Verhandeln mit Putin?
Gibt es eine Strategie des Westens, falls Putin doch die Ukraine einnimmt, bevor die Sanktionen wirken?
Der elfte Tag des Angriffskrieges Putins gegen die Ukraine ist angebrochen, und immer noch leisten die Ukrainer*innen tapferen Widerstand. Kiew ist immer noch nicht gefallen, und Putin ist zweifelsohne verärgert. Seine Blitzkrieg-Strategie ist nicht aufgegangen.
Wie lange können die Ukrainer*innen noch durchhalten. Und was ist die Strategie des Westens?
Eigentlich ganz einfach, so das Narrativ: durch umfassende Sanktionen sollen Putin und seine herrschende Clique schmerzlich getroffen werden. Yachten im Mitelmeer, Luxus-Immobilien in London, Bankguthaben auf ausländischen Konten werden beschlagnahmt. Russland wurde vom internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift ausgeschlossen, mit Ausnahmen für zum Beispiel die Bezahlung von Gaslieferungen. Der Zahlungsverkehr mit Kreditkarten wird eingeschränkt. Westliche Unternehmen haben sich peu à peu aus der Russischen Föderation zurückgezogen. Russische Sportler*innen werden von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, im Westen arbeitende russische Künstler*innen und Musiker*innen werden vor die wahl gestellt, sich demonstrativ gegen Putin zu stellen oder ihr Engagement zu verlieren . Die Sanktionen sollen Russland isolieren, sie würden Russland runinieren, so Außenministerin Annalena Baerbock (RND/dpa).
Dadurch soll ein so großer wirtschaftlicher Schaden für Russland entstehen, dass aus der Zivilgesellschaft und vor allem aus dem Umkreis der Oligarchen Opposition gegen Putin entsteht. Zwar fruchteten in der Vergangenheit seit den Sanktionen gegen den früheren südafrikanischen Apartheidstaat Strafmaßnahmen bestenfalls noch in etwa einem Drittel aller Fälle, so der Experte Gary Hufbauer vom Peterson Institute for International Economics (Quelle: Zeit Online v. 16.02.2022), aber durch die umfassende Beteiligung vieler Staaten der Welt an den Sanktionen könne hier ein durchschlagender Erfolg erreicht werden, so die Befürworter.
https://www.zeit.de/2021/52/sanktionen-russland-ukraine-eu-usa-diplomatie (Öffnet in neuem Fenster)Treffen diese Sanktionen den russischen Staat wirklich ins Herz, zwingen sie tatsächlich Putin in die Knie?
Der Wechselkurs des Rubels stürzte immerhin schon deutlich ab - Anfang Januar mussten noch etwa 85 Rubel für einen Euro aufgewendet werden, Anfang März bereits 122 Rubel. Importe verteuern sich, zudem entstehen Zusatzkosten und Versorgungsengpässe, da die üblichen Lieferwege aus dem Westen blockiert sind und alternative Quellen gesucht werden müssen.
Russische Kund*innen stehen bereits Schlange vor den Banken und in den Läden. Viele Waren des täglichen Bedarfs haben sich drastisch verteuert.
https://www.rtl.de/cms/russen-haben-angst-um-ihr-erspartes-putin-stoppt-geldausfuhr-ins-ausland-4928137.html (Öffnet in neuem Fenster)Die Menschen auf der Straße in Russland merken die Sanktionen also sofort.
Aber merkt auch die wohlhabende Elite, die Oligarchie die Isolation?
Zweifel bleiben: reiche Russen haben ihr Vermögen im Ausland häufig bereits rechtzeitig auf neue, teilweise undurchschaubare neue Eigentümer übertragen. Der Unternehmer, Kreml-Vertraute und TUI-Großaktionär Alexej Mordaschow verschob seine Aktien bereits am 28.02. auf eine auf den Britischen Jungferninseln ansässige Gesellschaft. Wer nun wirklich Eigentümer dieser Aktien ist, ist für TUI selbst schwer zu ermitteln, zumal die British Virgin Islands als Steueroase wenig Informationen herausrücken.
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Oligarch-Mordaschow-verschiebt-TUI-Aktien-article23175887.html (Öffnet in neuem Fenster)Nichtsdestotrotz: die Oligarchen erleiden schwere Einbußen. Werden sie dafür Putin in die Pflicht nehmen, oder gar zusammen mit Militärs und Geheimdienst Putin entmachten und dem Krieg ein Ende setzen?
Um ein solches Szenario Wirklichkeit werden zu lassen, müssten diese Palastrevolutionäre bei einer Entmachtung Putins ihr Gesicht wahren können. Es bedürfte einer geheimen Abstimmung mit westlichen politischen Kreisen, die den Opponenten Zusagen geben, dass sie bei einer Absetzung Putins nicht mit leeren Händen dastehen. Das Minimum wäre die Zusage des Westens, dass die Ostukraine mit den "Volksrepubliken" als unabhängig und die Krim offiziell als russisch anerkannt werden würden. Ein völliger Rückzug ohne Geländegewinn wäre für die neuen Machthaber ein Mühlstein, der sie von Beginn an in die Defensive drängen würde. Die deutsche Geschichte hat dafür ein passendes Beispiel: Von Stunde eins an war die erste deutsche Demokratie, die "Weimarer Republik", mit dem Vorwurf der sog. Dolchstoßlegende belastet. Die angeblichen demokratischen "Novemberverbrecher" hatten immer an diesem von ihren rechtsradikalen Feinden konstruierten Makel zu leiden. Wozu das in Verbindung mit einer Wirtschaftskrise führte, ist bekannt. Zudem setzen sich die Opponenten Putins des Vorwurfs des Landesverrats aus, zumal der Ex-KGB-Mann Wladimir Putin volle Kontrolle über die Geheim- und Sicherheitsdienste ausübt und genügend Material gegen die Oligarchen gesammelt hat.
Ein anderes Szenario scheint wahrscheinlicher: die Oligarchen halten still und werden im Falle des russischen Sieges großzügig mit Firmenbeteiligungen und Vermögen in der Ukraine entschädigt. Mit anderen Worten: Die Oligarchen bekommen die Lizenz zum Plündern der Ukraine! Die Leidtragenden dieser Politik werden die einfachen Menschen in der Ukraine sein. Nicht nur, dass sie Angehörige verloren haben, ihr Haus oder ihre Wohnung zerstört wurde, ihr Erspartes nichts mehr wert ist, sie sind jetzt den neuen Ausbeutern des Staatskapitalismus à la Putin hilflos ausgeliefert.
Dass Putin auf Proteste der Menschen nur eine Antwort kennt, nämlich Repression, hat er schon in der Vergangenheit bewiesen. Das Leid, die Not der Menschen hat den großrussischen Träumen zu weichen.
https://www.tagesschau.de/ausland/russland-proteste-festnahmen-ukraine-101.html (Öffnet in neuem Fenster)Aber vielleicht zwingen die Maßnahmen des Westens Putin doch zum Nachgeben? Der Zahlungsverkehr ist eingeschränkt, die Wirtschaft liegt am Boden, die Menschen in Russland werden unzufriedener.
Aber noch liefert Russland Gas und Kohle in den Westen, und das nicht nur nach Deutschland. Und nicht alle Staaten der Welt verurteilen Russland: Neben den üblichen Russland-Verbündeten wie Nordkorea, Iran, Kuba, Venezuela, das sandinistische Nicaragua, El Salvador, Bolivien sind das auch das rechtsradikale-autoritäre Brasilien unter Bolsonaro, Erdogans Türkei, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar oder auch Israel.
Und natürlich auch die VR China. Das hat Auswirkungen auf die Finanzsanktionen. Bereits heute haben Russland und die VR China eigene Zahlungssysteme entwickelt, um sich mittelfristig von Swift unabhängiger zu machen. Seit 2014/15 wurde das russische "System for Transfer of Financial Messages" (SPFS) aufgebaut und verbindet zwar erst rund 400 meist russische Banken, kann aber zumindest im innerrussischen Zahlungsverkehr Swift komplett ersetzen und auch in den Anrainerstaaten und ehemaligen Sowjetrepubliken wie Armenistan, Kasachstan oder Kirgistan eingesetzt werden. Wenn die geplante Verbindung mit dem grenzüberschreitenden chinesischen "Cross-Border Interbank Payment System" (Cips) gelingt, dann kann Russland eine Umleitung seiner Zahlungsströme über China durchsetzen.
https://www.manager-magazin.de/politik/swift-gegen-spfs-und-cips-die-folgen-eines-swift-ausschlusses-fuer-russland-china-und-europa-a-a5cacff2-d380-486c-95b1-8805cec6ccc8 (Öffnet in neuem Fenster)
Der Westen kann aber nicht noch die Russland betreffenden umfassenden Sanktionen zusätzlich auf China ausweiten, ohne die Kriegsgefahr nicht noch globaler auszubreiten.
Nimmt man das Narrativ, Putin sei unberechenbar, wahnsinnig, schotte sich ab und sei die größte Gefahr für den Weltfrieden, müsste der Westen, müssten vor allem die USA das sich immer stärker anbahnende Bündnis aus Russland und China aufbrechen. Das bedeutet eine Abkehr der Anti-VR China-Politik der USA, wie sie trotz ihrer unterschiedlichen ideologischen Ausrichtung sowohl die Trump- wie auch die Biden-Administration bislang vehement verfolgt haben.
Bislang hat Russland bereits über seinen Beistandspakt "Collective Security Treaty Organization" (CSTO, russisch: ODKB) die ehemaligen Sowjetrepubliken Belarus, Kasachstan, Armenien, Kirgistan und Tadschikistan an sich gebunden. Diese Allianz besteht nicht nur theoretisch auf dem Papier, sondern sie wird leider im Interesse Russlands auch gelebt. Am 05. Januar 2022 erbat daher die kasachische Regierung von der CSTO die Entsendung von "Friedenskräften" zur Eindämmung "terroristischer Banden", was in Wirklichkeit gegen steigende Benzinpreise und Freiheitseinschränkungen protestierende Demonstranten gerichtet war.
https://eurasianet.org/csto-agrees-to-intervene-in-kazakhstan-unrest (Öffnet in neuem Fenster)Die Amerikaner haben ihrerseits Bündnisse geschmiedet, geostrategisch gerichtet gegen Russland wie auch gegen die VR China.
- Quad - ein loses Bündnis aus den USA, Japan, Indien und Australien
- AUCUS - ein Bünsnis aus den USA, Großbritannien und Australien
Aber gegen die gewaltige Landmasse, Bevölkerungszahl, Militär- und jetzt auch Wirtschaftsmacht aus der VR China und Russland sind diese Bündnisse unterlegen. Den USA und dem Westen bleibt als Alternative, sich mit diktatorischen, despotischen Regimes wie Vietnam und VR China zu arrangieren, um gegen Putin vorzugehen.
Nur durch diese diplomatischen Schachzüge kann der Westen, können die USA eine Stärke aufbauen, um Putin vor weiteren Angriffskriegen abzuhalten.
Und trotz all dieser geostrategischen Überlegungen: es wird dem Westen auch nach der wahrscheinlichen Niederlage der Ukraine und ihre Einbindung in die russische Machtsphäre nichts anderes übrig bleiben, als mit Putin zu reden.
Eine Politik der Stärke allein kann nicht erfolgreich sein, es braucht auch Diplomatie und Gespräche. Immer wieder.
Es wird langer Atem nötig sein, um den Frieden zu wahren. Osteuropa stand 1945 bis 1991 unter sowjetkommunistischer Hegemonie. Heute stehen wir wieder vor einer solchen Herausforderung!