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Lieber Kai,

Meine letzte Woche Schwarzwald bricht an. Kommende Woche ziehen wir weiter nach Bremen, da gehen die Dreharbeiten dann weiter. Ich war hier jetzt gute drei Wochen und auch wenn ich den einen oder anderen Spaziergang gemacht habe, blieben meine Vorsätze, wie ich meine wenige Freizeit hier gestalte (Joggen! Wandern! Schwarzwalderlebnis!) mehr Wunsch als Realität. Ich ertappe mich immer wieder dabei große Pläne zu machen und sie dann doch nicht zu erreichen. Nunja, ich versuche damit Frieden zu schließen. Gestern war ich immerhin zum ersten Mal joggen.

Apropos große Pläne: In gut drei Monaten ist die Bundestagswahl und die Meinungen, wer denn nun wie hoch die Wahl gewinnen wird, ändert sich in einem ähnlichen Hin-und-her wie noch vor 4 Jahren, als es sieben Monate vor der Wahl noch so aussah, als könnte Martin Schulz Bundeskanzler werden. Ein wirklich irrer Gedanke, so in der Nachbetrachtung. 

Annalena Baerbock könnte ein ähnliches Schicksal widerfahren. Es ist nur zwei Monate her, dass sie von der Presse über den Klee gelobt wurde, inkl. Coverstories über sie mit Titeln wie „Frau für alle Fälle“ (SPIEGEL, 24.04)  oder „Endlich anders“ (Stern, 22.04).
Heute wird stattdessen von manchen Kommentatoren ernsthaft diskutiert, ob sie nicht doch Robert Habeck den Vortritt lassen sollte. Die journalistische Schnappatmung geht mir ein wenig auf den Keks.

Und wie sähen überhaupt die derzeitigen Umfragewerte aus, wenn die (erste) Maskenaffäre der CDU/CSU nicht im März, sondern jetzt gewesen wäre? Oder die Aserbaidschan-Affäre? Da die CDU/CSU ja immer für n Skandal gut ist, glaube ich, das noch einiges passieren kann, zumindest auf Seiten der christlich demokratischen Selbstdemontage. Aber all das ändert nichts an Kanzler Laschet, wenn es mit den Grünen nicht aufwärts geht.

Falls es noch eine grüne Kanzlerin geben soll, müssen sie es schaffen einen anderen Spin auf ihre politischen Vorhaben zu bringen. Dass wir uns lösen von Spritpreisen und Flugverboten und zurück kommen zum Wesentlichen, zur eigentlichen Erzählung. Green Storytelling. Bei Baerbrocks gestriger Rede war schon zu spüren, dass sie den Versuch macht, diese Einzelthemen als Schutz der Freiheit zukünftiger Generationen zu framen – eben genau so, wie es das Bundesverfassungsgericht eben auch der Bundesregierung aufgetragen hat (Öffnet in neuem Fenster).
Das ist folgerichtig, ich bezweifle aber, dass bei einer Mehrheit der wahlberechtigen Bevölkerung so viel fundamentaler Erklärungs(nachhol)bedarf bis September geleistet werden kann.

Du schreibst: 

„Wenn nicht einmal die existentiellste Krise in der Geschichte der Menschheit zu einem Moment des Ma führt, der die notorische Lust am Lügen löscht, wird es keine Krise vermögen. Bereits 16 Cent sind eine Herausforderung, an der wir scheitern. Wir sind schlicht nicht in der Lage, uns dieser Krise so zu stellen, dass wir sie aktiv beheben könnten.“

Ja, 16 Cent sind eine Herausforderung. 16 Cent pro Liter Benzin heißt für viele Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind (Pendler, Menschen in ländlichen Gebieten) leicht 50 Euro mehr im Monat. Teilweise auch noch mehr, da ja auch viele Leute noch alte Autos fahren, die mehr Sprit schlucken.
Ist das notwendig für den Klimaschutz? Ja.
Braucht es trotzdem viel Erklärungsbedarf? Ich glaube schon.

Du regst dich auf, dass die CDU sich auf das Thema stürzt, als Wahlkampfmanöver. Ich verstehe deinen Unmut, ich weiß aber auch, was die sprichwörtliche Alternative wäre, wenn die FDP oder die CDU nicht dieses Thema besetzen würden.

Das Kalkül der CDU ist es, die Grünen als Juniorpartner zu bekommen, um dann in Koalitionsverhandlungen den Spritpreis um 8 Cent zu erhöhen und so irgendwie ihr Gesicht noch wahren zu können und trotzdem irgendwie Klimapolitik zu machen.
Die CDU hat bestimmt mit den Grünen das vor, was sie mit der SPD die letzten 10 Jahre gemacht hat: Die wichtigsten Ideen zuerst bekämpfen, sie dann doch akzeptieren und sie dann als eigene Idee hinstellen. Mindestlohn ist ein Beispiel dafür. Auch die Ehe für alle. 

So funktioniert das Prinzip CDU in diesem Jahrtausend, frei nach dem Motto: Regieren - irgendwie. Ich glaube das wird sich auch nicht mit Laschet großartig ändern. Diese Taktik führte zum Niedergang der SPD, den Grünen könnte ähnliches blühen, wodurch dann in vier Jahren die Klimaliste mit 6+ % in den Bundestag ziehen könnte.

Du wirst mir jetzt sicher entgegen schreien: „Ja super Sven, jetzt sind wir ja wieder nur beim Parteikleinklein und nicht mehr beim eigentlichen Thema, nämlich der größten Krise der Menschheitsgeschichte, die -JETZT- bekämpft werden muss!“ Vollkommen richtig. 

Was wir, du und ich, uns von der Politik wünschen, ist eine starke Hand bei der Bekämpfung des Klimawandels, damit wir als Gesellschaft einen Rahmen vorgesetzt bekommen, mit dem die Klimaziele überhaupt erreicht werden können. Wir sind, was das angeht, ziemlich staatsgläubig.

Was sich viele andere Menschen wünschen, ist es von der Politik in Ruhe gelassen zu werden. Ja, vielleicht staatliche Unterstützung beim Kauf von Elektroautos oder Photovotaikanlagen, aber keine Gängelung, wenn man noch n alten Benzinschlucker fährt oder für fünfzig Euro nach Mallorca fliegt. Und ansonsten soll der Staat bitte sich auf andere Dinge konzentrieren und nicht auf mich als Privatperson. 

Vor einem Jahr war das noch anders:
Als Corona begann, guckte die ganze Bevölkerung auf den Staat. Vor einem Jahr war die Zufriedenheit der Bevölkerung mit ihren gewählten VertreterInnen noch sehr hoch (Öffnet in neuem Fenster). Der Tenor: Es ist gut, dass wir unsere Regierung haben, sie meistert diese Krise und ich verstehe, warum es Einschränkungen geben muss. Menschen hörten einem Virulogen im NDR Info Podcast, sie überboten sich mit Besserwisserinformationen über den neuen Virus. Mensch, was wir alle plötzlich wissen wollten.

Nach Tönnies, Maskenaffäre und inkonsequenten Lockdowns ist dieses Vertrauen aber wahrlich verspielt. Und jetzt soll die zukünftige Regierung noch mehr Geld von mir bekommen, mit dem sie wieder das Falsche anstellen? Ich verstehe, dass da manch einer mindestens skeptisch reagiert, gerade nach sechszehn Jahren Politik, die eher verwaltet als gestaltet hat. 

Damit wir ein ähnliches Gefühl wie bei Corona für den Klimawandel erzeugen können, bräuchten wir schon eine Klimakatastrophe vor unserer Haustür. Überschwemmungen, Erdbeben, Plagen. Solange das aber nicht passiert, werden zu wenige die Dringlichkeit von Veränderungen für sich annehmen wollen und stattdessen im Vordergrund ihr eigenes Leben und die zurückgewonnene Freiheit betrachten.

Ich fürchte die Mehrheit der Bevölkerung braucht gerade auch einfach mal Pause von der Politik nach anderthalb Jahren Corona. Jetzt ein "neues" großes Thema, für das noch weitere persönliche, finanzielle Einschnitte gemacht werden müssen? Muss das wirklich sein? 

Die Menschen sind glaube ich gerade krisen- und politikmüde. Sie wollen ihre Masken ablegen und die Welt wieder erleben. EM gucken, Biergarten, Freibad, Urlaub, Tanzen. Ich gönne es jedem, glaube aber das diese Zeit dafür sorgen wird, dass es die nächsten 1-2 Monate eher abwärts gehen mit den Grünen.
Ob das Comeback noch kommen wird, hängt ganz davon ab, ob die Grünen es schaffen, weg vom Miesepeterimage zu kommen und stattdessen die Menschen davon überzeugen, das trotz aller Skepsis wir nur diese politischen Mittel haben, um einen erfolgreichen Klimaschutz leisten zu können. Und, das eben genau das jetzt nötig ist.

Und das Schwierigste an dem Vorhaben: Zu überzeugen sind nicht diejenigen, die täglich die Politik und die Nachrichten verfolgen, sondern diejenigen, die nur immer mal wieder die Schlagzeilen lesen.
Das ist alles ein ziemlich weiter, ein ziemlich steiniger Weg. Aber wer weiß, vielleicht klappt es ja. Ich bin ja ein Freund von großen Plänen. 

Und nun geh ich wandern. 

Liebe Grüße

Sven

https://www.youtube.com/watch?v=tW8FKkVnqng (Öffnet in neuem Fenster)





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