20 Monate bis zur Hilfe bei Depressionen
.... wie lange wohl bei ADHS?
Neurodiversität und Depressionen sind ja häufig zusammen anzutreffen.w
Ich bin auf eine aktuelle Untersuchung zur Versorgungsrealität bei Depressionen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (Öffnet in neuem Fenster) gestossen. Ich verfolge das von Jahr zu Jahr und hoffe, dass der Zugang zu professioneller Hilfe und wirksamer (leitlinien-orientierter) Therapie schneller und gezielter wird. In dem kurzen Übersichtsartikel (Öffnet in neuem Fenster) wird die durchschnittliche Wartzeit, bis sich Betroffene Hilfe suchen (bzw. sie dann auch bekommen) auf 20 Monate (also fast 2 Jahre) beziffert.
Dabei ist es noch gar nicht so einfach, überhaupt zu wissen WO und WIE man dann Hilfe bekommt. Da kann die folgende Informationsseite (Öffnet in neuem Fenster) vielleicht gerade dann helfen, wenn man selber eben aufgrund von Depressionen / ADHS gerade nicht mehr weiter weiss bzw. eben unter Konzentrationsproblemen und negativen Denkverzerrungen leidet.
20 Monate Wartezeit auf Diagnostik und Therapie bei psychischen Problemen
Hier geht es ja speziell um Depressionen. Aber ich denke, es ist mindestens so schlimm bei ADHS oder gar Autismus-Spektrum bei Erwachsenen. Und es ist dann auch alles andere als einfach, im System der Hilfsangebote sich verstanden und gut begleitet zu werden.
Demnach ist für über die Hälfte der Hausarzt / die Hausärztin Vertrauensperson Nummer 1 (51%), etwa ein Viertel sucht einen Facharzt auf, 17 % dann gleich einen Psychotherapeuten. Etwa 8-10 Wochen ist dann die Wartezeit bis zu einem ersten Termin bzw. Erstgespräch. Das ist lang. Aber doch kürzer, als ich es bei den Psychotherapeuten befürchtet habe. Hier scheinen die neuen Sprechstundenangebote der Psychotherapeuten einen etwas leichteren Zugang zu ermöglichen. Dennoch wird man eben in aller Regel mehrere Therapeuten abklappern müssen (im Schnitt 5) bis es zu einem Termin kommt. Und ob damit dann wirklich auch ein Therapieangebot verknüpft ist, steht auf einem anderen Blatt.
Ich selber sehe es ja dann überwiegend aus der Versorgungsrealität einer psychotherapeutischen Klinik, aber wir arbeiten halt auch eng mit dem MVZ bzw. Institutsambulanzen von Falkenried in HH (und in Bad Bevensen) zusammen. Und da erlebe ich es eben auch, wie schwierig der Schritt zu wirksamer Hilfe sein kann.
Das man ggf. auch zunächst über Online-Angebote die Wartezeit zu einer "richtigen" Psychotherapie der Depressionen überbrücken kann, wissen nur sehr wenige Betroffene (7%). Die Angebote sind wirklich überraschend gut und statistisch gesehen effektiv. Aber eine wirkliche Substitution zu Empathie einer Therapeutin / Therapeuten kann so ein Online-Angebot eben dann doch nicht liefern.
Was mögen nun Hemmnisse für den eigenen Zugang zu (verfügbaren) Hilfsangeboten bei Depressionen sein?
Scham: Manche Menschen fühlen sich schuldig oder schämen sich für ihre Depressionen und möchten diese nicht mit anderen teilen.
Stigma: Es gibt immer noch ein gewisses Stigma, das mit psychischen Erkrankungen verbunden ist, und manche Menschen fürchten sich davor, wie sie von anderen betrachtet werden, wenn sie sich professionelle Hilfe suchen.
Mangel an Wissen: Manche Menschen sind sich nicht bewusst, dass sie an einer Depression leiden und glauben, dass ihre Symptome Teil ihres normalen Lebens sind.
Mangel an Zugang: Einige Menschen haben möglicherweise Schwierigkeiten, Zugang zu professioneller Hilfe zu erhalten, entweder weil sie in ländlichen Gebieten leben oder weil sie sich die Kosten für die Behandlung nicht leisten können.
Mangel an Zeit: Manche Menschen sind so beschäftigt, dass sie keine Zeit haben, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern, und schieben daher den Besuch beim Arzt oder Psychologen immer wieder hinaus.
Angst vor Medikamenten: Manche Menschen haben Angst vor Medikamenten oder glauben, dass sie ohne sie auskommen können, und wollen daher keine verschreibungspflichtigen Medikamente einnehmen.
Mangel an Unterstützung: Manche Menschen fühlen sich allein und glauben, dass niemand ihnen helfen kann, und wenden sich daher nicht an professionelle Hilfe.
Mangel an Motivation: Depressionen können dazu führen, dass Menschen sich schlapp und unmotiviert fühlen und keine Energie haben, sich um sich selbst zu kümmern. Sie könnten daher möglicherweise nicht den Willen aufbringen, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Aus meiner Sicht spielt aber eben auch die eigene negative Erfahrung mit Psychiatern bzw. Kliniken eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zumindest wird es den Betroffenen nicht leichter gemacht, niedrigschwellig sich verstanden und akzeptiert zu fühlen.
Hierzu gehört dann auch die Fähigkeit (oder Un-Fähigkeiten) der Institutionen und Anbieter, sich einmal in die Situation der depressiven Menschen zu versetzen. Dazu tragen u.a. bei :
Mangelnde Empathie: Manche Psychiater haben Schwierigkeiten, sich in die Gefühle und Perspektiven ihrer Patienten einzufühlen und sie daher nicht vollständig zu verstehen.
Unterschiedliche Lebenserfahrungen: Psychiater und Patienten kommen oft aus unterschiedlichen Hintergründen und haben unterschiedliche Lebenserfahrungen. Dies kann dazu führen, dass die Perspektiven und Einsichten nicht immer übereinstimmen.
Fehlende Kommunikation: Es kann schwierig sein, die Gefühle und Gedanken, die mit Depressionen einhergehen, in Worte zu fassen. Manche Patienten fühlen sich daher nicht verstanden, weil sie sich nicht gut genug ausdrücken können oder weil ihre Psychiater Schwierigkeiten haben, ihre Aussagen richtig zu interpretieren. Negative Gedankenmuster / Schemata sind dann natürlich zusätzlich schwierig, überhaupt eine positive Zukunftsausrichtung zu gewährleisten.
Unterschiedliche Behandlungsmethoden: Manche Patienten fühlen sich von bestimmten Behandlungsmethoden, die von ihren Psychiatern empfohlen werden, nicht verstanden oder unterstützt.
Stereotype Vorstellungen: Manche Psychiater haben vielleicht stereotype Vorstellungen darüber, wie sich Depressionen äußern sollten, und können daher die Erfahrungen ihrer Patienten nicht vollständig verstehen oder wertschätzen.
Zeitdruck: In einer Psychiater-Praxis oder Ambulanz gibt es oft nur begrenzt Zeit, um auf die Bedürfnisse und Anliegen eines Patienten einzugehen. Manche Patienten fühlen sich daher nicht verstanden, weil ihre Psychiater nicht genügend Zeit haben, sich auf ihre individuellen Bedürfnisse einzulassen.
Mangelnde Unterstützung: Manche Psychiater bieten ihren Patienten möglicherweise keine ausreichende Unterstützung, Hilfe oder schlicht Zeit zum Nachdenken / Zuhören an, wenn sie sich nicht verstanden fühlen.
Unterschiedliche Erwartungen: Manche Patienten haben vielleicht unterschiedliche Erwartungen an ihre Psychotherapie oder andere Therapien und fühlen sich daher von ihren Psychiatern nicht verstanden, wenn diese Erwartungen nicht erfasst und erfüllt werden können.
ADHS-Anteile, die den Zugang zu Hilfsangeboten erschweren könnten
Aus meiner Erfahrung ist es schwer, ja nahezu unmöglich, zeitnah eine Diagnostik und dann eine medikamentöse Behandlung von ADHS (plus X wie z.B. Depressionen) im Erwachsenenalter zu erhalten. Eine wirklich qualifizierte Diagnostik, wie sie sich Experten wünschen (Öffnet in neuem Fenster), ist dann quasi schon wie ein 6er im Lotto. Ausnahmen mit tollen Ausrichtungen für Selbstwertprobleme und Depressionen bei ADHS (Öffnet in neuem Fenster) sind dann wirklich die tollen "Perlen".
Der Zugang zu psychotherapeutischen Spezialangeboten ist dann noch schwieriger (und auch fraglich, ob und wie nun Psychotherapie speziell gegen / für die ADHS-Kernsymptomatik greift).
Hier geht es also erstmal nicht um die Frage der zeitnahen (und bezahlbaren = kassenärztlichen) Verfügbarkeit, sondern von Barrieren, die in ADHS und den damit verbundenen Exekutivfunktionen / Selbstwertproblemen bzw. negativem Hyperfokus liegen könnten.
Aber auch die formalen Regeln der Kassenmedizin spielen rein...
Bei mir selber sind es dann z.B. sehr formale Gründe, warum ich nicht als Kassenarzt so locker in die Diagnostik und Behandlung mitwirken kann. So darf ein Ärztlicher Psychotherapeut zwar Diagnostik, Beratung und Psychotherapie machen, dann aber keine medikamentöse Behandlung.
Die Zusammenarbeit mit einem anderen Psychiater wäre denkbar, aber gerade da fehlt es ja an Terminen, an Bereitschaft zur Verordnung von Medikamenten und überhaupt...