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Wieso muss ich so arbeiten, wie es dir gefällt?

Letztens habe ich auf LinkedIn einen Post gelesen. Daran bin ich selbst Schuld. Es ging um die absurden Dinge, die Gen Z von Arbeitgeber:innen fordere. Und dass es doch Arbeitsmodelle gebe, tried and tested, von denen es keinen Grund gebe abzuweichen. Mich hat das frustriert und ich möchte, nein, muss widersprechen.

Nur vier Tage arbeiten und wie fünf bezahlt werden. Nicht ins Büro, zumindest nicht jeden Tag. Das sind die am häufigsten aufgeführten Forderungen einer mehr oder weniger neuen Generation arbeitsfähiger Menschen und ich lese immer wieder, wie absurd sie seien. Geradezu frech. 

Wer in einem System wie diesem groß und sogar erfolgreich geworden ist, wird früher oder später blind für dessen Ungerechtigkeiten. Dann kommen plötzlich junge Leute daher und fordern, dass alles leichter wird, ohne sich je angestrengt zu haben. Das fühlt sich unfair an, wenn man sich einen Platz erkämpft hat und diese Errungenschaft plötzlich nicht mehr respektiert wird. Das kann ich verstehen. 

Die Spielregeln werden von jenen versucht zu ändern, die bisher gar nicht mitgespielt haben. Dabei ist genau das der richtige Ansatz, um dringend notwendige Veränderungen anzuschieben und die für Einsteiger:innen sicht- und vor allem fühlbaren Hürden zu beseitigen. 

Never Change a Running System – aber runnt das system denn?

Was spricht überhaupt dagegen die Arbeitswelt neu zu gestalten? Mangelt es an geeigneten Bewerber:innen, wie es immer heißt, oder mangelt es an Angeboten, die die Lebensrealitäten der potenziellen Bewerber:innen respektieren? Sind die Menschen das Problem oder gibt es da vielleicht eine naheliegendere Erklärung? Sehen wir uns die zwei Forderungen mal genauer an.

(Foto von Nastuh Abootalebi (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster))

Laut einer Studie von Gallup (Öffnet in neuem Fenster) ist hybrides Arbeiten sinnvoll, damit Arbeitnehmer:innen den für sie besten Weg finden ihre Work-Life-Balance zu verbessern. Was wiederum positive Auswirkungen auf die Effizienz der Arbeit und das Commitment haben kann. Dass das nicht von allein passiert, ist logisch. Die Distanz zu Arbeitgeber:in wird größer, Teams müssen Wege finden in anderem Setting zusammenzuarbeiten und der/die Arbeitgeber:in muss Ressourcen zur Verfügung stellen und Rahmenbedingungen schaffen. Mobile Endgeräte und VPN. Zum Beispiel.

Macht man das nicht, klar, funktioniert hybrides Arbeiten nicht und alle werden ins Büro gezwungen. Dabei sagt die Studie eindeutig: "Notably, the top challenges of hybrid work are far less prevalent than the top advantages. This indicates that the greatest advantages of hybrid work substantially outweigh the biggest challenges."

Wie wichtig es ist, die Work-Life-Balance zu verbessern, verdeutlicht der drastische Anstieg an Arbeitsunfähigkeitsfällen durch Burnout-Erkrankungen.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/239872/umfrage/arbeitsunfaehigkeitsfaelle-aufgrund-von-burn-out-erkrankungen/ (Öffnet in neuem Fenster)

In Bezug auf die Vier-Tage-Woche ist die Sachlage ähnlich: An der weltweit größten Studie dazu nahmen letztes Jahr 2900 Beschäftigte teil. Bei gleicher Bezahlung reduzierten sie ihre Arbeitszeit um einen Tag. 92% der Unternehmen gaben an, nach Ablauf der Studie das Modell beizubehalten. Der Spiegel schreibt dazu (Öffnet in neuem Fenster):

"Die Zahl der Krankentage fiel um 65 Prozent, darüber hinaus verließen viel weniger Arbeitnehmer ihre Firma (minus 57 Prozent) als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor. Der Clou: Die Erlöse der Firmen blieben nicht nur konstant, sondern sie stiegen im Durchschnitt sogar um 1,4 Prozent."

Eine ähnliche Studie in Island zwischen 2015 und 2019 zeigt vergleichbare Resultate und betont das geringere Stresslevel sowie eine bessere Aufteilung der meist unbezahlten Care-Arbeit: "Workers reported feeling less stressed and healthier too. Men even started doing a bigger share of the household chores", heißt es im Economist (Öffnet in neuem Fenster).  

Dass es kein Modell gibt, das auf alle Unternehmen und Betriebe passt, schreibt auch das Forbes Magazin (Öffnet in neuem Fenster). Es brauche immer individuelle Lösungen, die ein Unternehmen möglicherweise vor weitreichendere Herausforderungen stelle. Aber auch hier wird berichtet, dass eine Umstellung auf die Vier-Tage-Woche Effizienz und Profit erhöht habe. Wir wissen alle, das sind die wichtigsten Entscheidungsfaktoren in dieser Debatte.

Der Spiegel schreibt außerdem über dir britische Studie: "Die Befragungen ergaben, dass Menschen die geschenkte Zeit für Arztbesuche, Erledigungen, Einkäufe, Aufräumen, Putzen und sonstige Hausarbeit nutzten. Dadurch wurde das eigentliche Wochenende frei für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens." 

Arbeiten Menschen auch, wenn niemand hinsieht?

Arbeit muss sich mit dem Leben vereinbaren lassen, nicht umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht, dass mentale Gesundheit immer öfter offen diskutiert wird und das ist auch richtig so. Gerade am Arbeitsplatz. Laut einer Umfrage von UKG (Öffnet in neuem Fenster) geben fast 70% der Befragten an, ihre Vorgesetzten hätten einen ähnlich großen Einfluss auf ihre mentale Gesundheit wie ihre Partner:innen. Excuse me?!

Forbes (Öffnet in neuem Fenster)zitiert die Studie weiter: "A large number of people are affected by stress. In fact, according to the study, 43% of employees report they are exhausted, and 78% say stress negatively impacts their work performance. Other aspects of life are also affected as 71% say stress at work negatively impinges on their home life, 64% say it detracts from their wellbeing and 62% say it degrades their relationships." 

Meiner bescheidenen Meinung nach sind die Hauptschrauben in dieser Frage Flexibilität und Vertrauen. Offene Kommunikation über Möglichkeiten und Prozesse. Sich darauf verlassen, dass die Mitarbeitenden verantwortungsbewusst und eigenständig entscheiden, wann, wo und wie sie ihre Arbeit erledigen. 

Ich dachte, wir hätten im Mobile Office gelernt, dass Anwesenheit nicht immer notwendig ist. Dass Menschen auch arbeiten, wenn niemand hinsieht. Für viele bedeutet das Ende der Pandemie leider auch das Ende des Vertrauens. Micro-Management und Überwachung sind wieder am Start. 

(Foto von Marvin Meyer (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster))

Natürlich ist das stark verallgemeinert und zugespitzt. Es gibt durchaus Unternehmen, die New Work ernst meinen und ihren Mitarbeitenden nicht nur Freiheiten einräumen, sondern auch deren Gesundheit und Zeit respektieren. Letztendlich kann genau das wiederum zu mehr Verbundenheit zum/zur Arbeitgeber:in führen. Mehr Zufriedenheit im Job.

Wenn die Beweislage pro Änderungen so eindeutig ist, scheint der Schuh woanders zu drücken. Was uns zu Grundsatzfragen führt: 

"I do not have a dream job, I do not dream of labor" (Öffnet in neuem Fenster)

Andrea Nahles sagt (Öffnet in neuem Fenster), die Deutschen wollen arbeiten. Das würden 61,1 Milliarden Überstunden in 2022 beweisen. HAHA! Naja. Es gibt halt keine Alternative. Was nicht heißt, dass Menschen nicht auch Spaß an ihrer Arbeit haben. Zum Beispiel, wenn sie etwas bewirkt. Der Traum von Selbtverwirklichung. Arbeiten mit Impact. Bleibt er genau das, ein Traum? Oder ist eine Arbeitswelt möglich, in der wir nicht nur arbeiten, um zu (über)leben? 

Wenn ja, wer steht der im Weg? Vielleicht Andrea Nahles, die in einem Interview ein ernstes Wort an die jungen Menschen richtete und alle daran erinnerte, Arbeit sei kein Ponyhof (Öffnet in neuem Fenster). Damit falle sie der "jungen Generation völlig ungerechtfertigt in den Rücken", schreibt Wiebke Tomescheit im Stern (Öffnet in neuem Fenster) so schön.

Oder sind es die Menschen, die der Stern befragt (Öffnet in neuem Fenster)? Was wiederum die Frage aufwirft, wieso wir ("wir") so unbedingt den meisten Teil unseres Lebens mit Lohnarbeit füllen wollen. Oder wieso Sorge um die finanzielle Belastung der Unternehmen, wie es in den Ergebnissen besagter Umfrage erklärt wird, schwerer zu wiegen scheinen als die eigenen Anliegen.

Auch Nahles' Aussage offenbart eine trostlose Resignation und wirft die Frage auf: Wieso nicht? Wieso kann Arbeit kein Ponyhof sein? Spaß machen, eine Randnotiz am Leben sein? Niemand verlangt, dass Arbeit plötzlich nicht mehr Arbeit ist. Aber anstatt den Leuten zu sagen, sie sollen die Zähne zusammenbeißen, fände ich bessere Arbeitsbedingungen klüger. Vorschläge siehe oben.

(Foto von Jp Valery (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster))

Fairerweise muss man sagen, dass sie und auch andere erkannt haben, dass es Gen Z nicht darum geht gar nicht mehr zu arbeiten. Die Prioritäten haben sich verschoben. Logisch, wenn ein ganzes Arbeitsleben nicht ausreicht, um sich ein Haus zu kaufen oder Mitte 60 gemütlich in Rente gehen zu können. Falls es den Wohnort dann überhaupt noch gibt (Öffnet in neuem Fenster)

Ob dieser ganzheitliche Ansatz, Arbeit mit der eigenen Zeit, Gesundheit und Idealen zu verbinden, nur ein Trend ist, spielt gar keine Rolle. Und auch das Argument, bestehende Arbeitsmodelle hätten sich bewährt, funktioniert längst nicht mehr. 

Leistung ≠ Wohlstand 

Denn ist es wirklich gut, so wie es gerade ist? Ich sehe Gender Pay Gap (Öffnet in neuem Fenster), Fachkräftemangel (Öffnet in neuem Fenster), Klimakatastrophe (Öffnet in neuem Fenster). Sara Weber schreibt in ihrem 2023 erschienen Buch "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?" über die Herausforderungen der Arbeitswelt und der Wirtschaft. 

"Und da ist nicht nur die Pandemie. Überschwemmungen, Waldbrände, Inflation, Krieg – unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an?"

Das sind hervorragende Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Aber ich weiß, dass Forderungen von Gen Z nicht von irgendwo kommen und wir uns ganz grundlegend und gründlich damit beschäftigen müssen, wie wir nachhaltig wirtschaften und überhaupt leben wollen.

Dazu zählen strukturelle Änderungen, wie beispielsweise konsequentes Mobile Office oder die Vier-Tage-Woche. Dazu zählt aber auch ein Kulturwandel, der nicht beendet ist, sobald man das Wort "Purpose" nutzt und sich duzt.

Und es braucht einen neuen Blick auf unser Verhältnis zu Arbeit. Leistung und Wohlstand hängen nicht zusammen, mag das auch noch so vehement indoktriniert werden. Milliardäre sind nicht reich geworden, weil sie mehr gearbeitet haben (Öffnet in neuem Fenster) als andere. Ihr Wohlstand beruht auf der Arbeit und Ausbeutung anderer, zum Beispiel durch

In einer Folge des Podcasts You're Wrong About sprechen Sarah Marshall und Laci Mosley über die "Welfare Queen" (Öffnet in neuem Fenster): eine Frau, die während der Präsidentschaft von Ronald Reagan durch Betrug Sozialleistungen bezog und deren Existenz anschließend instrumentalisiert wurde (Spoiler: reich wurde sie damit nicht, aber Sozialleistungen wurden gekürzt, stärker reglementiert und PoC weiter diskriminiert). 

Es geht in der Folge aber auch darum, wie unsere Identität an unsere Leistung geknüpft ist. Dass wir fortwährend nach Wachstum streben und Stillstand als Niederlage einordnen. Oder dass wir damit flexen, wie viel und hart wir arbeiten, was im Umkehrschluss suggeriert, dass Menschen weniger Wert seien, wenn sie weniger arbeiten. Das ist ungesund, muss ich hoffentlich nicht extra ausführen. 

Unendlicher Wachstum ist ein Trugbild. Viel wichtiger ist Nachhaltigkeit. Nicht nur in Bezug auf die Umwelt, sondern gerade im Hinblick auf die 3,32 Milliarden arbeitenden Menschen (Öffnet in neuem Fenster) auf dieser Erde. Da fangen wir bei sicheren und menschenwürdigen Bedingungen an, da hören wir nicht bei einer Vier-Tage-Woche auf. 

Meme der Woche

Wenn du es bis hierher geschafft hast: Danke und herzlichen Glückwunsch. Wenn du Schaum vorm Mund hast und schon die Gegenoffensive in die Tasten haust:

Touch grass. Geh raus, guck dir die Welt an und lern was. Fass mal wieder Gras an und entspanne. 

Danke

Mein Dank gilt wie immer allen Leser:innen und Abonennt:innen dieses Neuigkeitenbriefs. Seid ihr bisher nur ersteres, klickt gerne auf das kleine Feld am Ende der Seite und werdet auch letzteres. Es wäre mir eine Ehre. 

Wenn ihr mein Unterfangen weiter unterstützen wollt, ist dies hier (Öffnet in neuem Fenster)möglich. Wir lesen uns schon bald wieder :)

Eure Christina

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