Neiman und Foucault - Teil 1: Die Themen Foucaults
Ein so grenzseriöses Werk wie "Left is not woke" von Susan Neiman nehme ich vermutlich unzulässig ernst, kommentiere ich ihre Foucault-Rezeption mit einer Abfolge von Texten .
Bei der Auseinandersetzung mit dem Buch Neinmans fiel mir jedoch auf: Es bietet sich die Gelegenheit, aus der Auseinandersetzung mit ihrem Buch eine Rekonstruktion (grob skizzierter) Grundannahmen im Werk Foucaults auszuarbeiten. Der Name schillert regelmäßig durch die Feuilletons. In akademischer Lehre bleibt er präsent. Dennoch bilden sich Mythen um ihn, die auch vor persönlicher Diskreditierung nicht zurückschrecken. Ein kurzer Überblick über sein Werk kann da ja hilfreich sein.
Gerade weil er, will man sich mit dem Erbe der Aufklärung beschäftigen, ein anregender Autor ist, mit dessen Kritik man sich beschäftigen sollte.
1995 verfasste ich meine Magisterarbeit - ein Plädoyer für Ansätze universalistischer Moral. Die Diskussionen rund um die "Postmoderne" prägten mein Studium. Relativismus, Aufhebung aller Wahrheitsansprüche, destruktive Vernunftkritik, so dass Maßstäbe für richtiges politisches Handeln nicht mehr formulierbar wären - so die Slogans vor allem aus dem Umfeld von Jürgen Habermas.
Die Kontrahenten führten die Debatte heftig. Polemiken mit Überschriften wie "Derridada und Lacancan" schrien von Wochenzeitungen ihre Leser*innen an - gemeint waren der Philosoph Jacques Derrida und der Psychoanalytiker Jacques Lacan. Es war eine deutsch-französische Debatte.
Der für mich wichtigste Lehrer Herbert Schnädelbach bezeichnet in einem Seminar Derrida als seinen "Intimfeind". Und doch lernte ich bei ihm, wie wichtig es ist, sich ernsthaft mit Michel Foucault auseinanderzusetzen. In Schnädelbachs Vortrag mit dem Titel "Das Gesicht im Sand - Foucault und der anthropologische Schlummer" über Foucaults "Die Ordnung der Dinge", in den ich eher zufällig geriet, beinahe hinein geschubst wurde, an der Universität Hamburg im Jahre 1988 bildete für mich so etwas wie die Initiation in das Philosophiestudium. In zwei Hauptseminaren, eines zum genannten Werk, eines zu den Schriften zur Macht Foucaults lernte ich, wie man faire statt symptomatischer Lektüren in systematischer, nicht rein hermeneutischer Hinsicht durchführen kann. Also keine Lesarten, die lediglich auf das Textverständnis sich fokussierten, sondern die problembezogen rekonstruieren, was von den jeweiligen Autor*innen gelernt werden kann. Das ist mir seitdem häufig misslungen und formuliert doch eine Möglichkeit des Denkens.
Foucault ließ mich seitdem nicht mehr los. Jahrelang haderte ich, geriet in einen Sog der Faszination und wollte doch nicht vollständig folgen. Parallel schulten mich Lehrer*innen in Grundkenntnissen auch der (sprach)analytischen Philosophie wie auch der Kritischen Theorie, sowohl der Älteren Horkheimers und Adornos als auch der jüngeren von Jürgen Habermas. Die finale Arbeit untersuchte dann "Person und Moral im Anschluß an Ernst Tugendhat und Michel Foucault". Ernst Tugendhat galt als der Denker, der die (sprach)analytische Philosophie in Deutschland systematisch eingeführt hatte und war seit den 80er Jahren mit Ansätzen zur Moralphilosophie beschäftigt, reformulierte in den "Vorlesungen über Ethik" Kants Kategorischen Imperativ als "Instrumentalisiere niemanden!". In "Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung" trug er zur "Dezentrierung des Subjekts" bei, auf Wittgenstein und auch Heidegger aufbauend. Mir erschien es passend, aus den Schriften zur Macht Foucaults wie auch Ansätzen im Spätwerk mal nicht die üblichen Differenzen heraus zu pointieren, sondern konstruktiv zu schauen, ob moralischer Universalismus und Focualt nicht doch zusammenpassen könnten. Ergebnis war, grob zusammengefasst, dass Foucaults Forschungen, wenn sie denn als kritische gelesen werden wollen, einen schwachen moralischen Universalismus voraussetzen müssen - um so die Pluralität von Lebensformen - und entwürfen jenseits klassischer Vorstellungen von Subjektivität und Individualität zu ermöglichen.
Nun, 30 Jahre später, taucht der Name Foucault immer neu in politischen und philosophischen Debatten auf. Susan Neimans "Left is not woke" bildet einen breit rezipierten Tiefpunkt dieser Debatte. Foucault wird hier zum Buhmann aufgeblasen, zum Teufel, der mit seiner Verweigerung eines positiven Begriffs von Gerechtigkeit und Attacken auf Modelle des Fortschritts die Jugend dazu verführt habe, nunmehr "woke" zu werden.
Woke" entstammt als Begriff ursprüngliche us-amerikanischen BPoC-Communities. Es meinte zunächst "Bleibt aufmerksam, wenn ihr Rassismus begegnet, und geht den Mustern, die ihn stützen, nicht auf den Leim". Mittlerweile mutierte es zum Kampfbegriff der Internationalen Rechten und dehnt sich aus auf alle Felder, da Marginalisierte Sichtbarkeit, Repräsentation und Partizipation einfordern. Neiman unterstellt solchen Anliegen pauschal "Tribalismus".
Meines Erachtens reiht sich Neiman entgegen ihrem Selbstverständnis und unfeiwillig jedoch teilweise in diese rechte Volksfront ein. Das Buch ist schlecht recherchiert und fällt weit hinter das Niveau zurück, das in den 80er Jahren die Kritik an Foucault prägte. Sie versteht es jedoch, als Intellektuelle intellektuellenfeindlich, zugleich als Attacke auf Theorie als solche.
"Theory is such an nebulous and trendy concept that it's even been used to launch a a fasion line, but if the word today has no clear content, it does have some direction. What unites very different intellectual movements together by the word theory is a rejection of the epistological frameworks and politicial assumptions inhereted form the enlightment."[1] (Öffnet in neuem Fenster)
Das ist schon tollkühn, nun Werke von Kants "Kritik der reinen Vernunft" über Marx' "Kapital" bis hin zu Habermas' "Theorie des Kommunikativen Handelns" oder auch Rawls "Theory of Justice", Neiman hat als dessen Assistentin gearbeitet, mal eben locker als Gegenaufklärung vom Tisch zu wischen. Nein, die meint sie natürlich gar nicht. Das ist aber symptomatisch für dieses so grobschlächtige Werk, das sich ja auch explizit als Polemik versteht: Alle relevanten Differenzen ebnet sie ein, um als Vertreterin der Dominanzkultur auf gesellschaftlich Schwächere einzuprügeln. In vollem Bewusstsein ihrer Diskursmacht.
Ihre selektive Lesart Foucaults stützt sich in zentralen Passagen auf ein Youtube-Video (!), in dem Foucault mit Chomsky diskutierte. Das Herumfleddern in seinem Werk, um knackige Passagen zu finden, dient eher dazu, einen Geist zu beschwören, als sich ernsthaft mit dem Autor auseinander zu setzen. Sie betont immer wieder die Brillianz seiner historischen Studien, nimmt aber nicht zur Kenntnis, wieso Foucault diese überhaupt durchgeführt hat. Sie verweist darauf, dass im Rahmen ihrer akademischen Studien sie anders als bei einer solchen politischen Intervention gründlicher vorgegangen wäre. Angesichts dessen, was sie schreibt, bezweifelt man, dass ihr das gelingen könnte.
Hier nun also ein Überblick über ein paar grundlegende Motive im Werk Foucaults.
""Was seine Moral betrifft, so läßt sich sagen, daß er seit dem 12. oder 13. Lebensjahr homosexuell ist, und dieses Laster war zunächst nur eine Kompensation für die Neckereien, die er als Kind erdulden musste. (...) Vielleicht hat seine weibische Art diese Tendenz zur Homosexualität verstärkt. (...) X. ist total unmoralisch, zynisch, ja sogar geschwätzig. (...) Nun zu Z. (...). In sittlicher Hinsicht ist einer ein zynisches und unmoralisches Wesen. Er ist ausschweifend, ein offensichtlicher Betrüger. (...) Er ist besonders widerlich.""[2] (Öffnet in neuem Fenster)
So ein Gutachten eines hochangesehenen Psychiaters in einem Gerichtsprozess in Frankreich 1973. Ein Jahr, bevor das Schutzalter für homosexuelle Handlungen von 21 auf 18 herabgesetzt wurde. Bei Heterosexuellen lag es bei 13.
Es existierte, der Aufklärung zum Trotze, keine Gleichbehandlung differenter sexueller Praxen zum jenem Zeitpunkt, da Michel Foucault diese Gutachten im Rahmen seiner Tätigkeit am Collége de France zitierte.
Als "Die Anormalen" erschienen die Vorlesungen des Studienjahres 1974-75, deutsch übersetzt von Michael Ott und Konrad Honsel, auf deutsch.
Solche Akten auszubuddeln, sich in den Archiven dem scheinbar Abseitigen zu widmen, das trieb Foucaults Studien an. Weil dieses so boulevardesk Erscheinende zu harten Verurteilungen durch zur Gerechtigkeit verpflichtete Justiz führte. Nicht Voltaire oder Kant haben in solchen Grenzziehungen zwischen legal und illegal die Hauptrolle gespielt, sondern Gutachter aus den "Humanwissenschaften". Sie formulierten Menschenbilder als Expertisen für die Be- und Verurteilung von Delinquenten und ließen ihren Konzeptionen dessen, was als anormal einzustufen sei, dabei freien Lauf. Sie definieren "normale" Gender-Performances und erklären Menschen für "widerlich" ganz unabhängig davon, ob das etwas mit dem jeweiligen Delikt zu tun hat. Klare moralische Urteile also. Sie "subjektivieren" so die dem Gericht Ausgelieferten. Im Französischen folgt das der Doppelbedeutung von, sinngemäß, unterwerfen und Personen als Individuum zu verstehen.
Menschenrechte spielen in solche Verfahren hinsichtlich des Settings, also Gewaltenteilung, Todesstrafe ja oder nein, rationale Entscheidungsfindung eine Rolle. Die Arten von Gründen jedoch, die angeführt werden, rekurrieren auf Vorstellungen dessen, wie ein Mensch zu sein habe und wie nicht.
Im konkreten Fall geht es um Erpressung. Auch Spielfilme aus den frühen 60er Jahren, in denen "Homosexualität" als Sujet in Szene gesetzt wird, bauen um diese herum ihre Plots. Erpressbar ist freilich nur, wer besonderen Behandlungen durch die Justiz potenziell ausgesetzt sein könnte. Man kann damit drohen, ihn zu verpfeifen. So in den 60ern aufgrund homosexueller Praxen unterhalb des Schutzalters in Frankreich, in Deutschland generell.
Foucault analysiert in "Überwachen und Strafen", wie mittels Gesetzgebung bestimmte kriminelle Milieus erst hergestellt werden, um so jene Delinquenten zu produzieren, von denen "Normale" sich abzugrenzen zu haben. Die Rede vom "Homosexuellen-Milieu" war damals üblich, manchmal taucht sie heute noch auf. Diese Abgrenzungsnotwendigkeit gegen diese Milieus erzeugt mit kapitalistischen Produktionsprozessen konforme Staatsbürger.
Pointe der zitierten Gutachten ist, dass sie "Wahrheitsdiskurse" produzieren hinsichtlich dessen, wie Menschen sein sollten oder auch nicht. Und das nicht, indem sie Erpressung als im Sinne des Kategorischen Imperativ als verwerflich und falsch betrachten, sondern indem sie eine Charakterologie und Typologie der Delinquenten entwickeln. In Worten wie den folgenden:
"Dieser Y., ist nacheinander oder gleichzeitig Liebhaber und Tunte von X., das weiß man nicht genau, und man ist angewidert, X. liebt Z. Man muss die weibische Art des einen und des anderen gesehen haben, um verstehen zu können, daß ein solches Wort angebracht ist zur Beziehung zweier derart weibischer Männer, die nicht mehr nach Sodom, sondern nach Gomorrha gehört hätten."
1973, wohlgemerkt. Foucault und Schwule allgemein heute noch sind mit dieser Art von Zuschreibung vielleicht nicht mehr vor Gericht konfrontiert, jedoch weiterhin in sozialen Medien, auf Schulhöfen oder wenn sie auf offener Straße zusammengeschlagen werden. Ganz unabhängig davon, ob nun Verfassungsgerichtsurteile die Gesetzbebung der "Ehe für alle" provozierten oder auch nicht. Zu Foucaults Zeiten hauten Normalisierende und Unterwerfende solche Sprüche mal eben so raus - als psychiatrische, also wissenschaftliche Wahrheit vor Gericht. Spuren davon finden sich bis heute im Gutachter-Diskursuniversum rund um trans.
"Woraus beziehen sie diese Macht? Vielleicht aus der Gerichtsinstitution, aber auch aus der Tatsache, dass die in der Gerichtsinstitution wie Wahrheitsdiskurse funktionieren, und zwar aufgrund ihres wissenschaftlichen Status, oder wie durchformulierte Diskurse, formuliert ausschließlich von innerhalb einer wissenschaftlichen Einrichtung qualifizierten Leuten."[3] (Öffnet in neuem Fenster)
Will man Michel Foucault kommentieren und auch kritisieren, muss man sich auf das einlassen, was er wirklich untersucht hat. Wie z.B. das im soeben zitierten.
In "Wahnsinn und Gesellschaft" zeigt er auf, wie eine spezifische (!) Grenzziehung zwischen Wahnsinn und Vernunft sich in der Psychiatrie etablierte. In "Die Ordnung der Dinge" untersuchte er, wie je bestimmte Ordnungen des historischen Denkens in verschiedenen Wissensbereichen wie Annahmen über die Natur, die Ökonomie und in der Philosophie strukturiert waren: in der Renaissance durch die Analyse von Ähnlichkeitsbeziehungen, im Zeitalter der Klassik in Systemen der Repräsentation dessen, was Gegenstand des jeweiligen Bereichs der Wissensproduktion war. So z.B. in Enzyklopädien. In der Moderne brach das Feld des Wissens in sich zusammen, indem alles auf den Menschen und seine Geschichte bezogen wurde und sodann zwischen widerstreitenden Prinzipien wie Möglichkeitsbedingungen und dem, was sie ermöglichen, oszillierte, so, sehr grob, die Grundgedanken dieses Werks.
Die berühmte Pointe, dass der Mensch verschwinden würde wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand, formuliert keine Auslöschungsfantasie. Der theoretische Antihumanismus, so erläuterte es einst auch Herbert Schnädelbach in zitierten Vortag zum "Anthropologischen Schlummer", zieht seine Kraft gerade daraus, dass er den Wert des einzelnen Menschen zu gering einschätze und dem falschen Allgemeinen unterwerfe. Die sich daraus ableitende Humanismuskritik attackiert gerade Ansichten wie jene Arnold Gehlens, ein Mensch sei lediglich eine Institution in einem Fall.
Die Kritik richtet sich gegen eine anthropozentrische Ordnung des Wissens, wie sie heute auch in ökologischen Zusammenhängen diskutiert wird. Zu Zeiten des Verfassens von "Die Ordnung der Dinge" etablierte sich eine Analyse am Leitfaden der jedem individuellen Sprechen vorgängigen Strukturen der Sprache in der Wissenschaft. Selbst bei Marx ist der Mensch das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. Was macht Susan Neiman daraus?
Sie verwechselt moralische, normative Fragestellungen mit Ansätzen zur Wissenschaftsgeschichte.
"Überwachen und Strafen" beantwortet die Frage, wie sich das Gefängnis als präferierte Form der Bestrafung durchsetzen konnte, "Sexualität und Wahrheit 1: Der Willen zum Wissen", wie aus Beichtpraxen eine Hermeneutik des je eigenen Begehrens entwickelt wurde. Anschließend bildete sich all das als Gegenstand der Untersuchungen heraus, was von heterosexueller Fortpflanzung abwich. Um es behandeln, therapieren zu können. Auch mit Elektroschocks, Kastrationen und Lobotomine, fürchterlichen Folterapparaten, die ausgerechnet Herr Kellogs erfand, um Kindern am Masturbieren zu hindern.
Die Folgebände von "Sexualität und Wahrheit" begeben sich in das antike Griechenland und Rom wie auch das frühe Christentum, um zu untersuchen, wie das, was wir heute Sexualität nennen, in Schriften jeweils problematisiert wurde. Soweit ein grober Werküberblick.
Drumherum gruppiert sich ein Apparat von kleinen Schriften, Interviews und posthum veröffentlichten Vorlesungen. Teilweise bilden sie Vorstufen zu den Büchern, teilweise auch nicht - und Foucault hat nicht grundlos manche der Vorlesungen nicht zu Büchern umgearbeitet. Vor allem die Interviews stellen Bezüge zur Aktualität her. Die historischen Untersuchungen brechen allesamt irgendwann ab. Sie formulieren einen Werkzeugkasten, um Gegenwart, die über das Geschriebene bereits hinaus ist, diagnostizieren zu können.
Für das Werkverständnis von Foucault ist das zentral. Es gibt nicht den einen Foucault. Eine ARTE-Dokumentation über ihn hieß "Foucault gegen Foucault". Er formulierte eine Abfolge von Neuansätzen, die jedoch immer ihre Thesen an konkreten Quellen entwickeln. Häufig solche, die nicht zu den üblichen der Philosophiegeschichte gehören. Wenn, dann um z.B. aufzuzeigen, wie sich Descartes und Hume in das Zeitalter der Repräsentation einfügten: das "ich denke" repräsentiert das Sein, die Vorstellungen bei Hume ebenso.
Im Mittelpunkt steht die immer neu variierte These, ausformuliert in "Überwachen und Strafen":
"Der Mensch, von dem man uns spricht und zu dessen Befreiung man einlädt, ist in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist als er."[4] (Öffnet in neuem Fenster)
Subjektivität ist nicht vorgängig, sie entsteht - in den Humanwissenschaften - als Effekt von Aussagen, die als Wissen formuliert auf andere gesellschaftliche Bereiche in deren Institutionen ausstrahlen. Das sind immer materiale Vorstellungen dessen, was menschlich sei und was zugleich normal oder aber anormal. "Der Mensch" bei Foucault ist nicht das, was Kant als Einzelnen begreift, der Teil der Menschheit sei. Es ist immer schon die konkret historisch situierte und normativ wirksam werdende Vorstellung des Menschen, die als Folie Anderen zur Angleichung anempfohlen wird, und wer sich verweigert, wird sanktioniert. Der gesunde Mensch ist heterosexuell und Schwarze bilden nur die Vorstufe zu wahrem Menschsein, das nur Weißen zukäme - so die fürchterlichen Annahmen, die noch die Segregation in den USA antrieben und noch nach der Aufklärung den Kolonialismus. Diese Typisierungen von Menschen wirken im Alltag und ggf. auch in der Politik, Justiz etc.
Wenn man sich mit Foucault beschäftigt, sollte man das wissen. Guckt man nur Youtube-Videos, in denen er mit Noam Chomsky diskutiert, kann man dazu auch Bücher schreiben. Seriös ist das dann nicht mehr. Auch nicht, wenn man vorsichtshalber behauptet, es ginge ja gar nicht um seine Werke, sondern um seine Wirkung im "woke"-Kontext". Die ist allerdings schwer herzustellen, wenn selektiv Fetzen aus seinen Büchern gerissen werden, die Fehllektüren darstellen.
Erneuter Auftritt Susan Neiman.
"Small wonder many have concluded that the man was simply a nihilist." (S. 120)
Als Beleg dient Neiman eine kurze Passage aus einem Nietzsche-Aufsatz Foucaults aus den 60ern ohne Kontextualisierung, wie er darauf kam, dass die darin aufgestellte Behauptung, alles Wissen gründe in Ungerechtigkeit, hergeleitet wird.
Es ist nicht möglich, ein Argument auf solch einer Methodik aufzubauen. So, wie es eingestreut ist, ähnlich wie in Xweets nach erfolgter Google-Books-Stichwort-Suche Screenshots eingebaut werden, hängt dieses Verdikt im Buch, weil es gerade zufällig passt und wird nur gestützt durch die Aussage eines Dritten, Michael Walzer.
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[1] (Öffnet in neuem Fenster) Neiman, Susan, Left is not woke, Cambrigde/Hoboken 2023, S. 17
[2] (Öffnet in neuem Fenster) Foucault, Michel, Die Anormalen, Frankfurt/M. 2007, S. S. 18-19
[3] (Öffnet in neuem Fenster) Ebd., S. 20
[4] (Öffnet in neuem Fenster) Foucault, Michel, Überwachen und Strafen, Frankfurt/M. 1982, S. 42