Dagegen und dafür
10. November 2023
Liebe Lesende,
zugespitzt - so könnte man den Wahlkampf der vergangenen Tage mild beschreiben. Im Rennen um das Amt des Landrates will AfD-Kandidat Steffen Kotré eine “signifikante Zahl von Nichtwählern zur Wahl” bringen, wie er der Deutschen Presseagentur sagte. Dazu hält er das Thema Migration für das alleinig entscheidende und postet Videos mit vereinfachenden, vereinnahmenden und unwahren Inhalten. “Kein brauner Landrat” - so ist derweil eine Demonstration am Samstag in Königs Wusterhausen überschrieben. Ob ein Dagegen denn so ein gutes Motto sei, wollte ich von Mitorganisator André Schwalbach von der Grünen Jugend Dahme-Spreewald wissen:
Gemeinsam mit den Jungsozialisten (JuSo) und der Linksjugend (Solid) ruft Ihr für Samstag zu einer Demonstration „Kein brauner Landrat. Für ein buntes LDS“ in Dahme-Spreewald auf. Wie seid Ihr darauf gekommen?
In den vergangenen Wochen haben wir immer wieder Gegenkundgebungen zu Wahlkampfauftritten von Steffen Kotré gemacht. Nun wollen wir zeigen, dass es ein breites demokratisches Bündnis gibt, das keinen AfD-Landrat möchte. Wir wollen laut und bunt zeigen, dass die Zivilgesellschaft in unserem Landkreis auf den Grundfesten der Demokratie steht und sich gegen einen AfD-Landrat ausspricht. Es sind auch viele überparteiliche Institutionen dabei wie der Deutsche Gewerkschaftsbund, der VVN BdA (Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten), lokale Vereine und andere Akteure. Natürlich sind auch die Linken, die SPD und die Grünen mit an Bord.
Welche Befürchtungen habt Ihr als Jugendliche, wenn ein AfD-Kandidat Landrat wird?
Mit einem AfD-Landrat hätten wir nicht nur Stillstand, sondern Rückschritte in der Gesellschaft zu befürchten. Junge Menschen würden wegziehen, weil sie nicht in so einem Landkreis leben wollten. Das gilt wahrscheinlich auch für viele Unternehmen. Wir befürchten auch, dass unsere bunte Gesellschaft zu bröckeln beginnen würde, gerade in Fragen der Migration. Wir sehen es in Sonneberg, wo die AfD bereits den Landrat stellt: Dieser hat dort versucht, die Eigenmittel für das Programm „Demokratie leben“ zu streichen und somit Bundesmittel für Demokratieprojekte auszuschlagen.
Mit Eurem Motto „Kein brauner Landrat“ stellt Ihr Euch gegen etwas. Ist das ein gut gewähltes Motto?
In der Unterzeile heißt es ja: „Für ein buntes LDS“. Aber wir haben den Titel bewusst gewählt, denn wir wollen auf das wahre Gesicht von Steffen Kotré hinweisen: Er ist nicht nur ein AfD-Mitglied, sondern Anhänger des Rechtsextremisten Björn Höcke, er hat in der Coronapandemie falsche Informationen verbreitet und Putins Propaganda im Bundestag vorgetragen. Und ihm werden Gedichte mit rechtsextremen Inhalten zugeschrieben.
Wie nehmt Ihr Jugendlichen derzeit die gesellschaftliche Stimmung wahr? Beim Thema Migration werden ja zurzeit Positionen diskutiert, die vor Jahren eher am politischen Rand standen.
Das ist eine schwierige Frage. Einerseits scheint die Stimmung von Angst und Sorgen durchflutet, aber das wird aus unserer Sicher eher von bestimmten Akteuren provoziert. Sorgen sind natürlich teilweise berechtigt – aber wir wollen darauf nicht mit Parolen antworten, sondern mit vernünftigen Vorschlägen, etwa beim Thema Integration.
Was sind aus Eurer Sicht die wichtigsten Herausforderungen, die der neue Landrat bewältigen muss?
Da kann ich nur für die Grüne Jugend sprechen: Er muss die Integration erleichtern, beispielsweise indem Anträge, die Migrant*innen ausfüllen müssen – in ihrer Sprache und mit Leitfäden besser zugänglich gemacht werden. Arbeitserlaubnisse müssen schneller ausgestellt werden, und es muss einfacher werden, in Deutschland den Führerschein zu machen. Das sind die Dinge, wo der Landrat sich einsetzen könnte, dass es schneller geht. Er muss aber auch Infrastrukturprojekte schneller voranbringen, etwa ein besseres Rufbussystem einrichten.
Welche Erwartungen habt Ihr an den Samstag?
Wir rechnen mit rund 300 Personen. Es ist schwierig abzuschätzen, ob es mehr werden. Mit Gegenwind rechnen wir weniger, denn es wurde unseres Wissens keine Gegenkundgebung angemeldet. Wir hoffen, dass KW uns positiv wahrnimmt, weil viele zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt sind.
+++ Für einen weltoffenen Landkreis sprechen sich auch zahlreiche Unternehmen und Institutionen der Region aus: Sie haben in dieser Woche eine große Anzeige in Zeitungen geschaltet (Abre numa nova janela). “Weltoffenheit, gegenseitiges Vertrauen und Respekt sind die Werte auf denen der Wohlstand in unserer Region aufgebaut ist”, heißt es in der Anzeige.
Als Unternehmen bzw. Einrichtungen aus dem Landkreis Dahme-Spreewald fühlten sie sich der Region verpflichtet: “Mit unseren kleinen und mittelständischen Betrieben sowie Forschungs- und Bildungsstätten sichern wir tausende Arbeitsplätze und den Wohlstand im Landkreis. Wir arbeiten, leben und wirken gern in unserer Heimat.” Deshalb rufen sie die Wählerinnen und Wähler dazu auf, für “ein aufgeschlossenes, modernes und weltoffenes LDS und eine starke Wirtschaft” einzustehen und “Extremismus und rechten Parolen eine Absage” zu erteilen.
+++ Wie sich diese Parolen anhören, konnte in den vergangenen Tagen auf dem Facebook-Profil von Steffen Kotré und in Messengerdiensten beobachtet werden. Für uns Journalisten ist es eine Gratwanderung, mit deutlichen Worten auf - gelinde gesagt - fragwürdige und demokratiefeindliche Inhalte hinzuweisen und dabei Neutralität und Objektivität zu wahren. Oder sollte Journalismus mehr “Haltung” haben? Das ist einer der derzeit viel diskutierten Fragen in der Gesellschaft.
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