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Soll man Männer essen (und wenn ja: Mit welchem Dip?)?

Erstaunlicherweise hat es doch bis zur dritten Ausgabe dieses sehr interessanten Newsletters gebraucht, bis ich 1. den wöchentlichen Verschickungstermin schlurihaft bis Sonntagabend ausgereizt und 2. final verinnerlicht habe, dass ich hier wirklich schreiben kann, worüber ich möchte, ganz ohne Pitchzwang, aalhaft gewundene Relevanzbehauptungen und Rücksicht darauf, ob sein Inhalt irgendjemanden außer mir interessiert. Was im Umkehrschluss freilich heißt, dass ich überzeugt davon bin, dass  die Mehrheit der Menschen verzweifelt nach Informationen über Ramschkartons und marmorierte Notizbuchdeckel dürstet. Manchmal bin ich wirklich gerührt von mir selbst.

Ermutigt von diesem neu verinnerlichten Egomanie-Privileg möchte ich Ihnen heute ein cineastisches Großwerk nahebringen, für das ich schon vor 25 Jahren niemanden interessieren konnte (buchen Sie mich gern für weitere fesselnde Werbeclaims). Als ich den Film, um den es hier geht, während meiner mit reichlich Tagesfreizeit verbräsigten Studentinnenjahre entdeckte, war ich so begeistert davon, dass ich mich gerne mit Freunden, Bekannten und aufdringlich in der Schlange zur Schlatterhausmensa (Tübingen represent!) angesprochenen Vollfremden darüber ausgetauscht hätte. Aber die suchten sämtlich wieselflink das Weite, noch bevor ich den Namen des Films ganz ausgesprochen hatte, und das ist auch für Untrainierte gut machbar, denn er lautet "Kannibalinnen im Avocadodschungel des Todes".

Ich kann das nicht verstehen, denn bereits eine knappe Inhaltsangabe des 1989 erschienenen Wunderwerks (das auch unter den Alternativ-Titeln "Im Dschungel der Avocados", "Kannibalinnen im Avocado-Dschungel" und  "Kannibalinnen im Dschungel des Todes" zu finden ist, aber ich bevorzuge the full monty) ist dramaturgisches Gold: Die USA wird von einer Avocado-Krise erschüttert, die die nationale Versorgung mit dem nahrhaften Fettobst gefährdet. Schuld sind die so genannten Piranha-Frauen, die als wilde Matriarchat-Ultra-Enklave in besagtem Avocadodschungel leben und alle Männer, die sich in ihr Revier wagen, aus feministischen Gründen fangen, rituell opfern und aufessen, weswegen Avocado-Erntehelfer kaum mehr zu rekrutieren sind. Die Regierung schickt also Dr. Margo Hunt, Professorin für Women's Studies, in den Dschungel,  um mit den Frauen zu verhandeln und ihnen die Übersiedelung in einen eigens bereitgestellten Wohnblock in Malibu anzubieten. Außerdem soll sie bei dieser Expedition nach der Feministin Dr. Kurtz suchen, die vor einiger Zeit im Dschungel verschütt ging.

Extrem plausibel begleitet von der pinkhirnigen Bunny (die erst vor kurzem vom Hauptfach Hauswirschaftslehre zu Hunts Kursen wechselte und in feministischen Belangen noch nicht ganz auf der Höhe ist) und dem stumpf chauvististischen Jim macht Hunt sich auf den Weg, um nach aufreibender Reise im Tempel der Piranha-Frauen anzukommen – und festzustellen, dass sie Dr. Kurtz gerade zu ihrer Anführerin gemacht haben. 

Da ich sicher bin, dass Sie bereits mit den Hufen scharren, um dieses für mich  wirklich unerklärlicherweise in der Obskurität versenkte feministische Think Piece selbst anzuschauen (ich sage nicht, dass es den Film in einer qualitativ ärmlichen Original-Fassung aus Youtube gibt, denn das scheint mir rechtlich eventuell nicht ganz hasenrein), spoilere ich nun nicht, welche aufregenden  Dinge dann im Kannibalinnen-Tempel vonstatten gehen. Falls sich Ihnen die Großartigkeit von KIADT, wie die Fans dieses Films leger zu sagen pflegen (also ich sage das so, wenn ich meinem Hund davon erzähle), nicht sofort erschließt, habe ich hier noch eine kleine Handreichung vorbereitet, was daran genau so großartig ist. Komme mir jetzt bitte niemand mit "so schlecht, dass es schon wieder gut ist" oder ähnlichem absicherungsironischem Quatsch – Jarvis Cocker wusste es schon 1998: Irony is over, bye bye.

Fünf Gründe, warum "Kannibalinnen im Avocadodschungel des Todes" ein sehr guter Film ist, naja okay, ein guter zumindest, auf eine Art:

1. Die trashy Ausstattung tröstet einen über die Übergangslösungshaftigkeit des eigenen Daseins hinweg. Wer sich seit zwei Jahren in einem Provisorium gefangen fühlt, wird sich am grobschlächtig improvisierten "Dschungel" laben können, den man mit ein paar halblebigen Grünpflanzen mühelos in jedem durchschnittlichen mitteleuropäischen Park nachbauen kann.

2. Es gibt trotz zugegebenermaßen recht dreister Kalauerdichte ein paar wirklich gute Gags. Unterwegs zu den Piranha-Frauen treffen Dr. Hunt, Bunny und Jim im Dschungel zum Beispiel auf eine kleine Kolonie extrem sanftmütiger Männer, die dort in Furcht vor den Kannibalinnen leben. Sie häkeln, stricken und klöppeln elaborierte Handarbeiten, die sie im Dschungel als Geschenke auslegen, um die Amazonen milde zu stimmen. Und später, angekommen im Tempel, merkt Jim erst sehr spät, warum ihm die Kannibalinnen ein Bad mit vielen wohlriechenden Kräutern – und Karottenschnitzen –  einlassen: "Oh my god, you're marinating me!"

3. Natürlich ist KIADT eine Klamotte, aber gemessen an den Genrekonventionen geht der Film mindestes als trojanischer Dackel durch, was feministische Botschaften angeht. "Why does it bother you so much to see men cooking and performing tasks generally relegated to women?",  fragt Dr. Hunt den Bilderbuchsexisten Jim, als der sich über die softe Männerkolonie lustig macht: Warum er sich denn in seiner eigenen Männlichkeit bedroht sehe, wenn ein anderer Mann etwas weiblich konnotiertes mache? Immer wieder werden derartige Fragen gestellt, tatsächlich durchaus ernsthaft. Feministische Selbstbeharkung wird dagegen parodiert, als  Dr. Hunt im Dschungel einen rivalisierenden Kannibalinnen-Stamm entdeckt, die so genannten Barracuda-Frauen. Sie haben sich von den Piranha-Frauen abgespalten, weil sie anderer Meinung waren, was den Verzehr von Männern angeht. Allerdings war der Disput nicht grundsätzlicher Natur: Es ging dabei nur um die Frage, ob Männer mit der von den Piranhas bevorzugten Guacamole oder doch mit Muschel-Dip besser schmecken.  

4. Es lohnt sich, die weiteren Lebensläufe des Filmpersonals zu verfolgen. Regisseur J. F. Lawton (der KIADT unter dem Pseudonym J.D. Athens drehte) schrieb ein paar Jahre später das Drehbuch von "Pretty Woman". Shannon Tweed, die Dr. Margo Hunt spielt, reüssierte danach vor allem in so genannten Erotikthrillern und ist bis heute mit Gene Simmons von Kiss verheiratet, den sie während ihrer Zeit im Playboy Mansion kennenlernte. Und sie ist die Erzählstimme des kanadische TrashTV-Formats "Ex-Wives of Rock", das nach erstem Augenschein unbedingt nähere Betrachtung verdient.  Adrienne Barbeau, die Dr. Kurtz spielt, wirkte zuvor in Horrorfilm-Klassikern wie "The Fog" und "Swamp Thing" mit und war zeitweilig mit Regisseur John Carpenter verheiratet. Und der Darsteller des ungeschickten Superchauvis Jim, der ständig hinfällt, sich anstößt oder versehntlich selbst peitscht, ist tatsächlich Bill Maher. Ja, der Bill Maher von "Real Time with Bill Maher". Sachen gibt's. 

5. Es gibt ein paar schöne pop- und sonstwie-kulturelle Anspielungen. Dr. Kurtz etwa leiht sich nicht nur ihren Namen von Joseph Conrads "Heart of Darkness", sondern auch ein berühmtes Zitat. Wunderschön ist auch die Enthüllung ihrer echten Motivation, sich überhaupt an die Piranha-Frauen ranzuwanzen: Sie wollte an ihrem Beispiel nämlich  keinesfalls feministische Radikalformen studieren, wie sie zunächst behauptet hatte, sondern brauchte schlicht ein neues, catchy Thema, um nach ihrem ersten Buch "Smart Women, Stupid Insensitive Men" wieder durch die Talkshows tingeln zu können, gesteht sie schließlich ihrer Kollegin Hunt – und zwar dieses Mal ein echtes Knallerthema: "You don't know how it's like to face David Letterman with a book about male insensitivity", ächzt sie, dem Zusammenbruch nah. An der fortgesetzten Männerfresserei ist am Ende, genau betrachtet, also in Wahrheit nur  ebendieser Letterman schuld. Und natürlich das verdammte Patriarchat. Bis nächste Woche! 


 

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