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Warum Kinder Eis lieben (und Rosenkohl nicht)

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über den evolutionären Vorteil, Eiscreme zu mögen.

Hallo an alle 220 neuen Leser:innen, die in den letzten zwei Wochen dazu gekommen sind! In meiner aktuellen Serie dreht sich alles um eine Erkenntnis: Vorgänge im Gehirn sind mit verantwortlich dafür, wenn wir zu viel essen. Welche Vorgänge sind das? Wie werden sie in Gang gesetzt? Und vor allem: Was können wir dagegen tun? Hier findest du alle bisherigen Ausgaben (Öffnet in neuem Fenster) dieses Newsletters.

Ich liebe meine Nichten und meine Nichten lieben Eis. Manchmal glaube ich: seit ihrer Geburt. Meine älteste Nichte ist zehn Jahre alt, ihre kleinen Schwestern sind vier und zwei. Obwohl unterschiedlich alt, gibt es für alle drei kaum einen Moment, in dem ihr Grinsen breiter wird, als der Moment, vor, während und nach dem Besuch bei der Eisdiele.

Heute geht es in Das Leben des Brain um eine eigentlich simple Frage: Warum ist das so? Warum gibt es keine Rosenkohldielen, in denen uns das ganze Jahr über Rosenkohl in Vollkornwaffeln verkauft wird und vor denen Familien mit kleinen Kindern Schlange stehen? Rosenkohl ist viel gesünder als Eis, es enthält viel mehr Vitamine, schadet unseren Zähnen nicht und macht uns nicht dick. Und trotzdem: keine Chance. Was steckt dahinter? Die Antwort verrät auch etwas darüber, warum uns gesunde Ernährung generell schwerer fällt, als wir es uns oft wünschen würden.

Du arme Maus

Die Antwort beginnt, mal wieder, mit Mäusen. Ross McDevitt, Postdoktorand an den National Institutes of Health in Baltimore, Maryland, hat eine Maus in einen durchsichtigen Platikkäfig gesetzt und ihr an ihr Gehirn einen winzigen Anschluss für ein Glasfaserkabel angebracht. So wollte er gezielt Zellen im ventralen tegmentalen Bereich (VTA) der Maus stimulieren, eine Hirnregion, die mit Dopamin beladene Fasern zum primären Motivationszentrum des Gehirns sendet: dem ventralen Striatum.

Mit einem Schalter konnte er nun Dopaminschübe in das ventrale Striatum schicken. In den Käfig der Maus war eine kleine Box eingebaut, und jedes Mal, wenn die Maus ihre Nase in die Box steckte, wanderte Licht durch das Glasfaserkabel in ihren Kopf, strahlte auf ihre VTA-Neuronen und veranlasste sie, Dopaminstöße in das ventrale Striatum und verwandte Hirnregionen zu senden.

Dass das passieren würde, wusste die Maus zu Beginn natürlich nicht (hat ihr ja niemand verraten). Aber jedes Mal, wenn die Maus mit der Nase an die Box stupste, erlebte sie das Äquivalent von Schokolade essen, Sex haben oder im Lotto gewinnen – alles gleichzeitig. Anfangs hielt sich die Maus noch zurück, aber irgendwann verstand sie, welche Auswirkungen die Box hat. In McDecitts Experiment drückte sie die Box bis zu 800 Mal pro Stunden. In anderen Laboren (Öffnet in neuem Fenster) erreichten die Mäuse sogar bis zu 5.000 Mal. Warum?

Mir gefällt, was hier gerade passiert ist!

Nun: Was immer die Maus tut, wenn das Dopamin kickt – sie wird es mit größerer Wahrscheinlichkeit wiederholen (Öffnet in neuem Fenster), wenn sich die gleiche Situation erneut ergibt. Der VTA sagt im Grunde: „Mir gefällt, was gerade passiert ist; ich werde etwas Dopamin in das ventrale Striatum spritzen, um sicherzustellen, dass es beim nächsten Mal wieder passiert.“ Das kann interessante Folgen haben, wie Setphan J. Guyenet in seinem Buch „The Hungry Brain“ zeigt.

Dort berichtet er von einer bahnbrechenden Studie (Öffnet in neuem Fenster), die 1988 veröffentlicht wurde. Wissenschaftler:innen ließen Ratten sowohl Wasser mit Kirschgeschmack als auch mit Traubengeschmack trinken. Ratten mögen beide Geschmäcker gleich gern. Wenn man jeweils eine Flasche in den Käfig stellt, trinken sie von beiden Flaschen ungefähr gleich viel. Die Forscher:innen haben die Ratten aber manipuliert und herausgefunden: Wenn sie teilweise verdaute Stärke direkt in die Mägen der Ratten einführten, während sie Wasser mit Kirschgeschmack tranken, entwickelten diese eine Vorliebe für diesen Geschmack gegenüber dem Traubengeschmack. Und die gegenteilige Vorliebe entwickelte sich, wenn sie den Vorgang mit dem Traubengeschmack wiederholten. Sie haben gelernt, einen der beiden Geschmäcker, die sie sonst gleich gern haben, zu bevorzugen.

Mach das nochmal!

Weitere Experimente (Öffnet in neuem Fenster) zeigten, dass die Ratten nicht die Stärke selbst erkannten, sondern den Zucker Glukose, der beim Abbau der Stärke im Verdauungstrakt freigesetzt wird. Irgendwie spürt der obere Dünndarm die Glukose und sendet ein Signal an das Gehirn, das sagt: „Gerade ist etwas Gutes passiert. Mach das noch mal!“

Wie das Signal vom Darm zum Gehirn gelangt, ist noch nicht komplett klar, aber Forscher:innen haben bereits herausgefunden (Öffnet in neuem Fenster), wie das Signal im Gehirn beeinflusst, was die Ratten mögen und was nicht. Du kannst es dir schon denken: Dopamin. Nochmal: Was immer eine Maus oder eine Ratte tut, wenn Dopamin kickt – sie wird es mit größerer Wahrscheinlichkeit wiederholen, wenn sich die gleiche Situation erneut ergibt. So sorgt ihr Gehirn dafür, dass Lebensmittel mit einem bestimmten Geschmack, künftig bevorzugt werden. Studien haben sogar gezeigt, dass Ratten keine Geschmackspräferenzen mehr ausbilden, wenn man das Ausschütten von Dopamin im ventralen Striatum blockiert.

Die Forscher:innen haben auch gezeigt: Je höher die Kaloriendichte eines Lebensmittels, je mehr Fett sie enthalten, je mehr Zucker, desto eher kommt es zu diesem dopaminbedingten Lerneffekt und dazu, dass sie den Geschmack dieses Lebensmittel als „lecker“ abspeichern.

Wie man diese Erkenntnisse jetzt auf Kinder und ihr Eis übertragen?

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