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Super intelligent und sozial inkompetent

Ein Autist stellt klar, warum sich die Darstellung von Autismus ändern muss.

Die Hauptfigur aus dem Hollywood-Drama Rain Man ist wohl das bekannteste Beispiel für die Darstellung von Menschen mit Autismus in den Medien. Ein Mann, der komplizierte Rechenaufgaben in kürzester Zeit löst, aber bei alltäglichen Fragestellungen permanent auf Hilfe angewiesen ist. Das ist ein Bild, das auf kaum eine:n Autist:in zutrifft. Trotzdem assoziiert ein Großteil von uns Autismus automatisch mit einem ähnlichen Klischee.

„Das ist einfach nicht die Regel”, erzählt Tom Zinram, der selbst das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus hat. „Jeder Autist ist unterschiedlich.” Aus diesem Grund kann Autismus nicht generalisiert werden. Tom selbst studiert Journalismus, fährt leidenschaftlich gerne Fahrrad und lebt in einer 5er-WG. Ein solches Leben mit Autismus ist in den Medien kaum vertreten. Die wenigen Male, die das Thema behandelt wird, zeigen fast ausschließlich hochintelligente Supergenies, die jedoch an ihrem Alltag scheitern. „Das führt dazu, dass sich Vorurteile in den Köpfen der Menschen bilden”, erzählt der 22-Jährige.

Eines dieser Vorurteile ist die Inselbegabung. In fast jedem fiktionalen Beitrag, der sich mit Autismus beschäftigt, hat der:die Protagonist:in ein außergewöhnliches Talent. Rain Man ist da nur ein Beispiel von vielen. Auch aktuellere Formate, wie The good doctor oder die ZDF-Serie Ella Schön, zeigen Autismus nur in direktem Zusammenhang mit einer Begabung für ein bestimmtes Fachgebiet. Das trifft allerdings nur auf einen kleinen Teil der autistischen Menschen wirklich zu. „Die meisten Autisten fallen komplett durch dieses Raster durch”, erklärt Tom. „Wir brauchen einen Mittelweg zwischen Begabungen, Schwächen und Stärken, aber vor allem den Blick auf die individuellen Bedürfnisse verschiedener Autisten.”

Filme wie Rain Man haben das Bild von Autist:innen in der Gesellschaft stark beeinflusst. „Ich frage mich dann immer: Wenn ich jetzt nicht betroffen wäre, was würde ich aus diesem Film mitnehmen?”, berichtet Tom. „Viele Menschen haben dadurch den Eindruck, dass Autisten Fachidioten sind. Oder wir werden belächelt und dienen nur der Belustigung der Zuschauer.” Deshalb ist Tom davon überzeugt, dass Medien ihre bisherige Herangehensweise an die Thematik überdenken müssen. „Man muss Autisten in Situationen mit ihren Familien zeigen, in ihrem Studium oder ihrem Volontariat. Man muss die Zuschauer an die Hand nehmen und zeigen, dass diese Person trotz Autismus auch Ziele hat.” Mit diesem Ansatz würden Autist:innen nicht mehr auf ihre Entwicklungsstörung reduziert werden.

Auch für Tom bringt der Autismus natürlich einige Hürden mit sich: „Ich bin mir meiner Einschränkungen bewusst”, erzählt er. Neue Kontakte knüpfen oder Gesichtsausdrücke interpretieren war für ihn lange Zeit sehr schwierig. Doch durch eine zehnjährige Therapie hat er gelernt, damit umzugehen. „Mir ist einfach wichtig, dass gezeigt wird, dass auch Autisten sich weiterentwickeln können”, erklärt Tom. Auch heute noch fällt es ihm schwer, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen oder Blickkontakt zu halten. 

„Ich für meinen Teil würde gerne nicht nur als Autist gesehen werden, sondern als Mensch mit Schwächen und Stärken, genau wie jeder andere.”

Diese fehlende Repräsentation macht für Tom einen großen Unterschied. Denn wenn Autist:innen sich repräsentiert fühlen, hat das nicht nur einen positiven Einfluss auf sie, sondern auch auf ihr soziales Umfeld. „Das würde Betroffenen Mut machen.”, da ist Tom sich sicher.

Autismus ist eine Entwicklungsstörung. Betroffene haben häufig Probleme im Aufbauen sozialer Kontakte und Auffälligkeiten in der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation.

Wichtig: Autismus ist ein Spektrum, kein:e Betroffene:r ist auf die gleich Art und Weise betroffen.

von Annika Schiemann