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Bildschirmzeit und ADHS

Welchen Einfluss hat früher Medienkonsum bei Kleinkindern auf die Entwicklung von ADHS und / oder Autismus-Spektrum?



Liebe Leserinnen und Leser,

In meinem Urlaub ist mir einmal mehr aufgefallen, wie häufig junge Väter und Mütter ein Tablet bzw. smartphone zur Beschäftigung von Kleinkindern z.B. während Mahlzeiten nutzen. Bei uns bzw unserem Enkelkind übrigens auch… Und das dafür offenbar ein entsprechender Markt besteht, denn etliche Kleinkinder hatten bereits speziell dafür produzierte Tablets.

Eine brandneue Studie der Drexel University hat kontroverse Einblicke in die Auswirkungen von Bildschirmzeit auf Kleinkinder geliefert. Diese Forschung deutet darauf hin, dass der häufige Konsum von Fernsehen oder Videos bei Babys und Kleinkindern zu atypischem sensorischem Verhalten führen und ihre Fähigkeit zur Verarbeitung ihrer Umwelt beeinträchtigen kann.

Atypisches sensorisches Verhalten kann verschiedene Formen annehmen, darunter Desinteresse, intensivere Stimulationssuche oder das Überfordertsein durch sensorische Reize wie laute Geräusche oder helles Licht.

Nun rate ich zur Vorsicht : Eine Korrelation mit dem gleichzeitigen Auftreten von Ereignissen sagt nichts über Kausalität aus. Anders ausgedrückt : Möglicherweise neigen eben Kinder mit Reizoffenheit bzw. hoher Suche nach Reizen / Dopamin eher zu Bildschirmkonsum als neurotypische Kinder.

Und es geht mir natürlich auch nicht darum, die Eltern zu verurteilen. Sondern überhaupt erstmal mich mit dem Thema zu beschäftigen.

Aber schauen wir erstmal auf die Studie :

Die Auswirkungen von Bildschirmzeit auf Kinder unter zwei Jahren

Die Studienergebnisse legen nahe, dass Kinder, die bereits vor ihrem zweiten Geburtstag häufig vor dem Bildschirm sitzen, mit 33 Monaten eher Verhaltensweisen wie "Sensation Seeking" (das Streben nach intensiven Sinneseindrücken), "Sensation Avoiding" (die Vermeidung von Sinneseindrücken) und "Low Registration" (die verzögerte Reaktion auf Reize) entwickeln.

Dr. Karen Heffler, Professorin für Psychiatrie an der Drexel University und Leiterin der Studie, betont die potenziellen Auswirkungen dieser Ergebnisse auf neurodiverse Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Autismus, bei denen atypische sensorische Verarbeitung häufiger auftritt.

"Diese Zusammenhänge könnten erhebliche Auswirkungen auf Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung und Autismus haben, da atypische sensorische Verarbeitung in diesen Populationen viel häufiger vorkommt", sagt Dr. Heffler.

"Das repetitive Verhalten, wie es bei Autismus-Spektrum-Störungen beobachtet wird, ist stark mit atypischer sensorischer Verarbeitung verbunden. Zukünftige Forschung könnte aufzeigen, ob die Bildschirmzeit im frühen Leben die sensorische Überaktivität im Gehirn fördern könnte, die bei Autismus-Spektrum-Störungen zu beobachten ist, wie beispielsweise eine gesteigerte Gehirnreaktion auf sensorische Reize", schließt Dr. Heffler.

Wie wurde die Studie durchgeführt?

Die Forscher konzentrierten sich auf Kinder, die bereits vor ihrem zweiten Geburtstag vermehrt Fernsehen geschaut hatten. Die Fähigkeit zur sensorischen Verarbeitung, die entscheidend ist für eine effiziente und angemessene Reaktion auf Sinneseindrücke (wie Hören, Sehen, Tasten, Schmecken), wurde mithilfe des Infant/Toddler Sensory Profile (ITSP) bewertet.

Die ITSP-Unterskalen bewerten die sensorischen Verhaltensmuster von Kindern, darunter niedrige Reaktionsfähigkeit, das Streben nach intensiven Sinneseindrücken, sensorische Empfindlichkeit (zum Beispiel Reizbarkeit durch Licht und Lärm) und das Vermeiden von Sinneseindrücken (aktive Kontrolle der Umgebung, um Erfahrungen wie Zähneputzen zu vermeiden).

Basierend auf der Häufigkeit dieser sensorbezogenen Verhaltensweisen erhalten die Kinder Wertungen in den Kategorien "typisch", "hoch" oder "niedrig". Eine Wertung wird als "typisch" betrachtet, wenn sie innerhalb einer Standardabweichung des Durchschnitts der ITSP-Norm liegt.

Die Erkenntnisse des Forschungsteams

Die Forscher analysierten Daten aus den Jahren 2011 bis 2014, die im Rahmen der National Children's Study erhoben wurden und 1.471 Kinder (50% Jungen) aus dem ganzen Land umfassten.

Die Messungen zur Bildschirmexposition zu verschiedenen Altersmeilensteinen (12, 18 und 24 Monate) basierten auf den Angaben der Betreuer.

Die Ergebnisse waren aufschlussreich:

  • Bereits mit 12 Monaten wurde jede Form von Bildschirmexposition mit einer um 105% höheren Wahrscheinlichkeit von "hohem" sensorischem Verhalten im Zusammenhang mit niedriger Reaktionsfähigkeit bei 33 Monaten in Verbindung gebracht.

  • Mit 18 Monaten erhöhte jede zusätzliche Stunde täglicher Bildschirmzeit die Wahrscheinlichkeit von "hohem" sensorischem Verhalten im Zusammenhang mit der Vermeidung von Sinneseindrücken und niedriger Reaktionsfähigkeit um 23%.

  • Mit 24 Monaten wurde jede zusätzliche Stunde Bildschirmzeit mit einer um 20% höheren Wahrscheinlichkeit von "hohem" Sensation Seeking, sensorischer Empfindlichkeit und Vermeidung von Sinneseindrücken bei 33 Monaten in Verbindung gebracht.

Die Studie berücksichtigte verschiedene Faktoren wie das Alter, Frühgeburtlichkeit, die Bildung der Betreuer und die Rasse/ethnische Zugehörigkeit sowie die Aktivitäten des Kindes wie Spielen oder Spazierengehen mit dem Betreuer.

Diese Ergebnisse tragen zu einer wachsenden Liste von Gesundheits- und Entwicklungsproblemen bei, die mit Bildschirmzeit in Verbindung stehen. Dazu gehören Sprachverzögerungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Verhaltensprobleme, Schlafprobleme, Aufmerksamkeitsprobleme und Verzögerungen bei der Problemlösung.

Bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) und ADHS kann eine atypische sensorische Verarbeitung zu Reizbarkeit, Hyperaktivität, Ess- und Schlafproblemen, sozialen Schwierigkeiten, Problemen mit der Exekutivfunktion, Angstzuständen und einer geringeren Lebensqualität führen.

Bildschirmzeit und Entwicklungsbedenken Diese Studie reiht sich in eine wachsende Liste von Entwicklungs- und Verhaltensproblemen ein, die mit Bildschirmzeit bei Säuglingen und Kleinkindern in Verbindung stehen. Dazu gehören Sprachverzögerungen, Autismus-Spektrum-Störungen, Verhaltensprobleme, Schlafstörungen, Aufmerksamkeitsprobleme und Verzögerungen bei der Problemlösung.

"Angesichts dieser Verbindung zwischen hoher Bildschirmzeit und einer wachsenden Liste von Entwicklungs- und Verhaltensproblemen ist es möglicherweise ratsam, dass Kleinkinder, die solche Symptome zeigen, eine Phase der Reduzierung der Bildschirmzeit durchlaufen, begleitet von sensorischer Verarbeitung durch Fachkräfte wie Ergotherapeuten", empfiehlt Dr. Heffler.

Die Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde (AAP) rät von Bildschirmzeit für Kinder unter 18-24 Monaten ab und empfiehlt eine begrenzte Nutzung digitaler Medien für Kinder im Alter von 2 bis 5 Jahren.

"Die Schulung und Aufklärung der Eltern sind entscheidend, um die Bildschirmzeit bei Kindern unter zwei Jahren zu minimieren oder hoffentlich zu vermeiden", sagt der Seniorautor David Bennett, Professor für Psychiatrie an der Drexel University.

Weitere Forschung ist erforderlich Trotz der vorliegenden Beweise sehen viele Kleinkinder immer noch häufig Bildschirme. In den USA sahen Kinder im Alter von 2 Jahren und jünger 2014 durchschnittlich 3 Stunden und 3 Minuten pro Tag Bildschirme, was eine Steigerung von 1 Stunde und 19 Minuten pro Tag im Jahr 1997 darstellt, wie aus einem Forschungsbrief von 2019 in JAMA Pediatrics hervorgeht.

Eine Studie aus Juli 2015 in der Zeitschrift Nutrition and Behavior stellte fest, dass einige Eltern aus Erschöpfung und aufgrund fehlender kostengünstiger Alternativen auf Bildschirmzeit zurückgreifen.

Die Studie konzentrierte sich auf das Fernsehen oder das Anschauen von DVDs, ohne die Nutzung von Medien auf Smartphones oder Tablets einzubeziehen. Die Autoren fordern weitere Forschung, um die Mechanismen hinter der Verbindung zwischen frühkindlicher Bildschirmzeit und atypischer sensorischer Verarbeitung zu verstehen.

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass eine frühzeitige Exposition gegenüber Bildschirmen, einschließlich Fernsehen und Videokonsum, bei Babys und Kleinkindern zu atypischem sensorischem Verhalten führen kann. Kinder, die bis zu ihrem zweiten Geburtstag Bildschirme ausgesetzt waren, zeigten erhöhte Tendenzen zu "Sensation Seeking", sensorischer Empfindlichkeit und Vermeidung von Sinneseindrücken bei 33 Monaten.

Diese Ergebnisse unterstreichen wachsende Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen von Bildschirmzeit auf die Entwicklung und das Verhalten von jungen Kindern und betonen die Notwendigkeit einer Reduzierung der Bildschirmexposition sowie der Aufklärung der Eltern, um mögliche Entwicklungsrisiken zu minimieren.

ABER….

Ich bin mir überhaupt nicht sicher, wie ich diese Studie werten soll. Sie erscheint mir vom Design und der Zielsetzung irgendwie danach ausgerichtet, nun Medienkonsum (und damit indirekt die Verantwortung der Eltern) für Wahrnehmungsbesonderheiten von Kindern verantwortlich zu machen. Das halte ich für gefährlich, weil dazu diese Art von Studien gar nicht geeignet sind

Einmal davon abgesehen, dass hier fälschlich ein medizinisches Modell von Krankheitsursache → Störung und daraus falsch abgeleiteter Hypothesenbildung (Beseitige die Medienüberreizung, dann keine Krankheit) angewandt wird, was nun aus dem Blickwinkel der Neurodivergenz ganz sicher bei Autismus und ADHS falsch ist.

Ich hoffe dennoch , dass diese Erkenntnisse Eltern dazu anregen, bewusster mit der Bildschirmzeit ihrer Kleinkinder umzugehen und die Entwicklung ihrer Kinder aufmerksam zu begleiten. Es ist wichtig zu betonen, dass weitere Forschung in diesem Bereich notwendig ist, um ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Bildschirmzeit und neurodiversen Entwicklungsstörungen zu gewinnen.

Welche Erfahrungen habt ihr da gemacht?



Quelle des Originalartikels

Heffler KF, Acharya B, Subedi K, Bennett DS. Early-Life Digital Media Experiences and Development of Atypical Sensory Processing. JAMA Pediatr. Published online January 08, 2024. doi:10.1001/jamapediatrics.2023.5923


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2 Kommentare

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