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Dein Gehirn sagt so ziemlich alles voraus, was du tust

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: warum dein Handy in deiner Hosentasche vibriert, obwohl es auf dem Tisch liegt.

Die Scrary-Movie-Filmreihe ist eigentlich ziemlich schlecht. Sie macht sich über bekannte Horrorfilme lustig, indem sie sie nachspielt und ins Lächerliche zieht. Ich habe vielleicht zwei dieser Filme gesehen. Eine Szene habe ich aber bis heute im Kopf: Ein verliebtes Paar sitzt im Garten und erzählt dem Nachbarn, wie verbunden sie miteinander sind. In einer Szene sagt er: “Wir sind uns so vertraut, wir können schon die Sätze des anderen …” - Er blickt seine Geliebte erwartungsvoll an. Sie schaut zurück und vollendet den Satz: “…essen!”

Was im Gehirn des Zuschauers (und in eurem beim Lesen gerade) passiert, wenn die Frau im Film “essen” statt “beenden” sagt, habe ich schon mal an anderer Stelle erwähnt (Öffnet in neuem Fenster). Jedes Mal, wenn du einen Satz hörst, berechnet dein Gehirn nach jedem Wort, wie dieser Satz wahrscheinlich weitergeht. Kommt es anders, als du denkst, kommt zu einem ereignisbezogenen, elektrischen, negativen Wellenausschlag, der 400 Millisekunden nach dem Input im linken Temporallappen auftaucht. So signalisiert das Gehirn: Da stimmt was nicht! Warum manche von uns die Szene lustig finden, habe ich vor drei Wochen erklärt (Öffnet in neuem Fenster).

Die größere Erkenntnis dahinter ist eine andere: Unser Gehirn sagt so ziemlich alles voraus, was wir machen (und wahrnehmen). Warum macht es das?

Die Außenwelt ist nicht die einzige Informationsquelle, die wir haben

Seit unserer Geburt ist unser Gehirn gefangen in einer dunklen, stillen Blackbox – unserem Skelett. Zu jedem Zeitpunkt erhält es Daten und Informationen von der Welt außerhalb des Körpers, über unsere Augen, Ohren, Nasen und die Haut. Diese Informationen von außerhalb können ziemlich verwirrend sein, und sie sind oftmals nicht eindeutig. Unsere Sinnesorgane sind gut, aber auch nicht soo gut. Irgendwie muss es unser Gehirn in diesem Trubel schaffen, zu entscheiden, was es als Nächstes machen soll. Das Gute ist: Es hilft sich dabei selbst. Denn die Außenwelt ist nicht die einzige Informationsquelle, die wir haben. Wir haben noch eine andere: unser Gedächtnis.

Und du erinnerst dich nicht nur an das, was außerhalb deines Gehirns passiert, sondern auch, was dabei innerhalb deines Körpers passiert ist. Dein Gehirn fragt sich ständig: Das letzte mal, als ich in dieser Situation war, wie habe ich mich dabei gefühlt? Und was habe ich damals als Nächstes gemacht? War diese Reaktion hilfreich?

Das Einmischen unseres Gedächtnisses hat eine Folge: Wie wir die Außenwelt wahrnehmen, hat weniger mit unserer Außenwelt zu tun als damit, was in unserem Gehirn passiert.

Ein Beispiel: Hat dein Handy in deiner Hosentasche schon mal vibriert, obwohl du gar keine Nachricht bekommen hast? Oder noch besser: obwohl es gar nicht in deiner Hosentasche war?  Egal, ob es ein kurzes Zittern, ein Mini-Krampf oder eine kurze Berührung ist – solange das Gefühl dem Vibrieren deines Handys auch nur ähnelt, denkst du: Ha! Jemand versucht mich zu erreichen!

Vor 40 Jahren hättest du das gleiche Gefühl noch für eine Fliege gehalten, oder für eine Bewegung deiner Kleidung. Jedenfalls nicht für das Vibrieren eines Handys. Der Unterschied zu damals: Das Vibrieren deines Handys ist jetzt die wahrscheinlichste Erklärung für das, was du am Bein spürst. Weil das Handy schon oft in deiner Hosentasche vibriert hat, ist dieses Vibrieren Teil deiner Erinnerungen. Und weil die Erinnerungen sich ständig in deine Wahrnehmung einmischt und mitbestimmt, welche Erklärung am wahrscheinlichsten ist, vibriert dein Handy auch dann in deiner Hose, wenn es eigentlich auf dem Tisch liegt. 

Beim Handy kommt auch noch ein weiterer Aspekt deiner Erinnerung hinzu: Relevanz. Oft genug war es in unserem Leben wichtig, wenn unser Handy vibriert hat. Das Vibrieren zu verpassen, könnte nervige Konsequenzen haben.  Vielleicht ist es die Chefin, die dringend versucht, dich zu erreichen? Also lieber einmal mehr eine falsche Voraussage treffen.

Pawlov, der alte Voraussager

Eigentlich hatten Wissenschaftler:innen schon im 19.ten Jahrhundert Hinweise darauf, wie sehr das, was wir tun, auf Vorhersagen unseres Gehirns beruht. Ihr alle kennt Ivan Pawlov, den Physiologen, der seinen Hunden beigebracht hat, auf ein Geräusch hin Speichel zu produzieren. Pawlow spielte vor jeder Mahlzeit der Hunde ein kurzes Geräusch ab, den Hunden lief der Speichel im Mund zusammen, wenn sie das Geräusch hörten, auch wenn sie nicht gefüttert wurden. Man nannte das die klassische Konditionierung. Pawlov gewann einen Nobelpreis für seine Entdeckung. Neurowissenschaftler:innen würden seine Entdeckung heute aber anders interpretieren. 

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Kategorie Wie das Gehirn lernt

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