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Liebe Leserïnnen,

es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es Konservativen darum geht, Wandel aufzuhalten, um Werte und Erhaltenswertes zu bewahren. Das ist nicht ihr Ding. Folgendermaßen:

Kurz zum Begriff: Mit „Konservative“ meine ich hier im Wesentlichen die CDU, große Teile ihrer Wählerschaft, diverse Mittelstandsvereinigungen, Medien die sie umkreisen, und vielleicht auch noch Teile von AFD und FDP sowie selbstverständlich auch der SPD, wie sich gerade wieder im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus zeigt. Gemeint ist also nicht Konservatismus im Wortsinn sondern der tonangebende „real existierende“ Konservatismus.

Dieser „real existierende“ Konservatismus hat sich selten gegen Wandel gewehrt sondern ihn oft maßgeblich betrieben. Industrialisierung, Automatisierung, Digitalisierung sind alles Projekte, die auch von konservativer Seite nach Kräften gefördert wurden.

Konservative wollen in erster Linie nur eines bewahren: die gesellschaftliche Hierarchien und ihre eigene (meist gehobene) Stellung darin. Jeglicher Wandel, der diese Hierarchien (oder sie stützende Geschäftsmodelle) gefährdet, wird bekämpft. Alles andere wird begrüßt.

Die Märchenerzählung des Konservatismus lautet: Die Schöpfung bewahren, Lebensgrundlagen absichern, den Nachkommen etwas hinterlassen. Ginge es danach, müssten Konservative die krassesten Umweltschützerïnnen überhaupt sein. Sind sie aber nicht. Sie fühlten sich lange Zeit von der Existenz der Grünen in ihrer gesellschaftlichen Stellung bedroht und bremsen bis heute Umweltschutz überall da, wo er Rendite und Geschäftsmodelle und damit indirekt ihre gesellschaftliche Stellung gefährdet.

Nach allem, was wir wissen, bedeutet eine ungebremste Klimakatastrophe das Ende menschlicher Zivilisation wie wir sie kennen innerhalb weniger Generationen. Konservative Politik bedeutet beispielsweise, darauf mit einem Hinauszögern des Kohleausstiegs zu reagieren. Milliarden Euro wurden aufgewendet, vordergründig um rund 20.000 Jobs in der Braunkohle zu sichern. Zugleich wurde mit immer neuen Regulierungen der Ausbau der Solar- und Windenergie in Deutschland abgewürgt. Dadurch sind in den betreffenden Branchen 120.000 Jobs verloren gegangen.

Dieses Verhalten folgt einer jahrzehntealten Tradition.

Die Regierung Kohl stoppte Anfang der 1980er das Glasfaserprojekt der Sozialliberalen und forcierte stattdessen das Privatfernsehen. Die Folge war ein krasser Wandel, der vielen eigentlich konservativen Werten widerspricht. Aber es half halt, gesellschaftliche Strukturen zu zementieren. Denke da nur an Reality-TV, das eben kein „Unterschichtenfernsehen“ war, sondern Menschen aller Schichten eine Gelegenheit gab, sich zu versichern, dass es immer „Freaks“ gibt, die noch unter einem stehen und auf die sich hinabblicken lässt.

Die „Bild“ hatte lange Zeit halbnackte Models auf Seite 3. Das widersprach völlig einer konservativen Sexualmoral, zementierte aber die Stellung der Frau.

Konservative finden das Internet ernsthaft toll, solange es in Gestalt von Vertriebswegen und Industrie 4.0 daherkommt. Erst da, wo es gesellschaftliche Hierarchien angreift, wird es bekämpft und reguliert (siehe z.B. EU-Urheberrechtsreform).

Den Grünen wird nachgesagt, sie seien konservativ, weil Umweltschutz. Stimmt im Wortsinn, außerdem sind sie ziemlich bürgerlich. Aber zugleich sind die Grünen Feindbild der Konservativen, sobald es um Sexismus, Feminismus oder jetzt gerade Inter- und Transexualität geht. Emanzipation und Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit greift immer auch die die Hierarchie an, die Konservative um jeden Preis verteidigen wollen.

Aus den gleichen Gründen verhindern Konservative bis heute eine Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, obwohl diese eigentlich seit 2009 rechtsverbindlich ist.

Konservative tendieren dazu, den Klimawandel zu leugnen oder nicht wirklich etwas gegen ihn zu unternehmen. Dafür regen sie sich pausenlos über „Genderwahn“, „Feminazis“ oder Greta Thunberg auf. Konservative schöpfen keine Hoffnung daraus, dass Schülerïnnen wegen des Klimawandels streiken, sondern pochen auf die Schulpflicht, weil es ihnen zutiefst unangenehm ist, dass die Jugendlichen da ausscheren, statt brav ihren angestammten Platz in der Hierarchie – also die Schulbank – einzunehmen.

Konservative lieben das Thema „Sprachverhunzung“, weil sie mit ihrer zur Norm erklärten Sprache, die sie brav an Schulen gelernt haben, ihren Status und ihre Position in der Hierarchie markieren. Jeglicher Sprachwandel ist daher abzulehnen.

Konservative haben Angst vor der „Antifa“ und linken Protesten z.B. zu G20-Gipfeln, weil sie selbst, ihre Autos, Geschäfte und der Kapitalismus™ und damit indirekt wieder Hierarchie und Stellung angegriffen werden. Rechtsradikale hingegenund deren Gewalt gegen Geflüchtete, Homosexuelle oder Obdachlose usw. sind ihnen weitgehend egal, weil sie sich von ihnen nicht bedroht fühlen. Bedroht fühlen sie sich eher von den Opfern der Nazis, also den Geflüchteten, den Homosexuellen und den Obdachlosen. Es ist also kein Zufall, dass es der CDU gerade nicht gelingt, sich etwa von Hans-Georg Maaßen zu distanzieren, sondern passt exakt ins Bild.

Konservative finden ihren (den Statusmarkierenden) Porsche/SUV/Tesla mitsamt der Freiheit auf der Autobahn toll. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung beschränkte diese Art, den Status zu demonstrieren. Sie findet Ablehnung auch bei all denen, die ihre Stellung nur mit einem Golf GTI markieren aber qua Autobahnfreiheit das Gefühl haben, bei den Schnellen dazu zu gehören.

Derzeit spalten sich die Konservativen in zwei Gruppen: Solche die offen oder insgeheim mit Rechtsradikalen kooperieren und solche, die sie ablehnen und bekämpfen. Ich fürchte, letztere tun es vor allem, weil sie Rechtsradikale politische auch als eine Gruppe wahrnehmen, die ihre Machtpositiongefährden könnte.

Ehrlich leid tun mir Menschen vom Typ „ehrenwerter Konservativer“. Die gibt es. Sie mögen Werte haben, die ich nicht immer Teile, aber ihnen geht es wirklich ums Bewahren und diese Werte, nicht um die eigene Stellung, wofür ich sie hoch achte. Mit solchen Leuten habe ich oft großartige Gespräche und sie erweisen sich immer wieder als bemerkenswert menschlich. Leider spiegelt der politische und mediale Konservativismus deren Haltung nicht wider, sondern missbraucht sie nur als Feigenblatt, damit CDU/CSU& Co. weiterhin schön von "Werten" reden können, damit sich an Hierarchien nichts ändert.

So lange diese Hierarchien nicht gefährdet sind, darf sich alles andere jederzeit wandeln, besonders wenn dieser Wandel hilft, Geld zu machen und vor allem die Stellung der ohnehin schon Bessergestellten zu sichern.

Einen schönen Wahlsonntag wünscht

Enno Park

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