit Transparenten in den Händen

Foto: Kundgebung in der Hauptstadt Reykjavík am 24. Oktober 1975; Women's History Archives Iceland (Öffnet in neuem Fenster)

Eine, die sich richtig gut in Arbeitskampf-Fragen auskennt, ist Dagmara Budak. Sie ist Buchhändlerin – und Betriebsrätin. Dagmara Budak wurde in Polen geboren und kam als Kind nach Deutschland. Sie kämpfte sich durch das deutsche Schulsystem – bis zu einem Studium der Politikwissenschaften, Soziologie und Neuere Geschichte. Nach Jahren in Redaktionen diverser Fernsehproduktionen, wechselte sie ihre Profession. Als Buchhändlerin und Betriebsrätin ist sie oft wütend – zum Beispiel über unsere ungerechten Lebens- und Arbeitsstrukturen, deshalb schreibt sie darüber unter @eva.denna (Öffnet in neuem Fenster) auf Instagram. Ich freue mich, dass ich ihr Fragen stellen und ich ihre Antworten mit euch teilen darf.

Dagmara, wie kam es dazu, dass du dich im Betriebsrat engagiert hast?

Ich war frustriert über so vieles, was in unserer Gesellschaft ungerecht ist und schiefläuft. Ich dachte, die Welt verändern kann ich nicht, aber vielleicht mein unmittelbares Umfeld. Eine Parteimitgliedschaft kam für mich nicht infrage, da es keine deutsche Partei gibt, der ich beitreten wollen würde. Das Beste, was mir zunächst einfiel, war einer Gewerkschaft beizutreten, also bin ich ver.di-Mitglied geworden. Irgendwann fragte mich eine Kollegin, die selbst jahrelang Betriebsrätin war, ob ich mich bei der nächsten Betriebsratswahl nicht aufstellen lassen möchte. Damit war die Saat gesetzt und etwa ein halbes Jahr später trat ich bei der Wahl in unserem Betrieb an. Anfangs war ich Nachrückerin, inzwischen bin ich festes Gremium-Mitglied. Ich glaube, es wird sich nichts zum Besseren verändern, wenn wir uns nur beschweren, theoretische Abhandlungen lesen oder schreiben und in den sozialen Medien nach Gerechtigkeit verlangen. Eines Tages müssen wir auch in der materiellen Welt aktiv werden. Das können wir tun, indem wir protestieren, demonstrieren, Vereinen, sozialen oder politischen Organisationen oder Gewerkschaften beitreten oder uns im eigenen Betrieb engagieren. Die Frustration ist nicht weniger geworden, aber immerhin tue ich jetzt etwas.

Für die, die es nicht wissen: Was genau ist ein Betriebsrat?

Der Betriebsrat ist die Arbeitnehmer*innenvertretung in Betrieben und Unternehmen. Ich glaube, was viele nicht wissen ist, dass die Voraussetzungen für die Gründung eines Betriebsrates sehr niedrig sind. In Betrieben mit mindestens fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmer*innen, von denen drei wählbar sind, dürfen die Beschäftigten jederzeit einen Betriebsrat wählen. Das Betriebsverfassungsgesetz erwartet es sogar. Die Aufgaben, Rechte und Pflichten des Betriebsrats sind ebenfalls im Betriebsverfassungsgesetz verankert. Hiernach hat er Überwachungs-, Gestaltungs-, Schutz- und Förderungsaufgaben. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Kontrolle über die Einhaltung von Gesetzen, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, die zugunsten der Arbeitnehmer*innen von Arbeitgeber*in eingehalten und durchgeführt werden müssen. Ganz konkret: Wir überprüfen die Personaleinsatz- und Urlaubsplanung, nehmen teil an Sicherheitsbegehungen an den Arbeitsstätten und bestimmen mit bei Neueinstellungen, Versetzungen und tariflichen Ein- und Umgruppierungen. Bei Kündigungen müssen wir ebenfalls angehört werden, ein Veto-Recht gegen eine Kündigung haben wir allerdings nicht. Wir sind Ansprechpartner*innen für alle Kolleg*innen, die Fragen oder Probleme bezüglich ihrer Arbeit im Betrieb haben. Kurz gesagt: Wir, als Betriebsrat, vertreten und schützen die Interessen der Beschäftigten.

Welche Themen sind dir im Betriebsrat wichtig?

Arbeits- und Gesundheitsschutz ist für mich ein wichtiges und spannendes Thema. Die richtige tarifliche Eingruppierung der Beschäftigten ist genauso wichtig. Im Grunde sind alle Themen wichtig, da sie meine Kolleg*innen betreffen und ich ihre Interessen gegenüber unserem Arbeitgeber so gut wie möglich vertreten möchte. Im Arbeitsalltag ist es mir wichtig, dass meine Kolleg*innen wissen, dass sie sich jederzeit an mich wenden können, wenn sie zum Beispiel Probleme mit Vorgesetzten haben. Oder einfach frustriert wegen der Arbeitssituation sind. Das wissen sie und tun es auch.

Du forderst Dankbarkeit und Respekt für Gewerkschaften und Arbeitskämpfe. Welche Errungenschaften meinst du, für die wir in Deutschland dankbar sein sollten?

Alle! Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz, bezahlter Jahresurlaub, Arbeits- und Gesundheitsschutz, geregelte Arbeits- und Ruhezeiten, faire Lohn- und Gehaltsstrukturen, freie Wochenenden, Acht-Stunden-Tag, betriebliche Mitbestimmungsrechte und vieles mehr. Das sind Standards, die wir, ohne viel darüber nachzudenken, genießen. Das war nicht immer so. Arbeiter*innen wurden früher für die Profitmaximierung brutalstmöglich ausgebeutet. Die Errungenschaften der vergangenen Arbeitskämpfe und die aktuellen Streiks zeigen der Profitgier ihre Grenzen auf.

Klar, vieles ist weiterhin ausbaufähig oder überholt. Die Arbeitszeiten, Löhne und Gehälter sind in vielen Branchen immer noch nicht annähernd angemessen und fair. Die 40-Stunden-Woche ist ein Relikt aus der Ära des Ernährer-Modells, die größtenteils zu Ende ist. Was wir brauchen, sind Wochenarbeitszeitverkürzungen für alle Beschäftigten – bei vollem Lohnausgleich. Nur so werden wir die Last, der aktuell noch sehr ungleich verteilten Care-Arbeit gerecht auf alle verteilen können. Ich möchte für uns alle ein Leben, das nicht in Gänze von Lohnarbeit dominiert wird. Ein Leben mit ausreichend Zeit für soziale Beziehungen und Community-Arbeit. Ich glaube nicht, dass wir nur weniger arbeiten müssen, um das zu erreichen. Dazu wird eine umfassende gesellschaftliche Transformation nötig sein, aber irgendwo müssen wir ja schließlich anfangen.

Aktuell finden Streiks in Deutschland statt. Was genau ist das eigentlich, ein Streik?

Ein Streik ist die ge­mein­sa­me Ar­beits­ver­wei­ge­rung durch Ar­beit­neh­mer*innen, mit dem Ziel, Ar­beit­ge­ber*innen zu gewissen Zugeständnissen zu bewegen, wie zum Beispiel Lohn- und Gehaltserhöhungen. In Deutschland dürfen nur Gewerkschaften zu Streiks aufrufen. Außerdem müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, damit ein Streik rechtmäßig ist. So darf nur ein tariflich regelbares Ziel verfolgt werden, das Ziel muss ta­rif­recht­lich zulässig sein, der Streik darf erst nach Ab­lauf der Frie­dens­pflicht be­gon­nen wer­den, er muss das letz­te Mit­tel und verhältnismäßig sein. Wenn die Gewerkschaft in einem Betrieb zum Streik aufruft, dürfen sich alle Arbeitnehmer*innen beteiligen, auch die, die nicht Mitglieder einer Gewerkschaft sind. In Deutschland dürfen grundsätzlich alle Arbeitnehmer*innen, mit Ausnahme von Beamt*innen, streiken. Ich nahm auch an allen Streiks in unserem Betrieb teil. Das erste Mal fühlte sich an, als würde ich etwas Verbotenes tun und ich hatte schlechtes Gewissen. Als es verflogen ist, fühlte sich streiken großartig an – wie mit der Faust auf den Schreibtisch des Chefs hauen und rufen: bis hierher und nicht weiter!

Wie bewertest du die aktuellen Streiks? Was wäre ein Erfolg?

Die aktuellen Streiks sind richtig und wichtig. Sie sind das einzige legale Mittel, um herrschende Machtverhältnisse in der Arbeitswelt wenigstens minimal ins Wanken zu bringen. Nur durch gemeinsame Arbeitsniederlegungen können berechtigte Forderungen wie Gehaltserhöhungen erzwungen werden. Die Betonung liegt auf erzwingen. Alle Rechte, die Arbeiter*innen und Arbeitnehmer*innen heute genießen, wurden durch Arbeitskämpfe erreicht. Sie wurden Arbeitgeber*innen und Gesetzgeber*innen abgerungen und abgezwungen. Machen wir uns nichts vor: Kein profitorientiertes Unternehmen gewährt seinen Beschäftigten mehr Lohn, kürzere Wochenarbeitszeiten, bezahlten Urlaub oder effektiven Arbeitsschutz, wenn es nicht durch Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen dazu gezwungen werden würde. Der Streik ist unsere Waffe. Wir sollten sie nutzen. Nein – wir müssen sie nutzen.

Ob die Gewerkschaften alle ihre Forderungen durchsetzen werden, ist zurzeit nicht wirklich absehbar. Ich bin aber überzeugt, dass sie recht gute Chancen haben, viel herauszuschlagen. Die Gewerkschaften und Beschäftigten sind streikwillig und hoch motiviert, ihren Willen durchzusetzen. Und es gibt keine ernsthaften Argumente, die gegen ihre Forderungen sprechen. Arbeitgeber*innen argumentieren immer wieder gerne mit «schwieriger Wirtschaftslage», «Energiekrise» oder «Krieg». Das Geld ist aber da. Es ist nur ungleich verteilt.

Was auch noch ein Erfolg wäre: wenn die Streiks die eher halbherzige deutsche Streikkultur endlich beleben würden. Wenn da mehr Power und Esprit entstehen würde.

Du schreibst «man muss es nur tun», damit sich etwas verändert. Was würdest du Leuten empfehlen, die sich engagieren wollen für mehr Arbeitnehmer*innenrechte?

Ich muss zugeben, dass die Aussage «man muss es nur tun» zu salopp formuliert war. Es ist nicht immer einfach, «etwas zu tun». Gerechtigkeitskämpfe – und dazu zähle ich Arbeitskämpfe und das Engagement in Gewerkschaft und Betriebsrat – sind niemals einfach. Sie sind insbesondere für marginalisierte Menschen nicht einfach – für Menschen, die von Rassismus betroffen sind, Migrant*innen, Menschen, die sich in prekären Arbeits- und Aufenthaltssituationen befinden, für behinderte Menschen, denen gesellschaftliche Teilhabe ohnehin erschwert wird oder Menschen – speziell Frauen –, die zusätzlich zu Lohnarbeit auch noch unbezahlte Care-Arbeit im Haushalt und für Kinder, Familie, pflegebedürftige, kranke oder alte Angehörige übernehmen müssen. Da bleibt nicht viel Zeit und Kraft für zusätzliches Engagement.

Auch ich habe mich anfangs gefragt und frage mich das zwischendurch immer wieder, ob ich mir neben Lohnarbeit und Care-Arbeit auch noch die Arbeit als Betriebsrätin aufhalsen soll. Ich empfinde die Arbeit aber als sinnvoll und wichtig und daher ist sie auch befriedigend. Das Engagement für Arbeitnehmer*innenrechte ist auf jeden Fall sinnvoller als die vielen Bullshit-Jobs, die der Kapitalismus so gut hervorbringen kann. Was würde ich also den Leuten empfehlen? Das Minimum wäre meines Erachtens die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.

Gewerkschaften sind nicht nur Dialogpartner in Tarifverhandlungen, sie engagieren sich auch allgemein für die Interessen der Beschäftigten in Wirtschaft und Politik. Nur starke, also mitgliederstarke Gewerkschaften haben die Macht, Durchsetzungsvermögen und Ausdauer, um unsere Interessen erfolgreich zu vertreten. Auch die Beteiligung an Streiks sollte Pflicht sein. Sie sind nur dann wirksam, wenn viele an ihnen teilnehmen. Ich kann verstehen, dass in bestimmten Situationen Beschäftigte zurückhaltend sind, weil sie negative Konsequenzen befürchten. Eine Kündigung oder Abmahnung wegen der Teilnahme am Streik ist zwar unzulässig, wenn man jedoch nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat, Azubi ist, keinen gesicherten Aufenthaltsstatus oder in einem sonst wie gearteten Abhängigkeitsverhältnis steht, ist man noch verwundbarer als es ohnehin Arbeitnehmer*innen schon sind. Umso wichtiger ist es, dass alle, die Zeit, Energie und einen sicheren Arbeitsplatz haben, sich für alle engagieren, auch für die, die es aus Gründen nicht können.

Wie sieht dein Traum-Streik aus?

Mein Traum-Streik ist ein Care-Streik in Form eines Generalstreiks. Zusammen mit der Journalistin und Autorin Mia Latković habe ich Ende 2022 in den sozialen Medien zu einem Care-Streik (Öffnet in neuem Fenster) aufgerufen. Es geht um einen Streik aller Menschen, die Care-Arbeit verrichten. Unter Care-Arbeit oder Care verstehen wir alle Tätigkeiten, die die menschliche Existenz ermöglichen und aufrechterhalten. Es bedeutet aber zuallererst das Kümmern um oder die Sorgen für andere Menschen. Care umfasst alle Sorge- und Pflegetätigkeit für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, sowohl im privaten als auch im professionellen Rahmen. Das sind Tätigkeiten, die vorrangig oder ausschließlich von Frauen verrichtet werden – unter prekären Bedingungen, unterbezahlt oder gänzlich unbezahlt.  Wenn Menschen, speziell Frauen, ihre Care-Arbeit niederlegen würden, würde innerhalb weniger Tage das ganze Land – einschließlich der Wirtschaft – stillstehen. Das Fundament unserer physischen Existenz, unserer Gesellschaft und des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist Care-Arbeit, nicht Lohnarbeit. Es ist endlich Zeit, diese Tatsache anzuerkennen und die Strukturen unserer Gesellschaft und Wirtschaft zugunsten von Care-Arbeit und Care-Arbeitenden radikal zu verändern. 

So ein Care-Streik wird aber fürs Erste ein Traum bleiben. Diese Form des Streiks ist aus oben genannten Gründen nicht zulässig, zumal politische Streiks – und dieser Streik wäre höchst politisch – verboten sind. Wir und unsere Verbündeten bleiben aber dran. Wir haben keine andere Wahl.

Danke für das Teilen deines Wissens und für dein Engagement, Dagmara.

Ich habe schon oft über 8-Stunden-Arbeitstage geseufzt. Und finde es so wichtig, daran erinnert zu werden, dass diese Arbeitstage, die mir so lang vorkommen, erkämpft wurden. So streikten im Jahr 1888 teilweise jugendliche Arbeiterinnen in Londoner Streichholzfabriken für kürzere Arbeitszeiten und gegen den 14-Stunden-Tag (Öffnet in neuem Fenster).

Wann immer Menschen so etwas wie eine 4-Tage-Woche oder eine 25- Stunden-Woche für utopisch halten, werde ich ihnen davon erzählen. Und vom 1. Mai (Öffnet in neuem Fenster), den es genau deshalb gibt. Ein Feiertag zu Ehren der Arbeiter*innen-Bewegung. Ein Tag, der uns daran erinnern soll, dass es kein Zufall ist, unter welchen Bedingungen wir arbeiten. Sondern dass diese Bedingungen erkämpft wurden.

Der 1. Mai ist der Tag, der zeigt, dass sich dieser Arbeitskampf lohnt. Was sich heute utopisch anfühlt, kann für unsere Kinder die Realität werden. Vielleicht auch die 4-Tage-Schulwoche. Welche Gewerkschaft setzt sich eigentlich dafür ein?

Während ein paar Menschen die 4-Tage-Arbeitswoche noch für utopisch halten, wird sie in einigen Betrieben schon längst gelebt. Hier (Öffnet in neuem Fenster) zum Beispiel bei einem Bäcker, hier in einem Malerei-Betrieb (Öffnet in neuem Fenster). Die Malermeisterin Jessica Hansen kann sich seit der Einführung der 4-Tage-Woche vor Bewerber*innen nicht retten, mittlerweile hat sie eine Wartliste mit Interessent*innen. Und sie erklärt, was am Anfang ihrer Überlegungen für eine neue Arbeitskultur in ihrem Unternehmen stand. Sie fragte sich: «Wie würde ich gerne arbeiten?»

Ein Punkt, der oft als Gegen-Argument für Streiks genannt wird: Wer kümmert sich denn dann um die Menschen? Zum Beispiel um die Kinder. Auch dafür gibt es Lösungen, wenn wir sie suchen. Für mein Buch Das Unwohlsein der modernen Mutter (Öffnet in neuem Fenster) habe ich mit der Soziologin Frigga Haug gesprochen. Sie ist die Erfinderin des 4-in-1-Prinzips (unser Leben sollte aus vier gleich großen Teilen bestehen: Erwerbsarbeit, Fürsorgearbeit, Kunst und Kultur, politische Partizipation). Haug sagte zu mir: «Eine Mutter pro Kind am Sandkasten ist eine gesellschaftliche Vergeudung.»

Wie wäre es also, wenn ein Vater am Sandkasten auf ein paar Kinder aufpasst, während die Mütter streiken? Nur so als Idee.

Streik und Arbeitskampf werden oft als Kämpfe für Gerechtigkeit diskutiert, für die sich die Betroffenen selbst einsetzen sollen. Viel wichtiger finde ich allerdings Solidarität. Wenn ich selbst unter guten Arbeitsbedingungen arbeite, sollte ich dafür sorgen, dass es andere auch tun können. Wenn ich selbst nicht für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen muss, weil ich sie habe, könnte ich andere, deren Existenz davon abhängt, unterstützen.

Demonstrantin hält Schild mit Aufschrift: "The Workers united will never be defeated"

In einem Londoner Fotolabor arbeiteten Frauen vor allem asiatischer Herkunft unter schlechten Bedingungen. Als 1976 eine von ihnen entlassen wurde, begannen die Arbeiterinnen zu streiken (Foto von 1977). Andere Gruppen solidarisierten sich, auch weiße Männer aus der Arbeiterklasse. Der Protest wurde von der Polizei zerschlagen. Foto: Graham Wood/ Evening Standard/ Getty Images (Öffnet in neuem Fenster)

Ich glaube, es ist wichtig, davon zu erzählen. Von der Veränderung. Davon, dass sie möglich werden kann. Davon, dass sie möglich gemacht werden kann. Davon, dass sie erkämpft werden muss. Wann streikst du?

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