Zum Hauptinhalt springen

Einer von vielen Tweets, in denen über Kinder, die ein wenig anders sind, auf erschreckend aggressive Art geschrieben wird. Und in der Realität ist dies leider längst bekannt. Fragt mal erwachsene Autisten und Autistinnen ... Aber hier geht es nicht um Autismus oder nicht, es braucht keinen Autismus, dass Kinder "nicht der Norm" entsprechen. Und die Norm legen Erwachsene fest. Die dann so über die Kinder herziehen. Ich ärgere mich immer noch. 

Müssen Kinder alle gleich sein? Sind sie nur „brav“ oder „ein richtig gut erzogenes Kind“ oder gelten von Erwachsenen als einfach, cool oder „normal“, wenn sie sie „nicht aus der Reihe tanzen“, sich nicht zu auffällig benehmen? Und was ist zu auffällig? Ganz einfach: Wenn 9 von 10 Kindern nicht weinen, weil Sand auf ihren weißen Turnschuhen gelangt, dann ist das 10. Kind, das deswegen weint, auffällig, ein Weichei, jemand, „dem man früher auf dem Pausenhof  aufs Maul gegeben hätte“. Ehrlich, ich bin entsetzt über den Tweet, den ich hier poste, der mir heute in die Timeline gespült wurde. Und ja, mir ist bewusst, dass diese Art von Tweets dazu dienen, Likes zu sammeln. Diese Art von Tweets, in denen sich Erwachsene über Kinder aufregen, die vermeintlich schlecht erzogen sind oder eben „Weicheier“. Es geht darum, Fame zu generieren, das ist mir klar. Und leider bekommen solche Tweets viel Fame. Die Leute finden es richtig, kustib, wahr, was auch immer. Dennoch ist das, was in dem Tweet geschrieben wird, für Kinder Alltag. Für mich war es Alltag und es wirkt noch nach über 30 Jahren nach. Erwachsene, die entscheiden, wann ein Kind sich „anstellt“, die bestimmen, dass ein Kind zu weinerlich ist, zu verweichlicht etc.

Es ist dabei auch unerheblich, ob das Kind neurodivers ist (z.B Autist/in oder AD(H)S hat) oder nicht. Kinder sind verschieden. Und das ist gut so. Manche sind sensibler. Manche regen sich über Dinge auf, die Erwachsene als Lappalie abtun, die für ein Kind aber in dem Moment den Weltuntergang bedeuten. Aus welchen Gründen auch immer. Manchmal würde man es besser verstehen, fragte man nach. Tun viele nicht. Vorverurteilen und Stempel drauf ist ja geiler.

Ich habe als Kind wegen zig Sachen geweint, wegen denen andere Kinder nicht mal mit der Wimper gezuckt haben. Ich habe ständig zu hören bekommen, ich solle mich nicht so anstellen, mal zusammenreißen, nicht immer so ein Theater machen. Dass ich autistisch war, wusste man damals noch nicht. Ich merkte nur, ich war anders. Hat mich eine Wespe gestochen, sagte ich bloß trocken, oh, mich hat eine Wespe gestochen. Andere Kinder schrien, wurden hysterisch und weinten. Das durften die auch. Das galt in Zusammenhang mit einem Wespenstich als normal. Da wurde gut zugeredet und getröstet. Mal fielen auch Säte wie „Nu ist aber gut, der Arm ist noch dran. Schau mal, der Papa kauft dir jetzt ein Eis.“ Es wurde getröstet und ein hübsches Pflaster auf die Stelle geklebt, dann gabs ne Umarmung, ein Eis oder whatever. Ich hingegen wurde hysterisch und habe geweint, wenn meine Socken nass wurden. Das werde ich immer noch, wenn ich sie nicht gleich wechseln kann. Ich ertrage es nicht. Als Autistin ist meine Wahrnehmung anders. Wespenstich okay, nasse Socken, die ich nicht sofort wechseln kann, bewirken ganz schnell eine Reizüberflutung, weil ich das Gefühl nicht ertrage. Es ist mehr als unangenehm, was viele nicht nachvollziehen können. Für die sind nasse Socken eben nervig, aber mehr auch nicht.

Es braucht aber keinen Autismus, dass Kinder manchmal anders reagieren. Kinder haben manchmal Phasen, in denen sie etwas nicht so gut abkönnen, manche sind sensibler, manche sind etwas zwanghafter, das ist alles in Ordnung, solange es keine pathologischen Züge annimmt und das Leben einschränkt. Und das tut es eben oft nicht.

 Dass ein Kind weint, weil Sand auf die weißen Turnschuhe gelangt, kann an so vielem liegen, und meine Güte, kann man das nicht einfach mal akzeptieren? Wie einfach könnte das Leben sein, wenn Leute einfach mal akzeptieren, dass es Menschen gibt, die eben nicht „der Norm“ entsprechen oder manchmal danach handeln und dennoch tolle Menschen sein können???!!

- Das Kind könnte neurodivers sein.

- Es könnte eine strenge Mutter haben, die schimpft oder Schlimmeres, wenn Schuhe dreckig gemacht werden.

- Es könnte aus ärmlichen Verhältnissen kommen und stolz sein auf die neuen Schuhe, die von Oma geschenkt wurden, die vielleicht gerade gestorben ist.

- Es könnte auch einfach nur ordnungsliebend sein und Sand einfach nicht auf Schuhen mögen und das ist okay.

Aber diese Einstellung von Erwachsenen, wie oben in dem Tweet, hat mir die Kindheit mit zur Hölle gemacht hat. Niemand hat nachgefragt. Alle sind davon ausgegangen, dass ich mich anstelle. Ich hätte es vielleicht auch gar nicht nachvollziehbar erklären können, wieso ich bei manchen Dingen so extrem reagiere. Damit habe ich ja heute noch Schwierigkeiten. Aber wieso muss denn jedes Kind in eine Norm gepresst werden? 

Auf Instagram habe neulich einen Post darüber verfasst,  wer man geworden wäre, wenn man damals einfach hätte sein können, ohne sich zu verstellen, ohne sich zu sehr an die Norm anzupassen. Die Reaktionen, die per PN kamen, waren teilweise erschütternd. Und einigen wurde erst klar, wie sehr dieses "sich verstellen, sich anpassen" sie krank gemacht hat. Ich schließe mit meinen Worten aus dem IG-Post: Ich war mal glücklich, bevor ich wusste, dass ich jemand anders sein muss, um überhaupt jemand in dieser Welt zu sein.

Link zu Instagram.com/missflappergirl (Öffnet in neuem Fenster)

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von being_different und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden