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Warum du dich schlechter ernährst, wenn du gestresst bist

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: Über den Zusammenhang zwischen Bedrohung und Belohnung.

Vor etwa zwei Wochen habe ich gemerkt, dass es so nicht weitergeht. Seit fünf Monaten sind wir in der Redaktion von Krautreporter (mein Arbeitgeber) unterbesetzt. Nachdem uns einige Kolleg:innen aus verschiedenen Gründen verlassen haben, konnten wir noch nicht alle Stellen nachbesetzen. Das braucht Zeit. Nur: Die Arbeit wurde natürlich nicht weniger.

Wenn sie zu viel wird, merke ich das vor allem daran, wie ich meinen Alltag gestalte: Auf einmal kann ich mich nicht mehr aufraffen, zum Sport zu gehen. Abends, nach der Arbeit, möchte ich mich am liebsten direkt ins Bett legen. Und: Meine Ernährung, auf die ich vor einigen Monaten noch sehr stolz war, geht den Bach runter. Der Haferbrei mit Obst weicht dem Toast mit Nutella und der Gang zu Pizzeria um die Ecke wird alltäglich.

Angesichts der tiefgreifenden Auswirkungen, die Stress auf unser Gehirn hat, ist es nicht wirklich überraschend, dass er sich auf unser Essverhalten auswirken kann. Wie genau das abläuft, wann und warum wir uns ungesünder ernähren, wenn wir gestresst sind und warum wir dann zu Comfort-Food greifen – darum geht es heute.

Bevor es losgeht: Es kann sein, dass du dich vom Intro überhaupt nicht angesprochen fühlst. Dass du denkst: Hä? Wenn ich gestresst bin, essen ich eher zu wenig als zu viel. Tatsächlich gaben bei der Untersuchung „Stress in America (Öffnet in neuem Fenster)“ 79 Prozent der Befragten an, dass sich unter Stress ihr Essverhalten ändert. Allerdings meinten 43 Prozent damit, dass sie zu viel essen und 36 Prozent, dass sie zu wenig essen. Wieso beides stimmen kann, erfährst du, wenn du weiterliest.

Was ist Stress überhaupt?

Im Großen und Ganzen handelt es sich um eine Reihe koordinierter physiologischer und verhaltensbezogener Reaktionen, die das Gehirn einsetzt, um eine herausfordernde Situation zu bewältigen. Diese Reaktionen sollen dafür sorgen, dass uns ein bedrohliches Szenario nicht schadet. Wir sollen unsere beste Leistung erbringen, wenn viel auf dem Spiel steht.

Im Gehirn gibt es ein ganzes System von Regionen, die durch Stress aktiviert werden, das sogenannte Threat-Response-System (Öffnet in neuem Fenster). Dieses System funktioniert in etwa so:

Die Amygdala (eine mandelförmige Region tief im Hirnstamm) arbeitet mit vielen verschiedenen Hirnregionen zusammen, sowohl mit bewussten als auch mit unbewussten, und sucht praktisch permanent nach Anzeichen dafür, dass wir bedroht sind. Einige dieser Regionen verarbeiten konkrete sensorische Informationen: einen lauten Knall, der hinter uns stattfindet, fliegende Objekte, die sich schnell auf uns zubewegen, Dinge, die wie Schlangen oder Spinnen aussehen. Andere Regionen verarbeiten eher abstrakte Konzepte: Wenn du dich mit deinem Partner oder deiner Partnerin streitest, wenn du entlassen wirst oder jemand dir etwas vorwirft.

Wenn die Amygdala eine Gefahr ausmacht, kommuniziert es wiederum mit denjenigen Regionen, die eine angemessene Reaktion auslösen können, zum Beispiel mit motorischen Regionen, die du zum Weglaufen brauchst, zum Erschrecken, Erstarren, Schutz des Kopfes oder Schließen der Augen. Die meisten stressigen Situationen, in denen wir uns heute befinden, erfordern gar keine heftige körperliche Reaktion, keine Flucht, kein Anspannen der Muskeln – das Gehirn leitet trotzdem alles in die Wege, genau das zu tun. „Der Körper bereitet sich darauf vor, einen Grizzlybären abzuwehren, auch wenn die eigentliche Bedrohung eine Excel-Tabelle ist“, schreibt Stephan J. Guyenet in seinem Buch „The Hungry Brain“.

Die Achse der Bedrohung

Gleichzeitig aktiviert die Amygdala einen entscheidenden Teil des Threat-Response-Systems, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse). Dazu sendet sie ein Signal, das den Hypothalamus veranlasst, eine Chemikalie namens Corticotropin-Releasing-Faktor (CRF) freizusetzen.

Die Freisetzung von CRF ist der erste Schritt in der Signalkaskade der HPA-Achse, die darin gipfelt, dass unsere Nebennieren das Stresshormon Cortisol produzieren. Davon dürftest du schon mal gehört haben. Einige Folgen der Ausschüttung von Cortisol ähneln den bereits angesprochenen Reaktionen, allerdings: in einer langsameren, längeren Zeitspanne. Cortisol kann außerdem unsere Immunreaktion mindern und – hello again – unser Essverhalten ändern.

Wir essen mehr und ungesünder – aber nicht immer

Zurück zum Zusammenhang von Stress und Essverhalten. Schauen wir uns zunächst Rhesus-Affen an. Das aus wissenschaftlicher Sicht Gute an diesen Tieren ist, dass man den Stress nicht künstlich erzeugen muss. Wenn mehrere Rhesus-Affen in einem Gehege leben, bildet sich eine Hierarchie heraus und die untergeordneten Affen werden schikaniert und bedroht. Das ist stressig genug. Wenn Wissenschaftler:innen Affen nun mit gesundem, unraffiniertem, ballaststoffreichem Futter füttern (Öffnet in neuem Fenster), fressen die gestressten, untergeordneten Affen weniger und nehmen ab, während dominante Affen ihr Gewicht halten.

Das allerdings ist genau das Gegenteil von dem, was mir passiert, wenn ich gestresst bin. Deshalb kommt hier ein Aber: Wenn Forscher:innen den Affen die Wahl zwischen Standardfutter und einer sehr lohnenden fett- und zuckerreichen Ernährung lassen, ändert sich das Essverhalten der Affen dramatisch (Öffnet in neuem Fenster). Wenig überraschend bevorzugen sowohl die weniger als auch die sehr gestressten Affen das ungesunde Essen. Die dominanten Tiere fressen jedoch weiterhin die gleiche Menge wie zuvor. Die gestressten, untergeordneten Tiere verdoppeln ihre tägliche Kalorienzufuhr hingegen.

Das könnte auch einer der Gründe dafür sein, dass übermäßiges Essen in stressigen Zeiten bei unseren Vorfahren eher kein Problem war. Sie waren wahrscheinlich wahnsinnig gestresst (ständige Bedrohungen, gefährliche Tiere, Nahrungsknappheit) – aber sie hatten nicht ständig Zugang zu Burger, Pizza und Pasta.

Warum essen wir nun mehr und ungesünder, wenn wir gestresst sind?

Gehen wir zuletzt noch ein entscheidendes Warum weiter: Warum essen wir mehr und ungesünder, wenn wir gestresst sind? Warum greifen wir dann zu sogenanntem Comfort-Food?

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