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LSD als Heilmittel?

Triggerwarnung: In diesem Text geht es um Drogen, psychische Krankheiten und Therapie. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Wenn du davon betroffen bist, sei bitte achtsam oder überspringe diesen Text. Im Folgenden wird eine alternative Therapieform vorgestellt, die noch untersucht wird und in Deutschland noch nicht legal zugelassen ist. Mit diesem Text sollen Drogen wie LSD weder verherrlicht, noch verharmlost werden. Bitte wende dich bei psychischen Problemen an Ärzt:innen und Therapeut:innen.

Depressionen, Suchtprobleme und Traumata sind für viele Menschen ein Thema. Sie machen Therapien, nehmen täglich Medikamente ein, tun quasi alles, um die Auswirkungen der Krankheit hinter sich zu lassen und ihrem Leben wieder mehr Qualität zu geben.  Das sind gängige und wirksame Methoden – doch manchmal hilft auch die beste Therapie nicht: Die Leere bleibt, man verfällt in alte Muster oder leidet unter schlaflosen Nächten. Doch was kann man tun, um Menschen, die unter Therapieresistenz leiden, zu helfen? Ärzt:innen und Forscher:innen haben auf diese Frage eine für den:die Durchschnittsbürger:in eher ungewöhnliche Antwort: Lysergsäurediethylamid, auch bekannt als LSD.

Steckbrief LSD

  • voller Name: Lysergsäurediethylamid

  • entdeckt 1938 von Albert Hofmann

  • gehört zur Gruppe der psychedelischen Drogen

  • Einnahme oft über „Pappen”

  • Wirkungsdauer: 10-12 Stunden

  • löst Halluzinationen aus, verändert die Wahrnehmung

Die Substanz wurde im Jahr 1938 vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann im Rahmen einer Forschung zum Mutterkorn entdeckt. Das ist ein für Menschen gefährlicher Pilz, der Getreide befällt. Die im Mutterkorn vorkommende Lysergsäure sollte ursprünglich als Kreislaufstabilisator dienen, zeigte jedoch bei Versuchen mit Tieren keine besondere Wirkung. So geriet die Substanz vorerst in Vergessenheit. Fünf Jahre später synthetisierte Hofmann erneut LSD und nahm dabei unbemerkt eine geringe Dosis der Substanz zu sich. Der Chemiker berichtete von einem Schwindelgefühl und verspürte einen „nicht unangenehmen rauschartigen Zustand“. Er schloss daraus, dass diese Effekte vom LSD kamen und startete drei Tage später einen bewussten Selbstversuch. Hofmann nimmt 250µg ein – eine, wie man heute weiß, extrem hohe Dosis. Nachdem er wieder ein rauschartiges Schwindelgefühl verspürt, beschließt er, mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, um einen Arzt zu rufen. Hofmann kann kaum sprechen, sieht die Welt wie durch einen verkrümmten Spiegel und hat das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Zuhause klagt er über motorische Unruhe, Gesichter, die wie farbige Fratzen aussehen und eine trockene Kehle. Er kann sich selbst von außen beobachten, wie er „wahnsinnig schrie oder unklares Zeug schwatzte“.

Geschichte des LSD

Doch wieso findet eine Substanz, die eine solche Wirkung hat, Verwendung in der Psychotherapie? Seit dem ersten LSD-Trip von Albert Hofmann ist natürlich einiges passiert: Die Droge wurde weltweit zur Forschung freigegeben und intensiv untersucht. Bis 1970 gab es beinahe 10.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen und viele große Studien. Man fand heraus, dass die Droge durch Wirkungen wie erhöhte Selbstbeobachtung, Affektivität, veränderte Mentalität und Sensorik den psychotherapeutischen Heilungsprozess beschleunigt und vertieft. Auch die Jugendbewegung der 60er-Jahre bekam Wind von dieser neuen halluzinogenen Substanz und entdeckte sie für sich – LSD wurde massenweise konsumiert. Das gefiel den Regierungen nicht. In den Sensationsmedien wurde LSD als „Selbstmorddroge“ dargestellt und Horrorstorys verbreitet. Im Jahr 1966 wurde LSD illegal, Besitz und Konsum wurde strafbar.

Ein beliebtes Motiv für die “Pappen”: Albert Hofmann während seines ersten LSD-Trips auf dem Fahrrad.

Therapie im Untergrund

Das heißt allerdings nicht, dass es nicht weiterhin Psychotherapie mit LSD gab. Viele Ärzt:innen und Therapeut:innen haben im Untergrund weitergearbeitet. Auch heute gibt es noch viele Menschen, die das tun. Einer von ihnen ist Georg S. Er heißt eigentlich anders, möchte aber gerne anonym bleiben. Viele Menschen, die wie er diese illegalen Seminare anbieten und damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben Ärger mit der Polizei bekommen, mussten ihre Tätigkeit aufgeben oder wurden sogar bestraft.

In einem Interview erzählt S., dass er bereits seit 30 Jahren in dem Feld arbeitet. Zweimal im Jahr führt er psycholytische Therapieseminare für Menschen mit psychischen Problemen durch. Psycholyse, das bedeutet Therapie mit bewusstseinserweiternden Substanzen. „Im Prinzip ist jede Person dafür geeignet. Meistens findest du aber eher Leute, die schon jahrelange Analyse- oder Gesprächstherapien gemacht haben und aus irgendeinem Grund nicht weiterkommen“, so S. Das Seminar sei für die Teilnehmer:innen oft ein Türöffner. Es gebe allerdings auch Ausschlusskriterien: Beispielsweise schwangere Frauen, Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen oder Leberschäden, Psychotiker:innen oder solche, die Psychopharmaka nehmen, dürfen die Seminare nicht besuchen. S. macht für seine Therapie keine Werbung, sondern wird von Teilnehmer:innen über Mundpropaganda weiterempfohlen. Über das, was während des Seminars passiert, herrscht strenge Schweigepflicht. Mit Interessierten gibt es ein Vorgespräch, bei dem wichtige Fragen wie Vorerkrankungen, das soziale Umfeld oder der Teilnahmegrund, also vielleicht ein psychisches Problem oder Trauma, geklärt werden.

Wie S. erzählt, beginnt das Seminar freitags: In einer Sharing-Runde darf jede:r erzählen, warum er oder sie mitmacht. Außerdem werden Wahrnehmungsübungen gemacht, bei denen versucht wird, das Gegenüber zu spüren, unabhängig von dem, was man sieht. Am Samstag geht es dann früh los: Den ganzen Tag über bleiben die Teilnehmer:innen in einem vorbereiteten Raum. Jede:r hat eine eigene Matratze, sodass jede:r für sich bleiben kann. Nach einem „Abschiedsritual“ beginnen die Teilnehmer:innen ihre „Reise“. Jede:r startet mit 125mg MDMA, welches nach 45 bis 60 Minuten beginnt, zu wirken. MDMA ist ein Amphetamin und geht laut S. über den Magen in das Blut und ins Gehirn. Die Substanz löse in den Teilnehmer:innen ein warmes, liebevolles Gefühl aus und „öffnet die Herzebene“. S. beobachtet den Raum ganz genau. Wer spürt gerade was? Braucht jemand Unterstützung? Manchmal werden er und seine Assistent:innen gerufen, zum Umarmen, Hand halten, da sein. Es wird Musik gespielt, die emotional ist, pusht oder Tempo rausnimmt und entspannt, zum Beispiel von Tracy Chapman oder Damien Rice. Viele bringen Bücher mit, in die sie schreiben können, oder Bilder von Menschen, die ihnen wichtig sind.

Nach drei Stunden kommt die erste Pause. Dann ist auch die stärkste Wirkung vorbei. Es gibt die Möglichkeit, sich in einer Gesprächsrunde untereinander auszutauschen. Dann kommt das LSD. Hier gibt es keine feste Dosis, sondern es wird von 100 bis 300µg individuell nach Größe und Konstitution der Teilnehmer:innen geschaut. Raucher:innen, Alkoholiker:innen oder Cannabiskonsument:innen bekommen laut S. meist eine höhere Dosis, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Auch beim LSD braucht es eine Stunde, bis die Wirkung einsetzt – diese hält allerdings bis zu 12 Stunden an. Es wird Musik gespielt, die Leute sind für sich. S. vergleicht die Wirkung der Droge in der Therapie mit einer Blumenzwiebel in der Erde: „Im Frühling will sie aufblühen. Da liegt aber jetzt ein riesiger, schwerer Stein drauf. Mit der Substanz kannst du den Stein wegziehen und die Zwiebel darf aufblühen.“ Im Gehirn werden durch das LSD die Synapsen verknüpft, das Gehirn ist ganz anders vernetzt. Man nimmt Dinge anders wahr – Farben sind bunter, man sieht kaleidoskopartige Formen und Mandalas, Gesichter verzerren sich.

Nach etwa drei Stunden, wenn die Hauptwelle vorbei ist, gibt es wieder die Möglichkeit, Kontakt untereinander aufzunehmen. Doch nicht alle wollen das. Bei einigen Teilnehmer:innen kommen die Sachen hoch, weswegen sie das Seminar machen. Sie sehen und spüren Dinge, die nicht immer angenehm und leicht sind. Zu „Horrortrips“ kommt es deswegen allerdings nicht: „Durch diese Substanzen kommt eigentlich nur etwas, was in dir ist, hoch. Nach meiner Erfahrung kommt auch nicht mehr, als du verkraften kannst. Das ist das Tolle dabei, dass es immer in solchen Portionen kommt, wie du es verkraften kannst und dass nichts kommt, was nicht auch in dir ist“, erklärt S.

Die Teilnehmer:innen denken über ihre Konditionierungen in der Gesellschaft nach und stellen sich Fragen wie „Lebe ich da wirklich, was ich leben möchte, oder lebe ich das nur, weil man das in unserer Gesellschaft so macht?“. Diese Selbstfindung und -akzeptanz findet allerdings nicht innerhalb eines Seminars statt. Die meisten Personen kommen jahrelang, bis sie der Meinung sind, sie können alleine weitergehen und brauchen die Therapie nicht mehr.

Der Tag endet für die Teilnehmer:innen gegen elf Uhr abends, wenn die Wirkung langsam nachlässt. Dann gibt es ein gemeinsames Abendessen, außerdem wird Musik gespielt, die wieder in den Alltag hineinführen soll. Denn das ist das Wichtige an dem Seminar: Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die an dem Wochenende gewonnen wurden, auch mit in den Alltag zu integrieren.

Was passiert in Zukunft?

S. findet es schade, dass die therapeutische Arbeit mit bewusstseinserweiternden Substanzen verboten ist. Doch es gibt Lichtblicke. In den vergangenen Jahren haben Forscher:innen weltweit versucht, an die Studien aus den 60er-Jahren anzuknüpfen. Und auch diese Studien zeigen, dass die alternativen Medikamente wirken – bei Menschen mit Depressionen, Psychosen, Neurosen, posttraumatischen Belastungsstörungen. Das heißt also, dass in den nächsten Jahren Substanzen wie LSD legalisiert werden könnten – natürlich nur für den therapeutischen Gebrauch. S. sieht das genau wie der Erfinder der Droge, Albert Hofmann, als „einen Segen für die Menschheit“.

von Johanna Flint