She's so lucky, she's a star
But she cry, cry, cries in her lonely heart, thinking
If there's nothing missing in my life
Then why do these tears come at night?
(Britney Spears)
Good evening, Europe!
Die Bund-Länder-Konferenz.
Kommen wir deshalb schnell zu deutlich erfreulicheren Dingen: Meine 94-jährige Omi ist inzwischen zwei Mal geimpft, meine Eltern immerhin beide ein Mal. Deswegen konnten das Kind und ich meine Familie zum ersten Mal seit einem halben Jahr wieder besuchen und ich konnte meine Omi nach über einem Jahr endlich wieder drücken.
Ich hoffe sehr, dass Ihr ähnlich positive Erfahrungen machen konntet, denn mit wem auch immer ich in den letzten Wochen gesprochen habe, alle haben zur Beschreibung ihres Geisteszustands zur gleichen Adjektivpalette gegriffen: „müde“, „ausgelaugt“, „mürbe“. Selbst die größten News-Junkies geben an, keine Nachrichten mehr zu konsumieren. (Im Prinzip müsste man ja auch seit 13 Monaten keine Nachrichten mehr senden. Wir wissen doch wirklich alle, wie wir uns zu verhalten haben, bis endlich genug Menschen geimpft sind. Also meldet Euch doch einfach wieder, wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist, und verzichtet vor allem auf die tägliche Abkündigung irgendwelcher Zahlen, die eh niemand einordnen kann und die als hohles Ritual genauso absurd geworden sind wie der Satz „Die Notierungen der Anleihen am Rentenmarkt blieben stabil“, der in meiner Kindheit in allen Radionachrichten vor dem Wetterbericht - den übrigens auch niemand, den ich kenne, sinnentnehmend verfolgen kann - verlesen wurde; wobei ich mir im Nachhinein absolut sicher bin, dass auch die jeweiligen Sprecher*innen nie wussten, was dieser Satz überhaupt bedeuten soll.)
Jetzt haben wir also Ostern zum zweiten Mal in Folge unter besonderen Umständen gefeiert — wir sollten also vorsichtig sein, denn ab dem dritten Mal gilt etwas im Ruhrgebiet als Tradition und wird dann immer so gemacht. Immerhin ist das Wetter nicht mehr ganz so wahnsinnig wie in den letzten Wochen und in der Frühlingssonne vor dem Fenster blühen Magnolien und Kirschen. Bald werden wir wieder frische Erlebnisse sammeln können und nicht ständig an irgendwas (Öffnet in neuem Fenster) erinnern (Öffnet in neuem Fenster) müssen (Öffnet in neuem Fenster), was schon Jahrzehnte her ist!
Ich komme noch mal auf das Thema Geistige Gesundheit zurück, denn ich habe diese Woche zwei Dokumentationen gesehen, die mich sehr bewegt haben: Die eine war „Framing Britney Spears“ von der „New York Times“ und Hulu, die man in Deutschland jetzt bei Amazon Prime (Öffnet in neuem Fenster) sehen kann, die andere „Dancing With The Devil“ bei YouTube (Öffnet in neuem Fenster) über Demi Lovato, die im Sommer 2018 ganz knapp eine Überdosis überlebt hat.
Es geht also in den zwei Filmen („Dancing With The Devil“ ist in vier Episoden aufgeteilt, die aber zusammen auch nur etwa 100 Minuten ergeben) um weibliche Popstars, die aus dem Disney-Channel-Universum kamen und unter den Augen der Öffentlichkeit erwachsen werden mussten, aber obwohl altersmäßig zwischen den beiden nur elf Jahre liegen (Britney wurde 1981 geboren, Demi 1992) geht es doch um zwei verschiedene Zeitalter:
Britney Spears’ Durchbruch als sogenanntes Pop-Sternchen kam Ende der 1990er Jahre, als das Internet noch vergleichsweise wenig verbreitet war und die traditionellen Boulevardmedien noch viel erfolgreicher und mächtiger waren. Sie war im Zeitalter der Boybands die erste junge Frau (na gut: not a girl, not yet a woman), die in Superstar-Sphären katapultiert wurde — und dort die ganze Verlogenheit und den ganzen Sexismus der Unterhaltungsbranche abbekam. Die Ausschnitte, in denen sie - im 1:1-Interview, aber auch auf Pressekonferenzen - zu ihrem Sexualleben befragt wurde wie männliche Profisportler zu deren Training, sind nichts anderes als erschütternd. Die Rolle, die Justin Timberlake, der nice clean guy des Pop und damals für eine Zeit ihr Lebenspartner, in diesem Zusammenhang spielte (und für die er sich jetzt, mehr als 20 Jahre später und nach Veröffentlichung der Doku, ein Stück weit entschuldigt (Öffnet in neuem Fenster) hat), ist auch alles andere als rühmlich. Dass Spears irgendwann, nachdem ihr Ex-Mann ihr das Umgangsrecht mit den gemeinsamen Kindern aberkennen ließ und sie auch in dieser schwersten Zeit permanent von Paparazzi belagert wurde, das tat, was wir damals alle „durchdrehen“ nannten und zum Inhalt zahlreicher Witze machten, ist da natürlich einigermaßen verständlich.
Als ich die Szenen von damals sah, merkte ich, wie ich selbst Britney Spears einsortiert hatte: Als 15-jähriger Alternative-Rock-Fan war sie für mich die Verkörperung einer Popmusik, die auf Äußerlichkeiten und Anbiederung setzte und die es zu verachten galt — obwohl ich gleichzeitig keinerlei Probleme hatte, Robbie Williams abzufeiern. Als Billy Corgan im Jahr 2000 die Smashing Pumpkins auflöste, begründete er das damit, dass es schwer sei, gegen „die Britneys dieser Welt“ zu bestehen (als die Band sieben Jahre später zurückkam, posierte im Booklet des Comeback-Albums Paris Hilton — eine weitere Frau, bei der wir kollektiv Abbitte leisten sollten).
Der eigentliche Aufhänger von „Framing Britney Spears“ ist die Vormundschaft ihres Vaters, unter der Britney seit 2008 steht (und die für sich genommen schon sehr dubios und verstörend ist), aber es geht um so viel mehr, so dass die „FAZ“ zum Beispiel die Frage stellt: „Wie sexistisch waren die Neunziger?“ (Öffnet in neuem Fenster)
Demi Lovatos Karriere ist sehr viel enger mit der Instagram-Welt von heute verknüpft, wozu auch gehört, dass sie bereits seit sie 19 war, sehr offen über ihre psychischen Erkrankungen und ihre Sucht-Erfahrungen spricht und im Jahr 2017 eine erste Doku über ihren Entzug veröffentlichte. 2018 folgte dann ein Alkohol- und Drogen-Rückfall, bei dem sie nach einer Überdosis nur sehr knapp (die Ärzt*innen sprechen von „fünf bis zehn Minuten“) mit dem Leben davon kam.
„Dancing With The Devil“ ist - soweit man das von außen bei einer Schauspielerin, die gleichzeitig Ausführende Produzentin der Reihe ist, beurteilen kann - eine brutal ehrliche Dokumentation, in der sie alles erzählt: Der ersten Folge ist eine content warning vorgeschaltet, die auf Sucht- und Essstörungen hinweist; vor Folge zwei wird auf Suchtverhalten und sexualisierte Gewalt verwiesen, und vor dem dritten Teil warnt eine Tafel vor Schilderungen von Sucht, Geistiger Gesundheit und sexualisierter Übergriffe, was in seiner stetigen Steigerung schon fast einen unendlich zynischen Humor entfaltet.
Die gefühlte Nähe, die man heute durch Instagram auch zu Megastars empfinden kann, zeigte sich für mich im Sommer vor drei Jahren, als ich, der inzwischen auch deutlich mehr „Plastikpop“ hört als Indie- oder Alternative Rock, von den Nachrichten von Demi Lovatos Überdosis überraschend hart getroffen wurde; ganz so, als wäre sie eine alte Freundin. Entsprechend schwer ist „Dancing With The Devil“ auch zu verarbeiten. Die Szene, in der ihre beste Freundin und former sober companion Sirah beschreibt, wie sie am Morgen nach einem abendlichen Treffen mit Lovato nach New York flog und nach der Landung auf den Smartphones der anderen Passagier*innen an Bord die Nachrichten von der Überdosis aufpoppten, ist nur einer von den verstörenden, surrealen Momenten dieser Doku. Wenn ich nicht Probleme mit meinen Tränenkanälen hätte, die dazu führen, dass meine Augen die meiste Zeit viel zu trocken sind, hätte ich vermutlich die halbe Zeit durchgeheult.
Beide Dokus sind also auf einer inhaltlichen Ebene absolut empfehlenswert, aber man sollte sich wirklich sicher sein, dass man sie sehen will und kann — und das dann vielleicht nicht ganz alleine vor dem Schlafengehen machen.
Okay. Wie kommen wir jetzt wieder aus dem Loch, in dem ich uns gerade versenkt habe? Vielleicht am Besten mit something completely different:
Dieser Supercut von wild gewordenen Roboter-Kameras der BBC, den die Redaktion von „Full Frontal“ mit Samantha Bee zusammengestellt hat, zählt mit zum Lustigsten, was ich jemals gesehen habe:
https://www.youtube.com/watch?v=_8CTsg0D9h4 (Öffnet in neuem Fenster)Ich bin mir absolut sicher, dass man den Zauber dieses Videos auch erfassen kann, wenn man selbst nicht beim Fernsehen arbeitet.
Was macht der Garten? Die kalten Temperaturen haben uns natürlich davon abgehalten, jetzt schon irgendwas nach draußen zu pflanzen, aber in unserer Anzucht-Station auf der Fensterbank keimt und wächst alles ganz hervorragend. Am verrücktesten finde ich die kleinen Sonnenblumen, die wir aus den Samen unserer eigenen Sonnenblume gezogen haben, die wir wiederum letztes Jahr aus einem Sonnenblumenkern gezogen hatten, den wir eigentlich (mit vielen anderen zusammen) als Essen gekauft hatten. Natur, ey! So crazy!
Was hast Du gehört? „Dancing With The Devil…The Art Of Starting Over“ (Island Records; Spotify (Öffnet in neuem Fenster), Apple Music (Öffnet in neuem Fenster)) ist das Album, das Demi Lovatos Doku-Reihe (s.o.) begleitet. Es ist ein kleines Stück Soundtrack, insgesamt aber eher eine Art vertontes Tagebuch, in dem Demi mit überwiegend souligen Songs einen vertiefenden Einblick in ihre Seele gewährt. Mit dieser hermeneutischen Aufladung ist es natürlich schwer, das Album auf einer rein musikalischen Ebene zu bewerten, aber es ist schon beeindruckend — und gut.
Benny Sings ist ein niederländischer Musiker, von dem ich bis letzte Woche noch nie gehört hatte. Dann erschien sein achtes Studio-Album, das schlicht „Music“ (Stones Throw Records; Spotify (Öffnet in neuem Fenster), Apple Music (Öffnet in neuem Fenster)) heißt und sehr feinen, entspannten Indie-Pop zwischen Thundercat, Steely Dan und Broken Bells enthält. Ich gebe zu: Die Stimme muss man mögen — aber dann ist das Album der ideale Begleiter für Frühling und Sommer!
Was hast Du gesehen? Neben den oben erwähnten Dokus, die eher zur richtig harten Kost gehörten, brauchte ich natürlich ein bisschen cineastisches soul food — und das sind für mich einfach Action-Filme aus den 1990er Jahren. Es gibt so Filme, die ich einfach jedes Mal zu Ende schauen muss, wenn ich beim Zappen zufällig auf sie stoße: „The Rock“, natürlich, aber auch „Speed“ und die ersten drei „Stirb langsam“-Teile. Durch die ganzen Streaming-Dienste, die ich inzwischen abonniert habe, kann ich mir solche Filme jetzt aber jederzeit ansehen — und so habe ich in den letzten Wochen „Con Air“, „Stirb langsam — Jetzt erst recht!“ (für mich ein klassischer Oster-Film, weil ich ihn mindestens einmal an Ostern im Fernsehen gesehen habe, als ich jung war) und „Air Force One“ geschaut. Korrigiert mich, aber: they don’t make movies like this anymore!
Deutlich gehaltvoller ist „One Night In Miami“, das Regie-Debüt der Schauspielerin Regina King, das bei Amazon Prime Video (Öffnet in neuem Fenster) zu sehen und für drei Oscars nominiert ist. Der Film spielt, wie der Titel nahe legt, an einem einzigen Abend im Jahr 1964, als Cassius Clay zum ersten Mal Weltmeister wurde und sich danach mit Malcolm X, Sam Cooke und dem Football-Spieler Jim Brown traf. Da sind also vier Schwarze Ikonen, die sich zu einem für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung extrem wichtigen Zeitpunkt eine Nacht lang unterhalten und sich dabei im Spannungsfeld von persönlicher Freundschaft, Karriereplanung und rassistischer Diskriminierung bewegen. Es ist, wie man so schön sagt, ein Kammerspiel — und tatsächlich basiert der Film auf einem Theaterstück von Kemp Powers, das er dann selbst zu einem Drehbuch weiter verarbeitet hat. (Kemp Powers ist übrigens auch der Co-Autor und Co-Regisseur vom Pixar-Film „Soul“ [s.a. Newsletter #83 (Öffnet in neuem Fenster)] und ich empfehle sehr dringend das „New York Times“-Porträt (Öffnet in neuem Fenster) über diesen Mann, der in seiner Jugend unfassbares Leid erfahren und verursacht hat, und in seinen Vierzigern beschloss, dass er mehr von seinem Leben wollte, als als Journalist am Fließband des Online-Journalismus zu arbeiten.) Das pacing, also das Erzähltempo des Films, fand ich ein bisschen unbefriedigend, aber die vier Hauptdarsteller, allen voran Leslie Odom jr. (of „Hamilton“ fame) als Sam Cooke, sind sehr überzeugend und ihre Themen natürlich leider auch fast 50 Jahre später immer noch aktuell.
Das ZDF hat offenbar eine neue Sendereihe namens „Stay Live“, in der zwei Acts (ein etablierter und ein eher neuer) in einem der vielen leerstehenden Kulturorte gemeinsam bzw. füreinander musizieren und sich unterhalten — also eine Art Crossover aus „Sing meinen Song“ und „Durch die Nacht mit ...“. In einer der Folgen (Öffnet in neuem Fenster) trifft Thees Uhlmann auf Danger Dan von der Antilopen Gang, der dieser Tage sein Solodebüt herausbringt. Der Talk-Teil ist sehr charmant, etwa wenn beide erzählen, wie sehr sie Kneipen als Begegnungsstätten vermissen, und der Musikteil ist auch schön inszeniert und zum Glück nicht ganz so intim, wie mein „Sing meinen Song“-Vergleich jetzt nahelegen könnte. Thees singt nur ein Lied, aber Danger Dan, den ich vorher nicht kannte, stellt einige seiner Songs vor, die musikalisch ein wenig an Ben Folds und Randy Newman erinnern (weil am Klavier vorgetragen), textlich an Rainald Grebe oder Olli Schulz. Ich verstehe total, dass man das gut finden kann, es ist leider echt nicht meins, aber es war eine sehr schöne Sendung!
Was hast Du gelesen? Im „Time“-Magazin erschien ein Porträt (Öffnet in neuem Fenster) des Schauspielers Elliot Page, der vor allem durch „Juno“, „Inception“ und zwei „X-Men“-Filme bekannt wurde und im vergangenen Jahr bekannt gab, transgender zu sein. Ich verfolge seine Karriere seit 15 Jahren, bin ihm also lange medial nahe, und bin entsprechend beeindruckt und gerührt von seinen Ausführungen. Es gibt, wie allein im heutigen Newsletter schon einige Male angeklungen ist, so vieles, was wir persönlich, als Gesellschaft und als Entertainment-Industrie noch lernen müssen — dieses Porträt ist ein guter Einstieg!
Sehr rührend fand ich auch die Geschichte eines 88-jährigen Mannes, die Matthias Kreienbrink für „Spiegel Online“ (Öffnet in neuem Fenster) aufgeschrieben hat: Der Mann hatte in den Sozialen Medien für Aufmerksamkeit gesorgt, weil er per öffentlichem Aushang Unterstützung für das Playstation-4-Spiel „Skyrim“ gesucht hatte, das er seit kurzem spielt. Das allein ist ja schon eine zauberhafte Geschichte, aber der Text nimmt eine überraschende Abzweigung, als er erwähnt, dass der Mann namens Klaus-Jürgen Langner als Pflichtverteidiger des RAF-Mitglieds Margrit Schiller gearbeitet hatte, seine Anwaltskarriere aber beendete, nachdem eine Mitarbeiterin bei einem Brandanschlag auf seine Kanzlei ums Leben kam, und danach fünf Jahre mit einem Wohnwagen durch Europa fuhr. „Man braucht keine Romane, nur Biographien“, sagt ein Onkel von mir immer.
Was hast Du gelernt? Die Stadt Dessau, weltberühmt für das Deutsche Bauhaus, das dort von 1925 bis 1932 existierte, ist schon seit 2007 nicht mehr selbständig, sondern Teil der Fusionsstadt Dessau-Roßlau (Öffnet in neuem Fenster).
https://www.youtube.com/watch?v=HJFCiYeqmjc (Öffnet in neuem Fenster)Habt ein schönes Wochenende!
Herzliche Grüße, Euer Lukas
PS: Wenn Euch dieser Newsletter gefällt, empfehlt ihn doch gerne weiter — hier (Öffnet in neuem Fenster) kann man sich zum Mitlesen anmelden.