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Eine, die mutig vorangeht 

Porträt der Irin Mary Robinson

„Trailblazers“ ist das englische Wort für Menschen, die einen Pfad für andere hell erleuchten, vorangehen oder Möglichkeiten schaffen. Menschen wie Mary Robinson – die erste Präsidentin der Republik Irland – ist genau das. Wenn sich Frauen in Irland heute scheiden lassen können oder legal eine Abtreibung vornehmen dürfen, haben sie das vor allem Mary Robinson zu verdanken. Ein Porträt über sie findet sich im neuen Buch „Change is female (Öffnet in neuem Fenster)“, das am 23. Februar 2023 erscheint und das bei DEINE KORRESPONDENTIN exklusiv vorab zu lesen ist.

Von Mareike Graepel, Dublin

Mary Robinson wird am 21. Mai 1944 als Mary Therese Winifred Bourke in Ballina geboren, einem kleinen Dorf im County Mayo im Westen Irlands. Marys Eltern, Aubrey und Tessa Bourke, sind Mediziner*innen, aber politisch in verschiedenen Richtungen aktiv und interessiert. Besonders spannend vor dem Hintergrund der Glaubenskonflikte zwischen Nordirland und der Republik Irland: Einige Teile von Marys Familie gehören der anglikanischen Kirche an, andere sind Katholiken. Kurz gesagt: Mary wächst in einer aufgeschlossenen Familie auf. So aufgeschlossen – und engagiert –, dass ihre katholischen Eltern es nicht zulassen, dass sie auf ein Studium am Trinity College Dublin verzichten soll, nur weil ihre Kirche das verbietet.

Sie holen die Erlaubnis von Erzbischof John Charles McQuaid ein – vor allem dafür bekannt, dass er über Jahrzehnte ungewöhnlich viel Einfluss auf verschiedene irische Regierungen genommen hat. Mary bekommt ein Stipendium, studiert als eine von drei Frauen Jura und schließt ihr Studium 1967 mit 25 Jahren als jüngste ihres Jahrgangs mit Auszeichnung ab. „Ich bin eine schüchterne Person, und habe bewusst an Debattier-Wettbewerben teilgenommen, um mir den Mut anzutrainieren, vor anderen zu sprechen“, erinnert sie sich an ihre Studienzeit. „Ich wollte von Anfang an eine gute Advokatin sein, und politische Veränderungen ins Rollen bringen.“

Als unverblümte Kritikerin einiger Lehren der katholischen Kirche spricht sie so schon in ihrer Antrittsrede als Auditorin der Dublin University Law Society über die Streichung des Scheidungsverbots aus der irischen Verfassung, die Aufhebung des Verbots der Verwendung von Verhütungsmitteln und die Entkriminalisierung von Homosexualität und Selbstmord. Nach einem Stipendium für die Harvard Law School macht sie dort 1968 einen weiteren Jura-Abschluss.

Mary ist so von der Arbeit von Nonnen beeindruckt, dass sie – auch, weil es in dem Irland, in dem sie aufwächst, noch nicht viele Möglichkeiten für junge Frauen gab – auch Nonne werden will. „Ich war nicht daran interessiert, zu heiraten“, sagt sie. „Aber die Pfarrerin, der ich das erzählt habe, meinte, ich solle erst einmal ein Jahr weggehen.“ Mary geht nach Paris. „Und das änderte alles.“ Bevor sie schließlich ihren Freund aus Studienzeiten, Nicholas Robinson, heiratet (und drei Kinder bekommt), wird sie Jura-Professorin am Trinity College und zum ersten Mal unabhängige Senatorin im Seanad Éireann, dem Senat im irischen Parlament.

Dann gibt es im öffentlichen Dienst zwei Veränderungen, die seit jeher zu ihren wichtigsten Zielen zählen: Frauen muss mit dem Beitritt Irlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genauso viel Gehalt gezahlt werden wie Männern, und im Juli 1973 wird das Heiratsverbot für Beamtinnen aufgehoben. Als Juristin und Politikerin ist Mary in den 1970ern und 1980ern in viele weitere, große wie kleine Entscheidungen eingebunden, bis sie im Dezember 1990 als erste irische Präsidentin ihr Amt antritt. Zu diesem Zeitpunkt ist sie bereits dreifache Mutter.

Sie strukturiert ihre repräsentativen Aufgaben so, dass sie ihre persönliche und politische Haltung ins Amt einbringen kann – sie geht mit gutem Beispiel voran, reicht beiden Gemeinschaften in Nordirland freundschaftlich die Hand und vertritt ein Irland, dem die Menschenrechte am Herzen liegen. Es gelingt ihr, im Rückblick auf die irische Auswanderungs- und Besatzungsgeschichte eine Brücke zu schlagen zu den Bedürfnissen und Problemen heutiger Entwicklungsländer vor allem in Afrika.

Wichtige Gesetze auf den Weg gebracht

Sie ist außerordentlich beliebt in der Bevölkerung, und arbeitet zur Überraschung ihrer wenigen Kritiker*innen, die in ihr die Verkörperung eines Liberalismus sehen, den die katholische Kirche ablehnt, eng mit der Kirche zusammen. Sie sagt über sich, dass vor allem Eigenschaften wie Ausdauer, Geduld und nachhaltiges Denken ihr in ihrer Laufbahn helfen, ebenso wie zielorientiert und eine Visionärin zu sein. Mary kann als Präsidentin zwei wichtige Gesetze, für die sie während ihrer gesamten politischen Laufbahn gekämpft hat, unterzeichnen: Das Gesetz zur vollständigen Legalisierung von Verhütungsmitteln und das Gesetz zur Entkriminalisierung der Homosexualität. 1996 trägt sie zudem die Legalisierung der Ehescheidung mit.

Im Anschluss an ihre Präsidentschaft ernennt UN-Generalsekretär Kofi Annan Mary 1997 zur UN-Menschenrechtskommissarin. „Extreme Armut“, sei das schlimmste Vergehen gegen die Menschenrechte, sagt sie, „denn sie bedeutet den Entzug fast aller Rechte – auf Teilhabe an politischen Prozessen, auf Zugang zu Informationen, auf eine faire rechtliche Behandlung und auf die normalen Vorteile der Staatsbürgerschaft.“ Über die Jahrzehnte nimmt Mary in ihrer Arbeit immer häufiger wahr, dass der Kampf gegen die Klimakrise eng mit dem Thema Gleichberechtigung und Geschlechterfairness verbunden ist.

Als sie 2003 ihr erstes Enkelkind in den Armen hält, trifft sie die Ungewissheit der Zukunft unserer Welt mit voller Wucht. Die gesichtslose, schattenhafte Bedrohung des Klimawandels wird für sie auf einmal zutiefst persönlich. Eine Bedrohung, die sie über die folgenden Jahre immer mehr besorgt. „Ich denke viel an meine vier Enkelkinder, zwei Mädchen und zwei Jungen, die im Jahr 2050 in ihren 40ern sein werden, wenn wir vielleicht 200 Millionen Klima-Flüchtlinge haben werden. Was tun wir jetzt, um eine sicherere Welt für sie und ihre Kinder zu schaffen?“

Für ihr Buch „Climate Justice – A Man-Made Problem With a Feminist Solution“, zu Deutsch „Der Klimawandel ist ein menschengemachtes Problem – mit einer feministischen Lösung“, reist Mary um die ganze Welt, von Malawi bis zur Mongolei. Sie kommt zu einer ermutigenden Erkenntnis: Überall ist eine unbändige treibende Kraft im Kampf für Klimagerechtigkeit zu finden, vor allem unter Frauen – viele von ihnen Mütter und Großmütter wie sie selbst. Marys Buch ist ein „mitreißendes Manifest zu einem der drängendsten humanitären Probleme unserer Zeit und ein klares, positives und gut begründetes Plädoyer für die Hoffnung“, schreibt eine Rezensentin.

In einem Interview mit dem jungen irischen Podcast-Format „Ecolution“ sagt Mary: „Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich wollte, dass die Menschen verstehen, dass das Thema Klima jetzt stattfindet. Nicht in der Zukunft. Jetzt.“ Das Buch habe ihr aber nicht gereicht. Sie wollte dazu noch eine Dokumentation drehen. „Aber mir ist gesagt worden: Das dauert zu lange und du bist dafür vielleicht nicht die richtige Person.“ Sie muss ein wenig lachen, als sie das sagt. „Alles klar, dann mache ich eben einen Podcast.“

Gesagt, getan. Zusammen mit der irischen Comedienne Maeve Higgins und der Produzentin Thimali Kodikara führt Mary durch ihren Podcast. Jede einzelne Folge ist trotz des ernsten Themas gefüllt mit Humor und spannenden Geschichten, in denen inspirierende Klimaschützer*innen auf der ganzen Welt gefeiert werden. Mary Robinson ist eben auf vielen Gebieten eine wahre „Trailblazerin“. Das bestätigt auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama: „Als Anwältin der Hungernden und Gejagten, der Vergessenen und der Ignorierten hat Mary Robinson nicht nur ein Licht auf das menschliche Leiden geworfen, sondern auch einen Lichtstrahl auf eine bessere Zukunft für unsere Welt.“

Disclaimer: Der Text wurde an der einen oder anderen Stelle gekürzt im Vergleich zu Originaltext im Buch „Change is female (Öffnet in neuem Fenster)“, das man bereits vorbestellen kann. 

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