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Das „gut genug“ des Lebens

Vor kurzem wurde ich gefragt, ob mich das Schreiben glücklich mache. Ich musste lange darüber nachdenken. Sollte man die Erwartung von Glück überhaupt an irgendetwas herantragen?

Vor kurzem wurde ich von einer Kollegin gefragt, ob mich das Schreiben glücklich mache. Ich musste lange überlegen, was ich antworten sollte. Sie mache das Schreiben glücklich, meinte sie. Für mich allerdings ist das zugegebenermaßen selten der Fall. Zugleich fragte ich mich aber, ob das die richtige Erwartungshaltung an eine so zeitraubende, schöne, nervenaufreibende, erfüllende, mit Selbstzweifeln aufgeladene und von Überraschungen synkopierte Tätigkeit wie das Schreiben ist. Und vielleicht noch mehr, ob die Erwartung von Glück überhaupt etwas ist, das man an irgendetwas herantragen sollte, gar an dieses Leben, das wir führen. Ob man damit nicht genau das unterminiert, was das Glück ist: ein Geschenk, dessen Schönheit eigentlich in seiner Flüchtigkeit besteht.

Aber vielleicht bin ich auch der Falsche, um die Frage nach dem Schreiben und dem Glück zu beantworten. Das Schreiben ist für mich etwas weitgehend Vor- und Unbewusstes, etwas, dessen Inhalte ich nicht absehen kann, etwas, das entsteht, wenn ich das Innere mit Inspirationen, Gedanken, kollektiven Schwingungen und Gefühlen, mit Worten und Texten füttere. Mein Schreiben beginnt immer mit Fragen, von denen ich das Gefühl habe, dass ich sie mir eigentlich nicht stellen möchte, und mehr noch, dass wir als Gesellschaft uns sie nicht stellen möchten. Es liegt in der Natur dieser Fragen, dass ich vorher nicht weiß, auf welche Antworten ich stoße, ob ich überhaupt auf Antworten stoße. Ich weiß nur, dass es da etwas gibt, das ich gerne sagen oder erzählen würde. Dass ich etwas zu erzählen habe. Wenn dieses Gefühl nicht da ist, schreibe ich auch nicht.

Es ist ein bisschen so wie mit dem Glück. Die eigenen Erwartungen sind eher ein Hindernis. Die Momente zwischen den Lesenden und Schreibenden sind Geschenke, deren Schönheit in ihrer Flüchtigkeit besteht. Als Schreibende*r weiß man eigentlich nie so ganz genau, was man tun.

Doch das ist noch nicht alles. Ich muss auch das Gefühl haben, dass das, was ich zu sagen zu haben, auch anderen Menschen etwas sagen könnte. Ob das dann aber auch wirklich der Fall ist, ob die Kommunikation mit den Lesenden funktioniert, lässt sich nie abschätzen. Im Grunde lässt sich eine gelungene Kommunikation zwischen Schreibenden und Lesenden nie planen oder kontrollieren. Oder zumindest die Kommunikation, auf die es ankommt. Man kann ihr beim Schreiben den Weg ebnen, man kaum Raum für Identifikation, für Erfahrungen, für ein offenes Denken und Fühlen schaffen, man kann sich bemühen, so verständlich, gut und schön zu schreiben, wie es einem möglich ist, man kann und sollte immer wieder am Schreiben arbeiten, das eigene Projekt schärfen und ausweiten – aber planbar ist all das nicht. Das ist etwas, das sich ergibt. Es ist ein bisschen so wie mit dem Glück. Die eigenen Erwartungen sind eher ein Hindernis. Die Momente zwischen den Lesenden und Schreibenden sind Geschenke, deren Schönheit in ihrer Flüchtigkeit besteht. Als Schreibende*r weiß man eigentlich nie so ganz genau, was man tun.

Und selbst wenn den Texten die Kommunikation mit den Lesenden gelingt: Stolz bin ich auf meine Arbeit nur selten, egal, wie sehr ich mich jenen erwähnten Fragen gestellt habe, wie viele Qualen mich ihre innere Bearbeitung gekostet hat, egal, wie weit ich mit ihnen gekommen bin. Vielleicht könnte man sagen, dass mein Verhältnis zum Schreiben von einer grundlegenden Ambivalenz geprägt ist – und dass es auch genauso sein muss. Ich werde oft gefragt, ob das Schreiben für mich etwas Therapeutisches ist, und ich muss dann sagen, dass das nicht der Fall ist, zumindest im konkreten Sinne. Ich fühle mich nach dem Schreiben selten besser, es löst keine Probleme für mich, hält keine Ängste im Zaum. Trotzdem ist es für mich eine Tätigkeit, die mir mittel- und langfristig guttut. Denn erst im Aushalten der Ambivalenz des Schreibens finde ich auch die Möglichkeit, die grundlegende Ambivalenz des Lebens zu ertragen – eine Ambivalenz, die niemand von uns ertragen möchte, obwohl wir es alle müssen.

Doch wie hält man Ambivalenz aus? Wie lässt sie sich ertragen, im Schreiben und im Leben? Bei diesen Fragen muss ich oft an den britische Psychoanalytiker Donald W. Winnicott denken, der hat in den 1950er Jahren das Konzept des „gut genug“ geprägt hat. Ein Konzept, das in den vergangenen Jahren zu Recht wieder sehr populär geworden ist. Winnicott, eigentlich ein Kinderpsychologe, hatte tagtäglich mit Eltern zu tun, die an den Anforderungen, die sie selbst und die Gesellschaft an ihre Elternschaft stellten, verzweifelten. Sie fühlten sich, als würden sie permanent scheitern, und hatten Angst, irreparable Fehler zu begehen. Winnicott versicherte diesen entmutigten Eltern, dass es nur darum gehen könne, dass sie als Eltern „gut genug“ seien. Ein Kind brauche keine idealen Eltern, sondern Eltern, die ihm die Sicherheit und den Raum gäben, sich zu entwickeln, und dabei mehr und mehr zu einem Teil der Welt zu werden, in der es lebt. Winnicotts Konzept wandte sich gegen die Idealisierung von Elternschaft und zugleich gegen exzessive Hoffnungen, Ansprüche und Erwartungen, gegen Perfektionismus im Allgemeinen.

Vielleicht geht es beim Schreiben und auch bei der Bewältigung unseres Alltags ganz allgemein vor allem darum: dass man es gut genug macht und gut genug in sein Leben einbettet. Die Ideen von vollkommener Zufriedenheit oder von einem perfekten Buch sind genau das: Ideen – fixe Ideen unserer Psyche auf der Suche nach einem nicht erreichbaren Glück.

Vielleicht geht es auch beim Schreiben und erste recht bei der Bewältigung unseres Alltags ganz allgemein vor allem darum: dass man es gut genug macht und gut genug in sein Leben einbettet. Unser inneres Leben ist zu einem beträchtlichen Teil von Sehnsüchten nach jenen Leben bestimmt, die wir theoretisch auch führen könnten, für Schreibende von Büchern, die wir auch schreiben könnten. Wie der Psychoanalytiker und Philosoph Adam Phillips, ein Schüler Winnicotts, in seinem Buch „Missing Out“ beschreibt, kommt es darauf an, diese ungelebten Leben als Teil unseres tatsächlichen Lebens anzuerkennen. Manchmal möchte man jemand sein, der ein anderes Leben an einem anderen Ort führt, der bessere, fulminantere, größere Bücher schreibt. Irgendwann muss man akzeptieren lernen, dass diese Phantasien zu einem gehören. Ohne sie würde niemand von uns wachsen. Ohne sie würde niemand lernen, dass die Ideen von vollkommener Zufriedenheit oder von einem perfekten Buch genau das sind: Ideen – fixe Ideen unserer Psyche auf der Suche nach einem nicht erreichbaren Glück.

Ein Buch kann gut genug sein, selbst wenn es nicht den Vorstellungen entspricht, die man sich davon gemacht hat, selbst wenn die Arbeit daran von dunklen Phasen durchzogen wird. Es muss vor allem jene flüchtigen Momente der Kommunikation ermöglichen, es muss bereit sein, einen Dialog mit den Lesenden, mit der Welt aufzunehmen. Es muss bereit sei, sich der Ambivalenz zu stellen, der wir unter allen Umständen entkommen wollen. So simpel es klingt: Vielleicht ist alles, was man für das Schreiben braucht, die Bereitschaft, für sich selbst die Rolle der Winnicott’schen Eltern zu übernehmen, die gut genug sind. Vielleicht sind wir tatsächlich viel öfter, als wir es glauben, schon da, wo wir sein müssen. Und vielleicht verhält es sich mit dem Leben ganz allgemein ähnlich.

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