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Vom Dschungel im Gehirn und Drug-Holidays bei ADHS

Der heutige Newsletter ist kürzer, da wir zur Minute erst aus einem tollen Urlaub aus Mittelamerika zurück sind. Und da hatten wir u.a. tolle Erlebnisse in der Natur. Und ich wirklich 14 Tage meinen Rechner nicht angefasst habe. Und da eine meiner Patientinnen am 14.3. nach Panama in den Urlaub geflogen ist, geht es eben auch um “Urlaub” von der ADHS-Stimulanzienmedikation und dem Dschungel im ADHS. Gehirn.Passt auch zum Thema unseres Urlaubs, da man die Hypervernetzung des ADHS-Gehirns bisweilen auch mit einer Art Dschungel im Gehirn vergleicht. Und da waren wir nun häufiger im Urlaub. Wenn zu viele Grün wuchert, fehlen eben klare Trampelpfade und die Informationsübermittlung wird schwieriger…



Wann und wie sollte man einen Drug-holiday bei Stimulanzien machen?

Die Frage, ob und wann es sinnvoll sein kann, eine Pause von der medikamentösen Behandlung mit Stimulanzien zu machen, ist von großer Bedeutung, insbesondere wegen der Bedenken bezüglich der Nebenwirkungen dieser Medikamente.

Ein zentrales Anliegen ist die Einhaltung der Medikation. Studien, wie die von Baweja et al. (2021), haben gezeigt, dass aufgrund der Sorgen über Nebenwirkungen von Stimulanzien einige verschreibende Ärzte dazu raten könnten, die Behandlung am Wochenende zu unterbrechen. Bislang hat jedoch nur eine randomisierte Studie von Martins et al. (2004) einen Trend (p = 0.08) für einen Zusammenhang zwischen Medikamentenpausen am Wochenende und geringerer Beeinträchtigung des Appetits gezeigt. Naturgemäss ist das eher ein Thema bei Kindern, die unter der Stimulanzienmedikation dann eine Appetitminderung haben.

Die European ADHD Guidelines Group (Cortese et al., 2013) rät dazu, das Risiko-Nutzen-Verhältnis von Medikamentenpausen während der Wochenenden zu berücksichtigen und genauer zu untersuchen. Auch die Beweislage zu den positiven Effekten auf den Appetit durch das Unterbrechen der Medikation während längerer Pausen (z.B. Sommerferien), um ein Aufholwachstum zu ermöglichen, ist gemischt (Faraone et al., 2008).

Daher sollte das Unterbrechen von Stimulanzien am Wochenende in Betracht gezogen werden, wenn ein klarer Nutzen vom Stimulans besteht, aber ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Appetitreduktion vorliegen, auch wenn die Einstellung der Stimulanzien möglicherweise nicht ausreicht, um das Gewicht aufzuholen. Sollten trotz der Umsetzung vorheriger Managementstrategien Gewicht und/oder Größe unter kritischen Schwellenwerten liegen, wird eine Überweisung zum pädiatrischen Endokrinologen oder Wachstumsspezialisten empfohlen (Cortese et al., 2013).

Ich selber sehe das kritisch, wenn man Stimulanzien z.B. nur in der “Schulwoche” gibt, denn die Lernerfahrungen und das Sozialleben der Kids spielt sicht ja auch oder gerade im Kontakt mit der Familie und den Freunden ab. Also eben oder gerade am Wochenende.

Urlaub von der Medikation?

Nach den Leitlinien soll man ja mindestens einmal im Jahr ein Auslassversuch der Stimulanzienmedikation machen. Weniger wegen den Nebenwirkungen, mehr um eine Wirkbeurteilung machen zu können. In der Praxis passiert es aber eben quasi “automatisch”, dass man mal kein Folgerezept hat bzw. der Arzt für die Verschreibung nicht erreichbar ist. Dann kann man eben aufgrund der Tatsache, dass es ja keine Spiegelmedikamente sind, schnell sehen wir die Wirkung ohne Medikation ist. Das muss dann also nicht über viele Tage passieren. Wenn überhaupt gezielt.

Natürlich kann es pragmatisch richtig sein, dies im eigenen Urlaub bzw. den Ferien des Kindes zu machen. Gerade dann wenn die Regeln des Urlaubslandes mit der BTM-Verordnung nicht so einfach sind. Allerdings kann ein Urlaub ohne Medikation und entsprechender emotionaler und impulsiver Dysregulation alles andere als entspannend verlaufen.


Hypervernetzung im ADHS-Gehirn: Ein Einblick in die neuronale Landschaft

Neueste Forschungsergebnisse aus einer nationalen Studie, die kürzlich in der American Journal of Psychiatry veröffentlicht wurde, liefern faszinierende Einblicke in die Arbeitsweise des Gehirns bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Diese Studie, durchgeführt von Wissenschaftlern des National Institutes of Health (NIH), offenbart eine erhöhte Vernetzung in den Gehirnen von Personen mit ADHS, verglichen mit denen ohne diese neurologische Besonderheit.

Die Forschung nutzte Bildgebungstechnologien, um Tausende von Gehirnscans zu analysieren und dabei eine signifikante "Hypervernetzung" – ein Konzept, das sich auf die Dichte der neuronalen Verbindungen bezieht – in den Gehirnen der ADHS-Betroffenen zu identifizieren. Eben so, wie es im Dschungel u.a. in vielen Ländern Mittelamerikas für uns war. Im Fokus stand insbesondere der Frontalkortex, der Bereich, der für Aufmerksamkeitssteuerung und Verhaltensmanagement zuständig ist. Hier wurde eine intensivierte Verdrahtung zu tiefer gelegenen Strukturen festgestellt, die mit Informationsverarbeitung, Lernen, Bewegung und Emotionen assoziiert sind.

Diese Hypervernetzung könnte als eine Art "neuronaler Stau" betrachtet werden, bei dem die Fülle an Verbindungen eine klare und effiziente Signalübertragung erschwert. Diese Erkenntnisse bauen auf dem Verständnis auf, dass bei ADHS die Kernsymptome wie Schwierigkeiten bei der Aufmerksamkeit und Impulskontrolle teilweise durch die Ineffizienz dieser überaktiven neuronalen Netzwerke erklärt werden können.

Luke Norman, ein Wissenschaftler am National Institute of Mental Health und Autor der Studie, erklärt, dass diese Netzwerke bei ADHS als ineffizient erscheinen, was auf eine fundamentale Veränderung in der Art und Weise hinweist, wie Informationen im Gehirn verarbeitet werden. Diese veränderte Konnektivität im Ruhezustand des Gehirns deutet darauf hin, dass die Herausforderungen, die Personen mit ADHS erleben, tief in der Struktur und Funktion ihres Gehirns verwurzelt sind.

Die Studie nutzte eine bemerkenswert große Stichprobe von mehr als 8.000 Kindern, was eine detailliertere und repräsentativere Untersuchung der Gehirnfunktionen bei ADHS ermöglichte, als es bisherige Forschungen mit kleineren Gruppen taten. Dennoch unterstreichen die Forscher die Notwendigkeit weiterer Studien, um die dynamischen Veränderungen in der neuronalen Vernetzung von Kindern mit ADHS bei verschiedenen Aktivitäten und über die Zeit hinweg zu erforschen.

Zusammenfassend bietet diese Studie wertvolle Einblicke in die neurologische Grundlage von ADHS und untermauert die Bedeutung eines tiefgreifenden Verständnisses der neuronalen Landschaft für die Entwicklung effektiverer Behandlungsstrategien. Sie legt nahe, dass ADHS mehr als nur eine Verhaltens- oder Aufmerksamkeitsstörung ist; es ist eine komplexe neurologische Besonderheit, die einzigartige Herausforderungen und Perspektiven mit sich bringt.
Quelle der Studie : Subcortico-Cortical Dysconnectivity in ADHD: A Voxel-Wise Mega-Analysis Across Multiple Cohorts | American Journal of Psychiatry (psychiatryonline.org (Öffnet in neuem Fenster))

Soviel für heute erstmal. War eine Fingerübung, um wieder reinzukommen.

Wie immer freue ich mich, auf Reposts / Teilen in den social media, neue Anmeldungen für den Newsletter und Mitgliedschaften.

Bis nächste Woche

Liebe Grüße Martin

Kategorie Wissenschaft

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