ADHS und / oder (bipolare) Depression
Wie beeinflusst eine ADHS-Konstitution das klinische Bild und Funktionsfähigkeit im Alltag bei depressiver Episode oder manisch-depressiver Störung in Erwachsenenalter?
Diese relevante, aber keinesfalls so ganz einfache Fragestellung stellte sich eine jetzt im BMC Psychiatry publizierte Studie anhand einer Patientengruppe von Klienten mit sog. partieller Remission innerhalb einer psychiatrischen Klinik.
Dazu wurde eine Reihe von Fragebögen verwendet, die auch bei mir ziemlich gebräuchlich sind. Für Die ADHS-Diagnostik u.a. der relative neue DIVA-5-Fragebogen, die bekannten Conners-Skalen (CAARS-SR-SV), ein klinische Interview SKID-5 für die Abfrage von DSM-V-Diagnoen, das Beck-Depressions-Inventory II und Fragebögen zu Manien (Young Mania Rating-Scale). Diese Fragebögen wurden dann mit Befragungen zu Lebensqualität bzw. Funktionsfähigkeit im Alltag in Bezug gesetzt.
Vorweg: Ich finde die Diagnose einer depressiven Episode keinesfalls einfach zu stellen. Ja, sie ist häufig. Ja, die Kriterien sind irgendwie auch klar. Aber: Gerade die Abgrenzung zu den lebenslangen Beeinträchtigungen der Selbstaktivierung / Antrieb, der Stimmungsstabilität bzw. gereizten, niedergeschlagenen Stimmung, Konzentration und der weiteren Besonderheiten der ADHS-Konstitution ist super schwierig.
Ich finde ADHS vergleichsweise "einfach" zu bestimmen. Was aber eine "Depression" nun sein soll und ob wirklich die Kriterien einer depressiven Episode erfüllt sind, ist bei vielen Patienten einfach unklar. Noch unklarer aber, ob es dann wirklich eine rezidivierende (also in Episoden mit zwischenzeitlicher "Normalität) wiederkehrende) Depression vorliegt.
Noch schwieriger kann das bei Bipolaren Patienten sein, wenn nicht klare Merkmale einer Manie bestanden und / oder die Fremdanamnese eindeutig ist.
Aber ich schweife ab. Zurück zur Studie :
Die Studie spricht von "AADHD) = Adult ADHS.
In 13,3 % der Patientinnen und Patienten, die wegen einer depressiven Episode (in partieller Remission) in Behandlung war, wurde in der ausführlichen Diagnostik ADHS diagnostiziert.
Bei den Patienten aus der Gruppe der Bipolaren Störungen waren es sogar 16,5%.
Wenn man weiss, dass nur höchstens 10-11% aller erwachsenen ADHS-Klienten auch eine störungsspezifische Behandlung erhalten, wird einmal mehr die klinische Bedeutung deutlich.
Denn ein hoher Anteil der Patienten in der Akutpsychiatrie (und wohl mindestens noch häufiger im ambulanten Bereich) wird schlicht nicht auf ADHS hin untersucht und schon gar nicht behandelt.
Wenn nur die Affektive Störung behandelt wird
.... liegt eindeutig eine Fehlbehandlung vor. Dies führt aber zu erheblichen Chronifizierungen, da ja die eigentliche Problematik der Selbstregulationsproblematik, der Probleme der Exekutivfunktionen, der Reizoffenheit bzw. Empfindsamkeit und nicht zuletzt die Besonderheiten der Emotionsregulation / Rejection sensitive dysphoria und negativem Hyperfokus untergehen. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die Lebensqualität und auch Funktionsfähigkeit im Alltag.
Finanzielle Sorgen, häufigeres Scheitern in der Ausbildung und Beruf, Trennung und eine Häufung von Suchtproblemen bei unbehandelten ADHS sind da nur die Spitze des Eisberges.
In Studien wurde ein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen dem Alter und der Prävalenz von AADHD in beiden Gruppen von MDD und BD festgestellt; die Prävalenz nahm mit zunehmendem Alter ab. Daher sollten Kliniker auf die Komorbidität der ADHS-Diagnose bei jüngeren Erwachsenen mit schweren Stimmungsstörungen einschließlich MDD und BD achten.
Daraus lässt sich schließen, dass das Zusammentreffen von AADHD mit MDD oder BD bei Erwachsenen im Vergleich zu Stimmungsstörungen ohne diese neurologische Entwicklungsstörung die Belastung durch die Störungen für die Lebensqualität erhöht und das Niveau ihrer Funktionsfähigkeit in verschiedenen Lebensbereichen senkt.
Diese Studie zeigte eine hohe Prävalenz von AADHD bei Teilnehmern mit schweren depressiven und bipolaren Störungen, was die Tatsache untermauert, dass die ADHS-Diagnose bei Erwachsenen mit schweren Stimmungsstörungen eine wichtige Rolle bei der Funktionsfähigkeit im Alltag bzw. der Lebensqualität der Patienten spielt, einschließlich der Verschlechterung der Lebensqualität und des globalen Funktionsniveaus.
Aber wird das wirklich Auswirkungen in der Versorgungsrealität in den Kliniken oder Psychiaterpraxen haben?
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