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Die Sache mit der Selbstfürsorge

Manchmal wird die eigene Erschöpfung erst spürbar, wenn sich das Leben wieder verlangsamt. Wie man trotzdem nach vorne schauen kann.

Dear all, 

nun ist es wieder einen Monat her, dass der letzte Newsletter erschien, und ich frage mich, wie es sein kann, dass die Zeit so schnell vergeht. Nach vielen Monaten des Reisens bin ich nun zum ersten Mal seit langem wieder durchgehend mit der Aussicht in Berlin, nicht alle paar Tage meinen kleinen Koffer packen und zu einer Veranstaltung fahren zu müssen. Ich finde langsam wieder zu meinen Routinen zurück, die ich nach dem Erscheinen von „Allein“ nach und nach verloren habe. Ich sehe Freundinnen und Freunde, schaffe es wieder, die eine oder andere SMS zu beantworten, schreibe nicht mehr im Hotel oder im Zug, sondern an meinem Schreibtisch oder auf dem Sofa. Ich gehe wieder spazieren, achte darauf, was ich esse, und mache Sport.

Ich merke, dass das Arbeiten ungleich größere Kräfte kostet als zuvor. Das Schreiben des neuen Buches geht langsamer voran als gedacht. Für jede meiner Kolumnen brauche ich zwei bis dreimal so lange wie früher. Und das Beantworten jeder Art von beruflicher Email bereitet mir Bauchschmerzen.

Doch der Produktivitätsschubs, den ich mir von dieser Veränderung erhofft hatte, hat sich nicht eingestellt. Stattdessen merke ich, dass das Arbeiten ungleich größere Kräfte kostet als zuvor. Schaue ich mir meine 80-Stunden-Wochen der vergangenen anderthalb Jahren an, kann ich nicht mehr nachvollziehen, wie ich sie absolviert habe. Das Schreiben des neuen Buches geht langsamer voran als gedacht. Für jede meiner Kolumnen brauche ich zwei bis dreimal so lange wie früher. Und das Beantworten jeder Art von beruflicher Email bereitet mir Bauchschmerzen. So viele schöne Dinge, die passieren, kann ich nur mit einer Mischung aus Gleichmut und Verwunderung beobachten. „Alleen“, die niederländische Übersetzung von „Allein“ ist in den Niederlanden zu einem Bestseller geworden, womit weder der dortige Verlag noch ich gerechnet hatten. Im Mai erscheint „Soli“, die italienische Übersetzung. Und im August kommt „Alone“, die englische Übersetzung, heraus, für die unter anderem Lauren Groff, Garth Greenwell, Deborah Levy und Hanya Yanagihara Empfehlungen ausgesprochen haben, was mich besonders ehrt. Und seit Beginn dieser Woche gibt es „Allein“ endlich auch als Suhrkamp-Taschenbuch zu kaufen. Über all das zu freuen fällt mir nicht leicht, obwohl ich weiß, dass ich es sollte, und obwohl ich es möchte. 

Ein Freund von mir meinte neulich, dass ihn diese Situation an das Burnout erinnere, das er vor ein paar Jahren erlebt hatte. Nachdem ich ich ihn bat, dieses Wort in meiner Gegenwart nie wieder zu benutzen, erklärte er, dass seine Erschöpfung für ihn eigentlich erst wirklich spürbar wurde, als sich das Tempo seines Lebens verlangsamte. Eine Freundin, die selbst viele Erfahrungen mit Trauer gesammelt hat, sagte mir, dass sich das für sie nach dem Auf und Ab von Trauerprozessen anhört, die uns lange begleiten, erst recht, wenn wir sie schnell gut abschließen wollen. Eine andere Freundin, eine Lektorin, gab zu bedenken, dass sich das letztlich auch nach den grundsätzlichen Begleitumständen des Schreibens anhöre und dass ich solche Phasen immer durchlaufe, wenn ich an einem neuen Buch arbeite. An all diesen Deutungen ist etwas dran, das kann ich sehen, und trotzdem fällt es mir schwer, sie zu akzeptieren. Auch wenn ich weiß, dass das nicht geht, möchte ich diese Phase abkürzen und wünsche mich in eine zukünftige Version meines Lebens, in dem es keine unbeantworteten Nachrichten in meinen Inboxes gibt, ich tiefenentspannt mit meinem Idealgewicht durch die Welt gehe und das neue Buch – über das ich euch an dieser Stelle ein anderes Mal mehr berichten werde – fertig geschrieben und lektoriert ist und freundlich auf seine Lesenden wartend in den Buchhandlungen liegt.

Bis dahin werde ich versuchen, meine Reserven aufzufüllen und selbstfürsorglich durch eine Zeit zu gehen, die in vieler Hinsicht herausfordernd ist. Ich werde also das versuchen, was ich mir von ganzem Herzen auch für alle von uns wünsche. 

Viele von euch haben in den vergangenen Wochen ihre auslaufenden Jahresmitgliedschaften für „Dear Daniel“ nicht verlängert, was ich aufgrund der veränderten Frequenz der Beiträge nachvollziehen kann. Ich hoffe natürlich, dass ihr den Newsletter trotzdem weiterhin lesen werdet - und ich euch davon überzeugen kann, ihn wieder zu unterstützen, wenn ich in der Lage sein werde, euch öfter als einmal pro Monat zu schreiben und auch wieder regelmäßig eure Briefe zu beantworten, mit aller nötigen Umsicht, Akzeptanz und Empathie. Und ich hoffe auch, dass das nicht mehr allzu lange dauern wird. Bis dahin werde ich versuchen, meine Reserven aufzufüllen und selbstfürsorglich durch eine Zeit zu gehen, die in vieler Hinsicht herausfordernd ist. Ich werde also das versuchen, was ich mir von ganzem Herzen auch für euch alle wünsche. 

Habt eine wunderbare Zeit, egal, wo ihr gerade steckt, egal, was ihr gerade durcharbeitet oder womit ihr vielleicht zu kämpfen habt. Bis zum nächsten Mal, habt’s gut und vor allem: Passt auf euch auf!

Liebe Grüße,

Daniel       

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