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Geschmacksfragen V

Alltagsmagie

Joris Hoefnagel (Flemish, / Hungarian, 1542 - 1600), illuminator and Georg Bocskay (Hungarian, died 1575), scribe
Opium Poppy, Bladder Campion, and Broad Bean, 1561–1562; illumination added 1591–1596
Watercolors, gold and silver paint, and ink
Leaf: 16.6 × 12.4 cm (6 9/16 × 4 7/8 in.)
The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Ms. 20, fol. 69, 86.MV.527.69 (Öffnet in neuem Fenster)

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Die ersten Kochbücher des Spätmittelalters waren Handreichungen zur Magie. Die esoterischen Bände unterrichteten ihre Lesenden nicht nur im Kochen, sondern auch in den großen Geheimnissen heilender Kräuter und Mixturen. Wie die britische Historikerin und Autorin Bee Wilson berichtet, ließen sich dort Rezepte für Walnuss- und Melonenmarmelade, Birnenmus oder pochierte Eier finden, aber auch für Tinkturen, die vor der Pest schützen, wunde Füße heilen oder gegen gebrochene Herzen helfen sollten.

Wenn man sich bestimmte Essenstrends auf den sozialen Medien anschaut, scheint sich an dieser Gemengelage nur wenig verändert zu haben. Neben Pasta mit gebackenem Feta finden sich dort alle möglichen fermentierten Gemüse, die unserer Darmflora zum neuen Glanz verhelfen sollen. Und grüne Säfte oder alles mit Kurkuma gelten als der Schlüssel zu einem langen Leben.

Darüber kann man sich lustig machen, wenn man möchte. Die heilenden Kräfte von Fermentationsprozessen werden sicherlich überschätzt. Und ich persönlich würde meinen Spinat lieber als Salat essen, als ihn durch den Entsafter zu jagen. Doch vielleicht hat es einen Grund, warum wir dem Essen und dem Kochen immer wieder geheimnisvolle Kräfte zuschreiben. Denn vielleicht handelt es sich dabei tatsächlich um so etwas wie eine kleine, ganz alltäglichen Magie.

Essen kann Erinnerungen in uns wachrufen und uns in Gefühle der Nostalgie, des Ekels oder der Liebe tauchen. Wir können uns auf wohlige Weise gestärkt fühlen, wenn wir bestimmte Dinge zu uns nehmen, aber auch sehr schlecht und schwer. Das leckerste Essen der Welt macht uns krank, wenn wir es zu oft zu uns nehmen. Ein grüner Salat mit der richtigen Vinaigrette oder eine Handvoll erntefrischer Himbeeren hingegen können uns das Gefühl geben, dass es tatsächlich schön ist, am Leben zu sein.  

Wir werden nie ganz verstehen, wie es möglich ist, dass Tomaten, Basilikum und Olivenöl so gut zueinander passen, dass man sie den ganzen Sommer zusammen essen möchte. Man kann schlicht nicht nachvollziehen, wie aus nichts als Mehl, Wasser und Salz mit etwas Geduld und der richtigen Technik köstlichste Sauerteigbrote entstehen. Oder aufgrund welcher Prozesse Butter, Eigelb und Zitrone zu einer cremigen, überaus vollmundigen Sauce Hollandaise zusammenfinden. Selbst wenn man all das naturwissenschaftlich erklärt bekommt, bleibt das Kochen etwas Magisches. Denn keine Erklärung der Welt wird seiner sinnlichen Dimension gerecht, seiner gustatorischen und olfaktorischen Kraft, Gefühle in uns wachzurufen, Erinnerungen heraufzubeschwören und Schmerz zu lindern, uns krank zu machen oder gesund, uns zu vergiften oder zu stärken.

Was folgt, ist das durch und durch magische Rezept einer Spargel- und Butterbohnensuppe mit Minze und Petersilie. Wenn Sie mir nicht glauben, probieren Sie es aus. Die Originalversion stammt vom Kochbuchautor Nigel Slater, der, wenn man mich fragt, ein großer Zauberer ist.

Die Suppe ist ein kleiner, feiner Frühlingstraum: Drei Schalotten und drei Knoblauchzehen werden in etwas Olivenöl angeschwitzt. Hinzu kommen jeweils ein Teelöffel Kurkuma und gemahlener Koriander, zwei kleine Gläser weiße Bohnen, ein halber Liter Gemüsebrühe und eine Dose Kokosmilch. Dann befreit man einen Bund grünen Spargel von seinen hölzernen Enden und schneidet den Rest in Scheibchen, tut diese hinzu und lässt das Ganze fünf Minuten lang köcheln. Ein paar Kellen der Suppe werden püriert und dann wieder zurück in den Topf getan, damit alles schön sämig wird. Zuletzt mischt man eine Handvoll kleingeschnittener Petersilie und Minze unter.

Nicht nur ist diese Suppe so schnell zubereitet, dass es fast an Magie grenzt. Sie ist auch auf geradezu unverständliche Weise köstlich. Vertrauen Sie mir. Sie könnte eigentlich auch aus einem jener Zauberbücher des Spätmittelalters stammen. Denn wenn man sie isst, fühlt man sich so gestärkt und gesund, so überraschend gut, dass man ihr fast alles zutraut. Auch, wunde Füße oder gebrochene Herzen zu heilen.             

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