Wundermittel Sport – sogar bei Depressionen
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die Auswirkungen von Bewegung auf unsere mentale Gesundheit.
Meine Freundin und ich haben einen Running-Gag. Immer, wenn wir uns nicht aufraffen können zum Sport, sagt der jeweils andere: „Es hat noch nie jemand Sport gemacht und es danach bereut.“
Dieser Satz hilft mir eigentlich immer dabei, mich doch noch aufzuraffen.
In letzter Zeit muss sie den Satz aber immer seltener sagen. Ich habe etwas geschafft, was ich jahrelang vergeblich versucht habe: eine Sportroutine aufgebaut. Drei- bis viermal die Woche schaffe ich es, mich zu bewegen. Montags gehe ich abends mit einem Freund ins Fitnessstudio, Freitags gehe ich allein und an den anderen Tagen gehe ich joggen (wenn das Wetter gut ist) oder schwimmen.
Das schreibe ich, weil ich tatsächlich stolz darauf bin. Und weil ich gelernt habe, wie wichtig Sport ist. Nicht nur für unser Gedächtnis und unsere Konzentration – darum ging es letzte Woche. Heute geht es darum, wie sich Sport auf unser Stresslevel, auf Angststörungen und Depressionen auswirken. Es geht um neue Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass Sport bei Depressionen die gleiche oder sogar stärkere Wirkung haben könnten als Psychotherapie. Die World Health Organization schätzt (Öffnet in neuem Fenster), dass 3,5 Millionen Fälle von Depressionen in Europa bis 2050 vermeidbar sind, wenn sich die Bevölkerung ausreichend bewegt.
Nur wie? Deshalb geht es heute auch darum, was die Wissenschaft darüber weiß, wie man es tatsächlich, endlich, ein für alle mal schafft, regelmäßig Sport zu treiben.
Sport sorgt tatsächlich für weniger Stress
Fangen wir mit Stress an. In dieser Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) des Newsletters habe ich schon mal die HPA-Achse erwähnt. Das ist eine Verbindung zwischen dem Hypothalamus, der Hypophyse (einem kleinen Organ unterhalb des Hypothalamus) und der Nebennierenrinde. Bei Stress signalisiert der Hypothalamus der Hypophyse, den sogenannten Corticotropin-Releasing-Faktor (CRF) freizusetzen, was wiederum dazu führt, dass die Nebennieren das Stresshormon Cortisol ausschütten. Und wir? Werden unruhig und gestresst.
Eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) hat gezeigt, dass eine 30-Minuten-Ausdauersession bei den Teilnehmenden die ANP-Konzentration gesteigert hat. ANP ist ein Hormon, das im Herzen gebildet und freigesetzt wird. Umso mehr, wenn wir einen hohen Puls haben, z.B. durch Sport. ANP sorgt nun dafür, dass die Ausschüttung der Hormone der Stressachse reduziert wird (Öffnet in neuem Fenster). Bei den Teilnehmer:innen der Studie waren die Folgen, dass die Angstsymptome zurückgingen.
Sport lindert die Symptome bei Angststörungen
Apropos Angst. Auch hier legen die neurowissenschaftlichen Studien nahe, dass Sport die Symptome bei Angststörungen lindern kann. Ein Beispiel: In einer Studie (Öffnet in neuem Fenster) machen 31 Menschen mit Angstsymptomen mit.
Ihr Trainingsplan:
zwei Wochen lang
dreimal die Woche
20 Minuten aufs Laufband.
Beim Training sollten sie sich auf ihre körperlichen Empfindungen konzentrieren. Das Ergebnis: Nach den zwei Wochen waren die Angstsymptome der meisten Teilnehmer:innen signifikant gesunken.
Ein anderes Beispiel: Bei dieser Studie machten 30 inaktive Frauen mit generalisierter Angststörung mit, die nicht in einer Therapie außer medikamentöser Behandlung waren. Die Teilnehmerinnen wurden in drei Gruppen eingeteilt: Krafttraining, aerobe Trainingseinheiten und eine Kontrollgruppe. Das Krafttraining beinhaltete zwei wöchentliche Sitzungen für den Unterkörper, während das aerobe Training zwei wöchentliche Sitzungen auf einem Ergometer beinhaltete. Die Studie dauerte sechs Wochen, und die Forscher:innen maßen verschiedene Symptome wie Angst, Depression und Muskelverspannungen während der Behandlung.
Die Ergebnisse: Beide Trainingsmethoden führten zu signifikanten Verbesserungen bei Angst und damit verbundenen Symptomen, wobei das Krafttraining stärkere Effekte bei Symptomen wie Angstspannung und Reizbarkeit zeigte.
Sport bei Depressionen – ein Gamechanger?
Kommen wir zur Königsdisziplin. Wie so oft zeigen gerade Meta-Analysen, in welche Richtung Forschung deutet. Bei Meta-Analysen führen die Wissenschaftler:innen nicht selbst ein Experiment durch, sondern untersuchen die besten Experimente, die zu einer bestimmten Frage gemacht wurden, um allgemeine Aussagen treffen zu können.
Die Frage ist nun: Lindert Sport die Symptome bei Depressionen? Und die Antwort laut einer neueren Meta-Analyse (Öffnet in neuem Fenster) lautet: ziemlich sicher. Nach systematischer Auswertung von 41 Studien mit insgesamt mehr als 2.000 Teilnehmer:innen bescheinigten die Autoren Sport einen mittleren bis starken Effekt auf depressive Symptome. Und jetzt kommts: Die Wirkung von Sport- und Bewegungstherapien ist den Autor:innen zufolge vergleichbar mit der von Medikamenten oder Psychotherapie.
Eine andere Meta-Analyse (Öffnet in neuem Fenster) stellt sogar in Aussicht, dass körperliche Aktivität bis zu 1,5-mal effektiver als Medikamente oder Psychotherapie sein kann.
Das ist auch deshalb wichtig, weil diese Erkenntnisse in der Bekämpfung von Depressionen noch nicht wirklich angekommen sind. Einerseits, weil der Satz „Macht doch mal ein bisschen Sport“ lange eher die Symptome herunterspielen als wirklich hilfreich sein sollte. Andererseits, weil die offiziellen Leitlinien (Öffnet in neuem Fenster) Sport zwar als unterstützende Maßnahme empfehlen, aber nicht als vollwertige, evidenzbasierte Behandlung anerkennen.
Warum hilft Sport?
Abschließend geklärt ist das nicht. Aber es gibt einige Thesen. Eine davon hat, mal wieder, mit Neuroplastizität zu tun. Die Idee: Bei Depressionen und Angststörungen sei diese eingeschränkt. Das Gehirn ist weniger anpassbar. Das könnte mitunter an einem Mangel des neurotrophen Wachstumsfaktors BDNF liegen. BDNF ist ein Protein, das dabei hilft, dass sich Nervenzellen untereinander vernetzen und umstrukturieren. Es sorgt also dafür, dass wir besser lernen können.
Wer mehr Sport treibt, bildet auch mehr BDNF und kann so leichter Neues lernen. Das wiederum kann es Angstpatient:innen erleichtern, Alltägliches nicht mehr als Bedrohung wahrzunehmen.
Bei Patient:innen mit Depressionen wiederum soll der Hippocampus kleiner sein als bei Menschen ohne Symptomen. Sport lässt Nervenzellen im Hippocampus wachsen, sodass die Symptome gemildert werden können.
So schaffst du es, regelmäßig Sport zu treiben
Spätestens jetzt weißt du, warum ich in der letzten Ausgabe Sport als Superpille bezeichnet habe. Das Problem ist: Laut einer britischen Studien (Öffnet in neuem Fenster), die die Daten von fast 100.000 Menschen ausgewertet hat, bewegen sich Menschen mit psychischen Störungen im Schnitt weniger als alle anderen Gruppen. Selbst Krebserkrankte und Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen bewegen sich öfter.
Es gibt aber Methoden, die dabei helfen können. Die keine persönliche Anekdote eines mittelerfolgreichen Newsletter-Autoren sind (hehe). Folgende sechs Ansätze sind gut belegt. Ich fange mit der Methode an, die mir persönlich am meisten geholfen hat.
Um weiterlesen zu können, musst du ein echtes Brain werden. Echte Brains ermöglichen diesen Newsletter und haben Zugriff auf das komplette Archiv.
Echtes Brain werden! (Öffnet in neuem Fenster)
Bereits Mitglied? Anmelden (Öffnet in neuem Fenster)