ADHS : Neues aus der neurodivergenten Welt…
Schön, Dich hier weiter dabei zu haben. Oder noch besser : Wenn Du neu dabei bist, herzlich willkommen. Dann hast du noch mindestens 7 frühere Newsletter zu entdecken und etliche andere Beiträge von mir :-)
Der ADHSSpektrum Newsletter Nummer 8 hat Themen, die sich aus dem Anlass heraus ergeben. Oder eben aus Diskussionen, die ich u.a. bei Facebook, bei Threads oder anderen Medien finde und mich beteilige (oder sonst zu interessant finde).
Diese Woche gab es genug Aufreger bei mir, die mit Erwartungen und enttäuschten Erwartungen hinsichtlich der Pharmakotherapie bei ADHS zusammenhängen. Dann ging es passend zur Fastenzeit um Dopamin-Fasten. Da habe ich noch einen längeren Artikel in Vorbereitung, aber andere Themen drängelten sich erstmal vor… Etwa das Thema Cannabisabstinenz vor ADHS-Medikation… Und nicht zuletzt aus der Autismus-Ecke noch eine interessante Diskussion, die Michael Schmitz bei Facebook ausgelöst hatte. Zu interessant, um nicht drauf einzugehen… Und das wiederum war dann Anlass mich mit Kommunikation in der Klinik mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum im Kontext Gruppentherapie zu beschäftigen. Viele Topics, oder ?
So ein wenig vielleicht wie ein Podcast mit Diskussionsthemen, nur in Newsletter-Form. (Vielleicht wird dann irgendwann zusätzlich ja auch ein Podcast dazu).
Wenn Du also interessante Themen findest, die einer weiteren Diskussion wert sind, melde dich gerne. Gerne auch Kolleginnen oder Kollegen, Influencer aus der Neurodivergenz-Bubble oder so, die ihre Ideen / Angebote / Erfahrungen zur Diskussion stellen wollen.
Das soll nicht eine neue Apple-Vision Pro sein, sondern eher das Thema “ADHS-Medikation als Brille der Selbstregulation visualisieren…
Stimulanzien als Brille der Selbstkontrolle: Ein neuer Blick auf ADHS
Zugegeben: Die Betrachtungsweise von ADHS ist nicht neu. Aber für jeden meiner Patienten, die mit einer neuen Medikation beginnen, ist es eine neue Erfahrung.
Wie wahr : Mit Medikamenten beginnt man sich und die Aussenwelt ganz anders wahrzunehmen, oder ?
Fehlinformation und Missverständnisse Gestern wollte ein Patient in unsere Klinik aufgenommen werden, der lediglich zur Medikationseinstellung überwiesen wurde – ein Ansatz, der in einer Psychotherapie-Klinik, wie der unseren, ohne ADHS-Schwerpunkt, nicht zielführend ist. Blöd gelaufen und falsch informiert, denn Psychotherapie stand nicht auf seinem Wunschzettel. Also werden wir uns wohl voneinander wieder verabschieden müssen.
Die falschen Erwartungen an die Medikation
Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Menschen mit ADHS (oder ihre Behandler) erwarten, dass mit Beginn der Medikation sich das Leben plötzlich wie von Zauberhand ordnet und mentale Anstrengung überflüssig wird.
Realitätscheck durch Stimulanzien
Ich bin der Ansicht, dass Stimulanzien zunächst das Gegenteil bewirken. Sie zeigen eher auf, wo die Baustellen im Leben liegen und was bislang vielleicht nicht optimal gelaufen ist. Das mag überwältigend sein, bietet aber eine klarere und realistischere Sicht auf die Welt – und keine rosarote Brille, die man von Amphetaminen erwarten könnte.
In meiner Facebook-Gruppe ADHSSpektrum hatten wir das Thema bei Sandra gerade :
“Leider merke ich seit Beginn der Einnahme auch eine verstärkte Müdigkeit und Erschöpfung. Ich kenne das so nicht, dass mir einfach die Energie ausgeht. Ich habe zwar immer wieder Phasen der Erschöpfung, normalerweise kann ich aber trotzdem irgendwie durchpowern.Ich schlafe teilweise um 7, halb 8 auf der Couch ein, obwohl ich noch einen Film schauen wollte - einfach weil ich nicht mehr kann. Leider verbessert sich die Situation nicht, wenn ich in der Nacht mehr schlafe. Am Wochenende komme ich kaum von der Couch hoch weil ich einfach so platt bin. Da schlafe ich dann zum Teil 13-14 Stunden.”
Was man also unter der Medikation häufig merkt, ist die Erschöpfung und die lebenslange Anstrengung die das Leben mit und manchmal auch gegen ADHS und / oder Autismus so kostet. Das wusste man vielleicht kognitiv. Jetzt spürt man es aber auch mental.
Und genau darauf sind aber viele Patienten nicht gut vorbereitet und enttäuscht. Wie ich immer sage : ADHS-Medikamente wirken ent-täuschend und decken solche “Täuschungen” und Entfremdungen von sich selber auf.
Die Diagnose als Anfang, nicht als Ende
Für viele Betroffene beginnt mit der Diagnose ADHS ein Prozess der Selbstentdeckung und -akzeptanz. Die Diagnose ist nicht das Ende, sondern der Startpunkt für eine Reise zu einem besseren Selbstverständnis.
Und selbstverständlich lief und läuft auf der Reise längst nicht alles rund. Schon gar nicht mit einer neurodivergenten Disposition. Mit den lebenslangen Verletzungen und Umwegen, mit Traumata und mit nicht gelungenen Lebensentwürfen oder Träumen. Da bleibt auch Trümmerarbeit zum Aufräumen.
Stimulanzien als Unterstützung zur Selbstregulierung
Stimulanzien wie MPH oder Elvanse können die Symptome von ADHS effektiv mildern und die Aufmerksamkeit sowie Konzentrationsfähigkeit steigern. Sie sind eine Hilfe, um ein klareres Bild der eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu erlangen. Aber das ist quasi erst das Werkzeug, damit dann ein Coaching oder eine Therapie überhaupt greifen kann.
Lernen, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen
Mit der verbesserten Fokussierung durch die Medikation erhalten Betroffene die Möglichkeit, ihr Verhalten und ihre Reaktionen anzupassen. Es geht nicht darum, sich auf das Medikament zu verlassen, sondern es als Werkzeug zu nutzen, um die Selbstregulierung zu erlernen. Das kann man aus vielen Gründen meistens nicht von heute auf morgen. Dafür bräuchte man Geduld (ha ha ha) bzw. Frustrationstoleranz (auch nochmal, das hat man nicht sofort) und Ausdauer für die Veränderungen. Gerade weil man das nicht selbstverständlich mitbringt, braucht es hier ein Gegenüber, einen verlässlichen Begleiter. Günstigerweise den Arzt oder die Ärztin, der die Medikation verschreibt. Aber meistens doch eher einen anderen “ortskundigen” aus der Neurodivergenz-Bubble, der diese Wege schonmal gelaufen ist. Also selber erfassen und verstehen kann, warum es eben kein leichter Weg mit der Medikation ist. Aber ein notwendiger.
Selbstmanagement statt Wundermittel
Die Herausforderung liegt darin, zu lernen, Ressourcen effektiv zu nutzen und bewusste Entscheidungen zu treffen. Dies erfordert häufig ein Management von Energie und Pausen statt der bloßen Zeiteinteilung.
Der Weg zur Autonomie
Stimulanzien sind eine Brücke zum erfolgreichen Selbstmanagement und erfordern Geduld, Ausdauer und manchmal professionelle Unterstützung durch Therapie oder Coaching.
Selbstmanagement und die Konfrontation mit dem Selbst
Viele von uns haben nie gelernt, uns selbst zu managen, sondern haben uns an die Erwartungen anderer angepasst. Unter der Medikation können auch die Narben und Traumata deutlicher werden, was die Notwendigkeit von Therapie oder Coaching unterstreicht.
Fazit
Die medikamentöse Behandlung von ADHS mit Stimulanzien ist keine einfache Lösung, sondern eine Chance zur Selbstentwicklung und -kontrolle. Es geht darum, das Medikament als Hilfsmittel zu sehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Dopamin-Fasten und ADHS
Wenn ich eins nicht bin, dann großer Karnevalist (obwohl ich immer noch Sympathie für die Fastnacht in Mainz hege) und schon gar nicht Katholik (obwohl in meinem Blut als kirchenrechtliches Mischkind auch da ein Anteil vorhanden sein müsste). So oder so : Fastenzeit ist nun nicht meins. Aber ein schöner Anlass sich mit dem Thema Dopamin-Fasten zu beschäftigen. Oder sowas wie der soziale Kater nach dem Übermaß von Jubel, Trubel, Heiterkeit und viel zu viel Mensch an einem Ort. Nicht nur für AutistInnen.
Das große Nichts: Dopamin-Fasten für den neurodivergenten Geist (einmal mehr eine nicht ganz ernstzunehmende Glosse)
Es gibt diese Tage, an denen man aufwacht und denkt: "Heute wäre ein guter Tag, um absolut keine Freude zu empfinden." Glücklicherweise gibt es für solche Tage jetzt eine offizielle Bezeichnung: Dopamin-Fasten. Die Idee ist so einfach wie quälend: Man meide alles, was auch nur den Hauch eines Wohlgefühls in unserem durch elektronische Geräte überreizten Gehirn auslösen könnte, um die neurochemischen Belohnungssysteme wieder auf Werkseinstellungen zurückzusetzen. Für Menschen, die von Natur aus eine etwas andere Verdrahtung haben, stellt sich allerdings die Frage: Was, wenn dein "Werkseinstellungen"-Zustand bereits eine Art ständiges Beta-Testing ist oder auf Dauerblockade eingefroren ist?
Betrachten wir die Situation: Ein durchschnittlicher neurotypischer Mensch beschließt, auf Dopamin-ausschüttende Aktivitäten wie Social Media, Zucker, vielleicht sogar auf zwischenmenschliche Interaktionen zu verzichten. Der neurodivergente Mensch hingegen sitzt da und denkt: "Und was mache ich jetzt mit meiner Sammlung an spezifischen Interessen, die mich in einen Zustand tiefer Zufriedenheit versetzen, aber außerhalb meiner eigenen Kopfwelt kaum jemanden interessieren?"
Das Dopamin-Fasten für den neurodivergenten Menschen könnte also eher so aussehen: Ein Tag ohne das tief befriedigende Eintauchen in die Wikipedia-Artikel über die Fortpflanzung seltener Frösche, ohne das stundenlange Ordnen der Buchsammlung nach Farben oder ohne das akribische Nachverfolgen von Wetterdaten aus persönlichem Interesse an meteorologischen Mustern oder eben anderer Sonderinteressen, die das Gehirn in einen kurzzeitig akzeptablen Zustand versetzt. Stattdessen stehen wir vor der Herausforderung, sich in einer Welt der moderaten Reize zurechtzufinden, die fentweder zu laut oder zu leise ist, aber selten genau richtig. Quasi wie in einer Dusche, die nur eiskaltes Wasser oder aber brühend heisse Hühnersuppe bereit hält.
Doch vielleicht liegt hierin eine unerwartete Freude des Dopamin-Fastens für den neurodivergenten Geist: die Entdeckung, dass es in der Stille zwischen den Extremen, in den Nuancen des Nichts, etwas zu erkunden gibt. Vielleicht ist es die Erfahrung, dass das Gehirn, wenn es nicht gerade mit dem Sammeln, Sortieren und Verarbeiten von Informationen beschäftigt ist, zu überraschenden kreativen Leistungen fähig ist. Oder vielleicht ist es einfach die Erkenntnis, dass es okay ist, sich nicht ständig okay fühlen zu müssen, dass das Streben nach ständiger Stimulation – sei es durch externe Quellen oder durch die unermüdliche Arbeit unseres eigenen, ungewöhnlich verkabelten Gehirns – nicht der einzige Weg ist, um Sinn und Zufriedenheit im Leben zu finden.
So könnten wir, am Ende unseres Dopamin-Fastens, zu der Einsicht gelangen, dass das, was wir als unsere neurodivergenten Gehirne betrachten, nicht einfach nur eine Reihe von Herausforderungen und Hindernissen sind, sondern auch eine Quelle unerwarteter Stärken und Freuden – selbst in einer Welt, die oft nicht für uns gemacht scheint. Und vielleicht, nur vielleicht, ist es die größte Ironie des Dopamin-Fastens, dass es uns – durch die bewusste Abkehr von dem, was uns Freude bereitet – letztlich dazu bringt, die Freude in genau den Dingen wiederzuentdecken, von denen wir dachten, wir müssten sie meiden.
ADHS und Cannabis
Das Thema ADHS und Cannabis polarisiert. Etwa 45 Prozent der ADHSler haben ein Thema / Problem mit Cannabis. In meiner Facebook-Gruppe schliesse ich das Thema Cannabis bewusst aus. Und um klar zu sein : Cannabis als Medikation bei ADHS schliesse ich auch rigoros aus.
Die Diskussion, die wir jetzt in meiner Threads-Bubble hatten geht um einen Patienten mit ADHS, der 0,9 g Cannabis täglich rauchte bis vor 2 Wochen und jetzt zur ADHS-Therapie kommen wollte (warum das bei uns in der Klinik sinnfrei ist, ist ja ein anderes Thema). Ich hab aber mal meine “Bubble” gefragt, wie sie so dazu stehen. Wie ich unten noch weiter darstelle, haben wir bei uns in der Klinik 3 Monate Cannabis-Freiheit als Voraussetzung für eine Psychostimulanzien-Therapie. Und für mich macht auch Psychotherapie unter Benzodiazepinen, Opiaten oder eben Cannabis keinen Sinn. Wenn das limbische System quasi “benebelt” bzw. ruhig gestellt ist, wie sollte man dann Lernerfahrungen und Veränderungen erreichen können?
Aber erstmal möchte ich mal Stimmen aus dem Netz (Threads) dazu einbinden:
ADHS und Cannabis: Zwischen Selbstmedikation und Therapie
Aus der lebhaften Diskussion in unserer Threads-Community haben sich diverse Meinungen ergeben, die ich hier gerne einbringen möchte.
Der therapeutische Spagat
chaos_kadse meint, dass der Drang zu kiffen nachlassen oder sogar aufhören könnte, wenn erst einmal Medikamente gegeben werden. Doch martin_goldmann bringt das Dilemma auf den Punkt: Manche kiffen eventuell zur Selbstmedikation. Medikamente könnten helfen, aber sie bekommen sie nicht, weil sie sich selbst „versorgt“ haben. Und dukeofd00m betont, dass viele keine Erfahrung mit ADHS als Betroffene haben und dass Cannabis oft als Selbstmedikation verwendet wird. Das Ausschließen von Cannabis, während Alkohol außer bei erwiesener Abhängigkeit zugelassen wird, wirkt paradox.
Die Hürden der Abstinenz
Für viele Betroffene scheint die geforderte Abstinenz eine kaum zu überwindende Hürde darzustellen. dukeofd00m spricht aus eigener Erfahrung, dass drei bis vier Monate ohne Medikamente und ohne bisherige Selbstmedikation für den Patienten heftig sein werden. tux_das_pflueff_and_friends und wolfskaetzchen sehen die Notwendigkeit der Therapiebereitschaft und leidolf.jens schlägt einen begleiteten Entzug vor, um substanzinduzierte Psychosen zu vermeiden.
Die Notwendigkeit der Therapie
Daszischell und buttrfly_fluttrsby heben hervor, dass das Kiffen zur Selbstmedikation dient und eine Therapieverweigerung bedauerlich ist. Sie sehen die Gefahr, dass bei einer Abweisung alte Muster wieder aufgenommen werden, weil keine alternativen Strategien bekannt sind. lady.lilaqueen kennt jemanden, der nur so viel kifft, weil er ohne Medikamente nicht klar kommt.
Die Frage der Compliance
mfa_storybook thematisiert das Thema Compliance und fragt, ob der Patient wirklich Hilfe will oder nur "mal was auf BTM" ausprobieren möchte. Und sas0291 erläutert, dass der Konsum von Drogen das Risiko für eine Psychose erhöhen kann und dass eine Suchtberatung vielleicht der richtige erste Schritt wäre.
Der persönliche Weg
Maraaaiike schlägt eine Aufnahme vor, in der der Patient erstmal abstinent wird, bevor Medikamente eingestellt werden. Und georgi_bl spricht sich dafür aus, dem Patienten auf Augenhöhe zu begegnen und ihm zunächst alternative Angebote wie Sport oder Gesprächsgruppen zu machen.
Fazit
Die Meinungen sind vielfältig und zeigen die Komplexität der Situation auf. Es wird deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Patienten, Ärzten und Therapeuten notwendig ist, um individuelle Lösungen zu finden. Das Ziel ist es, eine Basis für eine erfolgreiche Therapie zu schaffen, die sowohl die Abhängigkeit von Substanzen als auch die Symptome von ADHS berücksichtigt.
Ich habe mal einen Entwurf für ein Handout bei uns in der Klinik angefügt.
Begründung für die Abstinenzvoraussetzung vor der Diagnostik und Therapie mit Psychostimulanzien in unserer Klinik
Einleitung
In unserer Klinik ist die Diagnostik und medikamentöse Therapie von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) durch den Einsatz von Psychostimulanzien wie Methylphenidat oder Lisdexamphetamin ein wichtiger Bestandteil des Behandlungsspektrums. Um die Wirksamkeit dieser Behandlungen zu maximieren und die Sicherheit unserer Patienten zu gewährleisten, setzen wir eine 3-6 monatige Abstinenz von Cannabis oder anderen Drogen als Voraussetzung an. Zusätzlich gilt in unserem Bereich der Psychosomatik die Behandlung von Suchterkrankungen als Kontraindikation für eine Kostenübernahme durch die Kostenträger, da es hierfür spezialisierte Kliniken gibt. Im Folgenden erläutern wir die Gründe für diese umfassende Vorgehensweise.
Gründe für die Abstinenzvoraussetzung
1. Klarheit der Diagnose und Bewertung der exekutiven Funktionen
Cannabis und andere Drogen können Symptome hervorrufen oder verstärken, die jenen von ADHS ähneln. Eine Abstinenzperiode ermöglicht eine präzise Bewertung der Symptome und exekutiven Funktionen, um sicherzustellen, dass die Diagnose nicht durch den Substanzgebrauch verfälscht wird.
2. Vermeidung von Wechselwirkungen und Stabilisierung des mentalen Zustands
Die Interaktion zwischen Psychostimulanzien und psychoaktiven Substanzen kann zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Eine Abstinenz stellt sicher, dass die Behandlung ohne solche Risiken begonnen werden kann und unterstützt die psychische Stabilisierung des Patienten.
3. Fokus auf gesunde Bewältigungsstrategien und Compliance
Die Abstinenz von Drogen bietet die Gelegenheit, gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Dies ist besonders wichtig, da ADHS häufig mit erhöhtem Stress verbunden ist. Zudem zeigt die Einhaltung einer Abstinenzperiode ein Engagement für den Behandlungsprozess.
Durchführung von Urinkontrollen
Um die Einhaltung unserer Richtlinien sicherzustellen, fordern wir den Nachweis einer 3-monatigen Abstinenz durch Urinkontrollen, die zu Beginn und während des Aufenthalts in unserer Klinik durchgeführt werden. Ein positiver Cannabis-Nachweis führt zur disziplinarischen Entlassung, unabhängig von der nachgewiesenen Menge oder der Diskussion über die Legalität bzw. den medizinischen Einsatz von Cannabis.
Schlussfolgerung
Die Voraussetzung einer 3-6 monatigen Abstinenz von Cannabis oder anderen Drogen ist eine fundierte Entscheidung, die auf dem Wunsch basiert, die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung zu maximieren. Diese Maßnahme ermöglicht eine präzise Diagnosestellung, minimiert das Risiko von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen, unterstützt die psychische Stabilisierung und fördert die Entwicklung von gesunden Bewältigungsmechanismen. Wir sind überzeugt, dass diese Vorgehensweise im besten Interesse unserer Patienten ist und eine effektive Grundlage für die erfolgreiche Behandlung von ADHS bildet. Wir bieten Unterstützung und Beratung für diejenigen an, die Schwierigkeiten mit der Einhaltung dieser Voraussetzung haben, und ermutigen eine offene Kommunikation mit unserem therapeutischen Team, um individuelle Lösungen zu finden.
Das Prädiktive Gehirn bei Autismus und ADHS: Eine Diskussion auf Facebook
Das Konzept des prädiktiven Gehirns ist ein faszinierender Ansatz, um zu verstehen, wie unser Gehirn arbeitet, insbesondere im Kontext von neurodivergenten Zuständen wie Autismus und ADHS. Dieser Artikel soll neurodivergenten Lesern, die sich noch nicht intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt haben, einen Einblick in die Grundlagen von Autismus, ADHS und die Rolle der Sensorik bieten.
Was ist das prädiktive Gehirn?
Das prädiktive Gehirn beschreibt die Theorie, dass unser Gehirn ständig versucht, Vorhersagen über zukünftige Ereignisse zu treffen, basierend auf früheren Erfahrungen. Diese Vorhersagen helfen uns, die Welt um uns herum zu verstehen und entsprechend zu reagieren. Wenn die Vorhersagen des Gehirns mit den tatsächlichen Ereignissen übereinstimmen, fühlen wir uns wohl und sicher. Kommt es jedoch zu Abweichungen, kann dies Unsicherheit und Stress auslösen. Gerade für ein neurodivergentes Gehirn, das Vorhersehbarkeit und Strukturen benötigt bzw. nicht so gut selber herstellen kann.
Die Rolle der Sensorik bei Autismus
Bei Menschen im Autismus-Spektrum wird oft von einer besonderen Empfindlichkeit der Sensorik gesprochen. Das bedeutet, dass sensorische Reize wie Licht, Geräusche oder Berührungen intensiver wahrgenommen werden können. Diese erhöhte Sensibilität kann im Alltag zu Überforderungen führen, insbesondere wenn die Umwelt sehr reizintensiv ist.
Eine interessante Diskussion, die in jüngerer Zeit geführt wurde, dreht sich um die Frage, ob es wirklich die sensorischen Reize an sich sind, die Stress verursachen, oder ob es eher die Unvorhersehbarkeit dieser Reize ist. Peter Vermeulen, Autor des Buches "Autismus und das prädiktive Gehirn (Öffnet in neuem Fenster)", vertritt die These, dass nicht die Empfindlichkeit gegenüber sensorischen Reizen das Problem darstellt, sondern die Schwierigkeit, zukünftige sensorische Ereignisse korrekt vorherzusagen. Dies führt dazu, dass Menschen im Autismus-Spektrum häufiger von Situationen überrascht werden, was zu Stress und Überforderung führen kann.
Diskussion und unterschiedliche Perspektiven
Diese These hat auf Plattformen wie Facebook zu intensiven Diskussionen geführt. Einige Nutzer*innen, die selbst im Autismus-Spektrum sind, widersprechen der Idee, dass ihre Herausforderungen ausschließlich oder hauptsächlich auf Unvorhersehbarkeiten zurückzuführen sind. Sie berichten von eigenen Erfahrungen und Studienteilnahmen, die eine frühzeitige und starke Reaktion auf sensorische Reize belegen. Andere finden den Ansatz des prädiktiven Gehirns hilfreich, um bestimmte Reaktionen und Verhaltensweisen besser zu verstehen und anzugehen.
Regine Winkelmann (Öffnet in neuem Fenster) zum Beispiel berichtet von eigenen Erfahrungen und wissenschaftlichen Studien, die eine frühzeitige Reaktion auf sensorische Reize zeigen – ein Befund, der die These von Vermeulen scheinbar widerlegt. Sie betont, dass solche Aussagen weg von notwendigen Hilfsmitteln wie Sonnenbrillen und Gehörschutz führen könnten. Und es gefährlich sei, quasi den Autisten die Verantwortung für ihre Empfindsamkeit zuzuschreiben, was hin zu überholten Konzepten der ABA-Quälerei führen würde (meine Deutung und vielleicht überspitzte Beschreibung).
Stephanie Meer-Walter (Öffnet in neuem Fenster) betont die Bedeutung des Kontextes für die Schaffung einer förderlichen Umgebung: "Das kontextbezogene Kompetenztraining [...] basiert darauf, Glücksgefühle und Freude zu stärken und einen Flowzustand herzustellen, um Stress zu reduzieren." Sie weist darauf hin, dass solch eine Umgebung im Alltag schwer herzustellen ist, und kritisiert, dass Vermeulen "dem 'Fehler' unterliegt, den er dem autistischen Gehirn zuschreibt: dass es zu absolut denkt."
Gabi Schmitt-Lemberger (Öffnet in neuem Fenster) äußert sich kritisch zu Vermeulens Positionen und hebt hervor, dass Theorien ohne wahres Verständnis für Autistinnen und Autisten und ihre Bedürfnisse problematisch sind: "Er ist (für mich) Theoretiker, der kein wahres Verständnis für Autist:innen und unsere Wahrnehmung und Bedürfnisse hat."
Bedeutung für die Therapie und den Alltag
Diese Diskussion hat direkte Auswirkungen auf die Therapieansätze und alltägliche Unterstützungen für Autist*innen. Wenn die Hauptursache für Stress und Überforderung in der Unvorhersehbarkeit von Reizen liegt, könnten Ansätze, die auf eine bessere Vorhersagbarkeit abzielen, hilfreich sein. Das könnte beispielsweise durch das Erlernen von Entspannungstechniken oder den Einsatz von Hilfsmitteln wie Kopfhörern zur Geräuschreduzierung erreicht werden. Andererseits ist das auch ein hoher Anspruch, da die Welt eben so ist wie sie ist. Und vielen neurodivergenten Menschen so nicht gut tut (und das spüren ja auch neurotypische Mitmenschen immer mehr, aber vielleicht einen Hauch später oder nicht so intensiv).
Gleichzeitig betonen viele Betroffene die Wichtigkeit, die individuellen sensorischen Bedürfnisse ernst zu nehmen und entsprechende Anpassungen im Alltag zu ermöglichen, wie das Tragen von Sonnenbrillen in hellen Umgebungen oder das Schaffen von ruhigen Rückzugsorten.
Fazit
Die Diskussion über das prädiktive Gehirn bei Autismus und ADHS öffnet ein neues Feld für das Verständnis neurodivergenter Erfahrungen. Oder für kontroverse Diskussionen zwischen Theoretikern und der Neurodivergenz-Community. Sie zeigt, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede zu erkennen und zu respektieren. Für neurodivergente Menschen ist es essentiell, Zugang zu Informationen zu haben, die ihnen helfen, sich selbst besser zu verstehen und Strategien zu entwickeln, die ihren Alltag erleichtern
Autismus und Gruppenpsychotherapie
Dann habe ich noch einen Beitrag auf ADHS-Spektrum zu Kommunikation mit autistischen Klienten in der (Gruppen-)Psychotherapie verfasst.
Ich finde das kein einfaches Thema. Bei uns in der Klinik geben wir uns “Mühe”, aber so wirklich neurodivergent-geeignet bzw. neuro-sensibel ist einfach eine Klinik bzw. Psychosomatik aus vielen Gründen nicht. Das merken wir dann nicht nur bei Patientinnen, bei denen im Verlauf der Verdacht auf Autismus-Spektrum entsteht, sondern z.B. auch bei PatientInnen mit komplexen Traumastörungen / Dissoziationen (wobei ich auch hier enge Überschneidungen zu Neurodivergenz erkennen mag).
Wie auch immer. Hier der Link zum Beitrag auf ADHSSpektrum.com (Öffnet in neuem Fenster)
Deutschlandfunkt-Beitrag
Auf den Seiten des Deutschlandfunks gibt es einen Interessanten Beitrag und ein Podcast (von 2022?) zu Neurodiversität / Neurodivergenz.