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Liebe Leserin, lieber Leser,

über Wissen und Unwissen wird in diesen Tagen viel diskutiert. Während sich einige Zeitgenossen der rationalen Überprüfung von Aussagen vollständig versperren, entdecken andere ahistorische Vorstellungen von Wissenschaft einen etwas verstaubten Positivismus wieder. Eine Position, die sowohl die menschliche Fähigkeit zur Erkenntnis von „Maß, Zahl und Gewicht“ (Weish 11,20) der Welt betont als auch ihre grundsätzliche Beschränkung, Prekarität und Täuschungsanfälligkeit anerkennt, findet freilich nur selten Gehör. Neben einem angemesseneren Verständnis der menschlichen Natur könnte uns diese Position aber ein angemesseneres Verständnis der politischen Gestaltungsmacht des Menschen und der damit verbundenen Festigkeit menschlicher Ordnungen vermitteln.

Bereits im Buch Numeri (Num 22,21-35) begegnen wir einer wissend-unwissenden Eselin, dem Reittier des Propheten Bileam. Gewöhnlich als tierethische Erörterung interpretiert, offenbart die dort geschilderte Begebenheit Entscheidendes über Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Wissens. Da die Israeliten zu mächtig geworden seien, fordert Balak, der König von Moab, Bileam auf, diese zu verfluchen. Der Seher weigert sich zunächst unter Berufung auf Gott, dem Befehl Folge zu leisten, macht sich aber nach einer weiteren Traumvision auf seiner Eselin dennoch zu den Israeliten auf. Seine Reise wird aber durch verschiedene Erscheinungen jäh unterbrochen: Dreimal stellt sich ein von Gott gesandter, aber nur für die Eselin sichtbarer Engel den Reitern in den Weg. Während die Eselin immer wieder versucht, dem Engel auszuweichen, wird sie von Bileam beständig angetrieben oder gar geschlagen - bis sie den Dienst vollständig verweigert, unter dem Propheten zusammensinkt und zu sprechen beginnt:

„Was habe ich getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst?“ (Num 22,28)

Trotz dieser wundersamen Tierrede will Bileam kein Verständnis zeigen. Er droht der Eselin gar, sie mit dem Schwert zu töten. Erst die auf Geheiß Gottes eintretende Sichtbarkeit und mahnende Ansprache des Engels lässt den Propheten selbst auf die Knie gehen:

„Warum hast du deine Eselin dreimal geschlagen? Siehe, ich bin dir als Widersacher in den Weg getreten, weil der Weg in meinen Augen abschüssig ist. Die Eselin hat mich gesehen und ist mir schon dreimal ausgewichen. Wäre sie mir nicht ausgewichen, dann hätte ich dich jetzt schon umgebracht, sie aber am Leben gelassen.“ (Num 22,32-33)

Bileam bleibt nur übrig, sein Unwissen einzugestehen und Abbitte zu leisten:

„Ich habe gesündigt, weil ich nicht erkannt habe, dass du dich mir in den Weg gestellt hast. Jetzt aber will ich umkehren, wenn mein Weg in deinen Augen böse ist.“ (Num 22,34)

Im Gegensatz zum Menschen, der seinen falschen, die Verfluchung dem Segen vorziehenden Weg wider besseres Wissen fortsetzen will, kann das vermeintlich unwissende Tier die unsichtbaren Zeichen lesen, die drohende Gefahr erkennen. Eine Aufmerksamkeit, die die natürlichen Verhältnisse umkehrt und das im griechischen Sinne als „Idiot“ gekennzeichnete Tier in den Rang der Gotteskindschaft erhebt.

II.

Auch die heutige Palmsonntagslesung (Mk 11,1-10) konfrontiert uns mit einer folgenreichen Umkehrung, in deren Mittelpunkt traditionellerweise ein Esel steht. Auf Anregung Jesu wird dieser von den Jüngern in einem in der Nähe von Jerusalem gelegenen Dorf entwendet:

„[…] gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht es; er lässt es bald wieder zurückbringen.“ (Mk 11, 2-3)

Nicht ein herrschaftliches und im Transport von Menschen geschultes Pferd, sondern ein wenig königlicher und dazu äußerst unerfahrener Hausesel soll Jesus in die Stadt, zum Tempel - dem Allerheiligsten des Judentums – tragen. Obwohl der Weg dieses ungewöhnlichen Gespanns mit „Kleider[n]“ (Mk 11,8) sowie „Büschel[n], die von den Feldern abgerissen“ (Mk 11,8) wurden, gepolstert und mit Hosanna-Rufen begleitet wird, haftet dieser Szene etwas zutiefst Komisches an. So soll sie das aufbrechende „Reich unseres Vaters David“ (Mk 11,10) verkünden, stellt aber gleichzeitig die völlige Andersheit dieses an einen Narren erinnernden Königs und seines kommenden Königreiches heraus. Dieses kann weder mit dem Prunk noch mit der militärischen Stärke weltlicher Reiche aufwarten; ist vielmehr ein schwaches Reich, das sich in der Gestalt des Esels bescheiden gibt. Nur diejenigen, die selbst schwach sind und sich in Demut üben können es erringen. Wenn wir Jesu Schicksal schließlich vom Kreuzestod her lesen, besitzt der Einzug gar eine tragische Dimension: Erst in der völligen Negation aller Herrlichkeit kann sich die Herrlichkeit tatsächlich einstellen; nur der eselige, in der Passion durch Pontius Pilatus verhöhnte „König der Juden“ (Mk 15,2) kann wirklich König werden.

III.

Die Figur des Esels gewann vor allem unter den Humanisten der frühen Neuzeit an Prominenz. Während allerdings der biblische Esel vornehmlich als Bild eines anderen Wissens, einer anderen Herrschaft diente, setzten ihn diese vornehmlich als Instrument einer satirischen Kritik überzogener Wissensansprüche oder einer häufig als eitel empfundenen Welt ein. Ein besonders imposantes Beispiel dieser Eselskunde bietet uns der Straßburger Jurist und Gelehrte Sebastian Brant (1457/58-1521) in seinem Narrenschiff (1494) (Sebastian Brant: Das Narrenschiff, Tübingen 1986), das in Kapitel 46 die Anfälligkeit menschlicher Herrschaft für Korruption und Hybris verhandelt. So habe die „Narrheyt“ ein „groß gezelt“ aufgestellt, in dem sich alles, „was gwalt hatt / und vil gelt“ (S. 111) versammeln würde. Im Gegensatz zum Idealbild des von Brant im Rekurs auf Salomon beschworenen, mit „wißheyt“ (S. 112) gesegneten guten Herrschers steht für ihn die Regierung des Narren. Nach „eygen nutz“ (S. 113) strebend, würden diese „gaben / schenck / und myet“ (S. 113) annehmen, begäben sich damit aber endgültig in die Herrschaft der Narrheit: „Wer gaben nymbt / der ist nit fry“ (S. 113).

Einzig eine reflexive Rückbindung an das unvergänglich Gute, das sich nicht in vergänglichem Reichtum erschöpft; einzig eine wahrhaft humanistische Verfeinerung des Geistes, die sich nicht in unfruchtbarer Neugierde erschöpft, könne hier Abhilfe, einen Ausweg aus dem Narrentum, schaffen.

Hier treffen sich wiederum biblischer und humanistischer Anspruch: Menschliches Wissen und gelingende Ordnung kann nur auf Basis einer genauen Vermessung menschlicher Unvollkommenheit, des Unwissens oder gar Nicht-Wissens gedeihen. Der Esel stellt uns diese Erkenntnis als beliebtes Tier der Geistesgeschichte immer wieder vor Augen.

Da bisher noch keiner der bereits angefragten Gastbeiträge eingetroffen ist, muss im Sinne dieser Ethik des Verzichts Sektion IV auch in dieser Woche entfallen. Ein besonderes Dankeschön gilt allerdings wieder denjenigen Mitgliedern, die curasui finanziell mit einem Scherflein, einer Gabe oder einem Geschenk unterstützen sowie allen Leserinnen und Lesern!

Herzlichst


Louis Berger

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