Zum Hauptinhalt springen

Verlieben, verloren, vergessen, verraten

Was haben U-Boote, Ödipus und Gewerkschaften gemein? Sie alle werden mindestens einmal hier erwähnt. Denn in dieser Ausgabe geht es um Streit und Streik. 

Verrat ist menschlich. Ich wünschte, es wäre anders. Die griechische Mythologie ist voll davon (Öffnet in neuem Fenster), jeder hat von Cäsar (Öffnet in neuem Fenster)oder Jesus (Öffnet in neuem Fenster)gehört und jedem 2. Thriller geht ein Verrat vorraus, der dann gerächt werden muss. Egal, wie er dargestellt wird, Verrat ist allgegenwärtig. 

Zum Glück spielte Verrat in meinem Leben bisher eine eher kleine Rolle. Das änderte sich schlagartig als ich Subterfuge entdeckte. Das ist ein Spiel, das ungefähr eine Woche lang stattfindet. Es ist ein Kampf um U-Boote und Außenposten mit und gegen Fremde. 

Eine Woche Stress

Essenzieller Teil ist dabei nicht nur das Sammeln von 200 Einheiten Neptunium, um den Sieg davon zu tragen, oder das Manövrieren der eigenen Einheiten, die mindestens sechs (Pi mal Daumen) reelle Stunden unterwegs sind. Viel wichtiger ist die Kommunikation mit den Kontrahenten über den In-Game-Chat. Hier werden feindliche Übernahmen koordiniert, eigens geschriebene Hintergrundgeschichten verbreitet oder Waffenstillstände ausgehandelt. 

Genau da liegt die Krux: Früher oder später kommt es zum Verrat. Früher oder später greift jemand jemanden an und die Hölle bricht los. Zumindest für mich, denn ich kann absolut nicht damit umgehen hintergangen zu werden oder zu verlieren. 

Ich lag hier kurz vorne, das Spiel habe ich aber nicht gewonnen.

Die Natur des Spiels verrät ja schon der Name. "Täuschung". And it got me thinking: Wie stehe ich persönlich zu Verrat? Die Antwort: Kommt drauf an. 

Klar, prinzipiell ist er zu verachten. Lug und Trug? Nicht mit mir!  ABER es gibt durchaus Momente dafür. Wenn man in Subterfuge bereit ist sein Gewissen gegen den Sieg einzutauschen. Oder um gute Ausrüstung früh zu bekommen.

In Bloodborne trifft man relativ früh auf Eileen, die Krähe. Sie ist den Spieler*innen freundlich gesinnt und man kann sie noch einige Male an anderen Orten treffen. Am Ende ihrer Questline stirbt sie. Wie alle. Wieso der Jagd nicht ein vorzeitiges Ende setzen und viele Stunden früher die beste Waffe des Spiels besitzen? 

https://www.youtube.com/watch?v=COXUaWHOOkM&ab_channel=VaatiVidya (Öffnet in neuem Fenster)

Diese zynische und opportunistische Seite entwickelte sich. Voller Vertrauen erfüllt Altair in Assassin's Creed die Aufträge des alten Mannes, nur damit er ihn am Ende doch verrät. Exakt dasselbe passierte in Resident Evil. Stundenlang kämpft man Seite an Seite ums Überleben. Am Ende verrät dann ein Foto, dass der Vorgesetzte seit Ewigkeiten auf der Payroll des bösen Konzerns steht und als Spitzel im Raccoon City Police Department arbeitet. 

Werbeblock: Kunstgeschichte und Atmosphäre in Resident Evil Village

Wem das bekannt vorkommt, hat vielleicht meinen Text in der GEE dazu gelesen. Dieser und auch mein anderer Text aus dem Magazin sind nun auf Superlevel. Für lau.

Wer also nachlesen möchte, was dieses Porträt mit Twilight zu tun hat, was wir von einem Teppich lernen können oder was Dior mit Resident Evil zu tun hat, der/die lese hier (Öffnet in neuem Fenster).

Den Text über Sounddesign in The Mortuary Assistant gibt es hier (Öffnet in neuem Fenster)

Besonders hart hat mich der Verrat in Mafia 2 getroffen. Um sich selbst und das Leben des besten Freundes zu retten, muss Vito Scaletta den eigenen Mafiaboss töten. Am Ende muss er dabei zusehen, wie der Auftraggeber die Regeln ändert und der Freund in sein Verderben fährt. Tragisch.

Fehlerhafte Helden und Spoiler

Tragödie ist leider oft elitär konnotiert. Wer Faust zitiert, wirkt erstmal realitätsfern, dabei ist die Tragödie so spannend. Sie soll Mitleid (gr. éleos) und Angst (gr. phóbos) hervorrufen, damit die Zuschauer*innen am Ende die Katharsis erfahren. Eine Art Läuterung, Gefühle fühlen und danach entlastet sein. 

Zur Misere kommt es in der Tragödie zwangsläufig, denn der tragische Held hat einen fundamentalen Fehler (die Hamartia), in der Regel Hochmut (Hybris). Das wird zu spät erkannt und die Katastrophe ist unausweichlich. 

Insofern ist bei einer Tragödie von vornherein klar, was passiert und auch wieso. Die Frage ist nur, wie hart versagt der Held? Wie viel erreicht er vorher, was er am Ende verliert? Die Differenz ist die Fallhöhe. Je höher er steigt, desto tiefer fällt er, desto tragischer sein Schicksal. 

Und das lässt sich auf so ziemlich jede Geschichte projizieren. Da muss richtig was auf dem Spiel stehen, da muss sich ganz grundlegend etwas ändern, damit es spannend ist. Als Paradebeispiele gelten nach wie vor die Werke von Homer und Sophokles. Ödipus zum Beispiel. 

Oedipus und die Sphinx (Gustave Moreau, 1864)

Die Geschichte des Ödipus beginnt damit, dass der Vater des Helden die Götter verärgert. Ebenso wie Hybris die schwerwiegendste Sünde ist, ist Gastfreundschaft die höchste Tugend. Indem er aber, manchen Quellen zufolge, den Sohn eines anderen Herrschers entführt, beweist der König einen ganz besonders eklatanten Mangel an Gastfreundschaft. Der Fluch, der ihm auferlegt wird, besagt, dass sein Sohn den Vater töten werde. 

Der daraufhin geborene Sohn, Ödipus, wird also ausgesetzt und soll getötet werden, seine Füße vorher durchstochen. Er wächst stattdessen als Sohn eines anderen Königs auf und verlässt seine neue Familie, als ihm das Orakel weissagt, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten. Das will er vermeiden. Und leider weiß er ja nicht, dass er adoptiert wurde.

Auf seiner Reise tötet er seinen leiblichen Vater, ohne es zu wissen. Er kehrt in seine Heimat Theben zurück, wo er die Sphinx tötet, die die Stadt in ihrem Bann hält. Als Belohnung heiratet er die Königin, seine Mutter. Beide glauben nicht an die Seher und Orakel, die ihnen genau das prophezeit haben. Als sie schließlich ihre Verwandschaft erkennen, erhängt sich die Mutter und Ödipus blendet sich. 

Denker, die nicht denken

Bemerkenswert an der Verbreitung dieser Geschichte ist zum einen, wie Sigmund Freud aus der Fiktion ein komplettes Modell basteln konnte: den Ödipuskonflikt. Hier kumuliert sich die ganze Breite der Unwissenheit der Jahrhundertwende. Bei Wikipedia heißt es (Öffnet in neuem Fenster): "Bis heute ist das Erklärungsmodell des Ödipuskonflikts von der patrizentrischen Haltung der ersten Psychoanalytiker-Generationen geprägt, die Männlichkeit für so selbstverständlich hielten, dass nur die weibliche Sexualität als „dunkler Kontinent“ (Freud) galt. Zudem werden heute zunehmend Vorstellungen über Zweigeschlechtlichkeit, Sexualität und Normalität in Frage gestellt."

Andererseits ist wichtig zu erwähnen, dass Aristoteles, der in seinem Werk Poetik im 4. Jahrhundert vor Christus so wortreich die Regeln für eine Tragödie beschrieben hat, kein Genie war, dessen bahnbrechende philosophische Erkenntnisse in einem Vakuum entstanden und bis heute allgemeingültig sind. Er legte auch den Grundstein für ein Bild von Männern als aktive und Frauen als passive Wesen, die nur zur Empfängnis dienen würden, erklärt Philosophin Catherine Newmark bei Deutschlandfunk Kultur (Öffnet in neuem Fenster)

Er ist nicht der einzige Philosoph, der unsere Gesellschaft prägte und gleichzeitig Frauen als minderwertige Wesen betrachtete. In diesem Audiobeitrag des BR geht Irene Schuck den wahnwitzigen Aussagen sogenannter Denker auf die Spur.

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/frauenbild-philosophen-denker-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Schade eigentlich. Aber Dinge zu kritisieren, die "halt schon immer so waren und schon immer so gemacht wurden" ist wichtig und richtig. Was uns zum nächsten Punkt bringt:

Meme der Woche

Deutsche, wenn Streik ist:

Auch die Berichterstattung dazu war schockierend. Super-Streik, Mega-Streik, Generalstreik. Die Gewerkschaften würden Deutschland "lahm legen" wollen, manche Nachrichtenportale sympatisierten mit den armen Familien, die nun ausgerechnet heute nicht in die Ferien starten können. Das große Chaos wurde prophezeit, aber im Gegensatz zu den Weissagungen des Orakels aus Ödipus, traf das nicht ein. Das nächste Level war die "Erpressung von Arbeitgeber:innen". 

Ja samma, gehts noch?! Dieser Newsletter hat volle und uneingeschränkte Solidarität mit den Streikenden! Wer die Infrastruktur am Leben hält, verdient die besten Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung. Alle anderen auch. 

Streik ist ein legitimes Mittel, das in Deutschland viel zu selten (Öffnet in neuem Fenster) eingesetzt wird.

Bleibt solidarisch.

Eure Christina

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Christina und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden