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Malmö ist nur einmal im Jahr

Welkom in Europa, blijf hier tot ik doodga
Euro-pa-pa, Euro-pa-pa
(Joost Klein)

137/∞

Good evening, Europe!

Seit Peter Urban im vergangenen Jahr angekündigt hatte, dass der Song Contest 2023 sein letzter als deutscher Kommentator sein würde, haben mich Journalisten immer wieder gefragt, ob ich denn schon wisse, wer sein Nachfolger werden solle. Dann lief am Abend des 16. Februar im Ersten „Das deutsche Finale 2024“: Die Sendung begann mit einer MAZ, die auf den letzten ESC zurückblickte, und an der Stelle, wo normalerweise Peters Stimme zu hören gewesen wäre, erklang die von Thorsten Schorn.

„Alles klar“, dachte ich und nahm mein Handy in die Hand. „Dann gucken wir doch mal, welcher Journalist jetzt als Erstes schreibt.“ Es kam: nichts. Nicht an dem Abend, nicht am nächsten Morgen, nicht in den Wochen danach. (Okay, nicht „nichts“: Stefan Niggemeier hatte den Braten gerochen, aber das war auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster) und da stinkt es drumherum so sehr nach Schwefel und Scheiße, dass luzide Gedanken dort leicht übersehen werden.) Es brauchte schon eine Pressemitteilung des NDR sechs Wochen später, dass Thorsten neuer deutscher ESC-Kommentator wird, damit deutsche Medien auf die Idee kamen, dass Thorsten neuer deutscher ESC-Kommentator wird.

In den Tagen vor unserer Abreise nach Malmö gingen auch bei mir wieder zahlreiche Interview-Anfragen ein, was mich natürlich sehr freut (mein Buch über den ESC (Öffnet in neuem Fenster) ist immer noch im Handel erhältlich und ich rühre auch gerne die Werbetrommel für die Fernsehshows), mir aber andererseits auch signalisierte: Die dpa-Wochenvorschau ist raus und jetzt wissen sie in den Redaktionen, dass bald ESC ist. Und dann kommen eben so Anfragen wie die, ob ich für eine einstündige Radioschalte zur Verfügung stünde. Während ich vor Ort Proben gucken und mithin arbeiten muss.

Ich hoffe, dass ich nicht zu pissig klinge, während ich hier das Glashaus abreiße, und ich hab es ja schon mal (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben: Mir ist klar, dass die wenigsten Redaktionen sich ganzjährig einen ausgewiesenen ESC-Experten halten können, weil das Thema zu nischig ist, und es hunderte gute Gründe gibt, warum selbst die beste und informierteste Berichterstattung am Ende kleine, dumme Fehler enthalten kann. 

Aber dann lese ich, dass Thorsten den ESC „moderiert“ (Öffnet in neuem Fenster), und höre in einer Fernsehsendung zum hunderttausendsten Mal (bitte nicht (Öffnet in neuem Fenster) wiederwählen!), dass der ESC „ja früher ‚Grand Prix de la Chanson‘“ geheißen habe und nehme wüsteste Spekulationen in den sog. „Fan-Medien“ zur Kenntnis und denke, dass es mir jetzt für ein paar Tage wieder sehr schwer fallen wird, Pauschalangriffe auf „die Medien“ mit leichtem Herzen abzuwehren. 

Wenn Dein einziges Produkt Glaubwürdigkeit ist, solltest Du doch schon gucken, dass keine Ameisen über den Boden laufen, und nicht erst handeln, wenn die Ratten in den Kochtopf springen und das Gesundheitsamt kommt, um den ganzen Laden dichtzumachen. 

NPR, das von mir sehr geschätzte öffentliche Radionetzwerk in den USA, hat einen wilden April hinter sich: Uri Berliner, ein leitender Wirtschaftsredakteur, hatte seinen Arbeitgeber in einem großen Besinnungsaufsatz (Öffnet in neuem Fenster) kritisiert — nicht etwa bei NPR, was durchaus zum Selbstverständnis des Senders passen würde, sondern bei „The Free Press“, eine Art Medienwatchblog von und für Menschen, die „die Medien“ für „zu links“ halten. Sein Vorwurf an die eigene Chefetage: Denkverbote, vorgefertigte Meinungen, obskure Sprachregelungen. 

Ich bin zu wenig drin in der Materie und vieles von dem, was Berliner anspricht, klingt verdächtig nach „Alter, weißer Mann sieht den Zug abfahren und brüllt: ‚Ich wollte sowieso woanders hin!‘ hinterher“ (oder, wie man es in Deutschland nennt: Morbus Gottschalk). Andererseits kann es - gerade in diesem Beruf - nie schaden, alles auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin immer dafür, eher dem Publikum die Welt vorzustellen zu versuchen, als es erziehen zu wollen — und wie das konkret aussieht, hängt vom Einzelfall ab, weswegen ich mich hier, zwischen Tür und Angel und schon knietief im ESC, auf Allgemeinplätze zurückziehen muss.

Aber offenbar hatte Berliner es mit den Fakten selbst nicht so genau genommen, wie ihm sein eigener NPR-Kollege Steve Inskeep (wiederum andernorts) nachwies (Öffnet in neuem Fenster). NPR suspendierte Berliner für fünf Tage, weil er ohne vorherige Genehmigung in einem anderen Medium publiziert hatte, aber kündigen musste Berliner dann schon selbst.

Elahe Izadi hat versucht, das alles in einem Artikel für die „Washington Post“ (Öffnet in neuem Fenster) noch mal aufzudröseln, und ich gebe zu, dass das einerseits sehr dröger Medienjournalismus für Medienschaffende ist (noch dazu mit sehr amerikanischen Beispielen), aber andererseits steckt darin sicher auch eine gewisse Allgemeingültigkeit.

Es ist das alte Problem: Niemand ist perfekt, aber alle wollen gern so tun, als ob. Fehler zu machen und zuzugeben, wird immer noch zu oft als Schwäche angesehen, und wenn dann noch ein politischer Gegner lauert, der egal was gegen einen verwenden wird, kann man eigentlich nur noch verlieren. Die beste Idee wäre natürlich, Kritik intern zu formulieren, aber wer schon einmal länger in einer Redaktion gearbeitet hat, weiß, dass man seine Zeit und Energie dort in der Regel sinnvoller einsetzen kann — zum Beispiel, indem man die Büroklammern, die sich in dieser kleinen Dose zu einer Kette zusammengefunden haben, wieder auseinandernimmt. Aber ich vermute, das ist auch in anderen Unternehmen nicht anders.

Wie kam ich jetzt auf all das, wo ich Euch doch eigentlich nur erzählen wollte, dass Thorsten Schorn der neue deutsche Kommentator beim ESC ist?

Wir sind seit Samstag in Malmö, heute Abend läuft das 1. Halbfinale und ich nehme Euch auf meinem Instagram-Account (Öffnet in neuem Fenster) natürlich wieder mit hinter die Kulissen. Wir haben uns schon sehr gewissenhaft vorbereitet (wie man z.B. in diesem Beitrag (Öffnet in neuem Fenster) des NDR-Magazins „DAS!“ sehen kann) und freuen uns jetzt die bunten, abwechslungsreichen Sendungen.

Wie schon im vergangenen Jahr steht der ESC unter dem Motto „United By Music“ und es ist schön zu sehen, wie eine Veranstaltung im besten Boomer-Alter immer noch junge Menschen aus aller Welt zusammenbringen kann, die in einer bunten Mischung aus Olympischen Spielen und Kirchentag, Klassenfahrt und band camp gemeinsam feiern, singen und tanzen und im friedlichsten aller Wettkämpfe gegeneinander anzutreten. Um einen klugen Taxifahrer aus Liverpool zu zitieren (Öffnet in neuem Fenster): „Es ist ein Utopia, wie wir alle leben könnten!“

Wie Ihr als aufmerksame Leser*innen dieses Newsletters natürlich wisst, gibt es wieder zwei Halbfinals und das Grand Final, die Ihr auf folgenden Wegen sehen könnt:

Dienstag, 7. Mai, 21 Uhr: 1. Halbfinale auf One (vorher schon mal die Senderbelegung checken!) und in der ARD-Mediathek (Öffnet in neuem Fenster)

Donnerstag, 9. Mai, 21 Uhr: 2. Halbfinale auf One und in der ARD-Mediathek

Samstag 11. Mai, 20.15 Uhr: Warm-Up, Grand Final und Aftershow-Show im Ersten (mutmaßlich die „1“ auf Eurer Fernbedienung), bei One und in der ARD-Mediathek

Und wenn Ihr während der Sendungen zufällig gerade unterwegs seid, möglichst viel mitbekommen, aber nicht so viel Datenvolumen verballern wollt, wird Thorstens Kommentar auch in der ARD-Audiothek (Öffnet in neuem Fenster) übertragen.

Damit Ihr wenigstens ein bisschen wisst, was Euch erwartet, haben Selma Zoronjić, Thorsten Schorn und ich eine kleine Vorschau auf den Song Contest 2024 aufgezeichnet, die (inkl. Songs) jetzt bei Spotify (Öffnet in neuem Fenster) zu hören ist.

Was macht der Garten?

Wir haben jetzt alle Sämlinge in große Behälter umgetopft. Die Tomaten- und Brokkolipflanzen ziehen schon ordentlich an, aber auch bei den Erdbeerpflanzen, die im Winter noch so traurig und tot aussahen, knospt es jetzt gewaltig.

Was hast Du veröffentlicht?

Bei Coffee And TV geht das große Erinnern weiter: Ich habe darüber geschrieben (Öffnet in neuem Fenster), wie ich vor 30 Jahren vom Tode Kurt Cobains erfahren habe (oder meine, mich zu erinnern, wie ich es erfahren habe, die Forschung ist sich da noch uneins), und über die 25. Jahrestage der Veröffentlichung von „Equally Cursed And Blessed“ (Öffnet in neuem Fenster) von Catatonia, „The Unauthorized Biography Of Reinhold Messner“ (Öffnet in neuem Fenster) von Ben Folds Five und „The Ego Has Landed“ (Öffnet in neuem Fenster) von Robbie Williams.

Für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ hab ich über das neue Album (Öffnet in neuem Fenster) der Pet Shop Boys, „Nonetheless“, geschrieben (ein Text, über den ich manchmal beim Schreiben dachte: „Vielleicht übertreibst Du es gerade mit diesem Nerdtum!“) und über eine Simpsons-Ausstellung (Öffnet in neuem Fenster) in Dortmund (F+).

Außerdem hab ich in der Zwischenzeit (zusätzlich zum oben erwähnten ESC-Special) zwei neue Ausgaben unserer kleinen Musiksendung auf Spotify moderiert: In der einen (Öffnet in neuem Fenster) gibt es u.a. neue Songs von kettcar, Example und Katie Pruitt, in der anderen (Öffnet in neuem Fenster) u.a. neue Songs von Thursday, Nina Chuba, Chilly Gonzales und Joy Oladokun und Tracks von den neuen Alben von Pet Shop Boys und Jacqui Naylor. 

Was hast Du gehört?

Ich bin ja großer Fan von großen amerikanischen Podcasts, die große amerikanische Geschichten erzählen. Vor ein paar Wochen (Öffnet in neuem Fenster) war das „Blindspot“ über den Beginn der AIDS-Epidemie in den USA, diesmal ist es die Staffel der Serie „Cover Up“, die sich mit den Anthrax-Anschlägen in den USA im Herbst 2001 beschäftigt (Apple Podcasts (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster) — die Links führen zur neuesten Staffel, die inzwischen erschienen ist, man kann einfach ein bisschen runterscrollen für die Anthrax-Staffel). Obwohl ich mich noch gut an diese düstere Zeit nach 9/11 und zu Beginn des „War on Terror“ erinnere, hatte ich nur noch recht wenig zum Thema „Milzbrand-Briefe“ auf dem Schirm. Diese achtteilige Podcast-Reihe ändert das, beleuchtet die Ereignisse aus allen Blickwinkeln und lässt einen am Ende doch etwas ratlos zurück, weil die offiziellen Ermittlungsergebnisse mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten. Wenn Ihr Euch für guten, hintergründigen Journalismus begeistern könnt, solltet Ihr mal reinhören.

Salman Rushdie hat gerade sein Memoir „Knife“ veröffentlicht, in dem er den Messerangriff auf sich im August 2022 und die Folgen beschreibt. Aus diesem Anlass war er bei meiner Lieblingsinterviewerin Terry Gross bei „Fresh Air“ (Öffnet in neuem Fenster) zu Gast und es ist ein berührendes, kluges Gespräch.

Was hast Du gesehen?

Ein paar Tage später war Rushdie bei Jon Stewart in der „Daily Show“ (Öffnet in neuem Fenster) zu Gast und auch das war ein sehr tolles, sogar richtig lustiges Interview.

https://www.youtube.com/watch?v=DoustTYzvjg (Öffnet in neuem Fenster)

Habt eine schöne ESC-Woche!

Always love, Lukas

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