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Zwischen den Sternen

Überall diskutiert, hoch emotional und selten differenziert betrachtet - Die Gender-Debatte

Wenn es eine Thematik gibt, welche selbst in der Nachrichtenflut des Coronavirus die Menschen bundesweit dazu gebracht hat, sich die 280 Zeichen bei Twitter um die Ohren zu werfen, dann war es die Debatte um inklusive und gendergerechte Sprache.

Egal ob Binnen-I, Schrägstrich oder Sternchen, das Einbinden aller Menschen in das mächtige Instrument Sprache ist von großer Notwendigkeit. Viele namhafte wissenschaftliche Belege beweisen, dass gendergerechte Sprache die Sichtbarkeit von z.B. Frauen erhöht, Menschen frequenter und intensiver über Geschlechterrollen nachdenken und auch die Berufswelt durch Stellenangebote, versehen mit m/w/divers, nachweislich progressiver eingestellt ist. Wieso lehnen dann, laut einer Studie von Infratest dimap und der WELT, 65 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung die Gendersprache ab? Eine pauschale Erklärung gibt es nicht, aber es ist evident, dass sich die Fronten zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen im Diskurs schon lange verhärtet haben und oft jedwede Rationalität im Streit verloren geht.

Mehr Zeit für Wandel

Sprache ist eine humanistische Errungenschaft und stetig im Wandel. Sie war es immer und wird es weiterhin sein. In der deutschen Sprachgeschichte sind es viele einzelne Abschnitte, vom Althochdeutsch bis hin zum Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch, welche sich über Jahrhunderte transformierten und anglichen. Seit nun wenigen Jahren wird, wohlgemerkt zurecht, über mehr Inklusion durch Sprache debattiert. Was dabei häufig nicht verstanden wird ist, dass dies genauso einen langwierigen Wandel benötigt, um gesamtgesellschaftliche Anerkennung zu finden. Der Eingriff in den Sprachgebrauch ist immens. Nun beispielhaft von der 75-jährigen Oma Gisela zu verlangen, die inklusive Sprache innerhalb kürzester Zeit zu beherrschen, ist grotesk und exkludiert jenen Teil der Bevölkerung, welcher mehr Zeit braucht, um diese Veränderung zu internalisieren oder sie per se nicht annehmen möchte.

Eine emotional aufgeladene Debatte hilft da wenig. Oma Gisela ist, auch wenn sie nicht gendert, kein schlechter Mensch. Es wird ein generations-übergreifender Prozess sein, diese Veränderung an den Menschen zu bringen. Man muss sicherstellen, dass alle Teile der Bevölkerung sichtbar sind, auch jene, die diese Veränderung ablehnen.

Es benötigt Ruhe, Zeit und Aufklärung. Im Deutschunterricht könnte man schon früh über inklusive Sprache lehren, ohne das Nichteinhalten der gendergerechten Sprache zu sanktionieren - dies gilt vor allem für Schüler:innen mit Leistungsdefiziten und Lernproblemen. Eine 100 prozentige Zustimmung zu dieser Thematik bleibt weiterhin eine reine Utopie. Dennoch ist die derzeit stattfindende Debatte notwendig und trägt nach und nach zur Gleichberechtigung aller Geschlechter bei. Wie immer liegt die Krux nur in der Art und Weise, wie diese Diskussionen geführt werden. Also bleibt die einzige Frage, ob verbale Brechstangen den Prozess beschleunigen oder dazu führen, dass die eigene Eitelkeit die Ratio besiegt? Es liegt an uns allen, diese einfache Entscheidung zu treffen.

von Gianluca Siska