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Interview mit einer Autistin 

Viele Menschen haben sich erst durch Greta Thunberg mit dem Thema Autismus beschäftigt, die von Anfang an sehr offen mit ihrer Diagnose umging. Es folgte viel Häme wegen ihres Engagements, vor allem aber wurde sich viel an ihrer Diagnose aufgehangen, und völlig falsche Ansichten dargestellt, was Autismus überhaupt sei. On-und offline. Das Häufigste, was ich dazu gelesen habe, war, dass sie als Autistin gar nicht selbst diese Initiative für den Klimaschutz zeigen könne, da müsste eine PR-Maschinerie und/oder die Eltern verantwortlich sein. Es folgten viele Klischeevorstellungen und Beleidigungen. Greta Thunberg war eine ganze Weile sehr präsent in den Medien. Manche bezeichneten sie „Aushängeschild“ für die Autismus-Bewegung, was immer man darunter verstehen mag. Sie ist nun ein recht erfolgreiches und prominentes Beispiel, wie viel man trotz oder wegen der Diagnose erreichen kann. Die Schattenseiten kamen mir persönlich zu kurz. Nicht jeder Autist kann verreisen, auf welche Art auch immer. Nicht jeder Autist kann an Demos teilnehmen, für viele wäre schon der Weg dorthin mit Overloads verbunden vom Mitmarschieren mit zig Tausenden Menschen ganz zu schweigen. Als das scheint für sie auf den ersten Blick kein Problem darzustellen. Wie sagt man so schön, kennst du einen Autisten, kennst du genau einen Autisten. Aber wir wissen auch alle, die Medien zeigen längst nicht alles, sondern sie Formen ein Bild von etwas, so wie sie es haben wollen. Glaubst du, Greta Thunberg hat es für Autisten leichter oder schwerer gemacht, sich zu erklären, sich zu outen, oder verstanden zu werden? Oder hatte das deiner Meinung nach keinen Einfluss? Und wenn du noch beantworten magst: Hat es dich irgendwie persönlich beeinflusst?

Peggy: Ich hab Greta anfangs gar nicht als Autistin wahrgenommen. Erst nach und nach rückte ihre Diagnose in meinen Fokus, als ich 2020 meine eigene Diagnose erhielt. Greta leistet großartige Aktivistenarbeit und ja, ich denke es stand jemand hinter ihr, weil ohne die Unterstützung ihrer Eltern wäre weder der Schulstreik noch das daraus entstehende Engagement für Fridays for Future möglich gewesen. Allerdings denk ich das vollkommen unabhängig von ASS, den so ziemlich jeder 15jährige Teenager braucht da mehr oder weniger Unterstützung eines Erwachsenen. Aber wurde sie gedrängt? Nein, dass denk ich nicht. Dazu kommt, dass Greta einen anderen "Vorzeigeautisten" abgelöst hat, Sheldon Cooper. Wir wissen, dass Sheldon keinen Autisten verkörpern soll und dennoch wird er so wahrgenommen. Und ja, mit Greta kam auch die dunkelste Seite des Ableismus gegen Autisten hervor. Aber unterm Strich kam der Hass wegen ihrem Engagement für das Klima und nicht weil sie Autistin ist. Eigentlich hat es gereicht, dass sie jung und weiblich ist. Hat es die Sicht auf Autistmus verändert? Nein, weil Greta nie ihre Diagnose in den Vordergrund gestellt hat und somit blieben auch die Schattenseiten unsichtbar. Allerdings zeigt sie sehr wohl, dass man trotz Diagnose auch außergewöhnliches schaffen kann. Und doch... im Alltag habe ich noch keinen Vergleich mit Greta erlebt.

Es gibt mittlerweile vermehrt Dokumentation über autistische Frauen. Früher habe ich gedacht, Autismus und das Spezialinteresse für Züge gehören zwangsläufig zusammen, weil in jeder Dokumentation über Autismus ein männlicher Autist vorkam, der irgendwann an einem Güterbahnhof gefilmt wurde, wie er sämtliche Zugtypen auswendig aufsagen kann plus Baujahr etc. Glaubst du, dass Frauen oder nicht binäre Autisten sowie männliche Autisten, die als unauffällig gesehen werden, unterpräsentiert sind in der Berichterstattung? Gibt es etwas, das dir in solchen Dokumentationen fehlt? 

Peggy: In meiner Ausbildung zur Erzieherin hab ich tatsächlich das gelernt. Männlich, Züge, zappelig, aggressiv... so wurde uns Autismus vorgestellt. Während einer Freizeit, bei der ich Betreuerin war, lernte ich eine weibliche Autistin kennen - nonverbal, aggressiv, unberechenbar...aus damaliger Sicht. Wir wußten einfach zu wenig. Und heute wissen wir kaum mehr. An der Sendung mit der Maus mit Lucy und den darauf folgenden Kommentaren sah man allerdings, dass sich alle Autisten, egal mit welcher Ausprägung falsch in den Medien vertreten sehen. Es ist so schwierig. Denn ja, jeder ist anders, jeder hat andere Ausprägungen in den diversen Symptomen und jeder hat andere Spezialinteressen. Was tatsächlich wünschenswert wäre wäre eine Dokumentation über verschiedene Autisten mit unterschiedlichem Background und unterschiedlicher Auswirkung des ASS, allerdings befürchte ich, dass selbst das nicht das immens große Spektrum abdecken kann.

Für viele Menschen sind Autisten immer noch die seltsamen Einzelgänger ohne Gefühle, weswegen oft in Zusammenhang mit Amokläufen Aussagen wie „autistisches Verhalten“ „wie ein Autist“ etc. getätigt werden. Denkst du, dieses falsche Bild über autistische Menschen wird irgendwann der Vergangenheit angehören? 

Peggy: Kaum läuft einer Amok wartet die Community auf den Autismusvergleich. Ich würde es mir wünschen, dass es aufhört, aber wenn ich ganz ehrlich bin...solange "Experten" von Wut, Aggression und Unberechenbarkeit reden, Autisten in geschlossenen Abteilungen landen, anstatt richtige Förderung zu bekommen und solange Medizin wie auch Medien nicht anfangen Autisten zuzuhören und ihre Fehler einzugestehen und zu korrigieren... so lange werden wir bei jeder Amok- oder Gewaltmeldung aufs neue darauf warten, wann der Autismusbezug hergestellt wird.

Danke an : https://twitter.com/Mami_mit_Herz

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