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And it turns, turns, turns...

...the Wheel of Fortune...

In Cosmic Wheel Sisterhood werden Tarotkarten zur Wahrsagung genutzt. Die Grundidee des Spiel habe ich schon in den Episoden 125 (Öffnet in neuem Fenster)und 128 (Öffnet in neuem Fenster)von Lost Levels besprochen. Verbunden mit der kühnen Aussage, dass das Spiel einen ähnlichen Einfluss auf mich hatte wie Siddhartha von Hermann Hesse.

Die Geschichte ist schnell erklärt: Fortuna ist ein Orakel und hat den Untergang ihres Zirkels vorhergesagt. Zur Strafe muss sie 1000 Jahre ohne ihre Tarotkarten auf einem einsamen Asteroiden leben. Sie beschwört ein verbotenes Wesen und beginnt ihre eigenen Karten zu basteln und damit die Zukunft vorherzusagen.

Screenshot: ein Alien-artiges Wesen, daneben eine Tarotkarte "Das kosmische Rad"

(The Cosmic Wheel Sisterhood)

Mir erschlossen sich die Interpretationen der gezogenen Karten selten. Was ok ist. Die Herausforderung bei einem Spiel über Tarot ist schließlich, etwas sehr subjektives nachvollziehbar zu vermitteln. Wenn dann auch noch der Zufall und die schiere Masse an möglichen Kombinationen, die ein Textadventure mit sich bringt, zur Gleichung hinzukommen, muss eben an der Akkuratesse der möglichen Ergebnisse gespart werden.

Der Zufall ist in diesem Fall von mir als Spielerin abhängig, wenn ich Karten gestalte. Welchen Hintergrund verbinde ich mit welcher Arkana und welche Kombination an Fähigkeiten hat dann meine Karte? Mich würde interessieren, wie das Spiel seine eigene Geschichte lenkt, während es mir maximale Freiheit, Zufall und Schicksal vorgaukelt?

Screenshot: Fortuna in lila Gewand, daneben drei Tarotkarten mit okkulten Symbolen

(The Cosmic Wheel Sisterhood)

Gleichzeitig führt der Plottwist des Spiels zu einem interessanten Paradoxon.

SPOILER: Fortuna sagt nicht die Zukunft voraus, sondern schreibt sie. Was sie in den Karten liest, wird zur Realität.

Die Karten werden zufällig gestaltet, gezogen, und interpretiert. Gleichzeitig bestimmen sie den Ausgang des Spiels: der Untergang des Zirkels, wie es Fortuna vorhersagte. Während ich größtmöglichen Handlungsspielraum habe in den Vorhersagungen, die ich treffe, den Antworten, die ich in Dialogen geben und den Karten, die ich erschaffe, bleibt die Vorhersagung, die zum Auslöser der Asteroiden-Situation wurde, bestehen. Ich schreibe die Zukunft, die schon geschrieben steht.

How to Tarot

In der analogen Welt wird Tarot von Scharlatanen genutzt, um kommerzialisierten Hokuspokus zu betreiben. Astro TV und dergleichen. Was ich hingegen sehr begrüße, sind Tarotkarten als Werkzeug zur Selbstreflexion. Das funktioniert ganz leicht:

  • Schritt 1: Spread aussuchen

  • Schritt 2: Karten bereitlegen, mischen, ziehen

  • Schritt 3: Beschreibung durchlesen und auf sich selbst beziehen

Ein Spread kann aus einer oder mehreren Fragen bestehen. Grundsätzlich das, womit man sich gerade beschäftigen möchte. Im Internet gibt es mehr oder weniger schön designte Templates, aber die grundsätzliche Devise bei Tarot lautet: whatever suits you.

Der erste Gedanke beim Aufdecken der ersten Karte ist der Ausgangspunkt: Passt es oder nicht? Welche Aspekte der Beschreibung findet man bei sich selbst wieder, wieso, welche nicht? Auf welchen Teil der Beschreibung fokussiert man sich gerade und wieso? Wieso passt eine Karte überhaupt nicht? Jede Antwort ist legitim und wenn die einzige Antwort "Nein" ist, hat man auch schon was gelernt.

Eine Collage, eine Frau in schwarz weiß, bunte Kelche und ein blauer See

(Aus: Our Tarot, Sarah Shipman)

In der Regel liegt jedem Kartenset ein kleines Heft mit Beschreibungen der jeweiligen Karten bei. Natürlich kann man sich auch allein auf Basis der Illustrationen Bedeutungen überlegen. Ich zum Beispiel habe ein Tarot mit Märchen-artigen Figuren und eines mit historischen Frauen (Öffnet in neuem Fenster). Das wohl bekannteste Deck ist das Rider-Waite-Tarot. Die Illustrationen stammen von Pamela Coleman Smith:

https://edition.cnn.com/style/article/pamela-colman-smith-tarot-art-whitney/index.html (Öffnet in neuem Fenster)

Die 78 Karten sind in große und kleine Arkana unterteilt. Während die großen Arkana von "0 Der Narr" bis "21 Die Welt" eine Reise abbilden, sind die kleinen Arkana unterteilt in Schwerter, Kelche, Münzen und Stäbe. Jede der Farben (also Schwerter, Kelche, Münzen und Stäbe) hat eine grundsätzlich andere Bedeutung, wobei die Bedeutung der jeweiligen Karte natürlich davon abhängt, welche Zahl es ist. Die wiederum reichen, wie bei einem Rommee-Blatt, von 2 bis 10 plus Bube, Dame, König Ass.

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Bald ist wieder PLAY (Öffnet in neuem Fenster) und ich bin dabei! Ich habe das Festival jahrelang mitorganisiert, aber auch unabhängig davon empfehle ich es jederzeit. In der Speakers' Corner halte ich am Samstag einen kleinen Vortrag namens Beyond the Scary: Gothic Games. Hier ein Teaser:

Art Work von drei Spielen, je eine Figur von hinten wird gezeigt. Silent Hill 2, Bloodborne, Dishonored.

Die Aufteilung der Arkana sowie ihre Bedeutungen gehen wohl auf Jean-Baptiste Pitois zurück, der unter dem Namen Paul Christian 1870 "Historie de la Magie, du monde Surnaturel et de la fatalité a travers les Temps et les Peuples" (Öffnet in neuem Fenster) verfasste. Von Pyramiden, über Horoskope, Astrologie, Dämonen bis hin zum Orakel von Delphi erklärt er darin die ganze Welt der Magie.

Tarot vs. Teufel

In The Binding of Isaac dienen Tarotkarten weder der Vorhersage noch der Selbstreflexion. Der Zelda-like-Roguelite-top down-Shooter hat Karten als Items, die aufgesammelt und jederzeit einmalig genutzt werden können.

Aktiviert man beispielsweise "The Stars", wird man in den Itemraum teleportiert. Mit "Strength" erhält man passenderweise mehr Damage und ein weiteres Herz für die Dauer eines Raumes. "Death" wiederum fügt allen Gegnern im Raum Schaden zu.

Screenshot: Viel Chaos, Bosskampf und ein Schriftzug sagt Anarchist Cookbook

(The Binding of Isaac)

"The Chariot", der Wagen, symbolisiert im Tarot das Überwinden einer großen Herausforderung, Sieg, Willenskraft, Fokus, Kontrolle. In The Binding of Isaac bewirkt diese Karte, dass der Charakter für einige Sekunden unverwundbar wird, zwar keine Tränen mehr schießen, aber dafür bei Kontakt Gegner verletzen und schneller laufen kann. In den meisten Fällen hilft diese Karte in Notfallsituationen einen Raum zu überstehen. Es ist ein kurzer Moment der Konzentration, um schlussendlich siegreich aus der Konfrontation hervorzugehen.

Screenshot: Kampf gegen Satan

(The Binding of Isaac)

Die Verbindung von Tarot und Games ist deshalb so passend, weil das Alleinstellungsmerkmal des Mediums Spiel vorgespielte und performative Handlungsfähigkeit ist. Das Absurde ist, dass es beim Tarot unendlich viele Interpretationsmöglichkeiten gibt und jede Legung zu 100% von der gestellten Frage, der fragenden Person und dem Zufall abhängig ist. In Videospielen kann dieses Maß an Individualität aber nie erreicht werden. Denn ein Spiel ist letztendlich eine Ansammlung an Regeln und eine audiovisuelle Aufbereitung der Ergebnisse unserer Eingaben. Und genau diesen Widerspruch macht das Thema "Tarot" im Medium "Spiel" so deutlich. Toll!

Meme der Woche

Wie oft denkst du an das Römische Reich? Ich persönlich vielleicht fünf Mal im Jahr. Laut Tik Tok denken manche Männer drei Mal am Tag (!) an das Römische Reich und das war der Trend des Spätsommers. Ein für das Internet erstaunlich langer Zeitraum.

Die Implikationen sind, wie so oft, weitreichender als eine vermeintlich harmlose Frage wie diese vermuten lässt. Wie immer erlauben Memes und andere Internetphänomene einen tiefen Einblick in unsere Welt und deuten sachte daraufhin, dass es Gründe gibt, wieso Dinge so sind, wie sie sind, und wenig in unserer Gesellschaft natürlich ist. So ist auch die Faszination von Männern am Römischen Reich ein sorgfältig weitergereichtes Konstrukt und unter anderem die Folge einer Geschichtsvermittlung, die sich auf "große" Männer konzentriert.

https://www.teenvogue.com/story/tiktok-roman-empire-trend-shows-how-misogyny-informs-historical-record-op-ed (Öffnet in neuem Fenster)

In ihrem Artikel erklärt Casey Haughin-Scasny, welche Folgen diese Art der Geschichtsvermittlung hat und welchen Einfluss der Fokus auf "große" Männer nicht nur auf die Forschung der Antike, sondern auch auf unsere Gesellschaft hat:

In the fascination over emperors and their proclivities for conquest, we lose sight of the complex tapestry that influenced daily life in the Roman empire. Not only that, we often risk reaffirming the very active schools of thought within white supremacist circles that these Roman “white” men (Öffnet in neuem Fenster) were naturally positioned to conquer the known world due to their innate superiority. This might sound dramatic, but it’s not — there’s an entire country as proof. All we have to do is look to the very foundation of America, from its governance to its laws to its architecture and so many things in between, to see how ideas about ancient Rome’s success and values have been purposefully taken on, manipulated, and baked into power structures that continue to marginalize communities to this day.

Danke

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Wir sehen uns genau hier für die nächste Ausgabe wieder. Bleibt stabil <3

Christina

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