Gestern ist Morgen
We are KAL – deutsche Leidenschaft, indisches Handwerk, globale Inspiration
Indien: der vielleicht beste Zufall im Leben Catherine Alliés. Es hätte Neuseeland werden können, wo die 32-Jährige zu Schulzeiten ein Auslandsjahr verbrachte. Oder Peru, das Land ihres Freiwilligendienstes. Das elegante Paris, wo sie BWL studierte und Modedesign an der Abendschule. Oder ein ganz anderes Land. Doch sie entdeckte eine Praktikumsstelle in Delhi, zehn Jahre ist das jetzt her.
Die Arbeit in einem Unternehmen für „corporate giftings“, kleinen Aufmerksamkeiten für Kunden, gefiel der modebegeisterten Catherine Allié weniger, was sie an Land und Leuten, an Stoffen und Textilien kennenlernte, umso mehr. „Ich war total fasziniert von den natürlichen Rohstoffen, der Handarbeit, dem Pflanzenfärben.“ Die Begeisterung für das zu Hause praktizierte, traditionelle Handwerk wandelte Catheriné Allié um: in We are KAL.
Fotos: We are KAL
Mit We are KAL verschickt Catherine Allié heute von Ladakh in Nordindien ihre Vision in die Welt, nach Deutschland, Europa, in die USA: in Heimarbeit hergestellte Webarbeiten aus Naturfasern. Schals, Teppiche, Hemden, Kleider, Mützen aus Eriseide, Kaschmir, Yak-, Schafs- und Lammwolle. Natürliche, zeitlose, nachhaltige, kulturell wertige, traditionell und fair produzierte Produkte.
Damit gibt We are KAL einigen Dutzend Familien, Frauen und Männern in Ladakh, Assam, Delhi und Himachal Pradesh einen Broterwerb und eine Lebensaufgabe – die Traditionen der Weberei, Färberei, Schneiderei, Spinnerei, des Nomadenlebens zu bewahren, zu pflegen, weiterzugeben.
KAL ist Hindi, es heißt sowohl gestern als auch morgen. Der Name, ein Auftrag. Eine Verpflichtung. Erinnerung und Freude.
We are KAL sei mehr als ein Business, sagt Catherine Allié, es sei eine Gemeinschaft. Ein Team, das so viele große Schlagworte unserer Zeit – Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit, Tradition, Handwerkskunst – auf unkomplizierte Art und Weise vereint. Wobei, unkompliziert?
Es war ein langer Weg vom Praktikum in 2012 bis zum festen Kundenstamm in aller Welt und zu den Stücken, die in diesen Tagen, im Juli und August 2022, neu ins etwa 80 Produkte starke Sortiment kommen. „Als ich 2014 bzw. eigentlich schon 2013 mit den Vorarbeiten zu We are KAL gestartet bin, war das Thema nachhaltige Mode und Textil noch nicht so präsent wie heute. Und wir machen es ja auch noch einmal anders, wir sind ein wenig kleiner, näher dran“, sagt Catherine Allié. „Am Anfang wurde ich oft gefragt, ob ich nicht doch eine zu starke Nische besetze.“
Sie hat sich das auch gefragt. Ob es eine zukunftstragende Idee war, das reiche Deutschland, die sichere Heimat Bürgstadt im Landkreis Miltenberg, das elegante Paris zu verlassen, um in drei indischen Bundesstaaten ein traditionelles Handwerk mit zu erhalten, Kunden in der westlichen Welt indische Herstellungsprozesse von der Erzeugung der Rohstoffe über den Transport der Wolle auf dem Rücken von Yaks und Pferden von Berg zu Tal bis hin zur Verarbeitung transparent zu machen. Menschen in aller Welt die Wertigkeit dieser Kultur nahezubringen.
Andererseits: Wo, wenn nicht dort? Wer, wenn nicht sie?
„Ich habe einfach selbst total an die Idee geglaubt. Für mich ist das etwas total Tolles. Die Alternativen waren für mich nicht so attraktiv, der struggle war für mich attraktiver. Ich wollte es unbedingt und dachte mir, das wird schon.“ Und genau so war es. We are KAL produziert heute Textilien aus Eriseide in Assam im Nordosten Indiens, Strickprodukte und Kaschmirschals in Himachal Pradesh und Teppiche in Ladakh hoch oben im Norden. Dort, im dünn besiedelten Hochgebirge, lebt auch Catherine Allié seit 2019 mit ihrem Mann Angtak. Dessen Familie ziehen als Nomaden über die Berge, sie liefern Wolle für die We are KAL-Produkte. Die Kleidungsstücke werden in einem Atelier im Süden Delhis geschneidert, bevor sie nach Deutschland geflogen werden, zum Weiterversand an die Kunden.
Die handwerkliche Tradition des Textillandes Indien bewahrt auch Catherine Allié ein Stück. Vor Deutschland und nach China steht das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land auf Platz 2 der weltgrößten Textilexporteure. 45 Millionen Beschäftigte arbeiten in diesem Wirtschaftszweig, der zu den ältesten des Landes zählt. Ein klassischer Frauenberuf, 70 Prozent der Beschäftigten sind weiblich. Die Frauen produzieren eine Vielfalt pflanzlicher Rohstoffe wie Baumwolle, Wolle, Seide und Jute für den Massenmarkt, arbeiten auf Baumwollfeldern, in Spinnereien und Nähereien, oft zu Niedriglöhnen. Die Weberei gehört zu den ältesten Handwerksberufen in Indien.
„Was uns am allerwichtigsten ist, dass die Webkunst in den verschiedenen Regionen, in denen wir arbeiten, weitergeführt wird in unserem Stil: handgesponnene, naturgefärbte Textilien, gewoben auf traditionellen Handwerkstühlen. Das ist nicht sehr leicht, und an manchen unserer Standorte leichter als an anderen. In Ladakh ist es die größte Herausforderung, weil hier mehr neue Webstühle kommen, die mehr Output bringen. Das wird auch von der Regierung finanziell unterstützt. Wir arbeiten noch mit dem traditionellen Hüftwebstuhl, es braucht sehr lange, aber man kann mehr verschiedene Textilien herstellen, das ist uns wichtig.“
Neun Monate lang zog Catherine Allié in 2014 mit ihrer Idee durch den Norden Indiens, um Menschen zu finden, die nach traditioneller Art zu Hause produzieren und mit ihr zusammenarbeiten wollen. „Was damals wirklich geholfen hat: Dass ich mich sehr den Leuten hingegeben habe. Die Sprache erlernt habe, mit ihnen zusammengewohnt habe, erst einmal eine Freundschaft aufgebaut habe, gezeigt habe, dass ich wirklich etwas zusammen mit ihnen aufbauen möchte als Team, nicht als Kundin. Ich wollte nicht nur ihre Produkte kaufen. So habe ich das geschafft, eine wirklich enge Beziehung mit den Leuten aufzubauen.“ Aus Fremden wurden Freunde, aus Freunden Familie.
„Das kam bei mir ganz natürlich, denn ich bin nicht die Person, die sagt, bis nächsten Monat will ich so und so viel davon und bis dahin will ich nichts mehr von euch hören. Mir ist das Persönliche sehr wichtig, und deshalb habe ich mir so viel Zeit genommen. Ich habe oft anderen Leuten gesagt, dass bei uns viel Zeit, Mühe und Aufwand gerade in diese persönlichen Beziehungen geflossen ist, wo andere Unternehmen in Marketing investieren. Deswegen war bei uns das Wachstum eher langsam, aber mir war das immer wichtig mit den Leuten gut in Kontakt zu sein.“
Zwischenzeitlich ging sie für zwei, drei Jahre nach Leipzig. „Damals war der Zeitpunkt, an dem ich gesagt habe, dass das Unternehmen registriert werden muss, wenn es gewissermaßen richtig funktionieren soll. Damals habe ich gedacht, das ist ja richtig schwierig, so viele Ausgaben, so wenig Geld, das reinkam. Aber ich hatte positives Feedback und dachte okay, ich bin auf einem guten Weg.“ Die Wahl in die „30 under 30 Europe“ des Wirtschaftsmagazins Forbes im Jahr 2017 war ein solcher Wegweiser, auch wenn er mehr Prestige denn Kunden gebracht habe, erinnert sich Catherine Allié.
„Aber es war trotzdem sehr schwierig. Ich bin froh, dass wir jetzt in einer ganz anderen Situation sind. Vor allem am Anfang war ich schon sehr unsicher. Aber seit wir im Jahr 2019 nach Ladakh gezogen sind und einen eigenen Platz haben, wo wir daheim sind und auch zeigen können, was wir machen, funktioniert es besser. Wir haben jetzt das Gefühl, es passt für uns, das Geschäft läuft, wir sind an einem guten Punkt angekommen.“ Daran hat auch die Corona-Pandemie nichts geändert, die Indien besonders hart getroffen hat. Monatelang konnte nichts produziert, nichts verschickt werden. We are Kal hat trotzdem weitergemacht.
Die Designs der Kleidungsstücke entwirft Catherine Allié mehrheitlich selbst, managt den Verkauf über Deutschland, führt zusammen mit ihrem Mann die Fäden der We are KAL-Standorte zusammen. „Unser Sinn und Zweck und Nutzen ist es, tolle Produkte herzustellen, Menschen zu inspirieren. Wir haben immer noch die Kapazität mehr zu produzieren, aber ich möchte keine Kunden, die uns unter Druck setzen, die reihenweise Produkte zurückschicken. Ich denke, das passiert manchmal, wenn man versucht, eine andere Kundengruppe anzusprechen oder viel Werbung zu schalten. Wir haben extrem selten Rücksendungen, unsere Kund*innen sind mit uns auf einer Wellenlänge, das ist schon extrem toll. Aber noch mehr von solchen Kund*innen wäre natürlich super.“
Denn letztlich sind es die Kund*innen, die das Unternehmen am Laufen halten. „Der allergrößte Sinn und Zweck und Nutzen für uns ist, die Kultur und Gemeinschaft zu erhalten. Das ist mein großer Wunsch und der Hauptfocus für die nächsten Jahre, hier die jüngere Generation zu begeistern, mit einzubeziehen und langfristig eine Perspektive zu geben.“
Keine einfache Aufgabe. „Manchmal gelingt es uns den Blick zu weiten, dass die Mama nichts Altmodisches macht, sondern etwas Modernes, mit dem man international arbeiten kann und gut verdient. Wir versuchen durch den Einbezug der Leute und eine gute Bezahlung unsere Mitarbeiter zu binden. Hier haben wir einen Einfluss. Die Kharnak-Nomaden in Ladakh sind aber zum Beispiel ein spezieller Fall. Schon in den 1980er Jahre wanderten viele in die Stadt ab. Damals waren es mehr als 100 nomadische Familien, jetzt sind es nur noch 15. Einige Familien sind zurückgekommen, die große Abwanderungswelle war vor allem in den 1990er und Anfang des 2000er Jahre. Dieser Lebensstil ist wirklich nicht einfach. Wenn Leute diesen nicht mehr wollen, muss man das einfach respektieren. Aber man kann versuchen ihn zu erhalten.“
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