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Sind Politiken des Glücks möglich?

"Ich würde gerne einmal wieder wählen gehen und mich für etwas entscheiden und nicht nur etwas verhindern." (Öffnet in neuem Fenster)

So formuliert es Simon Sahner in einem Text bei "54 Books". Einem, der eigentlich von Wut handelt. Wut darüber, dass keine politischen Angebote jenseits einer rechten Hegemonie Parteien und anderen Akteure formulieren . Dass rassistische Maßnahmen als rational und ideologiefrei, "ohne Scheuklappen", annähernd alle etablierten Parteien proklamieren und die AfD sowieso.

 Man könne immer nur verhindern, dass es noch schlimmer würde.

 Tatsächlich sind die Visionen neuer und alter autoritärer bis faschistoider Politik, völkischen Bestrebungen und eines grassierenden weißen Nationalismus nicht allzu verlockend und im Vergleich dazu Regime wie in Ägypten, dem Iran, China oder Afghanistan ebenso wenig, geschweige denn, dass die Klimakatastrophe eine attraktive Zukunfts- (oder Gegenwarts- )Vorstellung darstellen würde.

 Das Problem reicht tief und ruft überall, nur in der Politik nicht, auch die Suche nach Alternativen zu diesen trüben Aussichten hervor. Abgesehen von Sabine Harks "Gemeinschaft der Ungewählten (Öffnet in neuem Fenster)" und Seyda Kurts "Radikaler Zärtlichkeit" sind mir zumindest kaum politische Entwürfe bekannt, die Glück mitbedenken. Sabine Hark formuliert die Möglichkeit der Sorge um sich, um Andere und die Welt. Was Möglichkeiten mit bedenkt, wie in diesen Sorgebeziehungen Menschen sich wohlfühlen können, in denen sie solidarisch handeln.

 

SELF IMPROVEMENT

Auch Youtube explodiert geradezu vor lauter Glücksentwürfen - oft in einem Grenzbereich zwischen neoliberaler Selbstvermarktung (Öffnet in neuem Fenster) Esoterik und "Lebensratgebern", auch "Self Improvement", Selbstverbesserung, genannt. Der fürchterliche Jordan Peterson positioniert in diesem Feld mit seinen "12 Rules for Life". Dieses Genre ist bestsellerfähig. Ein anderes Werk aus diesem Zusammenhang ist "Atomic Habits" von James Clear. "Packed with evidence-based strategies, Atomic Habits will teach you how to make small changes that will transform your habits and deliver amazing results (Öffnet in neuem Fenster)" heißt es im Werbetext auf seiner Homepage.

Es gibt Meditationsanleitungen en masse und Ansätze, die Bibel als Selbstermächtigung im Sinne der Selbstwirksamkeit zu lesen statt als ein an Kirchen delegiertes Regelwerk - eine Praxis, die auf der dunklen Seite der Macht, bei vielen Evangelikalen, auch ernst genommen wird, bei diesen freilich doch wieder alles an Gott delegierend -, Gurus und Satsangs, die viele Views generieren. Journaling, Monk-Mode, wie ist es, um 5 Uhr aufzustehen wie erfolgreichen Silicon-Valley-Manager, wie lerne ich, den Prozess zu lieben statt den Erfolg usw.. Der Entwürfe sind viele.

 

DIE FRAGE NACH DEM GLÜCK

 Man kann sich darüber lustig machen, sollte dabei aber nicht vergessen, dass im Kern noch kommunistischer Theorieentwürfe aus dem 19. Jahrhundert die Befreiung von entfremdeter Arbeit und die klassenlose Gesellschaft wie auch das Gemeinschaftseigentum an Produktionsmitteln über Glücksmöglichkeiten legitimiert wurde. Menschen, die nichts zu verlieren hätten als ihre Ketten, sollten eine Gemeinschaft anstreben, in der keiner mehr geknechtet sei.


Bei Ernst Bloch oder Herbert Marcuse stehen Glücksentwürfe, also Fragen nach dem "Guten Leben", z.B. in der Triebbefreiung und der Erotisierung des ganzen Lebens noch im Mittelpunkt. Meistens wird Glück als Möglichkeit der Autonomie und Freiheit gedacht; klassisch linke Entwürfe postulierten, die gesellschaftlichen Verhältnisse seien zu ändern, damit der Mensch Glück erfahren könne.

 

WAS BEI YOUTUBE ALS PHILOSOPHIE GILT

 In den Youtube-Ratgebern tauchen statt dieser Form der Sozialphilosophie andere Quellen auf. Unter "Philosophie" verstehen viele dort nicht, Kant zu büffeln und Habermas zu lesen. Es tauchen eher klassisch metaphysische, auch kosmologische Modelle auf.

 Bezüglich westlicher Philosophie sind die Stoiker beliebt; Seneca zum Beispiel. Sie haben durchaus Kosmologien formuliert: in allem sei der Logos, der zugleich das Feuer meint. Herbert Schnädelbach bezeichnete in Seminaren das Christentum als "Vulgärstoizismus"; noch "Im Anfang war das Wort" meine zugleich dieses Feuer und die rationale Energie in uns.

 Stoiker bezeichneten Affekte als Fehlurteile, die verpuffen, wenn man die Welt wieder vernünftig betrachtet. Man könne nur die eigenen Gedanken kontrollieren, nicht die Welt oder Andere. Man lebe mit im Einklang mit der Natur und seinen Mitmenschen und halte Maß (ein aristotelisches Erbe), verordne sich eine Art Diätik in der eigenen Lebensführung. Eine, die Erregungen - wie Wut - vermeidet und geordnet den Tag verbringt. Das wirkt sehr unpolitisch; jedoch schleppte auch Michel Foucault eine Ausgabe der "Selbstbetrachtungen" des römischen Kaisers Marc Aurel ständig mit sich herum, fasziniert von dessen Ausführungen. In seinem Spätwerk widmete er sich vor allem in "Die Sorge um sich" den Stoikern. Die berühmten Stichworte von der "Ästhetik der Existenz", "warum sollte nicht jeder aus seinem Leben ein Kunstwerk machen können?", entstammen der Auseinandersetzung mit antiken Tugendlehren.

 Dass diese im Netz so erfolgreich sind, liegt vor allem darin begründet, dass sie sich mit fernöstlichen Weisheitslehren wie Buddhismus und Taoismus verbinden lassen: "Detachment".  Hafte nicht an der Welt der sinnlich erzeugten Illusionen, kümmere Dich lieber um eine Haltung zu ihr, die ihren Einfluss auf Dich mindert.  Man glaubt es kaum, aber Spuren davon finden sich auch bei Immanuel Kant. Sie sind auch zentral in den von Arthur Schopenhauer bewunderten altindischen Upanishaden (Öffnet in neuem Fenster) und im Buddhismus.

Das ist jener andere Zweig des Wissens, der aufploppt, recherchiert man, was der internationale Nachwuchs unter "Philosophie" versteht. Sehr populär ist Alan Watts (Öffnet in neuem Fenster) ein britischer Religionsphilosoph mit eindrucksvoller Stimmlage, dessen viel geteilte Vorträge einen New Age-Mix von allerlei östlichen Weisheiten anrühren, die in Gelassensein, Geschehenlassen, Gottvertrauen, aber eben nicht in den christlichen oder islamischen Gott, sondern das Sein als solches als Regulativ setzen. Ein Sein, das als geistig imaginiert wird. Wie anders auch im deutschen Idealismus. Tugendhaftigkeit und Glücksmöglichkeiten bilden hier eine Einheit.

 Ich will das keineswegs proklamieren. Es verweist einfach auf Bedürfnisse, die offenkundig viele Menschen haben, sich in einer von Krisen geschüttelten Welt zu bewegen und darauf zumindest "innerlich" zu reagieren (oder auch nicht). Es taucht nicht nur entrückter Unsinn in alledem auf. Wenn Watts durch Landschaften spaziert, deren kreative Wucherungen und Formenreichtum betrachtet und sich dann fragt, wie eine Wissenschaft entstehen konnte, die alles in Geometrie, Zahlen, Graphen und Statistiken auflöst, so erscheinen hier Motive, die auch bei Horkheimer und Adorno oder in der Technikkritik Heideggers eine Rolle spielen. Dass in Deutschland dann vor allem “Querdenker” und Anthroposophen so etwas rezipieren, das ist allerdings tatsächlich ein Problem.

DAS GUTE LEBEN

 Diese Rückwendung zu Tugendlehren spielte durchaus auch, aber nicht nur im Gefolge von Michel Foucault trivialisierenden "Lebenskunst"-Modelle im akademischen Diskurs der 90er Jahre eine erheblich Rolle. Welche, das Echo dessen kann man z.B. in Rahel Jaeggis "Kritik von Lebensformen" hören. In Lebensformen orientieren sich Menschen gemeinsam an dem, was einst Tugenden genannt wurde. Bur eben nicht selbstbezüglich, sondern kooperativ. Um gemeinsam Probleme zu lösen und, ja, ggf. auch glücklich zu sein.

 Nach dem Fall der Mauer und der Implosion des Sowjetimperiums traute sich niemand mehr so recht, mit sozialistischen Utopien zu hantieren. An deren Stelle trat ein Boom in moralphilosophischen Fragestellungen. Einen wirkungsmächtigen Aufsatz verfasste Ernst Tugendhat:  "Antike und moderne Ethik". Seine These: die antike Philosophie, allen voran Aristoteles, habe die Frage nach dem guten Leben, siehe oben, ganz wie Marc Aurel als jene nach individuellen Tugenden, gelingender und ggf. beglückender Lebensführung gestellt. Moderne Ethik oder Moral hingegen habe die Frage nach dem Richtigen gestellt - begründungsfähige Normen und Prinzipien wie im  Kategorischen Imperativ Kants "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Aus diesen Konzeptionen entwickelten sich solche der Grund- und Menschenrechte, die allen gleichermaßen zukämen - so auch das Grundgesetz.

 Der Aristotelismus führte im Gegensatz dazu zuerst bei Hegel, dann bei Konservativen konkrete Sittlichkeit, Konventionen, die als vernünftige entstanden seien ins Feld. Tradition gewähre auch Glücksmöglichkeiten, und Institutionen seien dazu da, den Rahmen für sie zu gewährleisten. Marx ist ein verkappter Aristoteliker, wenn er auch andere Institutionen im Blick hatte als Arnold Gehlen (Öffnet in neuem Fenster), dessen Nazi-Vergangenheit in seinem Werk immer spürbar blieb.

Die so entstandene Frontstellung ließ die Lager miteinander streiten: gutes (und ggf. tugendhaftes) Leben versus Gerechtigkeit, Konvention, Sitte und Tradition als funktionierendes Gefüge versus fundamentale Rechte für alle gleichermaßen.

Das ist die Frontstellung, in der wir uns immer noch bewegen - die "Traditionlisten" im Islam, in Russland, unter den White Supremacy-Akteuren in den USA, konservative Politiker im Subsahara-Raum, die z.B. Homosexualität als "unafrikanisch" behaupten, auch der Konfuzianismus der chinesischen KP, der Social Scoring-Systeme nutzt, um Sittlichkeit zu wahren. Im Gegensatz dazu jene, die auf allgemeine Menschenrechte pochen.

 Ein wichtiger Aufsatz von Jürgen Habermas, "Vom pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft", formuliert so im Einklang mit Tugendhat eine strikte Trennung zwischen "gutem Leben" und "Gerechtigkeit". Pragmatisch sei praktische Vernunft, wenn sie abwägt, wie und was nun einzukaufen sei, ethisch, wenn diese Frage z.B. in Debatten um gesunde Ernährung diskutiert wird, moralisch, wenn die Arbeitsbedingungen beim Spargelstechen, die Entrechtung und Ausbeutung von Saisonarbeitern, Gegenstand würde. So ungefähr. Jaeggi eröffnet ihre "Kritik von Lebensformen" mit der Diskussion dieses Aufsatzes. Ihr Buch erschien 2013; es ist also keine Frage, die man in aller Ruhe in den 90ern belassen könnte.

POSITIVE VERSUS NEGATIVE FREIHEIT

 Eines der Folgeprobleme nur auf Gerechtigkeit zentrierter Ansätze ist, dass sie sowohl in Konzeptionen negativer als auch positiver Freiheit münden können. Frei sein zu oder frei sein von. Bestehen die gleichen Rechte aller nun in Schutzrechten gegenüber dem Staat, den Parteien, vor medialer Bevormundung und Manipulation, vor übergriffigen "politisch Korrekten" und aggressiven Nichtrauchern und Veganern? Oder bilden Sets von Rechten nicht gerade die Basis, ja, Möglichkeitsbedingung positiver Freiheit, also zusammen mit Anderen etwas erreichen und individuell Gestaltungsräume für Glücksmöglichkeiten entfalten zu können?

 Wie tief diese Fragestellungen in das wirken, was sich aktuell "liberal" nennt, bis hin zu Diskussionen rund um das Bürgergeld - "die schränken MICH ein, weil ICH Steuern bezahlen muss, damit DIE leben können", manche glauben ja, dass das so sei, muss wohl nicht vertieft werden. Charles Taylor verfasste hierzu einen grundlegenden Aufsatz, erschienen in "Negative Freiheit (Öffnet in neuem Fenster)". Ein nicht minder wichtiger Text darin diskutiert die Frage nach Gerechtigkeit am Leitfaden kantischer Gerechtigkeitsvorstellungen einserseits, einfachste Verteilungsregel, logisches Prinzip und sowieso dem Menschen angemessen sei formale Gleichheit, z.B. die Gleichheit vor dem Recht ungeachtet konkreter Eigenschaften einer Person, und andererseits Leistungsgerechtigkeit: wer mehr beiträgt, verdient auch mehr vom Kuchen. In letzteres mischen sich konservative Tugendlehren, dass Leistung eben auch glücklich mache und verdiente Privilegien nach sich ziehe. Als prinzipielle, nicht empirische Frage. Da weichen die dann eher aus.

 

MORALISCHE MOTIVATION UND MOTIVATION ZUR MORAL

Mit alledem zusammen hängt die Frage, was uns überhaupt motiviert, moralisch zu sein. Macht es uns glücklich, wenn wir Gutes tun, oder machen wir es, weil wir es rational für richtig halten, ganz unabhängig davon, ob wir etwas davon haben? Letzteres wäre die moralische Motivation. Habermas setzt annähernd vollständig auf diese, ergänzt jedoch, dass Moral sich entwickelt habe, weil Menschen grundsätzlich verletzlich und verwundbar seien - so habe jeder etwas davon, weil eben all verletzlich seien.

Aber macht das glücklich? Manche schon, Andere nicht. Und es kann auch ins Gegenteil münden, wie all jene wissen, die sich ganztätig um das Wohlergehen Anderer kümmern und eines Tages im Burnout landen. Dabei völlig vergessen, was ihre eigenen Interessen sind. Zumeist wird Frauen diese Rolle zugewiesen. Sie ist auch Alltag von jenen, die im sozialen Bereich tätig sind.

 

SEN UND NUSSBAUM

 Ein Modell, das beide Fragen, die nach Gerechtigkeit und gutem Leben zu verbinden versucht, ist das seltsamerweise in Vergessenheit geratene Konzept von Martha Nussbaum und Amartya Sen. Sen wuchs in Bangladesh auf und erhielt 1998 den Nobelpreis für den Nachweis, dass in Demokratien keine Hungersnöte ausgebrochen seien. Das zum Thema "Motivation zur Moral". Martha Nussbaum lehrt in Chicago Philosophie. Sie arbeitete eng mit Sen zusammen. Beides forschten zu Projekten in der so genannten "Entwicklungshilfe". Sie formulierten Listen von "menschlichen Grundfunktionen" oder auch Fähigkeiten, die mit den allgemeinen Menschenrechten korrespondieren und dennoch die Frage nach dem Glück nicht außen vorlassen. Eine Variante von Nussbaums Listen zitiere ich vollständig:

  1. Leben und Lebensdauer – imstande sein, ein Leben von normaler Länge zu führen

  2. Körperliche Gesundheit – imstande sein, eine gute Gesundheit bei adäquater Ernährung und Wohnung zu besitzen

  3. Körperliche Integrität – imstande sein, sich frei zu bewegen und ohne Gewalt zu leben

  4. Sinneswahrnehmungen, Vorstellungsvermögen und Gedanken – imstande sein, diese zu gebrauchen, einzusetzen, Unterricht zu erhalten

  5. Emotionen – imstande sein, sich an Dinge und Menschen zu binden

  6. Praktische Vernunft – imstande sein zu einer Vorstellung des Guten und zur praktischen Reflexion der eigenen Lebensplanung

  7. Zugehörigkeit – imstande sein, mit anderen zu leben und an sozialen Interaktionen teilzunehmen und mit Würde behandelt werden

  8. Andere Lebewesen – imstande sein, mit Tieren, Pflanzen und der Natur zu leben und hierfür zu sorgen

  9. Spielen – imstande sein zu lachen, zu spielen, sich zu erholen

  10. Kontrolle über die Umgebung – imstande sein zu politischer Teilnahme, zu Arbeit und Besitz

    (Quelle (Öffnet in neuem Fenster))

Ein durchdachter Katalog. Sen, letztlich ein Liberaler, kombiniert diese Listen mit seiner Vorstellung von gelingender Marktwirtschaft. Beides würde in einem Ergänzungsverhältnis stehen, sich wechselseitig bedingen - Demokratien seien dazu in der Lage, das zu gewähren. In Verfassungsgerichtsurteilen zum Bürgergeld tauchen abgespeckt solche Überlegungen auch auf; in den USA gälten sie vielen vermutlich als Sozialismus. Ich halte sie realpolitisch für die beste Konzeption, die man ins Feld führen kann. Diese sich im Sozialen entwickelnden Grundfähigkeiten als Zielsetzung könnten noch positiv den Umgang mit der Klimakatastrophe anleiten, gelten universell und sind zugleich weltzugewandte Glücksmöglichkeiten. Weil sich menschliches Leben in ihnen frei entfalten kann.

 

ABER DIE WIRKLICHKEIT ...

Sieht man sich in der Welt um frappiert, wie überall das Gegenteil sich durchzusetzen scheint. Viele sind eher bereit, selbst unterzugehen, Hauptsache, Anderen geht es schlechter als ihnen. Der gesamte Katalog der politischen Rechten will Solidarität, wenn überhaupt, dann nur "unter Gleichen". Sie interessieren sich auch gar nicht für Glück, allenfalls für das, was sie zu fühlen glauben, wenn in der Kneipe keine "Ausländer" sitzen oder keine Regenbogenflagge in Sicht ist. Maßgebliche Motivation scheint oft das Unglück der Anderen zu sein, an dem sie sich laben. Es zirkulierten in letzter Zeit offen sadistische Tweets bei X, die sich darüber amüsieren, wie Arabern möglichst viel Leid geschah.

Sie haben "negative Freiheit" totalisiert, fühlen sich von allem gestört und behindert, was nicht so ist wie sie selbst, und beginnen es zu bekämpfen. Glücklich macht sie das auch nicht. Es muss ja die Hölle sein, so zu leben, dass man bei jedem Genderstern schon ausrastet. Ihre KI generierten "Visionen" eines besseren Lebens in Fortpflanzungsgemeinschaften haben nicht zufällig Ähnlichkeiten mit Bildern aus dem "sozialistischen Realismus".

 Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese zombifizierten Jungmänner mit ihrer apocalyptischen Aura, die gegen CSD-Demos demonstrieren, in solchen Verhältnissen glücklich wären. Ihr dauernd freiwillig erzeugte Frustration versuchen sie über Macht und Gewalt aufzulösen, wie Männer das so machen. Kontrolle wollen sie vermutlich vor allem über Frauen haben, die in Scharen wegziehen, weil sie sich eine Zukunft mit diesen Typen nicht vorstellen können - ständig die Welt um sich herum kontrollieren zu wollen führt allerdings auch in immensen Stress und ständige Frustration. Weil das eh nicht klappt, wie nicht zuletzt die Stoiker wussten.

 Es ist, und das global in vielen Gesellschaften, ein politisches Handeln entstanden, das traditionalistisch ausgelegte Regelwerke - die Traditionen sind zumeist auch noch erfunden - völlig unabhängig von Glückserwägungen formuliert. "Frei sein von" ohne "frei sein zu", sozusagen. Überall sehen sie Schmarotzer und stopfen sich unaufhörlich Desinformationen über allerlei von DEN ANDEREN verursachtes Grauen in ohre Hirne. Dass dabei nur immer neue Frustration entsteht, die auch das neue Smartphone nicht kompensiert, merken sie wohl nicht mehr.

 Sollen sie doch, möchte man sagen - sie bewirken damit jedoch Tod und Verderben, wenn man nur an all die Leichen im Mittelmeer denkt.

 Zudem die Rechten zumindest in Deutschland noch nicht mal mehr über eine Vorstellung von Jenseits verfügen, in dessen Fall nach dem Jüngsten Gericht die Erfüllung auf sie wartet nach all den Entsagungen. Ich glaube auch nicht, dass sie Erfüllung überhaupt denken können.

 Das alles ist unter anderem ein Effekt, in dem alle fortwährend im "Survival Mode" gehalten werden. Manche durchlaufen diesen Zustand schon, wenn sie arabische Sprachfetzen in einer Fußgängerzone hören. Eine von Angst getriebene, unglückliche, dunkle Welt, in der überall Bedrohungen lauern, alle ihnen etwas wollen.

 

Sind Politiken des Glücks möglich?

 Nun bieten sich auch progressiven Perspektiven wenig Anlässe, den "Survival Mode" zu verlassen - angesichts weltweiter Fluchtbewegungen, grauenhafter Kriege und der Klimakatastrophe.

 Ich denke dennoch, dass man nicht umhinkommt, die Listen von Sen und Nussbaum wieder sexy zu machen. Eben weil sie auch die Möglichkeit von Glück beinhalten. Die Welt, in der Rechte leben, ist eine, von der im totalen Konkurrenzkampf niemand etwas hat. Das wird sie auch nicht motivieren, wenn man bei denen an diesem Punkt ansetzt. Aber ja vielleicht die Anderen. Wir sollten es zumindest probieren.

 Alle progressiven Bewegungen, die etwas bewirkten, setzten so an. Zuletzt die Popkulturen der 60er Jahre. Sie beinhalteten Versprechungen des Eros, der Intensitäten, des Erlebnisses, das glücklich macht.

Die Hetero-Kleinfamilie und deren Kopien werden eh weiter der Rahmen bleiben, in dem die meisten Glück denken. Erweitert um die Listen könnten auch diese Entwürfe für viele erträglicher werden.

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Kategorie Gesellschaft

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