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Ich bestrafe dich, ich bestrafe dich nicht - das Problem mit der Umsetzung von Sanktionen gegen Russland im Fußball

Nein, glauben Sie nicht, dass ich jetzt über Nord Stream 2 oder SWIFT schreibe.  Dazu bin ich zu weit weg von den wirklich großen Entscheidungen.  Ach, es ist mir eigentlich auch viel zu viel, über die große Politik nachzudenken. Zu komplex, zu schwierig für einen einfachen Geist, der nach einem harten Arbeitstag eigentlich nur seine Ruhe und Zerstreuung im Kreise seiner Lieben will. Die Politiker werden Putin schon die Leviten lesen. Wie sagte doch unser stets entschlossener und zielstrebiger Bundeskanzler: der Krieg wird sich "als Katastrophe für Russland erweisen". Und unsere Außenminister Annalena Baerbock legt nach: Die Sanktionen werden "das System Putin treffen". 

Unsere Regierung regelt das schon. Alles gut. Ich öffnete mir also ein Bier, machte es mir auf der Couch bequem und sah mir im Pay-TV das Zweitliga-Fußballspiel Karlsruher SC gegen den FC Schalke 04 an. Und unweigerlich kam das verdrängte Russland-Sanktions-Thema zurück, denn auf der Brust der Trikots der Schalker prangte nicht der gewohnte "GAZPROM"-Schriftzug, sondern "Schalke 04". Zur Erinnerung: GAZPROM ist der russische Energiekonzern mit engen Verbindungen zu Wladimir Putin. Kehrte mein Arbeiterverein also zurück zu seinen Wurzeln und verzichtete auf den bösen, blutgedränkten russischen kapitalistisch-militaritischen Mammon?

Noch besser: Er setzte ein Zeichen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine 

https://schalke04.de/verein/schriftzug-trikots/ (Öffnet in neuem Fenster)

Richtig, dachte ich. Zeigt es den Russen mal so richtig!

Aber, so kam mir in den Sinn: Können sich die notorisch finanziell klammen Königsblauen das leisten?  Seit 2007 ist GAZPROM Sponsor, hielt am Sponsoring auch nach dem Abstieg fest und zahlt laut "Bild" jährlich 9 Mio. € - eine für Zweitligavereine stattliche Summe.

https://www.sportbuzzer.de/artikel/schalke-04-gazprom-sponsor-russland-finanzen-geld-dfl-auflagen-reaktion/ (Öffnet in neuem Fenster)

Was wird Schalke 04 nun tun?

Der Verein teilte mit, er habe nach Gesprächen mit GAZPROM Germania die Entscheidung getroffen, den Schriftzug der russischen Firma vom Trikot zu nehmen. Und dann kommt der Satz auf der Schalke-Homepage, der mich stutzig macht: "Über weitere mögliche Schritte wird der Verein zu gegebener Zeit informieren".

Was heißt das nun denn konkret? Von einer außerordentlichen Kündigung des Vertrages ist noch nicht die Rede. Ob Schalke in so einem Falle nicht mit hohen Vertragsstrafen rechnen müsste? 

Ich frage mich, wie das Gespräch mit GAZPROM abgelaufen sein könnte. Etwa so vielleicht: "Liebe Freunde von GAZPROM, 15 Jahre arbeiten wir gut zusammen, 15 Jahre haben wir gerne euer Geld genommen, auch 2014, als es mit eurem verdeckten Krieg in der Ostukraine losging.  Und wir würden auch gerne weiter euer Geld nehmen, nur ihr wisst ja, momentan habt ihr Russen bei uns in Deutschland eine extrem schlechte Presse. Da müssen wir jetzt mal etwas auf Tauchstation gehen. Also, ihr zeigt euch nicht öffentlich, wenn es um Schalke geht, und zahlt trotzdem weiter. Im Kern geht es ja gegen Putin, nicht gegen euch. Aber aktuell wird das alles in der Öffentlichkeit vermischt, und wir müssen da auf unseren Ruf und unsere anderen Sponsoren achten. Wenn sich der Sturm gelegt hat, können wir den GAZPROM-Schriftzug ja wieder auf das Trikot nehmen ...".  Das ist frei erfunden, aber so stelle ich kleines Licht mir das vor.

Das Dumme an der Aktion ist: Schalke leidet sicher wirtschaftlich, wenn GAZPROM die Zahlung doch einstellen sollte, aber leidet GAZPROM auch?

Nun ist es unfair, meinen lieben Verein FC Schalke 04 zum Vorkämpfer der Russland-Sanktionen zu stilisieren, wenn eine Bundesregierung schon beim Thema SWIFT oder bei Nord Stream 2 lange gezögert hat und auch beim Zahlungssystem nach selektiven Strafen sucht, um nicht komplett die Bande zu Russland zu kappen. Schließlich müssen wir zum Beispiel unser russisches Gas auch bezahlen! Da, liebe Ukrainer*innen, müssen wir bei aller Solidarität mit euch und allen gelb-blauen Fähnchen, die wir auch weiter im Gedanken an euch schwenken werden, ein bisschen an uns selber denken. Bitte habt da bei allem Beschuss auch ein bisschen Verständnis für uns Deutsche.

Aber an dem kleinen Beispiel FC Schalke 04 und GAZPROM wird das Dilemma und der daraus folgende Eiertanz deutlich, der in weit größeren wirtschaftlichen Ebenen sich noch viel gravierender auswirken wird. Solange nebulös von "Solidarität" und "wirtschaftlichen Opfern" im Allgemeinen die Rede ist, klatschen wir alle Applaus. Wenn es aber konkret wird, herrscht plötzlich erstaunliche Sprachlosigkeit allerorten.

Bleiben wir aber beim Fußball und blicken über den Kanal ins Mutterland dieses Sports nach England. Dort ist Roman Abramowitsch Eigner des FC Chelsea. Mit jungen Jahren hat der Oligarch, der über die russische, israelische und portugiesische (!) Staatsbürgerschaft verfügen soll, ein Vermögen in Russland angehäuft und gibt sich relativ unpolitisch, gilt aber durchaus als Putin-Vertrauter. Bis heute stelle ich mir lebhaft vor, wie britische Banken nach den Geldwäschegesetzen die Herkunft der Gelder von Abramowitsch überprüfen. Scheinbar alles sauber .... Muss Herr Abramowitsch Sanktionen befürchten? Nach welchen Kriterien? Weil er Geld hat und aus Russland ist? Klingt ehrlich gesagt ziemlich rassistisch, so wie wenn ein wohlhabender arabischstämmiger Bürger in Berlin undifferenziert einem kriminellen Clan-Milieu zugerechnet wird und selber die Beweislast tragen müsste, dass es nicht so ist (das hatten wir ja gerade!). Wie also setzen wir Sanktionen durch, ohne uns an rechtsstaatlichen Grundsätzen zu versündigen und gar unterschwellige rassistische Vorurteile in Gesetzesform zu gießen? Ich halte das für - sagen wir es neutral - spannend. 

Herr Abramowitsch hat vorsorglich versucht, den Funken früh zu ersticken und kein Feuer ausbrechen zu lassen, indem er die Führung über den Verein den Treuhändern der Vereins-Stiftung übergeben hat. Eigentümer bleibt er freilich.

https://www.derstandard.at/story/2000133688456/roman-abramowitsch-gab-kontrolle-bei-chelsea-aus-der-hand (Öffnet in neuem Fenster)

Ob er wirklich die Kontrolle aus der Hand gegeben hat, wie der österreichische "Standard" titelt?

Ein Satz im "Standard"-Bericht ist ebenfalls bemerkenswert: "Forderungen nach Sanktionen gegen den Chelsea-Eigentümer wurden immer lauter, diese sind bisher von der britischen Regierung aber ausgeblieben."

Die britische Regierung schweigt also noch.  Schwenkt man den Blick in andere Brancen und denkt man an die vielen Immobilieninvestitionen russischer Oligarchen in der britischen Hauptstadt, die ihr auch den inoffiziellen Namen "Londongrad" bescherte, dürfte es tatsächlich noch sehr interessant werden, wie konsequent die Strafmaßnahmen in den anderen, weitaus sensibleren Geschäftsbereichen als dem professionellen Fußball umgesetzt werden.

 

Kategorie Sport

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