Wort-Dock #10
Buch- und Ausstellungstipps für den September 2024. Immer am 15. des Monats.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
vor kurzem hörte ich von einer inhabergeführten Buchhandlung, die zum Jahresende schließen wird. Mangelnde Wirtschaftlichkeit. Es ist traurig und bitter. Unabhängige Buchhandlungen sind so wichtig für die Buchkultur!
Deshalb kündige ich hier schon mal eine Aktion an, die in diesem Jahr zum zehnten Mal stattfindet: die „Woche unabhängiger Buchhandlungen (Abre numa nova janela)“. Vom 2. bis zum 9. November laden rund 1.000 inhabergeführte Buchhandlungen aus ganz Deutschland zu vielen Events ein - darunter Lesungen, Signieraktionen, Veranstaltungen für Kinder, Konzerte und Weinverkostungen. Im Vorfeld stimmen die Buchhändlerinnen und Buchhändler darüber ab, welcher Roman aus dem aktuellen Jahr ihr Lieblingstitel ist. Verkündet wird das „Lieblingsbuch der Unabhängigen 2024“ im Rahmen der Frankfurter Buchmesse am 17. Oktober.
Und welches Buch empfehle ich Euch in der September-Ausgabe meines Newsletters „Wort-Dock“? Eine witzige Geschichte über zwei Außenseiter, zwischen denen sich eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt. Dazu kommen eine beeindruckende Fotoausstellung in Hamburg sowie zwei Surftipps: die Lesung des vorgestellten Romans, die auch als Livestream übertragen wird, und ein virtueller Museums-Rundgang.
Ich wünsche Euch eine schöne zweite Septemberhälfte!
Witziger Roman über eine ungewöhnliche Freundschaft
Titel: Pi mal Daumen
Autorin: Alina Bronsky
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Erscheinungsdatum: 15.08.2024
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten, 24 Euro
eBook: 19,99 Euro
Inhalt: Der 16-jährige Oscar und Moni Kosinsky begegnen sich zum ersten Mal an der Uni in einer Mathematikvorlesung, kurz nach Beginn des ersten Semesters. Mit ihnen treffen zwei gegensätzliche Charaktere aus unterschiedlichen Lebenswelten aufeinander: Oscar ist ein hochbegabter Einzelgänger. Er hat einen Adelstitel, mag kein Durcheinander und zieht in der U-Bahn Handschuhe an. Moni ist Anfang 50, kontaktfreudig, herzlich. Die dreifache Oma hilft ihrer Tochter beim Betreuen der Enkel und hat mehrere Jobs. Sie trägt gerne hohe Absätze, Leopardenmuster und bezeichnet sich selbst als nicht schlau.
Die beiden Außenseiter bilden eine Arbeitsgruppe, da die Lösungen der wöchentlichen Übungszettel zu zweit erarbeitet werden müssen. Zunächst gesteht Oscar sich nicht ein, dass er Moni mag. Doch zwischen ihnen entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft…
Hauptteil: Der Debütroman „Scherbenpark“ der in Berlin lebenden Schriftstellerin Alina Bronsky (geboren 1978) wurde nach Verlagsangaben zum Bestseller und für das Kino verfilmt. Ihr Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“ war für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert. 2019 und 2021 erschienen ihre Bestseller „Der Zopf meiner Großmutter“ und Barbara stirbt nicht“.
Ihr aktueller Roman „Pi mal Daumen“ ist ebenfalls ein Bestseller. Es geht darin um Freundschaft, Träume und Chancen im Leben. Unter der heiteren Oberfläche ist ein Stück Gesellschaftskritik zu erkennen - Stichwort Bildungsgerechtigkeit. Studien zufolge haben es Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern mit höherem Bildungsniveau auf dem Weg in Richtung Bildung leichter als Kinder aus armen Familien.
Der Roman ist erzählt aus der Oscars Perspektive, der als Ich-Erzähler mit autistischen Zügen auf die gemeinsame Zeit mit Moni an der Uni zurückblickt. Die Charaktere sind sympathisch, der Stil rasant und die Dialoge stecken voller Situationskomik. Zudem lässt Bronsky viele Details im Unklaren, die die Leserschaft erst nach und nach erfährt, sodass die Handlung bis zum Schluss spannend bleibt.
Fazit: Was für eine herzerwärmende Geschichte, die zugleich urkomisch ist. Sehr zu empfehlen!
Lesung im Literaturhaus Hamburg und im Livestream
Alina Bronsky liest am Dienstag, den 24. September 2024, im Literaturhaus Hamburg aus ihrem neuen Roman „Pi mal Daumen“. Moderation: Katrin Schumacher. Uhrzeit: 19:30 Uhr. Ein Ticket kostet 14 Euro sowie ermäßigt und für Mitglieder 10 Euro.
Zusätzlich könnt Ihr die Lesung per Livestream verfolgen. Nach der Veranstaltung bleibt der Stream 72 Stunden verfügbar. Ihr könnt das Livestream-Ticket bis zum Beginn der Veranstaltung kaufen - es kostet 6 Euro (Preise jeweils zuzüglich 2 Euro Servicegebühr und Versandkosten).
Nur noch wenige Tage: Henri Cartier-Bresson im Bucerius Kunst Forum
Ein Mann springt über eine Pfütze, spiegelt sich darin. Ein obdachloser Mensch liegt auf dem Bürgersteig vor einer Bretterwand mit zerrissenen Plakaten. Ein Selbstporträt des Fotografen in einem Zerrspiegel. Eine Fotoreportage der Krönungsfeierlichkeiten Georges VI. im Jahr 1937 in London. Aber: Die Bilder zeigen weder den neuen britischen König noch das Ritual, sondern die Zuschauerinnen und Zuschauer des Spektakels. Sie versuchen, den Monarchen mit Periskopen zu erspähen, sitzen auf Schultern, stehen dicht gedrängt.
Die beschriebenen Fotografien gehören zur Ausstellung „Watch! Watch! Watch! Henri Cartier-Bresson“, die das Bucerius Kunst Forum in Hamburg aktuell zeigt. Es lohnt sich sehr, diese erste große Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren anzusehen, falls Ihr die Gelegenheit dazu habt. Und es wird höchste Zeit, denn sie läuft nur noch bis zum 22. September 2024.
Henri Cartier-Bresson (1908 - 2004) zählt zu den bedeutendsten Fotografinnen und Fotografen des 20. Jahrhunderts und war Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum Photos im Jahr 1947. Als Fotojournalist, Kunstfotograf und Porträtist schuf der Franzose zeitlose Kompositionen. Er wurde zu einem bedeutenden Pionier der Street Photographie, denn er fing stets den „entscheidenden Augenblick“ ein.
Die Ausstellung umfasst 240 Originalabzüge sowie Veröffentlichungen in Illustrierten und Büchern von den 1930er- bis zu den 1970er-Jahren. Zu sehen sind neben frühen, surrealistisch geprägten Werken Street Photography, Portraits bekannter Schriftsteller und Künstler sowie zahlreiche Fotoreportagen, die Cartier-Bresson als politisch denkenden Fotografen zeigen.
Surftipp: Kunst von zuhause aus entdecken
Das Ernst Barlach Museum Ratzeburg zeigt einen virtuellen Rundgang durch seine Räume mit Erläuterungen in deutscher und englischer Sprache.
Das Museum befindet sich in dem Haus, in dem Ernst Barlach (1870 - 1938) einen Teil seiner Kindheit verbrachte. Das ihm gewidmete Museum präsentiert den expressionistischen Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller mit ausgewählten Werken in einem multimedialen Ausstellungskonzept. Darin verbinden filmische Rauminstallationen zu den Themen „Mensch und Natur“ und „Mensch und Welt“ die Kunstwerke Barlachs mit aktuellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Die obere Etage des Museums widmet sich dem Schriftsteller Ernst Barlach und seiner Theaterwelt.
Zusätzlich weckt der Blick auf die 5,60 Meter lange Touchscreen-Fläche mit digitalem Zeitstrahl, auf der man Barlachs Leben und Werk im Zusammenhang mit Politik und Kultur erforschen kann, die Neugier darauf, das Museum nicht nur virtuell zu besuchen.
Der monatliche Newsletter Wort-Dock ist kostenlos. Wer ihn mag und meine Arbeit daran finanziell unterstützen möchte, kann das gerne hier tun: