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ADHS und Veränderungserschöpfung

Die vergangene Woche war wieder reich an Action für mich. Mehr oder weniger wütend, habe ich einen Beitrag über den Sinn bzw. Unsinn von Cut-off-Werten speziell (aber nicht nur) bei Mädchen und Frauen mit ADHS oder Autismus geschrieben, den ich auch hier im Newsletter noch mal mit einfüge. Die daraus resultierenden Diskussionen haben mich ganz schön auf Trab gehalten…

Ausserdem hatte ich einen Beitrag auf LinkedIn zur Auswirkung einer ADHS-Behandlung auf Symptome der Depression (also auch ohne spezieller Depressionstherapie).


Dann war ich auf dem Symposium von Autisten.info (Öffnet in neuem Fenster) in Wuppertal und habe dort selber einen Vortrag u.a. zur neurobiologischen Struktur von Autismus gehalten. Eigentlich geht es darin darum, aus der Innensicht von Autisten (oder eben anderen neurodivergenten Menschen) zu begreifen, wie dien Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, mental effort bzw. mental load und Ambiguität (also Uneindeutigkeiten) dann quasi folgerichtig (also psycho-logisch) zu vermehrtem Stress bzw. Störungen mit neurotypischen Anforderungen führen. Bis zur Veränderungserschöpfung bzw. Pathological Demand Avoidance. Und hier stellte ich mehr oder weniger provokativ zur Diskussion, ob es dann nicht eher “Healthy” demand avoidance heissen müsste. Also eine “gesunde” Überlebensstrategie.


Veränderungserschöpfung bei ADHS und Autismus-Spektrum : Über die unaufhörliche Müdigkeit des Seins

Alle menschlichen Wesen – egal ob groß oder klein, neurotypisch oder neurodivers – sollen irgendwie in das gleiche rigide Schema menschlicher Funktionalität passen.

Aber wie im bekannten kleinen gallischen Dorf von Asterix und Obelix findet sich eine bemerkenswerte, wenn auch leise, Untergruppe von Individuen, die da irgendwie in diese Schubladen nicht so recht reinpassen wollen. Diese Individuen, von denen man weiß oder zumindest annimmt, dass sie auf dem Autismus-Spektrum oder mit ADHS begabt sind, kämpfen unaufhörlich mit einem Zustand, den wir in einem Anflug von fast schuldhafter klinischer Sterilität als "Veränderungserschöpfung" bezeichnen könnten.

Stellen Sie sich vor, wenn Sie wollen (und ich bitte Sie hier wirklich um Ihre volle imaginäre Kapazität), dass Ihr tägliches Leben ein endloser Strom von Rätseln ist. Nicht die Art von unterhaltsamen Rätseln, die man an einem regnerischen Sonntagnachmittag am Küchentisch löst, sondern die Art, die Ihr Gehirn zwingt, in einer ständigen Schleife von Verarbeitung und Fehlern zu laufen – soziale Hinweise entschlüsseln, ungeschriebene Regeln befolgen, beständig gegen das eigene natürliche Verhalten arbeiten. Oder in einem ständigen “Reizgewitter”, den Stephanie Meer-Walter (Öffnet in neuem Fenster) treffend als New-Yorkerischen Wahrnehmungsstil bezeichnete. Den Reizen quasi schutzlos ausgeliefert und doch irgendwie mit dem Wunsch, dabei sein zu dürfen. Einfach mitzuschwimmen und sich nicht auszugrenzen.

Und doch ist man “anders als die Anderen”.

Es ist, also ob man ständig eine Sprache sprechen und verstehen muss, die man nur bruchstückhaft beherrscht, oder noch schlimmer, als müsste man in einer Welt leben, die einer ständig laufenden, schlecht synchronisierten Auslandsproduktion eines Films gleicht, bei dem alle Mundbewegungen um wertvolle Sekunden von den dazugehörigen Untertiteln verschoben sind. Der mentale und emotionale Tribut, den dies fordert – denken Sie nur an die Erschöpfung, den Stress, das ständige Gefühl, aus dem Takt zu sein –, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Es gibt keinen Mangel an Erschöpfungszuständen – emotional, psychologisch, physisch –, die alle mit einer solchen täglichen Anstrengung einhergehen. Die emotionale Erschöpfung ähnelt dem Gefühl eines Akkus, dessen Ladung nie ganz voll ist, egal wie lange er am Strom hängt. Psychische Gesundheitsprobleme wie Depressionen und Angststörungen sind die Geister, die hier allzu häufig die Hallen heimsuchen. Einerseits ein erhöhter Cortisolspiegel mit Stressfolgestörungen, dann ein Versiegen der Cortsol-Aktivität im Sinne einer Erschöpfung der Hypophysen-Nebennieren-Achse mit Erschöpfungssyndromen. Physische Beschwerden manifestieren sich in Form von Schlaflosigkeit, die das Schlafzimmer in ein nächtliches Schlachtfeld verwandelt, und Kopfschmerzen, die sich anfühlen, als würde das Gehirn versuchen, sich aus dem Schädel zu winden. Auf dem Autisten-Kongress in Wuppertal hat Regine Winkelmann nur zu deutlich auf die zahlreichen Stressfolgestörungen und Krankheiten hingewiesen, die dies u.a. mit einem erhöhten Cortisol-Stressspiegel bedingt. Und zu lebensverkürzenden Auswirkungen führt.

Was also ist zu tun? Für diejenigen unter uns, die nicht unter dieser speziellen Marke des Leidens leiden, mag es verlockend sein, Lösungen zu predigen, die von außen betrachtet einfach erscheinen. „Anpassungen vornehmen“, sagen wir. „Eine unterstützende Umgebung schaffen“, schlagen wir vor. Aber die wahre Herausforderung liegt nicht in der Konzeption dieser Lösungen, sondern in ihrer Implementierung, in einer Welt, die sich oft taub stellt gegenüber den Bedürfnissen derjenigen, die nicht in den Hauptstrom passen.
Besonders dann, wenn das Problem nicht das Wissen oder Können ist, sondern das Tun. Wobei wir wieder bei ADHS wären.

Doch es bleibt Hoffnung, nicht in großen Gesten, sondern in kleinen Akten des Verständnisses und der Anpassung – in der Bereitschaft, den Raum für alle Arten von neurologischen Erfahrungen zu erweitern und in der Bescheidenheit, anzuerkennen, dass wir, während wir alle im selben ozeanischen Gewässer schwimmen, sehr unterschiedliche Boote steuern. Und vielleicht, nur vielleicht, kann ein besseres Verständnis dieser Unterschiede zu einer Welt führen, die weniger ermüdend ist für diejenigen, die ständig gegen den Strom schwimmen.


In einer solchen Betrachtung kann es hilfreich sein, nicht nur das Was und das Warum dieser existentiellen Müdigkeit zu verstehen, sondern auch das Wie ihrer täglichen Manifestationen zu erforschen. Nehmen wir die soziale Interaktion als ein zentrales Schlachtfeld dieser inneren Auseinandersetzung. Für jemanden auf dem Autismus-Spektrum oder mit ADHS können diese alltäglichen Begegnungen – ein kurzes Gespräch am Wasserspender, eine Bitte um Hilfe beim Einkauf – zu einer Art Minenfeld werden. Jedes Wort, jede Geste kann Träger verborgener Bedeutungen sein, deren Entschlüsselung immense geistige Anstrengung erfordert. Es ist wie ein Schachspiel, bei dem die Regeln ständig geändert werden, nur dass die Konsequenzen weit über das Spielfeld hinausreichen. Von den Uneindeutigkeiten der menschlichen Kommunikation wollen wir erst gar nicht anfangen. Müssten wir aber…

Die Veränderungserschöpfung, die daraus resultiert, ist weniger eine einfache Müdigkeit als vielmehr eine Art psychologischer Verschleiß, der die innere Landschaft verändert. Es ist ein Zustand, der das Selbst in Frage stellt, und es wirft eine beunruhigende Frage auf:

Wie viel von mir muss ich aufgeben, um in einer Welt zu funktionieren, die nicht für mich gemacht zu sein scheint?

Diese Frage ist nicht nur rhetorisch; sie ist tiefgreifend praktisch, da sie die täglichen Entscheidungen beeinflusst, von der Auswahl der Kleidung bis hin zur Entscheidung, eine Einladung zu einer Party anzunehmen oder abzulehnen.

Die Lösungen, die wir als Gesellschaft anbieten, reichen oft nicht aus. Es geht nicht nur darum, "Anpassungen vorzunehmen". Es geht um eine grundlegende Neudefinition dessen, was es bedeutet, unterstützend zu sein. Dies könnte bedeuten, Arbeitsplätze zu schaffen, die nicht nur Barrieren abbauen, sondern aktiv auf die Stärken von Menschen mit neurologischen Unterschieden eingehen. Es könnte bedeuten, Bildungssysteme zu entwickeln, die flexibel genug sind, um individuelle Lernstile zu unterstützen, anstatt zu versuchen, alle Lernenden in ein einheitliches Modell zu pressen.

Und dann gibt es die tieferen, persönlicheren Strategien – die täglichen Praktiken der Selbstfürsorge, die kleinen Rituale, die helfen können, die Resilienz zu stärken. Vielleicht geht es darum, sich die Zeit zu nehmen, jeden Morgen zu meditieren, um einen inneren Frieden zu finden, bevor der tägliche Sturm beginnt. Oder vielleicht geht es darum, bewusst Netzwerke von Gleichgesinnten zu schaffen, die ohne Worte verstehen können, was es bedeutet, anders zu sein.

Letztlich ist der Kampf gegen Veränderungserschöpfung ein tiefgreifender Akt des Gleichgewichts – zwischen Anpassung und Authentizität, zwischen Funktionieren und Sein. Es ist ein Balanceakt, der nicht nur von den Betroffenen, sondern von der gesamten Gesellschaft verlangt, sich neu zu orientieren, von einer Welt, die Konformität belohnt, zu einer, die Diversität wirklich schätzt und unterstützt. Denn solange wir weiterhin eine Norm vorgeben, gegen die alle gemessen werden, werden wir weiterhin diejenigen, die außerhalb dieser Norm fallen, unbeabsichtigt ausschließen und isolieren.

In diesem Kontext wird klar, dass Veränderungserschöpfung nicht nur ein individuelles Problem ist, sondern ein gesellschaftliches – ein Spiegelbild unserer kollektiven Unfähigkeit, das volle Spektrum menschlicher Vielfalt zu akzeptieren und zu würdigen. Wenn wir jedoch beginnen, diese Vielfalt als Stärke zu sehen, nicht als Störung, könnten wir vielleicht beginnen, eine Welt zu schaffen, in der niemand ständig gegen den Strom schwimmen muss.

Das Zitat von sinn3d_ aus meiner Threads-Community bietet einen tiefen Einblick in eine alltägliche Realität, die viele Menschen mit neurodivergenten Merkmalen, wie Autismus oder ADHS, erleben:

"Ich messe mein Limit daran, wie oft ich mein Limit am Tag überschreiten kann."

Dieser Satz offenbart die immense Herausforderung des ständigen Selbstüberbietens als Alltagsnormalität. Diese permanente Selbstüberforderung führt zu einer andauernden physischen und psychischen Erschöpfung. Ein solches Leben am Rande der persönlichen Leistungsfähigkeit stellt nicht nur eine immense individuelle Herausforderung dar, sondern wirft auch wichtige Fragen über die Strukturen unserer Gesellschaft und deren Umgang mit Neurodiversität auf.

Natürlich ist es keine olympische Disziplin, nun immer höher und öfter über die eigenen Limits zu springen.

Besser wäre es natürlich, VOR dem Limit das Stop-Zeichen zu beachten und danach zu handeln. Also nicht immer weiter, sondern “auf Sicht fahren”.

Die Notwendigkeit der Grenzwahrnehmung

Die erste wichtige Lektion aus diesem Zitat ist die Anerkennung und Wahrnehmung der eigenen Grenzen. Neurodivergente Menschen sind oft gezwungen, sich an Umgebungen und Erwartungen anzupassen, die ihre besonderen Bedürfnisse nicht berücksichtigen. Das ständige Überschreiten dieser persönlichen Grenzen – sei es in sozialen, beruflichen oder akademischen Kontexten – kann zu einer chronischen Erschöpfung führen. Es ist daher entscheidend, dass sowohl Betroffene als auch ihr soziales Umfeld ein Bewusstsein dafür entwickeln, was diese Grenzen sind und wie sie sich manifestieren.

Proaktiver Umgang mit eigenen Grenzen

Erkennen ist der erste Schritt, Handeln der zweite. Ein proaktiver Umgang mit den eigenen Grenzen bedeutet, dass neurodivergente Menschen Unterstützungsstrukturen etablieren, die es ihnen ermöglichen, diese Grenzen zu respektieren und nicht ständig zu überschreiten

Depressionen werden unter ADHS-Behandlung "plötzlich" besser.

Viel zu häufig erkennen wir Psychiater und Psychologen nicht, dass hinter einer Depression oder Angststörung eigentlich eine ADHS-Konstitution "schlummert".

🔍 Spannende Studienergebnisse! Ushna Shamoon, Jude K. Des Bordes und Shira Goldstein haben in Cureus eine aufschlussreiche Veröffentlichung zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS und begleitenden depressiven Symptomen präsentiert, ohne die Depression direkt zu behandeln.

🧠 Titel: "Eine retrospektive Aktenprüfung zur Bewertung der Veränderungen depressiver Symptome bei erwachsenen Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) durch die Behandlung der zugrunde liegenden ADHS"

🗓️ Veröffentlicht: 2. April 2024
🔗 DOI: 10.7759/cureus.57473

👉 Die Studie, durchgeführt an der University of Texas, untersucht die Auswirkungen von ADHS-Behandlungen – sowohl pharmakologisch als auch psychologisch – auf depressive Symptome bei Erwachsenen. Die Ergebnisse basierend auf Daten von April 2021 bis Mai 2022 zeigen vielversprechende Verbesserungen in den Symptomen von ADHS und Depression nach drei Monaten Behandlung.

📈 Wichtige Erkenntnisse:
75 % Verbesserung bei ADHS-Symptomen und 56,7 % Verbesserung bei depressiven Symptomen nach drei Monaten.
Integrierte verhaltensmedizinische Behandlungen könnten eine Schlüsselrolle bei der Behandlung von Begleiterkrankungen spielen.

🤔 Diese bahnbrechende Forschung betont, wie oft ADHS hinter vermeintlich rein depressiven Problematiken verborgen sein kann.

Die Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit integrierter Versorgungsmodelle, die nicht nur die Lebensqualität von Erwachsenen mit ADHS verbessern könnten, sondern auch einen neuen Ansatz im Umgang mit psychischer Gesundheit darstellen.

🌟 Herzlichen Glückwunsch an die Autoren für ihre Arbeit, die ein neues Licht auf dieses wichtige Thema wirft. Es bleibt spannend zu sehen, wie diese Erkenntnisse zukünftige Richtlinien und Behandlungsstrategien beeinflussen werden!
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Lassen Sie uns diskutieren, wie wir Behandlungsstrategien für ADHS und begleitende Erkrankungen weiter verbessern können. 🗨️✨


Quelle : https://lnkd.in/e26Aj6hp (Öffnet in neuem Fenster)

Subklinisches ADHS und Autismus-Spektrum bei Mädchen: Der problematische Umgang mit Cutoff-Scores

ADHS und Autismus sind komplexe Spektrumstörungen, die sich in vielfältigen Symptomen äußern. Besonders bei Mädchen kann es zu subklinischen (unterhalb des diagnostischen Schwellenwerts liegenden) Symptomen kommen, die dennoch bedeutende Auswirkungen auf ihr Leben haben. Der Versuch, eine Cutoff-Grenze für die Diagnose festzulegen, kann bei Spektrumstörungen problematisch sein und die Symptome vieler Mädchen verharmlosen.

🔴 Das Problem mit Cutoff-Scores

  1. Vielseitigkeit der Symptome: #ADHS und #Autismus manifestieren sich unterschiedlich je nach Geschlecht, Alter und Persönlichkeitsmerkmalen. Bei Mädchen treten die Symptome oft subtiler auf, was dazu führt, dass sie seltener diagnostiziert werden. Ein starrer Cutoff-Score kann diese Vielfalt nicht ausreichend abdecken und führt zu falschen Negativbefunden.

  2. Maskierung und Anpassung: Mädchen neigen dazu, ihre Symptome zu verbergen oder anzupassen, um sozialen Erwartungen zu entsprechen. Diese Maskierung lässt sie in diagnostischen Fragebögen oft „unauffällig“ erscheinen, was zu einer Unterdiagnostik führt.

  3. Emotionale Symptome: Emotionale Dysregulation, Stimmungsschwankungen und erhöhte Sensibilität, die bei Mädchen mit ADHS oder Autismus oft auftreten, werden nicht ausreichend in die Diagnosekriterien einbezogen. Ein Cutoff-Score wird diesen Merkmalen nicht gerecht.

🔴 Folgen von subklinischen Diagnosen und Schatten-Syndromen

Die Psychiater Hallowell und Ratey beschrieben das Konzept der „Schatten-Syndrome“ (Shadow Syndromes), um subtile Varianten von neurologischen oder psychiatrischen Störungen zu beschreiben, die unterhalb der Schwelle klinischer Diagnosekriterien liegen, aber dennoch erhebliche Auswirkungen haben können.

Bei Neurodivergenz ist bekannt, dass auch "subthresold" ADHD oder Autismus-Spektrum zu ganz erheblichen funktionalen Auswirkungen führen können (gerade bei begabteren bzw. hochsensiblen Klientinnen). Wenn also sich weitere Hinweise auf Entwicklungsbesonderheiten, Spektrum-Störungen und weitere Familienmitglieder aus dem ADHS- und Autismus-Bereich ergeben, sollte die Diagnostik sich nicht auf die Fragebögen, sondern die Klinik verlassen.

Bei Mädchen mit subklinischem ADHS oder Autismus kann das sonst u.a. zu folgenden langfristigen Problemen führen:

  1. Chronische Erschöpfung: Durch die ständige Anpassung an soziale Normen und das Verbergen von Symptomen geraten Mädchen mit subklinischen Diagnosen in einen Zustand chronischer Erschöpfung, der ihre Lebensqualität beeinträchtigt.

  2. Selbstwertprobleme: Die fehlende Diagnose und Unterstützung können dazu führen, dass Betroffene ihr Verhalten als „falsch“ empfinden und an ihrem Selbstwert zweifeln.

  3. Probleme in Beziehungen: Schwierigkeiten im sozialen Umgang und der Kommunikation können sich im Laufe der Zeit zu tieferen Problemen in Beziehungen entwickeln.

  4. Berufliche Herausforderungen: Subklinische Symptome können zu Desorganisation und Konzentrationsproblemen führen, die berufliche Chancen einschränken.

🔴 Beispiel

Das folgende Beispiel ist real, aber zumindest bei uns in der Region kein Einzelfall. Ich kenne nur einen Teil der "Wahrheiten", die möglicherweise dadurch subjektiv bleiben.

Lisa, eine 15-jährige Schülerin, zeigte bereits seit ihrer frühen Kindheit deutliche Anzeichen von Entwicklungsbesonderheiten und Entwicklungsverzögerungen, was zu einer logopädischen Förderung und Ergotherapie führte. In der Schule tritt eine Legasthenie in den Vordergrund, die über Lerntherapie alledings keine wesentliche Veränderung ergibt. Statt hyperaktiv wie ihr Bruder zu sein, war sie jedoch oft verträumt und unaufmerksam, was die Lehrer als „Faulheit“ abtaten obwohl sie lehrerabhängig bisweilen als beste Schülerin der Klasse glänzte, dann aber wieder scheinbar unerklärliche Leistungslücken aufwies. Als sich ihre Schwierigkeiten in der Schule mit 15 Jahren verschärften, wurde sie wegen ihrer Müdigkeit und Antriebslosigkeit zur Kinderpsychiaterin geschickt. Dort diagnostizierte man neben einer Lese-Rechtschreibschwäche eine Adoleszenzkrise und Depression, da sie nicht hyperaktiv erschien und die Diagnosekriterien von #ADHS in der Praxis eher an Jungen orientiert waren.

Ihre fehlende Diagnose führte zu frustraner Kinder- und Jugendpsychotherapie seit 4 Jahren und Schulabsentismus über zwei Jahre. Während dieser Zeit beschäftigte sich Lisa selbst mit Neurodivergenz und fand heraus, dass viele ihrer Symptome typisch für ADHS und Autismus waren. Alle Versuche, eine Adaptation ihrer Geräuschüberempfindlichkeit über Noise-Cancelling oder andere Sitzposition in der Klasse zu erhalten, wurden seitens der Schule und ihrer Therapeutin abgelehnt. Sie begann, ihre Therapie in Frage zu stellen, was die Therapeutin als Widerstand und Verweigerung deutete und eine DBT-Therapie für Jugendliche empfahl, weil sie eine Borderline-Dynamik annahm. Dies führte zu Spannungen und einem Vertrauensverlust, wodurch sich die Behandlung weiter verzögerte.

Die umfangmässig scheinbar "umfassende" Fragebogendiagnostik der renommierten Kinderpsychiater-Praxis (die grösste Praxis in einer Schwerpunktregion) hinterlässt mich allerdings rat- und fassungslos. Damit kann man aus meiner Sicht keinesfalls auch nur Ansatzweise ADHS- oder Autismus erkennen oder gar ausschliessen. Sie belegt eigentlich viel mehr, dass ein grundsätzliches Defizit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bzw. -Psychotherapie darüber besteht, was eigentlich der Kern ihres Fachgebietes sein müsste. Entwicklungsbesonderheiten individualisiert zu beschreiben und zu verstehen, auf Ressourcen und Stärken der Kinder eingehen und vor allem : Einmal ZUHÖREN und VALIDIEREN, was die Klienten und ihre Eltern berichten. Der in den Fragebögen deutliche Ansatz des Misstrauens bzw. Vortäuschen einer Diagnose mit dem Ziel Diagnosen mit einem cut-off-Wert ausschliessen zu können, muss von jeder halbwegs intelligenten Jugendlichen doch sofort als untauglich enttarnt werden!

Tatsächlich dürfte aber die Invalidisierung und fehlende Beachtung ihrer eigenen Wahrnehmung seitens der Kinderpsychiaterin und ihrer Therapeutin massgeblich zur Entwicklung und Aufrechterhaltung der Symptomatik beitragen, ja sie letztlich verursachen!

Lisa fragte mich, was sie denn hätte anders machen sollen. Und das hat mich so wütend gemacht, dass ich am liebsten bei der Schwerpunktpraxis angerufen hätte. Nur die Tatsache, dass dort am Freitag um 15 Uhr kein Kollege mehr war, hat mich davor geschützt. Das Gespräch wäre eine Katastrophe geworden, wo ich mich der Lächerlichkeit ausgesetzt hätte, so wie Lisa es bei jeder der Sitzungen dort erfährt. Denn wie sollte man Kinderpsychiatern und Kinderpsychologen verständlich machen, dass sie so mehr Schaden als Nutzen anrichten und unbedingt ihr Vorgehen hinterfragen müssen. Ich wäre der Narr, der eben keine Ahnung hat. Aber manchmal macht es eben auch Sinn auf Narren zu hören und seinen eigenen Ansatz zu hinterfragen. Wann wacht die Kinder- und Jugendpsychiatrie da mal auf?

🔴 Fazit

Ein starrer Cutoff-Score wird den vielschichtigen Symptomen von ADHS und Autismus nicht gerecht, insbesondere bei Mädchen, die oft subtilere Symptome zeigen. Subklinische Präsentationen können ernsthafte Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben und sollten nicht übersehen werden. Stattdessen bedarf es einer umfassenden Evaluation und einer sensibleren diagnostischen Praxis, um diese Schatten-Syndrome zu erkennen und eine angemessene Unterstützung bereitzustellen.

Ich schreibe diesen Artikel auch, weil ich betroffene Familien ermuntern möchte, sich wirksame Unterstützung und Verständnis in ihrer Notlage zu suchen (auch oder gerade dann, wenn sie an der Diagnostikstelle eben abgewimmelt wurden). Hierzu können Selbsthilfegruppen wie beim ADHS-Deutschland eV bzw. der neu gegründete Neurodiversitäts-Verband eine Hilfe sein. Auch in meiner ADHSSpektrum-Community (https://adhsspektrum.com/2024/03/27/adhs-community-adhsspektrum/ (Öffnet in neuem Fenster)) tauschen wir uns über Erfahrungen und Unterstützungsangebote selbstwirksam aus.

So, wie immer : Bitte lass dich von mir an die nächsten Ausgaben des Newsletters erinnern:


Noch besser: Mach mit in unserer ADHSSpektrum Community und unterstütze die Aufklärungsarbeit, tausche dich mit anderen ADHSlern aus und mache mit bei der Challenge zur positiven Psychologie. Ich habe schon wieder zig neue Ideen (z.B. ein MBSR-Kurs für neurodivergente Erwachsene), etwas zu Exekutivfunktionen bei ADHS und und und.

Also, spring mit rein in die Community (als Vorkämpfer-Unterstützer).

Ansonsten gerne teilen und kommentieren in den Social Media…

Liebe Grüße

Martin

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