Erinnerungslücken und Leerstellen
29.04.2025: Weil es in den vergangenen Tagen so viele relevante wie diverse Erinnerungstage gab, möchte ich euch in dieser Ausgabe ein paar Podcasts und Artikel vorstellen.
Die Erinnerungskultur in Deutschland ist bislang wenig divers. Erste Initiativen möchten das ändern. Wie wichtig das ist, habe ich durch die Arbeit über die Geschichte meines Großvaters gelernt. Denn viele von uns - mich eingeschlossen - haben einen sehr engen Blick auf die europäische Geschichte. Oft fehlt es in der Regel schon an der Wahrnehmung der Wechselbeziehungen mit anderen Ländern jenseits der Kriegserzählungen. So war der Faschismus nicht nur Deutschland verbreitet. Und nach dem Ende des NS-Regimes und des Zweiten Weltkriegs in Deutschland ist er nicht einfach verschwunden. Er hat sich in alten und neuen Gewändern immer wieder gezeigt - und zeigt sich bis heute.
Deshalb gibt es in dieser Ausgabe eine kleine Linkliste mit Verweisen auf Themen, die direkt oder indirekt damit in Zusammenhang stehen und die zeigen, wie sehr diese Zeit ins Heute hinein wirkt.
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Podcast-Tipp 1: Feminist Shelf Control
Beginnen möchte ich mit einem Podcast-Tipp. In "Feminist Shelf Control (Öffnet in neuem Fenster)" besprechen die Autorinnen Rebekka Endler (Das Patriarchat der Dinge) und Annika Brockschmidt (Amerikas Gotteskrieger) das Buch "Alte Weise Männer" der beiden Springer-Journalistinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus. Für alle, die sich jetzt fragen: Muss das sein, dass dieses Buch so viel Aufmerksamkeit bekommt? Ja, das muss sein. Aus gleich mehreren Gründen. Über die Ehe der Springer-Journalistin Franca Lehfeldt mit dem FDP-Parteivorsitzenden und Bundesfinanzminister Christian Lindner sowie die damit verbundenen Interessenkonflikte hat Stefan Niggemeier bei Übermedien (Öffnet in neuem Fenster) bereits vor einem Jahr ausführlich geschrieben. Frederik von Castell arbeitet in einem aktuellen Artikel die Geschäftsbeziehungen von Bild-Moderatorin Nena Brockhaus (Öffnet in neuem Fenster) auf. Das nur für die Einordnung der Reichweite und des Publikums der beiden Autorinnen.
In "Feminist Shelf Control" arbeiten jetzt Rebekka Endler und Annika Brockschmidt in insgesamt drei Folgen (Öffnet in neuem Fenster) heraus, wie in diesem Buch Narrative reproduziert werden, die als ewige Widergänger in konservativen Diskursen auftauchen und brandgefährlich sind. Wie etwa das Märchen von der angeblichen "Stunde Null".

Man sollte an dieser Stelle nicht den Fehler machen, den Einfluss dieses Buchs gering zu schätzen, nur weil es von zwei jungen Frauen geschrieben wurden. Ich persönlich finde die darin verbreiteten Narrative gerade deswegen beunruhigend. Weil sie in so harmlosem Gewandt daherkommen. Auch Frauen sind politisch, wollen politschen Einfluss und Macht und wissen ihre Positionen dafür zu nutzen.
Podcast-Tipp 2: Quoted Podcast zu Kolonialismus
In der aktuellen Folge des "Quoted Podcast" mit Nadia Zaboura (Öffnet in neuem Fenster) ist die Journalistin Charlotte Wiedemann zu Gast. Im Gespräch geht es vor dem Hintergrund der Krönung von Prinz Charles um die in der europäischen Erinnerungskultur weitgehend verdrängten Greueltaten der Kolonialmächte auf dem afrikanischen Kontinent. Viele davon spielen in der Erinnerungskultur kaum eine Rolle, werden verdrängt und ausgeblendet. Auch Deutschland stellt da keine Ausnahme dar. Unter anderem geht es in diesem Podcast auch um die Verbrechen der Deutschen und den Genozid an den Herero und Nama im heutigen Namibia.
Lese-Tipp 1: Der vermessene Film
Und damit wären wir auch schon bei meinem Linktipp Nummer drei. Der Filmkritik von Achan Malonda und Natasha A. Kelly im Veto-Magazin (Öffnet in neuem Fenster). Die beiden Expertinnen besprechen den Film "Der vermessene Mensch". Ein Film von Lars Kraume auf Basis des Romans “Morenga” von Uwe Timm. Der Film thematisiert den Genozid an den Herero und Nama und soll damit eine Lücke in der deutschen Erinnerungskultur füllen. Jetzt ist es allerdings ein Film aus weißer Perspektive. Und weil der Rassismusdiskurs hier in Deutschland Jahrzehnte hinterher hinkt, besteht durchaus die Gefahr der Reproduktion von Rassismen in diesem Film. Dessen waren sich die Macher zumindest in der Form bewusst, dass sie frühzeitig eine der führenden Expertinnen auf dem Gebiet, Natasha A. Kelly, für die Drehbuchberatung hinzu gezogen haben.
Nach einer intensiven Kritikrunde, wie Kelly im Artikel erzählt, haben sich die Macher des Films aber nicht mehr bei ihr gemeldet. Erst nach der Fertigstellung hat sie wieder davon gehört. Obwohl zwar einige ihrer Anmerkungen umgesetzt wurden und damit den Film entscheidend prägten, bleibt ihre Expertise und Beratungsleistung für diesen Film gänzlich unerwähnt. Aber das ist nicht das einzige Problem, das Kelly und Malonda in ihrem Kritikgespräch ausmachen. Auch die Motivation des Regisseurs Lars Kraume wirft Fragen auf.
Lese-Tipp 2: Das Massaker von Meja
Der Gedenkkalender der CPPD (Öffnet in neuem Fenster) zeigt eindrücklich, wie viele Gedenktage es in Europa gibt, die wir nicht auf dem Schirm haben. Warum wir uns zum Beispiel mit dem Massaker von Meja beschäftigen sollten, schreibt die Journalistin und Genozid-Überlebende Melina Borčak in ihrem Text zum Erinnerungstag am 27. April (Öffnet in neuem Fenster): "[…] die Überlebenden, tief traumatisiert und verwundet, leben mitten unter uns in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Sie beweisen, warum Erinnerungskultur keine Vergangenheit ist." Beim Massaker von Meja wurden an einem Tag 377 Albaner*innen aus Kosovo von serbischen Milizen erst beraubt, dann gefoltert und schließlich ermordet.
Lese-Tipp 3: Genozid an den Armenier:innen
Der 24. April ist der Jahrestag zur Erinnerung an den Genozid an den Armenier:innen ab 1915 (Öffnet in neuem Fenster). Wer sich fragt, warum uns das in Deutschland interessieren sollte, wird im Gastbeitrag von Efsun Kızılay im Gedenkkalender der CPPD fündig. Auch diese Geschichte reicht bis in die Gegenwart. In Armenien droht ein neuer Krieg. Seit Monaten flammen dort immer wieder Kämpfe auf im Streit um die Region Bergkarabach, die von Aserbaidschan beansprucht wird. Eine gute Quelle für Informationen über die aktuelle Situation in Armenien ist die Journalistin Anna Aridzanjan - bei instagram als @textautomat (Öffnet in neuem Fenster) unterwegs.
Podcast-Tipp 3: Antisemitismus im Fußball
Die Eigenwerbung packe ich euch an den Schluss: Im "Sport inside" Podcast (Öffnet in neuem Fenster) des WDR spreche ich mit dem TV-Autor Matthias Wolf über einen Fall von Antisemitismus, der im Winter den Berliner Fußballverband beschäftigt hat. Als Experten haben wir den Buchautor und ehemalige Schiedsrichter Burak Yilmaz (Ehrensache - Kämpfen gegen Judenhass) zu Gast, sowie Alex Feuerherdt, Host des Schiedsrichter-Podcasts "Collinas Erben". In dieser Folge wird deutlich, welche Strukturen antisemitischer Gewalt im Fußball zugrunde liegen. Aber auch, wie diesem Problem auf dem Platz begegnet werden kann. Ein Podcast, der sicher auch für alle aufschlussreich ist, die sich nicht in erster Linie mit Fußball beschäftigen.
P.S. Ich gebe ungern Spotify-Links raus, weil das ein sogenannter Closed Shop ist und ein Datensauger. In diesem Fall kann ich das nur mit Inhalten rechtfertigen. Aber fühlt euch frei, die empfohlenen Podcasts auf anderen Plattformen zu finden und zu hören.
Dieser Newsletter erschien erstmalig am 29. April 2023 auf Substack