Zum Hauptinhalt springen

Über Medien

If you really want to see me, check the papers and the TV
Look who's tellin' who what to do
(Ben Folds Five)

127/∞

Good evening, Europe!

Im Juni war ich mit dem Kind am Set von „Ninja Warrior Germany“, um mal aus der Nähe zu sehen, wie unsere gemeinsame Lieblingsfernsehsendung entsteht. Mein Respekt vor der Sendung und ihren Macher*innen ist seitdem noch größer, denn was im Fernsehen eine perfekte, dicht komprimierte Kombination aus sportlichen Höchstleistungen und launigen Kommentaren ist, ist für das Publikum und die Athleten im Studio zäh und langwierig.

In den folgenden Monaten habe ich einige Interviews geführt und vor zwei Wochen ist dann, passend zur aktuellen, achten Staffel bei RTL (Öffnet in neuem Fenster), endlich mein Text über die Sendung in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erschienen (bei faz.net (Öffnet in neuem Fenster) hinter der Bezahlschranke, aber die müssen mich ja auch irgendwie entlohnen).

Und der scheint sogar Frank Buschmann gefallen (Öffnet in neuem Fenster) zu haben, der die Sendung gemeinsam mit Jan Köppen kommentiert:

Frank Buschmann auf Twitter: „Weil es das sonst fast nicht gibt. Da hat sich jemand wirklich mit der Show beschäftigt und auch noch aufgeschrieben.“

Nun sollte es, bei strengem journalistischen Selbstverständnis, nicht meine Sorge sein, ob jemand, über dessen Arbeit ich geschrieben habe, mit dem Text auch zufrieden ist — es sind sogar extrem viele Kontexte denkbar, in denen das ein eher schlechtes Zeichen wäre. Aber weil ich ja nicht nur für Zeitungen arbeite, sondern auch selbst fürs Fernsehen, weiß ich, wie es auf beiden Seiten aussieht. Deshalb weiß ich, was Frank Buschmann meint, und habe mich umso mehr gefreut, dass ich es offenbar geschafft habe, für die Zeitung aufzuschreiben, wie Fernsehen gemacht wird.

Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen hätte, wenn irgendwo stand, dass Peter Urban den ESC „moderiert“ (Faustregel beim Fernsehen: Können Sie die Person, die direkt zu Ihnen spricht, sehen, ist es ein*e Moderator*in; können Sie sie nur hören, ist es ein*e Kommentator*in) oder der Song Contest „früher ja noch ‚Grand Prix‘“ geheißen habe (was teilrichtig, nämlich falsch ist (Öffnet in neuem Fenster)), hätte ich damit schnell mehr Geld verdient als mit dem Verkauf meines Buchs (Öffnet in neuem Fenster). Und das ist nur die oberste Schicht des Elends.

[Spätestens hier sollte ich auf zwei offensichtliche Dilemmata eingehen: Das eine ist, dass man als Medienkritiker*in quasi immer das tut, was „der Volksmund“ in Ermangelung einer frischeren Metapher immer noch „Steine aus dem Glashaus werfen“ nennt. Ja. Isso. Ich hab so lange BILDblog gemacht, dass ich mit diesem Konflikt gut leben kann. Das andere ist ein noch viel größeres Problem, denn in dem Moment, wo man sich öffentlich mit Fehlern von Medien auseinandersetzt, begibt man sich auf eine sehr wacklige Ebene, die an mindestens einer Seite steil in einen Abgrund führt, über dem auf einem alten Betttuch „Lügenpresse“ steht. Da braucht man einen guten Gleichgewichtssinn und starke Nerven. Ich hab bis heute keine befriedigende Antwort auf die Frage gefunden, warum ich denn davon ausgehen sollte, dass in Texten und Berichten über Themen, von denen ich keine Ahnung habe, nicht ebenso viele Unschärfen, Missverständnisse oder Fehler enthalten sein sollten wie in den Texten und Berichten zu Themen, von denen ich in der Tat Ahnung habe und wo sie mir deshalb auffallen. Was ich aber weiß: Es ist nach meiner Erfahrung komplett ausgeschlossen, dass Angela Merkel (oder wer auch immer dieser Tage das Machtvakuum füllt, das Angela Merkel hinterlassen hat) in Redaktionen anruft und Anweisungen gibt, die dann eilfertig umgesetzt werden. Dafür werden viel zu oft Anweisungen der eigenen Redaktion nicht umgesetzt.]

Nun ist mir klar, dass die wenigsten Redaktionen sich ganzjährig einen ausgewiesenen ESC-Experten halten können, weil das Thema zu nischig ist. Dass, selbst wenn der Text ursprünglich von einem ausgewiesenen ESC-Experten stammte, beim Redigieren schnell kleinere und größere Fehler in den zuvor makellosen Text geraten können (z.B. weil dort zweimal in kurzem Abstand „Kommentator“ stand und man „Moderator“ für ein Synonym hält). Dass Zeitungen (über Online-Medien möchte ich am Liebsten gar nicht nachdenken, die sollen einfach weggehen!) unter immer größerem Zeit- und Gelddruck (womit leider nicht die Herstellung von Banknoten zur freien Verfügung gemeint ist) entstehen und die meisten Redakteur*innen und Autor*innen pro Tag mehr Texte raushauen müssen als ich in einem Monat. Und ich gehe - da kommen wir zum oben angesprochenen zweiten Dilemma zurück - einfach mal davon aus, dass die Menschen, die Tag für Tag über Sport, Kultur, Wirtschaft und, ja, auch: Politik schreiben, sehr viel tiefer in der Materie sind als jene, die einmal im Jahr zwei Texte über den ESC abliefern sollen. So, wie ich auch davon ausgehen muss, dass Pilot*innen, Fluglots*innen, Mitarbeiter*innen in Lebensmittelfabriken und Wasserwerken, Eltern, Ärzt*innen und, ja, auch: Politiker*innen ziemlich genau wissen, was sie da tun und welche Verantwortung sie da tragen. Wenn ich das nicht täte (oder gar: die Mehrheit), würde das nämlich unweigerlich in ein dunkles Loch führen. Hashtag Gesellschaftsvertrag, Hashtag Anarchie.

Es ist in den zehn Jahren, die ich mit Peter Urban beim ESC zusammenarbeiten durfte, öfter als nie vorgekommen, dass Fakten, die ich rausgesucht hatte, nicht stimmten; dass Informationen im Zwiegespräch verloren gingen; dass Peter im Eifer des Gefechts eine falsche Zahl oder einen falschen Namen genannt hat, obwohl es richtig im Skript stand. Manchmal haben wir es selbst gemerkt und korrigiert, manchmal nach Hinweisen in den Sozialen Medien, aber manches wird bis heute falsch im ARD-Archiv gespeichert sein, weil es einfach absolut niemandem aufgefallen ist (Wald, Baum, Geräusch). Aus eigener Erfahrung ist der Ärger über solche Fehler jedes Mal riesig und er wird nicht kleiner, wenn man von außen darauf hingewiesen wird. Da muss man dann schon einmal kurz durchatmen, bevor man sie richtigstellt (BILDblog, Karma).

Ich kann gar nicht sagen, wann das angefangen hat mit mir und den Medien — sie waren einfach immer schon da. Und anders als Popmusik waren Radio, Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehen nicht auf mein Elternhaus beschränkt, sondern auch bei meinen Großeltern allgegenwärtig. Es gibt Bilder von mir als Achtjährigem, auf denen ich eine aktuelle „Spiegel“-Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) in der Hand halte und - so steht zu befürchten - auch darin gelesen habe. Ein paar Monate später brannte das Schlosscafé Dölken in Dinslaken ab und ich schnitt die Presseberichte aus der „Neuen Ruhr-Zeitung“ auseinander, ordnete die Absätze neu an und las sie, aus einem Pappkarton schauend, als Fernsehnachrichten vor. Eigene Verkehrsmeldungen und Quizsendungen hatte ich zu dieser Zeit schon länger in den Familienalltag integriert. Ich war ein etwas manisches Kind.

„ZAK“ mit Friedrich Küppersbusch habe ich schon geschaut, als ich noch keine zehn Jahre alt war; „B. trifft“ mit Bettina Böttinger und „Willemsens Woche“ mit Roger Willemsen vom Start weg. Fernsehen war für mich alltäglich (die Legende geht, dass ich mir als Kindergartenkind selbst das Lesen beigebracht hätte, weil ich meinen Eltern nicht glauben wollte, dass „nichts“ im Fernsehen kommt, und die einzige Quelle, auf die ich hätte zurückgreifen können, die gedruckte Fernsehzeitung war — wenn das stimmt, war auch die Skepsis gegenüber Autoritäten früh angelegt) und ich habe null unterschieden, ob auf den fünf, sechs zur Verfügung stehenden Sendern gerade die „Sendung mit der Maus“, „Formel Eins“ (die Musiksendung, nicht die Autorennen), irgendein generisches WDR-Regionalprogramm oder eine Talkshow lief. Ich handhabe das bei meinem Kind sehr anders. (Das Kind war neulich krank zuhause und hat zum ersten Mal in seinem Leben außerhalb von Sportübertragungen lineares Fernsehen geguckt. Es ist seitdem großer Fan von Teleshopping und „Eisenbahnromantik“, und das, meine Damen und Herren, ist die Magie linearer Ausspielwege: Man stößt auf Dinge, die einem der doofe Algorithmus niemals anzeigen würde!)

Was hast Du gehört?

Den „neuen“ Beatles-Song, natürlich. Meine liebsten Beatles-Songs sind fast alle die von Paul McCartney, aber für eine John-Lennon-Komposition ist „Now And Then“ schon ziemlich gut und ab dem zweiten Hören kam es mir so vor, als würde ich das Lied seit 40 Jahren kennen. Falls Ihr jemanden sagen hört, der Song sei „mit KI“ fertiggestellt worden (und da sind wir wieder bei den journalistischen Unschärfen von oben), solltet Ihr wissen, dass die alten Demo-Aufnahmen von John Lennon mithilfe modernster, KI-gestützter Computertechnik von Störgeräuschen befreit wurden, aber nichts künstlich erzeugt wurde. (Das Video (Öffnet in neuem Fenster) von Peter Jackson, das ebenfalls schwer auf KI setzt, ist allerdings völlig gruselig, total überfrachtet und - bis auf wenige sehr rührende Momente - einfach unfassbar schlechter Mumpitz.)

Andere aktuelle Songs stelle ich in der aktuellen Folge Coffee And TV vor, die heute online gegangen ist: spotify.com (Öffnet in neuem Fenster).

Was hast Du gesehen?

Speaking of unfassbar schlechter Mumpitz: Aus irgendeinem Grund gucke ich, wenn ich abends auf der Couch liege, nicht etwa die guten Serien, deren Folgen ich mir „aufgehoben“ hattee, hochgelobte Filme, die ich schon lange mal sehen wollte, oder wenigstens „Akte X“ oder „Scrubs“, die ich noch mal komplett gucken wollte, sondern irgendwas anderes, von dem ich allenfalls mal mit einem halben Ohr gehört hatte. 

„Heart Of Stone“ auf Netflix (Öffnet in neuem Fenster) hätte ich mir zum Beispiel niemals angesehen, wenn ich gewusst hätte, dass dort Matthias Schweighöfer im Set rumsteht („mitspielen“ kann man das nun wirklich selbst mit größtem Wohlwollen nicht nennen, obwohl Gal Gadot, Jamie Dornen und das restliche Personal vor der Kamera nicht viel besser sind). Hinter der Kamera waren offenbar alle Gewerke immer im entscheidenden Moment zu Tisch: Für das Drehbuch wurden einfach alle Ideen direkt aus der „Mission: Impossible“-Reihe und den letzten James-Bond-Filmen übernommen und mit Dialogen angereichert, die bei „GZSZ“ als „zu schlecht“ angestrichen worden wären; die Digitaleffekte sehen aus wie vor 20, 25 Jahren; die Musik ist mit „nervtötend“ noch wohlwollend umschrieben und den ganzen Look bekommt man heute in vielen Werbespots besser und billiger hin. Es ist ein wirklich abgrundtief ärgerlicher Film; womöglich der schlechteste, den ich je gesehen habe.

Ein bisschen besser ist „The North Sea“ auf Magenta TV (Öffnet in neuem Fenster), ein norwegischer Katastrophenfilm der Sorte, wie er in Hollywood kaum noch produziert wird: Für einen Bruchteil des Budgets von „Heart Of Stone“ gibt es hier große Desaster-Action auf Ölplattformen in der Nordsee. Nicht doll, aber total okay für einen Sonntagabend, an dem man sich nicht entscheiden kann, was von den Sachen, die man eigentlich gucken will, man gucken soll.

Was hast Du zum ersten Mal gemacht?

Wir waren am Wochenende Bouldern. Das hat großen Spaß gemacht und die Schürfwunde am Unterarm ist sicher in zwei Wochen wieder komplett verheilt.

Was hast Du gelernt?

Dieses Werbejingle aus der Milka-Werbung (Öffnet in neuem Fenster) ist in Wahrheit eine Coverversion von Real Love“ (Öffnet in neuem Fenster), einem anderen „neuen“ Beatles-Song aus den 1990er Jahren, der nicht „Free As A Bird“ ist und damals offenbar komplett an mir vorbeigegangen ist.

https://www.youtube.com/watch?v=8SbUC-UaAxE (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn Euch diese Ausgabe des Newsletters gefallen hat, leitet sie doch an eine Person weiter, von der Ihr glaubt, dass auch sie Interesse daran haben könnte. Mein Ziel ist es ja, das Publikum dieses kleinen Newsletters behutsam zu vergrößern.

Und wenn Euch dieser Newsletter so gut gefällt, dass Ihr dafür bezahlen - und indirekt auch mein nächstes Buchprojekt unterstützen - wollt, könnt Ihr das hier tun:

Habt eine schöne Restwoche!

Always love, Lukas

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Post vom Einheinser und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden