102/∞
Good evening, Europe!
Jetzt ist der ESC auch schon fast wieder fünf Wochen her und es fühlt sich fast albern an, noch darüber zu schreiben, aber ich fand es eine musikalisch sehr gelungene Ausgabe: Bei Maro (Öffnet in neuem Fenster) aus Portugal und Circus Mircus (Öffnet in neuem Fenster) aus Georgien, die es leider nicht ins Finale geschafft haben, bin ich sogar tief ins Gesamtwerk eingetaucht und habe da zwei Acts gefunden, deren Musik mir ausgesprochen gut gefällt und die ich gerne auch mal auf heimischen Festivals sehen würde. (Speaking of which: Beim Bochum Total (Öffnet in neuem Fenster) sind in drei Wochen nicht nur Emily Roberts (Öffnet in neuem Fenster) und Maël & Jonas (Öffnet in neuem Fenster) aus dem diesjährigen deutschen Vorentscheid dabei, sondern auch Sinplus aus der Schweiz, die 2012 in Baku zwar im Halbfinale gescheitert, Stefan Niggemeier und mir aber durch die ursprüngliche (Öffnet in neuem Fenster), beim Song Contest dann leider gar nicht mehr zur Aufführung (Öffnet in neuem Fenster) gebrachte Aussprache - sagt man beim Singen auch „Aussprache“?! - „Sweam against the strim / Following your wildest drim“ überraschend deutlich in Erinnerung geblieben sind.)
Turin war eh schön (Öffnet in neuem Fenster) und wenn Ihr mögt und es noch nicht getan habt, könnt Ihr Euch meine Instagram stories aus der Woche immer noch als Highlight (Öffnet in neuem Fenster) anschauen — ebenso einen Ausschnitt (Öffnet in neuem Fenster) vom Botschaftsempfang, bei dem Malik Harris die späteren Sieger Kalush Orchestra aus der Ukraine bei ihrem Song „Stefania“ unterstützt hat.
Dass die Ukraine gewinnen würde, hatten viele vorhergesehen. Ich war bis zum Schluss bei meiner Vorhersage geblieben, dass Sam Ryder (Öffnet in neuem Fenster) aus dem Vereinigten Königreich gewinnen würde, was am Ende im technischen und rechtlichen Sinne falsch war, aber wenn das Mitgefühl und die Solidarität der Menschen in ganz Europa noch größer ausfällt als von mir erwartet, freue ich mich natürlich über meine Fehleinschätzung, zumal ich mit Platz 2 ja nur genauso knapp daneben lag wie im vergangenen Jahr, wo ich Frankreich als Sieger getippt hatte. Außerdem ist „Stefania“ (Öffnet in neuem Fenster) ja ein wirklich guter Song, der auch ohne Angriffskrieg in den Top 10 gelandet wäre, und der ESC-Statistik-Nerd in mir freut sich über die ersten aufeinanderfolgenden nicht-englischsprachigen Siegersongs seit 1990/91. Unite, unite, Europe!
Dass die EBU heute bekanntgegeben (Öffnet in neuem Fenster) hat, dass der ESC 2023 nicht in der Ukraine wird stattfinden können (und damit erstmals seit 1980 nicht im Siegerland des Vorjahres — aber das wisst Ihr ja aus meinem Buch (Öffnet in neuem Fenster)), war natürlich einigermaßen erwartbar gewesen, bleibt aber nichtsdestotrotz extrem traurig und bitter. Wir werden also vermutlich im nächsten Jahr ins Vereinigte Königreich reisen. Die Briten haben ja gerade bei den ausufernden Feierlichkeiten zum Platinum Jubilee (übrigens inkl. Sam Ryder) bewiesen, dass sie Großveranstaltungen können. (Mehr zum Platinum Jubilee - und über ein ganz besonderes Hobby von Elvis Presley - könnt Ihr bei der hoch geschätzten und verehrten Kollegin Anja Rützel in ihrem Interessanten Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) nachlesen, der - wie dieser hier - auf Steady erscheint.)
Sehr schön fand ich, dass einer der drei Moderator*innen Mika war — ja, der Mika mit „Grace Kelly“ vor 15 Jahren. Und besonders schön fand ich, dass er im Grand Final ein Medley (Öffnet in neuem Fenster) seiner größten Hits gespielt hat, das mich zu einem für mich selbst überraschenden Gedanken und nachfolgenden Tweet (Öffnet in neuem Fenster) inspiriert hat: „Es ist schön, an das Jahr 2007 erinnert zu werden. Es ist noch schöner, dass in meinem Leben heute ungefähr alles besser ist als damals.“ Das muss man doch auch mal denken und anerkennen!
Mika hat über seine Arbeit beim ESC auf YouTube übrigens eine kleine Videoblog-Reihe (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht (wonder where he got that idea from), die ihn mir noch mehr ans Herz hat wachsen lassen.
Ich habe es schon oft gesagt: Nach dem ESC ist kurz vor Weihnachten (Öffnet in neuem Fenster). Und tatsächlich ist die erste Hälfte von 2022 jetzt auch schon fast durch. Erfahrungsgemäß werde ich also nur zum Bundesligabeginn und meinem Geburtstag noch mal kurz hochschrecken, bevor die Weihnachtsvorbereitungen starten.
Mit wem auch immer ich in den letzten Wochen gesprochen habe, wir sind alle ferienreif. Entschuldigung, wir sind halt durch die letzten zwei Jahre auch einfach nichts mehr gewöhnt!
In meinem Kalender ist Ende August eine einzelne Woche, die genug Termine für ein ganzes Jahr enthält: einen Polterabend, ein betriebliches Sommerfest, die Geburtstage zweier sehr lieber Menschen, ein Musikfestival und mein 20-jähriges Abitreffen. Eine Hochzeitsfeier, bei der ich als DJ hätte agieren sollen, habe ich schon abgesagt, weil sie mit dem Polterabend kollidierte, und wie zum Hohn hat die DFL in ihrem heute veröffentlichten Bundesliga-Spielplan die Spiele von Bochum und Mönchengladbach gegen Bayern auch noch in diese Woche gepackt. Es sind noch zwei Monate bis dahin und ich hasse es eigentlich, irgendwelche Sachen länger als zehn Tage im Voraus zu planen!
Ich möchte nicht zynisch klingen, aber: Ich wäre dann wirklich so langsam bereit für einen neuen Lockdown!
Ich bin ja bekanntlich eigentlich kein großer Fan von Fernsehserien (ich werde es immer „Fernsehserien“ nennen, „Plattformserien“ klingt einfach zu sehr „Thomas, die kleine Lokomotive“), aber diese Woche habe ich eine an zwei Abenden durchgeschaut (es ginge auch an einem, aber ich wollte es mir etwas einteilen), die mir wirklich, wirklich ausgesprochen gut gefallen hat: „Heartstopper“ läuft auf Netflix (Öffnet in neuem Fenster) und handelt von britischen Jugendlichen, die ihre ersten großen Erfahrungen mit dem Thema Liebe & Beziehungen machen. Das könnte jetzt auch die Prämisse von „Skins“ sein (einer anderen Jugendserie, die ich sehr geliebt habe (Öffnet in neuem Fenster), und die inzwischen auch schon vor 15 Jahren begann, please shoot me!), aber wo „Skins“ Drama und Konflikt aufeinanderstapelte wie … seien wir ehrlich: ungefähr jede Jugendserie, ist bei „Hearstopper“ ausnahmslos jeder Charakter, jede Storyline und jede Episode absolut zauberhaft.
Ach so, hatte ich erwähnt, dass es um queere Jugendliche geht und der Hauptstrang von zwei Jungs handelt, die sich ineinander verlieben? Die Serie erzählt das alles so selbstverständlich und matter of factly, dass es sich fast wie Verrat anfühlt, diese Besonderheit noch einmal als solche hervorzuheben. Es macht mich so unendlich glücklich zu wissen, dass es heutzutage queer kids gibt, die diese Serie genauso selbstverständlich gucken können wie wir damals … äh … „Die Kinder vom Süderhof“?! Aber auch für Jugendliche (die Serie ist ab 6 freigegeben und es geht so viel um Liebe und so nicht um Sex, dass sie mir ab ca. 10 als geeignet erscheint), die sich selbst als heterosexuell identifizieren würden, ist diese Serie meines Erachtens ein echtes Geschenk, weil sie 1. alles als so normal behandelt, wie es sein sollte, und 2. so undramatisch ist wie das Leben die meiste Zeit über eben ist. (Pubertät an sich ist natürlich dramatisch genug, aber statistisch betrachtet und erfahrungsgemäß kommen darin deutlich weniger Scheidungen, Gefängnisaufenthalte, Insolvenzen, Unfälle, Entführungen und Morde vor als ich in „Dawson’s Creek“, „The O.C.“ und eben „Skins“ gesehen habe.)
Die Serie basiert auf graphic novels von Alice Oseman und arbeitet mit graphischen Elementen aus der Comic-Welt, erzählt die Handlung aber teilweise auch über die Songtexte der eingesetzten Lieder weiter, was ich natürlich beides ganz bezaubernd finde. Die Folgen dauern eine knappe halbe Stunde (was exakt die Länge ist, die eine Folge einer Serie haben sollte), es gibt acht Stück davon und wenn man sie auf dem Tablet im Garten oder auf dem Balkon guckt, hat man auch noch was vom guten Wetter. (Ihr könnt diesen Newsletter noch kurz zu Ende lesen, aber dann solltet Ihr wirklich starten!)
Was macht der Garten? Es sind dieses Jahr wirklich viele Erdbeeren und sie sind ganz besonders lecker! Außerdem haben wir uns eine kleine Terrasse eingerichtet, auf der man sich fühlt wie in einem Biergarten, in den keine anderen Leute dürfen (also das Beste zweier Welten), und auf der ich diesen kompletten Newsletter verfasst habe.
Was hast Du gehört? Etwas spät (das Album kam im Januar 2022 raus) bin ich in „11:11“ (Rough Trade; Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster)) versunken, dem fünften Album der Band Pinegrove aus New Jersey. Das ist Musik genau an der Grenze zwischen dem etwas melancholischeren 1990er Emo (American Football, The Promise Ring, The Get Up Kids) und dem melancholischen 2000er Indie (Death Cab For Cutie, The Decemberists). Es ist großartige Musik für Nächte am offenen Fenster, wenn draußen heiße Winde durch die Stadt wehen, und man sich noch mal daran erinnern möchte, wie es war, zwischen 16 und 26 das Gewicht der ganzen Welt zu spüren, ohne die tatsächliche Musik zu verwenden, die man damals in solchen Situationen natürlich gehört hat.
Außerdem ist, passend zum Ende des Podcasts (Öffnet in neuem Fenster), in dem Ben Folds mit anderen Kreativen über Kreativität redet, ein Podcast (Öffnet in neuem Fenster) gestartet, in dem Craig Finn von The Hold Steady mit anderen Kreativen über Kreativität und Erinnerung redet. In den ersten Folgen von „That’s How I Remember It“ sind Patterson Hood von den Drive-By Truckers und der Serienschöpfer und Drehbuchautor Brian Koppelman zu Gast, was beides durchaus interessant ist, aber ich bin natürlich schon ein bisschen gespannt, wo diese Reihe noch hin will oder ob es dabei (Öffnet in neuem Fenster) bleibt: „two white guys talking is a podcast“.
Was hast Du gesehen? „Heartstopper“. „Heartstopper“. „Heartstopper“. Und das unfassbar spannende Finale der Premier League Darts. (Das hätte ich vor einem halben Jahr auch noch nicht gedacht, dass ich mich mal so dafür interessieren würde, wie zwei Männer im Fernsehen Pfeile auf Bretter werfen, aber here we are. Ich entwickle mich ja auch gerne weiter.)
Was hast Du gelesen? Zur Einführung des 9-Euro-Tickets hat der WDR in Köln-Chorweiler (das, was man vermutlich nicht mehr als „Problemstadtteil“ bezeichnen sollte, aber Ihr versteht, was ich meine) Menschen befragt, was die neue, preiswerte Mobilität für ihr Leben bedeutet. Da sagen die Menschen dann sowas wie, dass sie durch die Einsparung jetzt mal mit ihrem Kind in den Zoo und ins Spaßbad gehen können, und ich habe diesen kleinen Text (Öffnet in neuem Fenster) mit herunterlaufenden Tränen gelesen, denn natürlich ist es schön für diese Menschen, dass ihr Leben jetzt für drei Monate mal ein kleines bisschen besser und sorgenfreier ist, aber wie kaputt muss eigentlich eine Gesellschaft in einem so grotesk reichen Land wie Deutschland sein, damit so etwas überhaupt ein Thema ist?! (Meine genauen Ausführungen zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle dann zu einem späteren Zeitpunkt an dieser oder anderer Stelle.)
Was hast Du gelernt? Es gibt Momente, da weißt Du, dass gerade eine Erinnerung entsteht, von der Du vermutlich den Rest Deines Lebens zehren wirst.
https://www.youtube.com/watch?v=_PYb0jNgyYA (Öffnet in neuem Fenster)Spielen sogar zwei Mal beim Bochum Total: Janou.
Habt ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße, Euer Lukas
PS: Wenn Euch dieser Newsletter gefällt, empfehlt ihn doch gerne weiter — hier (Öffnet in neuem Fenster) kann man sich zum Mitlesen anmelden.