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ADHS als Identität?

Matilda Bosley hat etwas gemacht, was ich prokrastiniere. Sie hat wohl eine Art Reisebegleiter in die Welt der ADHS (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben. Und daraus sind nun Überlegungen, die ich mal sammele :

Manchmal stoße ich im Internet auf Artikel, die mich auf neue Gedanken oder Sichtweisen zu ADHS bringen - oder aber viele meiner Gedanken, die ich nicht gut ordnen kann, auch gut beschreiben. Ich setze mich ja lange für Neurodivergenz bzw. das Konzept der Neurodiversität (nicht nur bei Autismus-Spektrum ein). Da stellt sich dann aber eben auch die Frage, ist ADHS dann nun eine Störung oder Krankenheit, eine Besonderheit oder gar eine Gabe?

Vielleicht sprechen Dich ja auch die Sichtweisen von ihr an?

In jüngster Zeit hat sich unsere Sichtweise auf die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) signifikant verändert. Die traditionelle Vorstellung, dass ADHS vor allem hyperaktive Kinder betrifft, weicht einer umfassenderen Anerkennung der Störung als ernstzunehmendes, oft lebenslanges Phänomen, das eine breite Bevölkerungsgruppe beeinflusst.

Identität und ADHS

Die Art und Weise, wie wir über ADHS sprechen, hat sich gewandelt. Viele von uns identifizieren sich nun als Teil der ADHS-Gemeinschaft, was eine Verschiebung von einer reinen Diagnose hin zu einem integralen Bestandteil unserer Identität bedeutet.

Das ist einerseits sicher gut. Denn man versteht dann endlich sich selber wesentlich besser. Kann vielleicht auch besser verstehen, warum man wann wie unter- oder überreagiert. Dinge nicht kann, die so leicht erscheinen und Dinge macht, die andere nicht könnnen.

Warum man das verpasst, was andere wahrnehmen und wahrnimmt, was andere verpassen.

Das hat erstmal wenig mit Gesundheit und Krankheit im medizinischen Sinne zu tun. Es ist eine andere Art die Welt zu sehen (wie Thom Hartmann sagen würde). Aber auch zu erleben, zu fühlen.

Andererseits könnte dann natürlich jeder “ein bisschen” ADHS sein. Denn letztlich ist bei einer Spektrum-Störung die Mischung so individuell wie ein Fingerabdruck oder ein Curry-Gewürz. Die Mischung macht es. Aber es bleibt eben doch charakteristisch in sich.

Die Gefahr der Verwässerung besteht dadurch. Auf der neuen SocialMedia Plattform Threads fühlen sich gerade ADHSler wohl. Viel Dopamin-Ausstoß für relativ wenig Text und Aufwand. Geradezu gemacht für den Denk- und Wahrnehmungsstil von ADHS.

Sind also alle Thread-Nutzer nun neurodivergent und die Leser der Welt neurotypisch? Ganz sicher nicht.

Von ADHS oder Autismus-Spektrum spricht man nur, wenn ein Leidensdruck überdauernd da ist. Ohne Leiden kein ADHS. Aber manchmal gilt auch: Erst negative Rückmeldungen und deren Auswirkungen führen dazu, sich überhaupt mal ernsthaft mit sich zu beschäftigen.

Die Ozean-Metapher



Matilda Bosley benutze oft die Metapher des Ozeans, um die Funktionsweise des ADHS-Geistes zu beschreiben. Während neurotypische Personen sich wie Wanderer auf festem Boden bewegen, gleichen ADHS eher einem Segler auf dem unvorhersehbaren Meer. Die Lernkurve des Segelns symbolisiert das Navigieren durch die Herausforderungen und Chancen, die ADHS mit sich bringt.

Und wir ahnen es : ADHSler brauchen etliche Wiederholungen mehr, um sich auf dem Meer des Alltags zurecht zu finden. Wenn überhaupt.

Ein neuer Begriff im Gespräch über ADHS?

Es könnte hilfreich sein, neben der medizinischen Bezeichnung ADHS einen weiteren, weniger klinischen Begriff einzuführen. Dieser würde es uns ermöglichen, unsere einzigartige Denk- und Arbeitsweise in einer nicht stigmatisierenden Weise zu beschreiben.

Pelagismus: Ein Begriff für eine neue Art des Denkens

Der Begriff "pelagisch", der das offene Meer bezeichnet, könnte eine solche Rolle übernehmen. Er würde es uns erlauben, die Vielfalt der Denkstile zu feiern und gleichzeitig die Herausforderungen anzuerkennen, die mit ADHS einhergehen.

Die Wertschätzung des pelagischen Geistes

Viele von uns schätzen die tiefe und vielfältige Natur ihres "ozeanischen" Geistes. Sie suchen nach Wegen, um mit den Wellen und Winden ihres Lebens umzugehen, und wünschen sich Unterstützung, um das Beste aus ihren einzigartigen Fähigkeiten zu machen.

Segelanleitung für den Pelagismus
Da ich mich gerade selber auf hoher See im Urlaub befinde (aber nicht segele) und mein Sohn als nautische Offiziersassistent die 7 Weltmeere unsicher macht, habe ich mal 7 “Segelanleitungen” gesammelt, die ihr sehr gerne ergänzen könntet :


Segelanleitung für Pelagismus: Navigieren auf dem Meer des ADHS

  1. Erkenne die Weite Deines Ozeans: Wo Neurotypische auf festem Boden wandern, segelst Du auf einem weiten Meer. Dein Geist ist wie ein offener Ozean, reich an Möglichkeiten und unentdeckten Pfaden. Akzeptiere und schätze diese Weite, denn sie ist die Quelle Deiner Kreativität und Flexibilität.

  2. Lerne die Winde zu lesen: ADHS bedeutet, dass Deine Motivation und Konzentration von verschiedenen Winden angetrieben werden. Anstatt gegen sie zu kämpfen, lerne, sie zu Deinem Vorteil zu nutzen. Verstehe, wie Deine Segel gesetzt werden müssen, um die wechselnden Winde Deiner Aufmerksamkeit und Energie zu nutzen.

  3. Erkenne und nutze Strömungen: Statt starr einem Pfad zu folgen, wie es auf dem Land der Fall ist, nutze die Strömungen und Gezeiten Deines Geistes. Wenn Du Dich in einer Phase des Hyperfokus befindest, lass Dich von dieser Strömung tragen. Sei bereit, Richtungen zu ändern, wenn sich die Gezeiten Deiner Gedanken und Gefühle wandeln.

  4. Vorbereitung ist der Schlüssel: Auf dem Meer ist Vorbereitung alles. Organisiere Dein Leben und Deine Umgebung so, dass sie Deine pelagische Natur unterstützen. Erstelle Systeme und Routinen, die flexibel genug sind, um mit den unvorhersehbaren Wellen des ADHS umzugehen.

  5. Nutze Deine einzigartige Perspektive: Als pelagischer Denker siehst Du die Welt anders als Neurotypische. Nutze diese einzigartige Perspektive, um kreative Lösungen und innovative Ideen zu entwickeln, die anderen vielleicht nicht in den Sinn kommen.

  6. Suche nach Verbündeten (Coaches) und Mentoren: Jeder erfahrene Seefahrer weiß, dass eine gute Crew entscheidend ist. Umgebe Dich mit Menschen, die Deine pelagische Natur verstehen und unterstützen. Suche nach Coachews und Mentoren, die Dir beibringen können, wie Du Deine Segel am besten einsetzt.

  7. Feiere Deine Erfolge und lerne aus Herausforderungen: Jede erfolgreiche Navigation, jede gemeisterte Welle ist ein Grund zum Feiern. Gleichzeitig sind Stürme und Gegenwinde wertvolle Lektionen. Lerne aus ihnen und erkenne an, dass jeder Tag auf dem Meer Deine Fähigkeiten als Segler stärkt.

Welche weiteren Ideen und Gedanken hast DU dazu?














The Year I Met My Brain: A travel companion for adults who have just found out they have ADHD, by Matilda Boseley.

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