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Wenn es so aussieht, als würde es nicht mehr weitergehen

Alexandras Ehemann hat sie nach 13 Jahren Ehe verlassen – für die Frau, auf die sie immer eifersüchtig war. Nun will er das geteilte Sorgerecht für die beiden Kinder. Wie kann sie mit dem Schmerz klarkommen?

Dear Daniel,

ich weiß gar nicht, ob das Thema zu Dir und Deinen Newslettern passt, aber deine Posts sind so empathisch geschrieben und beleuchten auch alle Blickwinkel, weswegen ich mich einfach mal traue.

Mein Ehemann hat mich vor zwei Monaten nach 13 Jahren Beziehung verlassen. Seit letztem Sommer war ich schon auf eine Nachbarin eifersüchtig, aber er hatte immer wieder beteuert, die Beziehung mit ihr wäre nur Freundschaft und Trennung wäre nie eine Option für ihn. Was soll ich sagen? Genau mit dieser Person ist er nach einer heimlichen Affäre durchgebrannt.

Nun hat er sich zusammen mit ihr eine Wohnung in der Nähe genommen und erwartet jetzt, dass unsere beiden Kinder im Wechsel jeweils sieben Tage bei ihm und dann bei mir wohnen. Ich bin total überfordert. Ich habe noch nicht mal die für mich tatsächlich plötzliche Trennung verkraftet oder akzeptiert und soll nun noch auf meine Kinder für die Hälfte ihres Alltags verzichten? Obwohl ich immer der Anker für sie war? Ich habe ihnen anderthalb lange Lockdownjahre zuhause lesen und schreiben beigebracht, habe mir immer neue spielerische Stundenpläne einfallen lassen, meine Arbeitstermine mit ihren Schulvideokonferenzen gemanagt, Hausaufgaben mit ihnen gemacht und vieles mehr.

Und selbst seit der Trennung bin ich für sie da. Denke mir ständig neue Lösungen aus, wie es weitergehen kann mit unserem Haus, die mein Mann alle fünf Minuten wieder ablehnt. Sie brauchen ihn ja. Aber brauchen sie nicht auch einen festen Wohnort, einen Anker, mich? Kann er seinen zweiten Frühling nicht einfach ausleben? Es wäre schon einfacher, wenn er sich eine eigene Wohnung genommen hätte. So ersetzt er mich nicht nur als Partnerin, sondern auch als Mutter. Vor ein paar Wochen hat er mir gesagt: „Mein Leben ist perfekt, du bist einfach nur die falsche Frau an meiner Seite“.

Ich weiß absolut nicht, wie ich überhaupt jemals wieder normal mit ihm reden soll, nach dem, was er mir angetan hat.

Mit besten Grüßen, Alexandra

Liebe Alexandra,

danke für deinen Brief. Es tut mir so leid, dass du all das durchmachen musst. Man spürt so viel Schmerz in dem, was du schreibst, und die Vorstellung, dass du mit dem Schmerz allein klarkommen musst, macht mich so traurig. Deshalb vorweg: Ich wünsche dir von Herzen alles, alles Gute, und ich bin auch froh, dass du mir geschrieben hast. Nicht unbedingt, weil ich glaube, dass ich dir helfen kann – auch wenn ich es natürlich versuchen werde – sondern, weil du mit diesem Brief diesen Schmerz schon einmal zu Papier gebracht hast. Und häufig ist schon das ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

Trennungen wie diese gehören zu den schwersten Dingen, die man überhaupt durchmachen kann. Nach dem Tod von Menschen, die man liebt, stellen sie die Situationen im Leben dar, die den größten Stress verursachen und für deren innere Bearbeitung man am längsten braucht.

Trennungen wie diese gehören zu den schwersten Dingen, die man überhaupt durchmachen kann. Nach dem Tod von Menschen, die man liebt, stellen sie die Situationen im Leben dar, die den größten Stress verursachen und für deren innere Bearbeitung man am längsten braucht. Ich kann mich an eine Trennung von einem Ex-Partner erinnern, die für mich ähnlich traumatisch war. Sie fand unter anderen Vorzeichen statt – wir waren nur sechs Jahre zusammen gewesen und es gab natürlich auch keine Kinder – aber der Schmerz, den ich gefühlt habe, war deinem sehr ähnlich, und es hat viele Jahre gedauert, bis ich ihn nicht mehr gespürt habe. Vielleicht hilft dir schon dieses Wissen ein wenig: Was du gerade fühlst, ist normal, ist richtig, ist erst einmal eine psychisch angemessene Reaktion auf das Geschehen. Der Verlust der emotionalen Sicherheit in Situationen wie diesen, der Verlust einer jahrelang existierenden Realität – das sind schlicht traumatische Erlebnisse.

Vor allem Trennungen, die mit dieser Art von Betrug einhergehen, scheinen für Schmerzgefühle zu sorgen, die einen lange nicht mehr loslassen. Ich glaube, dass Menschen allen möglichen Mist bauen - aufgrund psychischer Beschränkungen, aus egoistischen Beweggründen, aus Feigheit, weil sie es nie gelernt haben, ihre Gefühle zu kommunizieren, oder auch nur, um sich aus Situationen zu befreien, aus denen sie sich anders nicht befreien können. Ich bin mir sicher, dass du auch schon einmal jemanden betrogen hast, wie auch immer dieser Betrug ausgesehen hat. Und vielleicht wirst du dich erinnern, dass du den Menschen, den du betrogen hast, nicht verletzen wolltest. Oder dass es nicht darum ging, ihn zu verletzen. Ab einem bestimmten Punkt hast du die Verletzung vielleicht billigend in Kauf genommen. Aber du hast sie nicht intendiert, vielmehr konntest du nicht anders. Ich schreibe das nicht, weil ich glaube, dass du besonders großes Mitgefühl für deinen Exmann und seine, nun ja, emotionale Beschränktheit aufbringen solltest. Sondern, um den Betrug aus der Ecke des Moralischen zu holen, der mit ihm oft verbunden wird. Aus der Ecke eines im Nachhinein immer etwas selbstgerecht wirkenden Opferkults, der mit ihm einhergehen kann.

Ich meine dieses etwas zu emphatische Gefühl, mit dem man sich manchmal eine Opferrolle überstülpt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Gefühl eine Falle ist, dass es einen nicht weiterbringt, es einem sogar am Leben hindert und den Schmerz, den man empfindet, zementiert, ihn füttert und am Leben erhält. Dieses Gefühl kann einen gewissen Suchtcharakter annehmen, eben weil es mit einer so großen emotionalen Intensität einhergeht und mit einer seltsamen, fast schon heroischen Gewissheit, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen.

Ich kenne dieses Gefühl selbst so gut. Viele von uns werden es kennen. Ich meine dieses etwas zu emphatische Gefühl, mit dem man sich eine Opferrolle überstülpt, besonders wenn man glaubt, verraten worden zu sein, nachdem schon so viele Opfer erbracht hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Gefühl eine Falle ist, dass es einen nicht weiterbringt, es einem sogar am Leben hindert und den Schmerz, den man empfindet, zementiert, ihn füttert und am Leben erhält. Dieses Gefühl kann einen gewissen Suchtcharakter annehmen, eben weil es mit einer so großen emotionalen Intensität einhergeht und mit einer seltsamen, fast schon heroischen Gewissheit, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen. Man tut sich selbst unrecht, wenn man dieses Gefühl am Leben erhält. Es hält die innere Wunde davon ab, mit dem Heilungsprozess, mit ihrer Vernarbung zu beginnen. In gewissem Sinne stellt es eine Art der Selbstverletzung dar. Eine Selbstverletzung, die uns davon abhält, die Realität zu akzeptieren und uns mit anderen, häufig authentischeren und bedeutenderen Gefühlen auseinanderzusetzen, daran zu arbeiten, was wir vielleicht auch selbst zu dieser Situation beigetragen haben, und wie wir von hier weitermachen können.

In deinem Brief scheint so etwas in der Passage hindurch, in der du aufzählst, wie viele Opfer du bringen musstest, um deine Familie durch die Pandemie zu bringen und wie viel dir das abgefordert hat. Ich finde diese Passage sehr interessant, sie scheint eine Art Schlüssel zu sein und viel mit deiner Angst zu tun zu haben, als Mutter „ersetzt“ zu werden, obwohl das, wie dir sicherlich klar ist, unmöglich ist. Zum einen illustriert die Passage die schreiende Ungerechtigkeit, die sich in vielen Beziehungen während der Lockdown-Maßnahmen so offen gezeigt und noch verstärkt hat – sie illustriert die Perfidität der patriarchalen Strukturen, in denen wir leben. 

Zum anderen klingt es so, als wäre eure Beziehung genau in dieser Zeit in die Brüche gegangen oder als wäre einem Teil von dir in dieser Zeit aufgefallen, dass sich bestimmte Brüche in eurer Beziehung nicht mehr kitten lassen. Ich habe den Eindruck, dass es in dieser Passage etwas gibt, wo du für dich weiterdenken, weiterfühlen könntest. Wo du feststellen könntest, dass du in dieser Situation nicht nur die passive Rolle der Verlassenen und Betrogenen einnehmen musst, sondern dass du auch kein reales Interesse daran hast, eine Beziehung, die nicht mehr funktioniert, weiterzuführen. An keiner Stelle deines Briefes schreibst du, dass du deinen Exmann liebst oder die Beziehung mit ihm fortführen möchtest. Und ich bin mir nicht sicher, ob dir selbst klar ist, dass das bedeutet, dass auch du diese Beziehung, so wie sie war, nicht mehr wolltest, oder dass zumindest ein Teil von dir damit einverstanden ist, dass sie vorbei ist. Du schreibst, dass du die Trennung noch nicht richtig akzeptiert hast. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Vielleicht hast du dein neues Leben und seine Anforderungen noch nicht akzeptiert. Aber einem Teil von dir scheint sich bewusst zu sein, dass dein Leben nicht mehr mit deinem Exmann teilen möchtest. Und das ist der Teil von dir, auf den du hören solltest.

Du schreibst zum Anfang deines Briefes, dass du dich auch an mich wendest, weil ich die Probleme, von denen die Briefe handeln, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchte. Unter anderem wegen dieses Satzes habe ich das Gefühl, dass du in einem gewissen Sinne emotional feststeckst und bereit für Ideen bist, die dich aus deiner Sackgasse befreien. Ich weiß nicht, ob ich so eine Idee tatsächlich liefern kann, aber es bedeutet, dass du dich weiterentwickeln möchtest und dass du weißt, dass du dir ein neues Leben aufbauen kannst. Wahrscheinlich ist dir gar nicht klar, wie viel das wert ist und wie viel Stärke darin liegt.

Im Sinne der verschiedenen Blickwinkel möchte ich dir sagen, dass du dir, falls du es nicht schon getan hast, eine Anwältin nehmen musst, um dich über deine Rechte in dieser Situation zu informieren und um jemanden zu haben, die dich unterstützt. Ich glaube auch, dass es wirklich wichtig ist, dass du in keine Kleinkriegssituation mit deinem Exmann gerätst, auch wenn es für dich vielleicht gerade so aussieht, als hätte er das verdient. Nach Trennungen und Betrugserfahrungen ist diese Gefahr immer groß. Allerdings wäre das für alle Beteiligten und vor allem auch für dich die schlimmste Entwicklung, die diese Situationen nehmen könnte. Eine Kleinkriegssituation würde deine Kinder auf unvorhergesehene Weise traumatisieren und ihnen darüber hinaus das Vertrauen in ihre Eltern nehmen. Und dich würde sie auf Jahre auf ungute Weise an deinen Exmann binden, deine Trauer um eure Ehe behindern und aus ihr ein Gespenst machen wird, dass dich lange heimsucht. Nach dem Lesen deines Briefs habe ich nicht den Eindruck, dass alles in dir auf Kleinkrieg eingestellt ist, aber falls doch: Fake it till you make it. Verhalte dich so, als würdest du keinen Krieg wollen. Du wirst es dir später danken. Sehr sogar.

In Situationen, in denen man feststeckt, hilft es oft, einen Schritt zurückzutreten und sich und seine Situation von außen zu betrachten. Du könntest dir zum Beispiel vorstellen, du wärest eine Figur in einem Film oder einem Roman. Ich mache das in schwierigen Situationen häufig. Was würdest du dieser Figur wünschen? Was würdest du für die Zukunft dieser Figur wollen?

Außerdem möchte ich dir sagen, dass ich die wöchentliche Aufteilung der Kinderbetreuung tatsächlich eine ausgezeichnete Idee finde, auch wenn sie dir erst einmal nicht als solche vorkommt. Ein Freund von mir ist gerade durch eine Scheidung gegangen und er und seine Exfrau haben ein ähnliches System gefunden, für alle Beteiligten funktioniert das relativ gut. Ich kann nachvollziehen, dass du deine Kinder in den Wochen, in denen du sie nicht siehst, vermisst, und dass es sich erst einmal ungerecht anfühlt, sie „teilen“ zu müssen. Aber ich glaube, dass das eine faire und vernünftige Lösung ist. Es wäre etwa um Vieles unfairer, wenn du allein mit der Care-Arbeit betraut wärest. Alleinerziehend zu sein ist eine gigantische Herausforderung. Und nach dem zu urteilen, was du schreibst, scheint nicht allzu viel für deinen Ehemann zu sprechen, aber dass er sich genauso um die Kinder kümmern möchte wie du, schon. Natürlich werden dir deine Kinder in der Woche, in denen du sie nicht hast, extrem fehlen. Natürlich wirst du in der Woche, in denen du sie hast, überfordert sein. Aber mit der Zeit wirst du auch die positiven Seiten dieser Aufteilung schätzen lernen: Etwa, dass du deine Kinder noch einmal anders kennenlernen kannst. Oder dass du sehr viel mehr Zeit für dich haben wirst, mehr Zeit, dich um dich selbst zu sorgen, als du sie in den vergangenen Jahren hattest. Und diese Zeit und diese Selbstfürsorge wirst du brauchen, um dir ein neues Leben aufzubauen. Was ich damit sagen will, gib dieser Regelung eine realistische Chance. Du könntest davon überrascht sein, wie sehr sie dir irgendwann zusagt.

In Situationen, in denen man feststeckt, hilft es oft, einen Schritt zurückzutreten und sich und seine Situation von außen zu betrachten. Du könntest dir zum Beispiel vorstellen, du wärest eine Figur in einem Film, einem Theaterstück oder einem Roman. Ich mache das in schwierigen Situationen häufig. Was würdest du dieser Figur wünschen? Was würdest du für die Zukunft dieser Figur wollen? Würdest du ihr wünschen, dass sie in ihrer zunächst ausweglos wirkenden Situation steckenbleibt und viele Jahre lang nur negative Gefühle gegenüber ihrem Exmann und der Beziehung mit ihm hegt? Oder würdest du ihr wünschen, dass sie langsam lernt, loszulassen, die neue Situation zu akzeptieren und trotz aller Trauer, trotz aller emotionalen Schwierigkeiten lernt, das Leben neu auszukosten? Ich bin mir fast sicher, dass du einer Film- oder Romanfigur letzteres wünschen würdest. Und wenn du ihr das wünscht, kannst du auch anfangen, dir das selbst zu wünschen. Und das wäre ein mehr als guter erster Schritt, in eine neue Zeit, ein neues Leben.

Ich jedenfalls, liebe Alexandra, wünsche dir das und darüber hinaus nur das Beste für diesen schweren Weg. Ich bin mir so sicher, dass du ihn meistern wirst. Bitte weiß, dass du nicht allein bist.

Alles Liebe, Daniel

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