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Was in deinem Gehirn passiert, wenn du Parkinson hast

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die heftigen Auswirkungen, wenn ein paar Neuronen am falschen Ort sterben.

Als John Pepper 30 Jahre alt war, bemerkt er etwas Komisches: Wenn er versuchte, einen Ball zu werfen, war er nicht in der Lage, im richtigen Moment loszulassen. Der Ball landete mal direkt vor ihm auf dem Boden, mal segelte er über das eigentliche Ziel hinaus.

Jetzt war John Pepper allerdings kein Baseballspieler. So oft warf er Bälle gar nicht, also machte er sich zunächst keine weiteren Gedanken.

In den nächsten Jahren hatte er immer wieder Probleme, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten: Er entwickelte Verstopfungen und es fiel ihm plötzlich schwerer, mit der Hand zu schreiben.

Mitte der 1970er Jahre, als er etwa vierzig Jahre alt war, war er gelegentlich nicht mehr in der Lage, seine Füße zu bewegen, nachdem er eine Zeit lang stillgestanden hatte und er hatte Schwierigkeiten beim Gehen auf unebenem Untergrund. Er konnte sich nicht mehr räuspern und verschluckte sich ständig beim Essen. Und er bekam Depressionen.

Seine Tochter, Diane Wray, fasst diese Zeit so zusammen: „Mein Vater machte Ende der 1970er Jahre eine große Persönlichkeitsveränderung durch. Wir [die Familie] waren 1977 in Amerika und er wurde sehr wütend wegen eines Eis, das ich haben wollte und das er mir nicht geben wollte. Ich war zu der Zeit 16. Er hüpfte auf und ab wie ein Kind auf und ab und schrie einen Roboter an – die Ampel auf der Straße. Das war das erste Mal, dass ich merkte, dass etwas anders war an meinem Vater … Wir bemerkten auch, dass sich sein Gesicht verändert hatte.“

Der Titel dieser Ausgabe hat es schon verraten. Was auf den ersten Blick wie unzusammenhängende Symptome aussieht, stellte sich später als eine Krankheit heraus, die immer mehr Menschen auf der Welt betrifft: Parkinson.

Wenn Bewegungen gar nicht mehr selbstverständlich sind

Parkinson ist nach Alzheimer die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Neurodegenerativ heißt: Langsam, aber sicher sterben immer mehr Nervenzellen ab, meistens in einer bestimmten Region. In Deutschland sind etwa 400.000 Menschen betroffen – und weil wir immer älter werden, ist die Tendenz steigend. Patient:innen leiden oft unter unwillkürlichem Zittern (Tremor) der Gliedmaßen, sie können sich nicht rund bewegen, bewegen sich langsamer, fühlen sich steif, können Bewegungen schlechter starten und beenden, ihr Gang ist unsicher, sie stürzen immer wieder.

Die Parkinson-Krankheit kann auch zu kognitiven Defiziten führen: Parkinson-Patient:innen haben ein sechsmal höheres Risiko, an Demenz zu erkranken.

Vor einigen Wochen habe ich euch von Michael Moskowitz erzählt, ein US-amerikanischer Arzt, der nur durch Denken seine chronischen Schmerzen losgeworden ist (Öffnet in neuem Fenster). Er war ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie die Neuroplastizität des Gehirns dafür sorgt, dass es sich selbst heilen kann. Als nächstes möchte ich euch von John Pepper erzählen, der seine Parkinson-Erkrankung mit etwas behandelt hat, das eigentlich konträr zur Erkrankung steht: Gehen.

Bevor ich euch in der nächsten Ausgabe seine Geschichte erzähle, müssen wir einen Schritt zurück machen: Was genau passiert eigentlich bei Parkinson im Gehirn? Darum geht es heute.

Minus mal minus ergibt plus

Fast alle komplexeren Vorgängen im Gehirn werden nicht von Neuronen in einer einzigen Hirnregion ausgelöst, sondern von der Aktivierung in ganz verschiedenen Regionen, die in einer bestimmten Reihenfolge aktiviert werden.

Wichtig dabei ist, dass diese Regionen nicht nur für sich allein genommen aktiviert werden. Die Aktivierung einer Region sorgt oftmals dafür, dass sie die nächste Region auf eine von zwei Arten beeinflusst: Entweder erregt sie die nächste Region im Pfad – oder sie hemmt sie. Das führt manchmal zu richtigen Matheaufgaben. Denn wenn Regionen, die andere Regionen hemmen, gehemmt werden, steigt insgesamt die Aktivität: Minus mal minus ergibt Plus.

Okay, das klingt abstrakt. Aber am Beispiel von Parkinson versteht man ziemlich gut, was damit gemeint ist.

Die Grundlage all unserer Bewegungen

Wenn man verstehen will, wie Parkinson das Gehirn verändert und vor allem, warum diese Veränderungen dafür sorgen, dass wir uns schlechter bewegen können, sollte man sich zwei ganz bestimmte Pfade angucken: den direkten und den indirekten Pfad der Bewegungssteuerung in den sogenannten Basalganglien.

Die Basalganglien sind eine Ansammlung von subkortikalen (= unterhalb der Hirnrinde) Strukturen, die aus mehreren miteinander verbundenen Kernen im Gehirn bestehen: Nucleus caudatus, Putamen, Globus pallidus, Nucleus subthalamicus und Substantia nigra.

All diese Regionen beeinflussen sich in einer bestimmten Reihenfolge gegenseitig und sorgen so dafür, dass wir uns bewegen. Ich gehe das mal Schritt für Schritt durch.

  • Der Motorkortex sendet erregende Signale (über den Neurotransmitter Glutamat) an das Striatum.

  • Das Striatum sendet wiederum hemmende Signale an den Globus pallidus internus und den Pars reticulata (über den Neurotransitter Gaba).

  • Diese beiden Regionen hemmen wiederum den Thalamus (wieder über den Neurotransmitter Gaba).

  • Vom Thalamus führen dann erregende Bahnen zum Kortex (präfrontaler, prämotorischer und ergänzender Kortex), wo sie den Hirnstamm und das Rückenmark beeinflussen und so letztendlich Bewegungen auslösen.

Dieses gesamte System funktioniert nach dem Prinzip der positiven Rückkopplung. Da die beiden hemmenden Regionen in Reihe geschaltet sind, führt das dazu, dass die erste hemmende Region (Striatum) die Aktivität der zweiten hemmenden Region (Globus pallidus) unterdrückt.

Das Ergebnis ist, dass der Globus pallidus den Thalamus weniger hemmt, die sogenannte Enthemmung des Thalamus. Der Thalamus ist also erregt und das führt (über den Kortex und das Rückenmark) zu Bewegung! Oder wie Forscher:innen trocken sagen: zur „Steigerung der motorischen Aktivität“.

Okay. Das kommt mir selbst beim Aufschreiben kompliziert vor, deshalb hier nochmal als Bild. Die grünen Pfeile stellen Erregung dar, die roten Pfeile Hemmung. Los geht es oben in der Mitte beim Kortex.

Den indirekten Pfad buchstabiere ich jetzt mal nicht durch. Wichtig ist nur: Dieser Pfad sorgt durch die verschiedenen Aktivierungen (und eine Extraschleife im Ablauf oben) dafür, dass Bewegungen gehemmt werden.

Diese beiden Pfade sind die Grundvoraussetzung dafür, dass über den Hirnstamm und unser Rückenmark Signale an die Muskeln gesendet werden – und zwar in der genau richtigen Menge.

Was passiert nun im Gehirn, wenn man Parkinson hat?

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