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Lieber Kai,

Heute wirst du mal wenig von mir lesen können. Stattdessen habe ich eine Bitte an dich. Aber dazu gleich mehr.

Es sind weiter schwierige Zeiten. Die gesellschaftlichen Probleme der letzten Wochen sind trotz geplantem Freedom Day und trotz Scholz Besuch in Moskau alle noch genauso groß oder noch größer als vor einer Woche. 

Es sind nasskalte Zeiten, stürmische Zeiten. Trotzdem sind in Berlin in den letzten zehn Tagen wieder allerlei Menschen auf den Straßen unterwegs, die mit einem bunten DINA4 Magazin von Kino zu Kino laufen und sich in die neusten Erzählwelten aus Nigeria, Kasachstan oder Myanmar entführen lassen. Heute endet die Berlinale und damit zehn Tage, in denen die Kinos in Berlin gefülltwaren und sich fremde Menschen vor und im Kinosaal über ihre neusten Filmempfehlungen austauschen, bei Wind und Wetter von Kino zu Kino huschen und teilweise sogar Lunch Pakete packen, damit sie nicht nur durch so eine Unnötigkeit wie ein richtiges Mittag- oder Abendessen vom Filmegucken gestört werden.

Viele Menschen haben zu Beginn dieser Berlinale gefragt: Muss es die geben? Brauchen wir die Berlinale wirklich, bei einer stets grassierenden Pandemie mit Fallzahlen im vierstelligen Bereich?
Ich muss für mich feststellen: Ja, es muss sie geben. Weil das, was du an diesen zehn Tagen erleben kannst, ist eine Welt- und Zeitreise, wie sie jedes Jahr einzigartig ist. Mit über 400 Filmen jedes Jahr bietet die Berlinale nicht nur die Möglichkeit dein Fernweh zu stellen, sondern du bekommst die Möglichkeit, dich in fremde Blickwinkel und Perspektiven entführen zu lassen, wie wir sie alle so bitternötig haben. Dafür liebe ich die Berlinale, dafür stehe ich gerne morgens bei Wind und Wetter für Karten an. Und mit einem 2G+ +FFP2Maske Konzept, indem du auch noch mit Abstand im Kinosaal sitzt, frage ich mich, was denn der Kulturbetrieb noch tun soll, um während dieser Pandemie existieren zu dürfen? 

Aber ich hole wieder zu weit aus. Die Preise der Berlinale sind bereits vergeben, der letzte Zuschauertag halb vorbei. Deswegen wirst du jetzt wahrscheinlich nicht mehr in den Sog kommen, den ich hier nur oberflächlich beschreiben kann. 

Stattdessen möchte ich dich aber um etwas bitten: 

Guck heute einen Film. Aber nicht so, wie wir es mittlerweile gewohnt sind - mit dem Handy auf dem Hosenbein, mit 3-4 anderen Tabs offen, zwischen denen du hin und her klickst, mit ständigen Unterbrechungen - Nein.
Schaff dir ein richtiges, eigenes Filmerlebnis, wie du es vom Kino her kennst. 

  •  Nimm dir eine feste Anfangszeit vor (und halte sie) 

  • Stell dir Snacks und Getränke bereit

  • Wenn möglich, benutze einen Beamer oder einen großen Fernseher 

  • Drehe die Soundboxen auf oder quetsche die Ohrstecker tief ins Ohr

...und dann gebe dich der Magie eines ganzen Films hin, ohne Unterbrechung oder Ablenkung. Es wird für dich wohlmöglich ungewohnt sein, aber glaub mir, das ist es Wert. Am Ende der zwei Stunden wirst du eine Reise unternommen haben, die dich vielleicht für eine Zeit lang weggebracht hat von deinem Jetzt und Hier. 

Du brauchst Anregungen, was du gucken kannst? Bitteschön, hier meine kleine, kostenlose Shortlist. Und ums nochmal spannender zu machen: Verzichte auf die Versuchung, dir anhand eines Trailers vorher ein Bild von diesen Filmen zu machen. Einfach klicken und darauf einlassen, anstatt zu hinterfragen, wo die Zeit am besten angelegt wäre. Lass es einfach geschehen. 

1. Systemsprenger (Berlinale 2019)

https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/systemsprenger-114.html (Öffnet in neuem Fenster)

2. Paradies: Liebe (Cannes 2012)

https://www.ardmediathek.de/video/film-und-serie/paradies-liebe-oder-drama/br-fernsehen/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvL2RhMjJkMjk4LWI1MTYtNGFjMS1iMzVjLTViOWY0M2FhMTgzNQ/ (Öffnet in neuem Fenster)

3. Makala (Dokumentarisch, Cannes 2017)

https://www.arte.tv/de/videos/103050-000-A/makala/ (Öffnet in neuem Fenster)

4. Watani: My Homeland (Dokumentarisch, Human Rights Film Festival Berlin 2017)

https://www.arte.tv/de/videos/102520-000-A/syrien-watani-my-homeland/ (Öffnet in neuem Fenster)

Viel Spaß beim Gucken. Und wie gesagt: Finger weg vom Handy! 

So - und jetzt, wo du versorgt bist, geht es für mich ein letztes Mal auf ins kalte Nass. Ein letztes Mal Berlinale Luft, ein letztes Mal (halb) volle Kinosäle. Es ist schön zu sehen, dass dies wenigstens an zehn Tagen im Jahr noch möglich ist. Wenn du heute doch schon verplant bist, dann schau doch mal in das Programm deines Kinos in der Nachbarschaft. Es freut sich sicher über deinen Besuch und auch du wirst wieder in einen alten Sog gezogen werden können, der nicht nur ein Stück weit Normalität ermöglicht, sondern vielmehr eine Tür öffnet in eine andere Welt, über die es eine Menge zu lernen gibt. 

Liebe Grüße

Sven

https://www.youtube.com/watch?v=xW5BPiH-6xQ (Öffnet in neuem Fenster)

(Angelique Kidjo - Lon Lon)

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