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Fußballfrauen kämpfen um faire Bezahlung

Der lange Weg zur Gleichberechtigung

Der Gender-Pay-Gap sei im Fußball so groß wie nirgendwo sonst in der Gesellschaft, sagt Almuth Schult, Torhüterin in der Fußballnationalelf. Die gute Nachricht: Mehr und mehr Landesverbände ändern das. Die schlechte Nachricht: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nicht. Trotzdem gibt Bewegung in unterschiedlichen Richtungen.

Von Mareike Graepel, Dublin

Fast hätte die Nationalelf die EM gewonnen. Jedes Team-Mitglied hätte 400.000 Euro bekommen. Ach, nein, halt – es waren die Frauen, die 2:1 im Finale gegen England verloren haben. Für sie hätte es 60.000 Euro pro Nase gegeben. Die sechsmal höhere Summe hätten die Männer bekommen, wenn sie 2021 – anstelle der Italiener – Europameister geworden wären. Wie das sein kann?

Grundsätzlich lässt sich feststellen: Das hat historische, organisatorische und finanzielle Gründe. Das liegt an mangelndem Marketing, gesellschaftlicher Wahrnehmung und nicht-paritätischer Führung in Vereinen und Verbänden. Die Europameisterschaft hat gerade viel für das öffentliche Interesse an Fußball spielenden Frauen getan, aber auch im Hintergrund passiert eine Menge.

„Weißt du eigentlich, wie ich heiße?“ Die Kapitänin im deutschen Fußball-Nationalkader guckt direkt in die Kamera. Die Antwort lautete – bis vor wenigen Wochen – in den meisten Fällen ziemlich sicher eher: Nein. Bei einem Bild von Manuel Neuer wüssten die Zuschauer*innen mit großer Wahrscheinlichkeit, wer er ist und was er tut. Es ist ein provokanter Werbefilm von 2019, in dem Alexandra Popp und ihre Kolleginnen erzählen, dass die DFB-Damen acht Mal Europameisterinnen geworden sind. Die Männer kamen inzwischen auf schlappe drei Mal.

1989, beim ersten Titelgewinn, gab es als Preis ein Kaffeeservice. Die Männer bekamen schon 1972 als Sieg-Premiere bei der EM pro Kopf 10.000 Deutsche Mark. Der Film (Öffnet in neuem Fenster) der Frauen endet mit einer klaren Ansage an alle Kritiker*innen: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze.“ Die Regeln sind zwar die gleichen – der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten – aber da hört es mit den Gemeinsamkeiten im Fußball schon auf: Nur zwölf Verbände von 211 weltweit zahlen den Nationalspielerinnen bei großen Turnieren die gleichen Prämien wie den Nationalspielern.

Norwegen Vorreiter, andere ziehen nach

Der erste war der norwegische im Jahr 2017, erst kürzlich gab es in Irland, den USA, den Niederlanden und Spanien ähnliche Änderungen – oft ermöglicht durch den Verzicht der Männer auf ihre vollen Prämien. Nicht so beim DFB. Viele der deutschen Fußballerinnen, auch in der ersten und zweiten Bundesliga, müssen einem Beruf außerhalb des Sports nachgehen, trainieren in ihrer Freizeit und reichen oft Urlaub ein, um zu internationalen Begegnungen fahren zu können. Manche arbeiten beim Sponsor ihres Teams, so wie beispielsweise in Wolfsburg.

Andere studieren noch und schreiben im Flieger zum Spiel in Israel an ihrer Masterarbeit, wie die ARD-Doku-Serie „Born for this (Öffnet in neuem Fenster)“ zeigt. Die Zuschauer*innen bekommen Einblicke in Training und Leben der Nationalspielerinnen – Rückschläge, Verletzungen, Enttäuschungen, Freudentaumel, Qualifikationen und Erfolge, genau wie bei den Kollegen. Auch die Frauen spielen bei Bayern München, Eintracht Frankfurt, Hoffenheim. Einige bei Chelsea, Aston Villa und Everton.

Aber nur in einem einzigen Club von 326.000 der FIFA bekannten Vereinen weltweit gibt es komplette Gleichberechtigung: beim Lewes FC in East Sussex in England. Vor fünf Jahren stand der kurz vor der Pleite. Gerettet haben ihn die eigenen Fans, und allen gehört nun ein Stück des Vereins. Gemeinsam haben sie entschieden, dass alle Einnahmen gleich an die Spieler*innen verteilt werden sollen. „Aber es geht um mehr als Equal Pay“, sagt Leiterin Maggie Murphy im ZDF-Sportstudio. „Beide Mannschaften spielen auf demselben Rasen, benutzen dieselben Einrichtungen, haben ein identisches Marketing-Budget.“

Das ist bei keinem der deutschen Fußballvereine der Fall – Trainingszeiten richten sich in vielen Fällen nicht nur nach den Brotjobs der Frauen, sondern auch danach, wann und wo die Männer – die „Profis“ – trainieren wollen. Profi ist lautFIFA „einer, der einen schriftlichen Vertrag hat und der für seine „Fußballtätigkeit mehr Geld erhält als die Unkosten“. Alle anderen Spieler*innen werden als Amateur*innen betrachtet. Die Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg erklärt: „Zur Wahrheit bei der Thematik Equal Pay gehört, dass die Vermarktungserlöse von Männern und Frauen, aus denen sich auch die Turnierprämien ergeben extrem weit auseinanderliegen. Das ist leider noch Fakt. Wir arbeiten beim DFB auf allen Ebenen daran – insbesondere in der Vermarktung und Sichtbarkeit – zu optimieren.“

Es werde genau hingeschaut, was in anderen Ländern passiert. Der Trainerin und ehemaligen Nationalspielerin ist aber auch wichtig: „Bevor wir über Equal Pay reden, müssen wir zunächst Equal Play sicherstellen: Es darf nicht vom Geschlecht abhängig sein, wie intensiv und qualitativ hochwertig ich als Talent gefördert werde und welche Rahmenbedingungen ich in den Vereinen habe. Keine Bundesliga-Spielerin sollte mehr nebenher arbeiten gehen, wir brauche Voll-Profitum und beste Bedingungen für alle Spielerinnen auf allen Ebenen, damit sie sich auf ihren Sport konzentrieren und weiterentwickeln können.“

Bis 1970 war Frauenfußball verboten

„Die Europameisterschaft kann den Skeptiker*innen zeigen, dass unser Sport toll ist“, sagt Maggie Murphy. Das sieht Gaby Papenburg, eine der Gründerinnen der Bewegung „Fußball kann mehr (Öffnet in neuem Fenster)“, genauso. Sie meint, der von Frauen gespielte Fußball erlebe im Moment „eine richtige Welle“ – so wie im Stadion, wenn La Ola durchs Oval wogt. Obwohl es immer noch viel seltener Public Viewings, kaum Auto-Korsos und Fan-Meilen gibt, beweisen Einschaltquoten von zwölf Millionen Zuschauer*innen wie beim Halbfinale gegen Frankreich: Es gibt ein ganz neues Interesse. Und die Leute, die online geschaut haben, sind da noch gar nicht eingerechnet.

Entscheidend ist auf dem Platz: Bei Übertragungen von Spielen wie denen der EM werden jetzt mehr Kameras eingesetzt. „Wer statt 20 nur zwei Blickwinkel zeigt, verlangsamt jedes Spiel am Bildschirm“, so erklärt Nationaltorhüterin Almuth Schult im „Ball you need is love“-Podcast von Radio-Moderator und Stadion-Sprecher bei Werder Bremen, Arnd Zeigler, warum zum Beispiel in der ARD-Sportschau oft der Eindruck entsteht, es sei kein so spannendes und dynamisches Spiel, wenn Frauen kicken. „Es wäre schön, wenn noch mehr Fans in Deutschland dem Ganzen eine Chance geben würden“, so Schult. „Und keiner mehr sagt: Das ist ja keine Tradition. Wie soll es denn eine Tradition sein, wenn es jahrelang verboten war?“

Dabei fehlen den Frauen mehr als 25 Jahre professionelle Organisation. 1955 hatte der DFB beschlossen, das Fußballspielen mit Damenmannschaften zu verbieten. „Diese Kampfsportart“ sei „der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd“, hieß es in der Begründung, und „im Kampf um den Ball“ schwinde „die weibliche Anmut“ und Körper und Seele“ erlitten „unweigerlich Schaden“. Das „Zurschaustellen des Körpers“ verletze „Schicklichkeit und Anstand“. Aufgehoben wurde das Verbot 1970, aber bis zur ersten Nationalelf der Damen sollte es noch zwölf Jahre dauern.

Die „Fußball kann mehr“-Bewegung

Weitere 40 Jahre später will die „Fußball kann mehr“-Bewegung endlich Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Die Aktion wurde von Profi-Spielerinnen wie Almuth Schult, Schiedsrichterinnen, Kommentatorinnen, Vorsitzenden und Geschäftsführerinnen von Fan-Organisationen und Verbänden ins Rollen gebracht. Mitgründerin Gaby Papenburg sagt: „Es gibt einen guten Hype im Moment. Diese aktuelle Interessenswelle haben wir mit losgetreten – da dürfen wir ganz unbescheiden sein.“

Zwei Personalien sind zwar noch lange kein Sieg, aber ein wichtiger Schritt: Donata Hopfen ist seit Anfang Januar 2022 Geschäftsführerin der Deutschen Fußball Liga (DFL), Heike Ullrich die neue Generalsekretärin des DFB. „Wenn wir nun dahin kommen, dass Frauen für eine Karriere nicht mehr den langen Weg durch die Instanzen gehen und keine Ochsentour zurücklegen müssen, das wäre toll,“ so Gaby Papenburg.

Damit sich grundlegend etwas ändert, gibt es ganz konkret acht Forderungen für mehr Frauen im Fußball. Darunter verbindliche Quoten für Fußballverbände von mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen und in Aufsichtsräten sowie die Besetzung eines jeden Vorstandes bzw. Geschäftsführung von allen Profiligen mit mindestens einer Frau, ein paritätischer Unterbau von Frauen und Männern auf der zweiten Führungsebene bei Verbänden und Clubs – alles bis 2024. 

Ist das nicht ganz schön sportlich? Papenburg sagt, wenn sie keinen Druck aufbaue, passiere wieder nichts. Gezielte Programme zur Herstellung der Chancengleichheit von Frauen für die sportnahen Bereiche in den Clubs sollen her für Trainer*innen, Scouting, Nachwuchsleistungszentren, Trainer*innenlizenzen, Managementprogramme. Und das Thema Geld findet ebenfalls in den Forderungen statt: Es soll gleiche Bezahlung für den gleichen Job auf jeder Hierarchiestufe geben.

Dazu gehört, dass die Rahmenbedingungen, die Frauen und Diversität in der Organisation stärken, verändert werden. Auch mehr Augenmerk auf Recruiting, Personalentwicklung, Karriereplanung, Female-Mentoring-Programme, Vereinbarkeitsregelungen, Führung in Teilzeit, Infrastruktur am Arbeitsplatz werden gefordert. Eine geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Sprache auf allen Ebenen des Fußballs sei ebenso wichtig wie die konsequente Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung, auch außerhalb des Platzes.

Kinder und Karriere im Fußball

Der Deutsche Fußball-Bund hingegen sieht in seiner „Strategie Frauen im Fußball FF27 (Öffnet in neuem Fenster)>>“ eine ausreichende Grundlage für das Handeln auf allen Bundes-, Landes- und Regionalebenen. Konkret heißt das, dass bis 2027 die Nationalmannschaften und die Vereine der Frauen-Bundesliga internationale Titel gewonnen haben sollen, die Anzahl von aktiven Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen sich um 25 Prozent erhöht haben soll und die mediale Reichweite über alle Plattformen hinweg verdoppelt wird. Weiter ist geplant, dass bis dahin der Frauenanteil in Gremien und hauptamtlichen Führungsebenen des DFB mindestens 30 Prozent beträgt.

Seit Ende der 1980er Jahre haben zwei Nationalspielerinnen während ihrer aktiven Karriere Kinder bekommen. Martina Voss-Tecklenburg, die jetzige Nationaltrainerin, und Almuth Schult. Ob sie denn lieber Zwillingsmutter, die Fußball spielt, genannt werden wolle, oder Fußballerin mit zwei Kindern, will Arnd Zeigler von der Torhüterin, die jetzt von Wolfsburg nach Los Angeles zum Angel City FC wechselt, wissen. 

Sie antwortet: „Grundsätzlich sagt es ja das Gleiche, aber ich würde mich eher freuen, wenn das mit der Mutter gar kein Thema mehr ist, sondern dass es einfach mehrere Mütter gibt, die Fußball spielen. Ich hoffe, dass ich ein oder zwei Mädels dazu ermutigt habe oder ermutigen kann, dass sie auch diesen Schritt wagen. Und sich nicht von jemandem anders die Entscheidung abnehmen lassen.“

Die wenigen Kinder von aktiven Nationalspielerinnen sind ein drastischer Beweis dafür, dass Männer für die Familienplanung die Karriere nicht einmal kurz unterbrechen müssen. Denn: Wie viele der Nationalspieler in den letzten Jahrzehnten Kinder gezeugt haben, ist statistisch nicht erfasst. Bekannt ist aber, dass die Öffentlichkeit bei der Weltmeisterschaft der Herren 2018 darüber diskutiert hat, ob Sex vorm Spiel schädlich oder nützlich ist.

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