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Advent: Die ultimative Lektion in Erwartungsmanagement

Film und Fernsehen haben uns ein schönes Ei gelegt, oder? Denn überall werden wir bombardiert mit weihnachtlichen Bildern voller Harmonie, Besinnlichkeit und schnee-betupfter Romantik. Die Erwartungshaltung: Der Advent soll uns mit all seiner weihnachtlichen Magie für die übrigen 11 Monate im Jahr entschädigen, in denen wir uns vom turbokapitalistischen Leistungsdruck voreinander hertreiben lassen. Das kann nur in einer Katastrophe enden, oder?

Szenen wie aus der Margarine-Werbung

Auf Instagram konnte meine Community sich für den ersten Adventssamstag die Antwort auf eine Frage wünschen. Der Gedanke war, dass ich an jedem Adventswochenende aufbauende Worte teile. Die häufigste Frage, die kam, war:

“Celsy, wie kann ich mit meinen Kindern entspannt Kekse backen?”

Spoiler-Alarm: Je nach Alter der Kinder, vorhandenen Aufmerksamkeitsspannen und der eigenen Definition nach entspannt - gar nicht! Aber ich glaube, diese Frage erfordert gar nicht so sehr eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie sich der Traum der Weihnachtsbäckerei in der eigenen Küche verwirklichen lässt. (Ich kann und werde es später im Text dennoch versuchen!) Sondern diese Frage zeigt vielmehr das eigentliche Problem der Adventszeit:

Unser Verständnis von Advent ist aufgeladen mit Erwartungshaltungen, die nur enttäuscht werden können. Denn warum sollte magischerweise im Dezember gelingen, was über den Rest des Jahres hinweg auch nicht klappen will?

Denn ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber die wenigen Versuche, gemeinsam zu backen, die wir sonst unterm Jahr so bewerkstelligen, sind für mich eigentlich IMMER stressig. Dabei sind meine Kinder mittlerweile mindestens im Vorschulalter, super kooperativ und blitzgescheit. Trotzdem: Es ist schier unmöglich, dass ich dabei entspannt bleibe.

Wir bewegen uns im Advent in einem faszinierenden Paradoxon: Auf der einen Seite stöhnen und klagen viele Menschen um mich herum darüber, wie stressig die Adventszeit ist. Der Jahresabschluss bringt an vielen Arbeitsplätzen noch einmal einen besonders hohen Workload mit sich, durch Weihnachtsfeiern in Unternehmen, Vereinen und Schulen/Kitas drängen sich die Termine aneinander, es müssen Geschenke geplant, gekauft und eingepackt werden und irgendwo in all dem Wahnsinn wollen wir auf Teufel komm raus unbedingt noch mindestens drei Keksdosen voller Plätzchen backen. Und wer hängt eigentlich die 3 Umzugskartons voller Weihnachtsdeko auf, die angeblich jeder Haushalt zuhause herumstehen hat?

Auf der anderen Seite ist der ideale Advent für die meisten von uns vor allem eins: besinnlich. Film, Fernsehen, Werbung und Social Media haben unsere Köpfe gefüllt mit Bildern, die uns ultimative Glückseligkeit vorgaukeln. Heimeliges Glühwein-Trinken auf dem Weihnachtsmarkt mit Freund*innen und Kolleg*innen am Freitagabend wird abgelöst von idyllischem Plätzchen backen mit den Kindern am Samstagmorgen, während im Hintergrund Rolf Zuckowski “In der Weihnachtsbäckerei” anstimmt. Am Sonntag sitzen wir dann mit den liebsten Menschen in unserem Leben vor dampfenden Kaffeetassen und vernaschen knusprig-süßes Gepäck, während wir selig seufzend den Kerzen auf dem Adventskranz beim Abbrennen zuschauen.

Kleiner Realitätscheck zwischen eiskalten Fingern und angekokelter Tanne

Wir alle wissen, dass diese beiden Welten, deren Gleichzeitigkeit wir im Dezember zu erzwingen versuchen, gar nicht weiter auseinanderliegen könnten.

Auf dem Weihnachtsmarkt frieren wir uns die Finger und Zehen ab, während wir eigentlich eh kein anständiges Gespräch führen können, weil einfach gottverdammt viel zu viele Leute die gleiche glorreiche Idee mit dem Glühwein hatten, dessen Kosten wir von 5 Euro pro Tasse eigentlich auch gar nicht so richtig einsehen.

Beim Kekse backen mit den Kindern stehen wir nach 10 Minuten mit 5 Kilo Teig allein in der Küche und alle motzen sich gegenseitig an, weil niemand mehr Bock darauf hat, noch weitere 200 Sterne, Tannenbäume und Weihnachtsmänner auszustechen, aber natürlich alle erwarten, dass sie am Ende mindestens 4 gefüllte Keksdosen zum Wegnaschen haben.

Die Weihnachtsgeschenke besorgen wir völlig abgehetzt, je nach Lage von Weihnachten entlang der Wochentage, am 23. abends oder sogar erst am 24. morgens. Irgendwer ist immer unzufrieden mit dem, was sie*er bekommt.

Auf die Hälfte der Weihnachtsfeiern, zu denen wir eingeladen werden, haben wir gar keinen Bock, müssen aber hingehen, weil natürlich irgendjemand auf die glorreiche Idee kam, dass jede*r superaufwendige Kleinigkeiten fürs Buffet beisteuern muss. Und eigentlich würden wir die Leute ja schon ganz gern sehen. Oder eigentlich auch nicht.

Der Adventskranz gerät spätestens zwischen dem 2. und 3. Advent entweder völlig in Vergessenheit - oder verströmt an einem der Sonntage plötzlich das Aroma verkokelter Tanne, weshalb er direkt in die Mülltonne befördert wird.

Wir haben genug Erfahrungswerte aus den vorherigen Jahren, um zu wissen, dass die Adventszeit weit davon entfernt ist, genau die Besinnlichkeit mitzubringen, die wir von ihr erwarten.

Warum halten wir an dieser Illusion von Besinnlichkeit und Magie dann so unerbittlich fest?

Überkompensation kapitalistischen Leistungsdrucks

Wir könnten an dieser Stelle jetzt sehr viele Worte über den Einfluss diverser Medien sprechen und darüber, wie sie gesellschaftliche Ideale transportieren und dass genau diese Ideale uns dazu bringen, in der Adventszeit immer wieder darauf zu hoffen, dass die Illusion von Besinnlichkeit und Magie endlich wahr wird. Wir könnten darüber sprechen, wie diese Illusion im Sinne der kapitalistischen Logik für Überkonsum sorgt und damit den Motor des “immer höher, schneller, weiter” am Laufen hält. Denn wenn sich die Besinnlichkeit als Stimmung partout nicht einstellen will, liegt doch nichts näher, als sie mit der zwölften Lichterkette und dem 23. Teelicht zu erzwingen, oder? Aber ich glaube ehrlich gesagt, dass es mehr ist als das.

Ich glaube, dass unser verzweifeltes Festhalten an der Illusion, dass genau DIESE Adventszeit endlich so idyllisch und besinnlich und magisch wird, wie wir uns das all die Jahre erträumen, Ausdruck einer tiefsitzenden, kollektiven Erschöpfung ist. Der Dezember ist der eine Monat im Jahr, in dem wir uns kollektiv trauen zuzugeben, dass wir mit dem Tempo dieser Welt schon lange nicht mehr mithalten können und dass wir alle einfach fucking müde sind.

Leider hält die Welt aber nicht einfach an. Im Gegenteil. Gerade WEIL wir versuchen, diesen einen Monat im Jahr, in dem Glitzer und Kitsch kollektiv geduldet werden, so magisch wie möglich zu gestalten, dreht sich das Hamsterrad des kapitalistischen Leistungsdrucks immer schneller. Je schneller sich dieses Hamsterrad dreht, desto verzweifelter Ziehen und Zerren wir an Lichterketten und Glühweinflaschen und Keksrezepten, um irgendwie doch noch dieses Minibisschen Erholung herauszupressen, das wir uns das ganze restliche Jahr über versagen.

Die Adventsillusion ist Wiedergutmachung

Wir versuchen im Advent, all die Versäumnisse des Jahres wiedergutzumachen. Ich glaube, deshalb ist es für uns auch so schwierig, zu akzeptieren, wenn das Kekse backen mit den Kindern im Advent eben nicht stressfrei ist - oder der Adventskranz fehlt oder der Tannenbaum bis zur letzten Minute auf dem Supermarktparkplatz steht oder der Christstollen aus dem Supermarkt eben einfach nicht geil ist.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass uns das ganze Jahr über die Zeit gefehlt hat, häufiger mit den Kindern Dinge zu machen, die uns eigentlich Freude bereiten, aber eben auch viel Flexibilität und eine gewisse Routine brauchen, um SPASS zu machen. Kekse backen zum Beispiel.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass wir uns das ganze Jahr über keine Zeit genommen haben, uns die Mühe zu machen, das Wohnzimmer unserem Geschmack entsprechend zu dekorieren.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass wir die Müdigkeit unseres Körpers 11 Monate lang erfolgreich ignoriert haben, weil wir NOCH DIESE EINE SACHE machen mussten und dann sollte es ja eigentlich ruhiger werden.

Wir versuchen wieder gutzumachen, dass wir 11 Monate lang einfach gegessen haben, was am schnellsten, einfachsten, günstigsten zu bekommen war, weil wir keine Kapazitäten dafür hatten, darüber nachzudenken, was wir denn GENIESSEN würden.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass wir in all den Momenten, in denen wir an jemanden gedacht haben, nicht kurz das Handy in die Hand genommen und mal “Hallo” gesagt haben.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass wir uns selbst und unsere Liebsten 11 Monate lang vernachlässigt haben, weil wir unseren Job und die Erwartungen anderer so überpriorisiert haben, dass abends nichts anderes mehr ging als erschöpft auf dem Sofa zusammenzubrechen.

Wir versuchen wiedergutzumachen, dass wir in einem kaputten System leben, dass uns auch einfach keine andere Wahl lässt, als Geld verdienen und Leistung zu erbringen so überzupriorisieren, weil Wohnkosten immer weiter explodieren, Lebensmittel immer teurer werden und durch kapitalistisch gewollte Vereinzelung jede*r mit dem eigenen Scheiß allein fertig werden muss.

Deshalb verstehe ich den Hate gegen aufwändige Adventskalender, den das deutsche Feuilleton dieses Jahr u.a. auf ZEIT Online beschworen hat, auch nur bedingt. Ja, ein bisschen Mäßigung täte uns allen vermutlich gut. Aber wie ich auf Instagram schon schrieb:

Warum funktioniert der kapitalistische Trick, den Advent zum Konsumfest zu machen, so gut? Weil unsere Leben so dicht und voll sind, dass wir uns selbst kaum noch spüren. Dass es so ist, hat schlicht und ergreifend System. Denn je weniger wir unsere Bedürfnisse durch Beziehungen und Müßiggang befriedigen können, desto mehr konsumieren wir.

Was tut DIR gut?

Kommen wir zum erbaulichen Teil dieses Textes. Denn die Frage ist ja, was wir mit der Erkenntnis machen, dass der Advent ein wandelndes Paradoxon aus Illusion und Enttäuschung ist. Ich habe festgestellt, dass es mir hilft, mich zu fragen, WARUM ich auf bestimmte Dinge so viel Wert lege.

WARUM will ich denn gern Kekse backen, obwohl es super viel Arbeit ist?

WARUM will ich MIT DEN KINDERN Kekse backen, obwohl der Frieden meist nur ungefähr 10 Minuten hält?

WARUM will ich an Weihnachten unbedingt die ganze Familie an einen Tisch holen, obwohl ich meist nach 1,5 Stunden derart überreizt bin, dass ich schlechte Laune kriege?

WARUM tu ich mir den Weihnachtsmarktbesuch an, obwohl mir die Menschenmassen viel zu viel sind?

Die Antworten auf diese Fragen geben mir die Möglichkeit, mir meine Selbstwirksamkeit in all diesem Wahnsinn zurückzuholen.

Wenn ich gern Kekse backen will, weil ich sie einfach so unfassbar gern esse, kann ich entweder fertige Kekse kaufen oder mir überlegen, wie ich das Backen für mich möglichst stressfrei gestalten kann.

Wenn ich gern Kekse mit den Kindern backen will, weil es einfach um die schöne Familienaktivität geht, schafft auch ein schöner Filmnachmittag gemeinsame Erinnerungen.

Wenn ich die ganze Familie an einen Tisch holen will, weil ich das Gefühl habe, zu wenig Zeit mit allen zu verbringen, ist es vielleicht entspannter, übers Jahr verteilt einfach häufiger mal zum Kaffee einzuladen.

Wenn ich so gern auf den Weihnachtsmarkt gehe, weil ich die magische Atmosphäre aus Beleuchtung, Deko und Gerüchen so gern mag, ist es für mich vielleicht entspannter, lieber unter der Woche gegen 17 Uhr über den Markt zu laufen als zur Primetime freitagabends.

Im Grunde ist es fast egal, wie deine Lösung aussieht. Es geht einfach nur darum, mal kurz einen Moment innezuhalten und mal tiefer zu graben. Versuch, das tatsächliche Bedürfnis hinter all den Dingen, die du glaubst, zur Weihnachtszeit vermeintlich tun zu müssen, freizulegen. Und dann schau, ob das nicht auch anders geht. Ohne noch mehr Stress und darauffolgende Enttäuschung.

Kekse backen mit Kindern

Okay, und hier dann noch meine ganz praktischen Ideen zum Kekse backen mit Kindern aus meiner eigenen, siebenjährigen Erfahrung als Mutter:

  1. Erwartungsmanagement: Es hilft ungemein, sich damit abzufinden, dass man einen großen Teil dieser Arbeit selbst macht. Davon ausgehend kann man nämlich einen Plan machen, der hilft, am Ende weniger überfordert und gefrustet zu sein.

  2. Niemals alleine backen: Faustregel Nr. 1 im Hause Dehnert ist, dass keiner von uns jemals allein mit den Kindern backt. Wir machen das IMMER als Elternteam. So ist am Ende keiner mit der Sauerei allein, wenn die Kinder nach 10 Minuten lieber Dino Dana gucken gehen als mitzuhelfen. Und wenn die Kinder überraschenderweise länger durchhalten, ist es einfacher, wenn einer für den Ofen und einer für das Ausstechen zuständig ist. Oder einer beim Ausstechen hilft und der andere beim Dekorieren.

  3. kleine Portionen Teig vorbereiten: Der Clou daran, dass das Kekse backen so schnell langweilig wird, ist ja, dass Ausstechen und Dekorieren beide so furchtbar repetitiv sind. Deshalb bereite ich zwar immer gleich größere Mengen Mürbeteig zu, packe sie aber in möglichst kleinen Portionen in den Kühlschrank. So kann man auch mal unkompliziert nur ein einziges Blech machen.

  4. Teig fertig kaufen: Was auch wunderbar hilft, ist, den Akt des Kekse Backens einfach nur aufs Ausstechen zu beschränken. Mittlerweile gibt es in jedem gut sortierten Supermarkt zur Weihnachtssaison fertigen Keksteig. Falls du den Teig aber lieber selbst machen willst: Ich bereite ihn meist einfach ohne die Kinder vor.

  5. Es einfach halten: Hier wird mit den Kindern nur gebacken, was einfach ist. Also Ausstecherlis und maximal noch Schwarz-Weiß-Gebäck. Alles, was komplexer ist oder mehr Zutaten erfordert, mache ich alleine. Punkt.

  6. Gnadenlos naschen lassen: Seitdem ich mir abgewöhnt habe, zu protestieren, wenn roher Teig, Dekor und Co regelmäßig den Weg in Kindermünder finden, bevor es am Ofen oder auf dem Zuckerguss ankommt, ist das Backen hier wesentlich entspannter.

  7. Es andere machen lassen: Der beste Geheimtipp aller Zeiten ist, das Backen einfach Oma und Opa zu überlassen, wenn möglich.

Ihr habt noch einen ultimativen Geheimtipp? Dann haut ihn gern in die Kommentare.

Ansonsten wünsche ich euch einen verspäteten, schönen 1. Advent und hoffe, ihr findet irgendwo in all dem Chaos euer ganz persönliches Bisschen Besinnlichkeit.

Zu Weihnachten freue ich mich außerdem immer über neue Gesichter in meiner Community. Im Jahr 2024 werde ich noch verstärkter an eigenen Projekten und unabhängigen Texten arbeiten. Mit schon nur 3 Euro im Monat unterstützt ihr meine freie Arbeit.

Foto von Karsten Winegeart (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

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