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Patrick Decavele begeistert mit „Wir bewegen Schule“ Kinder fürs Tanzen
Patrick Decavele ist ein echtes Kind der 90er und 00er Jahre. Von Michael Jackson infiziert, den Backstreet Boys inspiriert, dazu ein großer Bruder, der insistiert, Patrick möge doch bitte in seine Dance Group kommen: So beginnen Tänzerkarrieren. Heute gibt Patrick Decavele an Schulkinder in ganz Deutschland den Spirit weiter, der ihm selbst als Teenager in Fleisch und Blut übergegangen ist.
„Wir bewegen Schule“ heißt das Tanzprojekt, mit dem der 40-Jährige bundesweit vorwiegend an Grundschulen Jungen und Mädchen fürs Tanzen begeistern will. „Ich gebe meine Leidenschaft weiter und das, was Tanzen mir gegeben hat, das Körperbewusstsein, dieses Wow: das steckt alles in mir!“
Foto: privat
Schon als Teenager zeigte Patrick Decavele, was in ihm steckt. Die Decavele-Brüder – es sind drei: Patrick und sein Zwilling, dazu der ältere Daniel – mischen damals ihr Zuhause auf, in der Studentenstadt Göttingen gründen sie die HipHop Dance Academy und Daniel die Formation Rhythm Attack, die über Jahre national und international bei Meisterschaften aufs Siegerpodest tanzt. Daniel ist die treibende Kraft, der Meister-Tänzer, in Begeisterung aber steht Patrick ihm nicht nach.
Als Kind spielte er Fußball, doch „bei Fußball ging es viel um Leistung, Ballkunst, körperliche Fitness. Man musste sich immer messen. Beim Tanzen gibt es kein Ende, es geht immer weiter.“ Tanzen, die große, kreative Freiheit. Es gibt kein Richtig und Falsch, was der Körper hergibt, ist erlaubt, ja: gewollt. „Im Tanz gibt es einfach viel mehr Spielraum, mehr Bewegungsvielfalt. Das erlebe ich immer wieder, und es begeistert auch die Kinder in unseren Projektwochen: Man kann sich einfach ausprobieren. Wenn man unter Tänzern ist, ist man offener und freier, es ist auch diese Gesellschaft, die mich so begeistert hat.“
Patrick Decavele fängt schon früh mit dem Unterrichten an, konzipiert später ein Tanztheater und macht mit bei einem Grundschul-Tanzprojekt, das für eine universitäre Abschlussarbeit konzipiert wird. Zack, das ist es. „Immer wieder neue Kinder erreichen, auch Kinder, die mit Tanzen gar nichts am Hut haben, gerade auch die Jungs, das hat mich gecatcht“, sagt er über dieses Projekt. Die Abschlussarbeit wird irgendwann abgegeben, das Projekt ist vorbei. Ist es nicht.
Patrick Decavele baut es neu auf. Und aus. Er nennt es erst Schultanzwochen, doch der Name greift ihm nicht weit genug. Es geht um mehr: Begeisterung, Leidenschaft, Selbstbewusstsein, Körperbewusstsein, sich ausprobieren, als Gemeinschaft zusammenwachsen, als Team etwas erreichen, sich auf die Bühne trauen. Aus Schultanzwochen wird „Wir bewegen Schule“.
Foto: pexels, Yogendra Singh
Heute buchen Grundschulen aus ganz Deutschland die Drei-, Vier- und Fünf-Tage-Workshops, bei denen professionelle Tänzer*innen verschiedener Stilrichtungen mit allen Klassen arbeiten. Mehr als 200 Projekte habe er allein in diesem Jahr schon organisiert, bis zum Jahresende seien alle Termine ausgebucht, sagt Patrick Decavele. Zu seinem Bedauern schafft er es zu selten selbst in die Schulen, ein Mal im Monat vielleicht – im Hintergrund ist viel zu organisieren. Das mögen seine freien Mitarbeiter nicht so gern, sie wollen lieber mit den Schülern tanzen. Patrick Decavele kann sie verstehen, er sagt aber auch: „Es ist schön zu sehen, wie das Projekt wächst.“
Vielleicht tausend Projekte habe er insgesamt schon durchgeführt, so genau wisse er es gar nicht, sagt der 40-Jährige. Um die Tanztage an verschiedenen Standorten stemmen zu können, hat Patrick Decavele eine Plattform für Tänzer*innen aufgebaut, verknüpft mit seinem zweiten Ziel: Er will Tänzer*innen, die sich jenseits der fließenden Altersgrenze, hinter der Auftritte mühsamer werden, sich Lebensziele verändern und der Körper anfälliger für Verletzungen wird, eine Perspektive geben, in ihrer tänzerischen Leidenschaft zu bleiben und zu arbeiten. An die 50 Männer und Frauen arbeiten derzeit als freie Mitarbeiter*innen bei der Agentur für Tanz in Schulen, Persönlichkeits- und Sozialtraining via Tanz, als die Patrick Decavele sein Unternehmen von Hamburg aus führt.
Die Kosten für ein Tanzprojekt müssen die Schulen selbst stemmen, die Preise hängen je von der gebuchten Projektzeit, der Anzahl der Klassen, der Anzahl der benötigten Mitarbeiter und den Übernachtungskosten vor Ort ab. Patrick Decavele nennt keine Summen, sagt aber, er berate zur Finanzierung und wie die Kosten aufgebracht werden könnten.
Seine Mitarbeiter*innen dürfen sich auf der Plattform für eine beliebige Anzahl an „Wir bewegen Schule“-Projekten registrieren. Ein Kollege sei nahezu jede Woche dabei, andere nur gelegentlich. Wer vor Ort an den Schulen zusammenkommt, lässt sich kaum vorhersagen, es können Breakdancer sein, HipHop-Tänzer, Modern Dancer, Jazzdancer – das sei aber auch nicht entscheidend, findet Patrick Decavele. Sondern, dass das Projekt stattfinden kann und die Idee, den tänzerischen Esprit vermittelt. Darin schult er seine freien Mitarbeiter.
In den Schulen bringen die Tänzer*innen den Kindern Tanzschritte bei, erarbeiten mit ihnen Choreographien. „Bei Tanzen denken viele immer an Ballett, das etwas für Mädchen ist. Jungs werden eher zum Fußball geschickt. Ich möchte aber erreichen, dass Tanz als etwas für jedermann wahrgenommen wird“, sagt Patrick Decavele. Wenn die Schule es will und die Pandemie es erlaubt, wird das Erlernte am Ende vor der Schulfamilie und den Familien aufgeführt. Jedes Kind bekommt seine Bühne, seine Zeit – und macht am Ende mit.
Foto: pexels, Ksenia Chernaya
„Wir erleben es häufig, dass Kinder während der Woche sagen, sie wollen nicht mehr tanzen – fast immer aufgrund der Angst, die sie vor dem Auftritt haben. Sie haben keine Lust, weil sie das Ergebnis schon kennen“, sagt Patrick Decavele. „Dann sage ich immer, jetzt lass uns doch erstmal Spaß haben und alles andere sehen wir dann. Wir wissen ja aus unserer Erfahrung, wenn die Sicherheit da ist, will man das Erlernte auch zeigen, dann hat man mit dem Auftritt kein Problem mehr. Das wollen wir aufbauen in der ganzen Woche. Den Zusammenhalt der Gruppe und die Sicherheit.“
Oft gehen kurz vor der Aufführung die Nerven durch, fließen die Tränen, wächst die Angst. Das kennt Patrick Decavele, kennen die unterrichtenden Tänzer aus eigener Erfahrung – und wissen, wie sie ermutigen können. Wenn diese Kinder dann doch auftreten, sind sie „hinterher superstolz. Das sind die größten Entwicklungsschritte, über den eigenen Schatten zu springen und über sich hinauszuwachsen. Extrovertierte Kinder ziehen bei unseren Projekten immer toll mit, wollen immer mehr, aber gerade bei den schüchternen Kindern sehen wir die größten Erfolge.
Schüchterne Kinder oder Kinder, die in der Schule nicht so gut mit dem Fachunterricht zurechtkommen, können Stärken zeigen und aufblühen, indem sie zum Beispiel plötzlich eine besondere Rolle bekommen im Gruppentanz. Sie haben einerseits die Sicherheit der Gruppe, können sich aber ausprobieren, dürfen sich am Ende präsentieren und werden dafür noch mit Applaus belohnt. Das ist ein großer Booster.“
Und sein eigener Booster? „Ich durfte in den letzten Jahren vom Tanzpädagogen zum selbständigen Unternehmer switchen und viele Erfahrungen machen. Tatsächlich sehe ich es als eine Nische, dass ein Tanzprojekt als Unternehmen, als Plattform für freie Mitarbeiter, freie Tänzer fungiert. Ich habe viele Gespräche geführt und das Ganze Schritt für Schritt ausgebaut. Und ja, der Anklang ist da. Die Corona-Zeit bedeutete natürlich eine kleine Pause. Umso größer ist jedoch der Andrang, Vollgas zu geben und die Begeisterung fürs Tanzen in die Familien zu tragen. Deshalb setze ich auch an den Grundschulen an, weil ich an der Basis arbeiten will, möglichst viel fürs Leben mitgeben will.“
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