Die neurechte Gefühlswelt ist höchst attraktiv
Hallo,
diese Newsletterausgabe flattert ein wenig später als üblich in dein Postfach, aber das Warten hat sich gelohnt: Diese Woche beschäftigen wir uns mit einem besonderen Thema: der neurechten Gefühlswelt.
Wer über vorherrschende Emotionen neurechter Anhänger:innen nachdenkt, landet vielleicht erstmal bei starken, aber vor allem negativen Gefühlen: Hass, Wut, Angst.
Unser Gesprächspartner Florian Spissinger hat in einer Studie herausgefunden, dass die neurechte Gefühlswelt nicht nur viel komplexer, sondern auch sehr attraktiv und ein Ort zum Wohlfühlen ist.
Also, ohne weitere Vorrede wünschen wir dir viel Spaß und hoffentlich einige Erkenntnisse beim Lesen!
Sei herzlich gegrüßt,
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Darum geht’s diese Woche
Der Politologe Florian Spissinger hat sich in seiner Promotionsarbeit mit der “Gefühlsgemeinschaft der AfD (Abre numa nova janela)” auseinandergesetzt. Seine Arbeit ist im Barbara Budrich Verlag erschienen und unter dem Link online frei verfügbar. Spissinger hat damit einen verlagseigenen Dissertationswettbewerb gewonnen und war für den Deutschen Studienpreis 2024 der Körber-Stiftung nominiert.
Er wollte wissen, warum die AfD, eine Partei, die sich seit ihrer Gründung inhaltlich, personell und rhetorisch radikalisiert hat, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt, nicht abstoßend auf ihre Anhänger:innen wirkt. Wieso fühlen sich Menschen bei der AfD wohl und am richtigen Ort?
Im Jahr 2019 führte er dafür ethnografische Studien an zwei Orten, einem in Ost- und einem in Westdeutschland durch. Dabei beobachtete er rund 15 Zusammenkünfte der AfD - von Wahlkampfständen und Vortragsveranstaltungen bis hin zu Stammtischformaten in ländlichen Gasthöfen. Neben der teilnehmenden Beobachtung führte er Gespräche, teils auch Gruppeninterviews mit AfD-Unterstützer:innen und setzte sich mit den Narrativen und Stimmungen vor Ort auseinander. Sein empirisches Material ergänzte er durch AfD-Flyer, Videos und Beiträge neurechter Autoren wie Martin Sellner und Götz Kubitschek sowie durch Analysen neurechter Publikationen. Spissinger versteht die AfD als Teil eines neurechten Gefühlsnetzwerks, in dem Narrative und Gefühlswelten verbreitet werden.
In seinem Buch untersucht er die Attraktivität der neurechten Gefühlswelt, rekonstruiert die Weltdeutungen, Alltagswahrnehmungen und Selbstnarrative und zeigt, wie soziale Praktiken, etwa das Schimpfen und Spotten bei AfD-Veranstaltungen, zum “rechten Wohlfühlen” beitragen.
Wie Rechte reden: Sie sind in die neurechte “Gefühlswelt” eingetaucht. Wir stellen uns diese sehr finster vor. Stimmt das?
Florian Spissinger: “Eingetaucht” erzeugt vermutlich ein falsches Bild. Meine Forschung war ja nicht undercover und ich schreibe aus der Position als “Gefühlsfremder”. Was mich ideologisch abstößt, ist für AfD-Sympathisant:innen eine anziehende Wohlfühlgemeinschaft. Die AfD arbeitet dafür auch mit positiven Emotionen. Allerdings ist noch die Vorstellung verbreitet: “Die progressiven Kräfte arbeiten mit Liebe, Solidarität, Hoffnung und bei der extremen Rechten geht es ausschließlich um Hass, Wut, Angst.”
So einfach ist es aber nicht. Auch feministische und antirassistische Positionen können von Wut angetrieben sein und die AfD erzeugt bei ihren Anhänger:innen auch Hoffnung. Die gängigen Bilder von “Wutbürgern” und von “Angstmachern” verstellen leicht den Blick für die rechte Attraktivität, für das “rechte Wohlfühlen”. Auf ihre Anhänger:innen wirkt die AfD durchaus anziehend, ermutigend, identitätsstiftend, sie bietet ihnen ein Gemeinschaftsgefühl, erzeugt mitunter auch Heiterkeit. Die AfD inszeniert sich nicht zuletzt als Partei der Liebe, die Hass weit von sich weist.
Geben Sie ein Beispiel dafür.
Ein Slogan der AfD zum zehnjährigen Parteijubiläum lautete: “10 Jahre Liebe für unser Land, 10 Jahre AfD”. Hass verbreiten aus dieser Sicht immer alle anderen. Dahinter steckt ein affektiver Mechanismus, der moralisch entlastet. In diesem Sinne präsentiert die AfD Migrationsabwehr als “Inländerfreundlichkeit”. Rassismus und Nationalismus werden in ein Gefühl von “Heimatverteidigung” oder gar Antidiskriminierung übersetzt. AfD-Unterstützer:innen können sich dabei als Verteidiger:innen der angeblich benachteiligten, bedrohten und verdrängten “ethnisch Deutschen” fühlen und Rassismuskritik überzeugt von sich weisen.
In der AfD zirkulieren viele solche entlastenden Narrative. Sie präsentiert sich als Partei des “gesunden Menschenverstandes”, reklamiert für sich, den “Normalbürger” zu repräsentieren und erklärt sich zur Verteidigerin von Freiheit, Demokratie und Wahrheit. Immer geht es darum, sich selbst aufzuwerten, sich als Partei der hehren Motive darzustellen. Für die Anhänger:innen bedeutet das, dass sie bei den Guten sind.
Und die anderen?
Die neurechte Gefühlswelt arbeitet mit homogenisierenden Vorstellungen, die darauf abzielen, alles außerhalb der eigenen Gruppe zu diskreditieren und verdächtig zu machen. Die anderen Parteien, die Medien und die demokratischen Institutionen stecken in der neurechten Vorstellungswelt alle unter einer Decke. Die AfD arbeitet mit dem Narrativ von der “linken Meinungsdiktatur” intensiv an dem Gefühl, Deutschland sei ein totalitäres Land. Dem gegenüber verstehen sich AfD-Unterstützer:innen als wahre Demokrat:innen. Die neurechte Gefühlswelt dreht die Rollen um: Während die AfD darin für Wahrheit, Freiheit, Vernunft und Liebe steht, stehen ihre Kritiker:innen für Lüge, Diktatur, Ideologie und Hass. Daher ist es für die Anhänger:innen auch so einfach, sich bei der AfD auf der richtigen Seite zu wähnen und allen anderen Boshaftigkeit zu unterstellen.
Ein weiteres Ziel der AfD ist die permanente Mobilisierung ihrer Anhänger:innen. Wie schafft sie das?
Mit dystopischen Narrativen, die permanent den Untergang beschwören. Zuwanderung wird zur “Islamisierung” und zum “Bevölkerungsaustausch” umgedeutet und so in ein Gefühl von migrantischer Verdrängung und nationaler Gefährdung übersetzt. Dramatisch und untergangsorientiert geht es auch beim Anti-Klimaschutz zu, den die AfD auch schon seit Jahren betreibt. Sie behauptet etwa Klimapolitik sei “systematische Deindustrialisierung”. Alice Weidel sprach erst kürzlich in einem Interview von Habecks “Deindustrialisierungsministerium”.
Ziel ist es immer, eine Gesellschaft am Abgrund zu entwerfen. Es geht um das Gefühl, Deutschland befinde sich im stetigen Niedergang und “das deutsche Volk” sei durch “Deutschlandhasser” und “Volksverräter” in Politik und Medien existenziell gefährdet. Die AfD stellt sich demgegenüber als “Widerstand”, als letzte Rettung, als Hoffnungsprojekt für das angeblich bedrohte “deutsche Volk”. Diese permanente Dynamik aus Untergang und Rettung, aus Apokalypse und Erlösung, spielt eine wichtige Rolle für den affektiven Antrieb und die ständige Mobilisierung.
Sie schreiben, die neurechte Gefühlswelt wirke selbstbestätigend. Was passiert da genau?
Die AfD betreibt mit ihren Narrativen immer auch Gefühlsarbeit. Sie prägt die Gefühlswelt von Menschen, arbeitet am alltäglichen Erleben, an der Alltagswahrnehmung ihrer Anhänger:innen. Wer davon überzeugt ist, dass hinter allem Möglichen eine “links-grüne Ideologie” am Werk ist, wer glaubt, dass “Eliten” einen “Bevölkerungsaustausch” forcieren und “das deutsche Volk” verdrängt werden solle, wird im eigenen Alltag nach Spuren und Beweisen für die eigene Weltsicht suchen.
Diese Menschen gehen also mit einem bestimmten Blick durch die Welt und sehen dann auch überall angebliche Beweise dafür, dass es mit Deutschland bergab geht. Ob neue Dönerimbisse in der Innenstadt, Lastenfahrräder auf der Straße oder geschlechtergerechte Sprache im beruflichen Umfeld - vieles kann in der neurechten Gefühlswelt als Symptome des Untergangs gedeutet und erlebt werden. Ich nenne das “affektive Druckstellen des nationalen Niedergangs”. Die gegenwärtige Rechte besetzt den Alltag mit zahlreichen solcher Druckstellen. Und ihre Sympathisant:innen bewegen sich dann in einer sich permanent selbst bestätigenden Gefühlswelt.
Kann man Menschen in der neurechten Gefühlswelt überhaupt noch erreichen?
Die neurechte Gefühlswelt wirkt nach außen hin abschottend, geradezu immunisierend. Hat sich erstmal der Eindruck verfestigt, dass man in einer “linken Meinungsdiktatur” lebt, dringt Kritik kaum mehr durch. Jeder kritische Einwand wird dann zum Ausdruck von antidemokratischer “Zensur” oder von “Ausgrenzung” erklärt, als Unterdrückung “der Wahrheit” diskreditiert oder als “linke Ideologie” und “mediale Verblendung” abgetan. In der neurechten Gefühlsgemeinschaft muss man Argumente, die nicht ins eigene Weltbild passen, nicht mehr ernst nehmen. Das gilt auch für die Einstufungen des Verfassungsschutzes. Die können aus der neurechten Weltsicht heraus leicht zum weiteren Beweis für das “totalitäre Unterdrückungssystem” umgedeutet werden.
AfD-Wähler:innen “zurückgewinnen” - so schnell wird das nicht gehen.
Es spricht tatsächlich viel dafür, dass das sehr schwierig ist. Ich denke, erstmal ist es wichtig, zu verstehen, dass diese Menschen in einer eigenen Gefühlswelt leben. Und die ist attraktiv. Die AfD wird in aller Regel nicht gewählt, um damit einmaligen Protest zu äußern und sich dann wieder abzuwenden. Die Menschen sind durchaus ideologisch überzeugt und teilen eine Gefühlswelt, die von der AfD und anderen neurechten Akteur:innen permanent bespielt wird. Der AfD thematisch hinterherzulaufen, ihre Narrative zu bedienen, um Wähler:innen “zurückzugewinnen” ist nicht nur erfolglos. Es sorgt auch dafür, dass rechte Weltsichten immer unproblematischer, normaler erscheinen.
Sie haben sich auch die Funktionen von Lachen, von Spott und Schimpfen in rechten Räumen genauer angesehen. Können Sie diese erklären?
Dabei werden emotionale Haltungen, Selbstverständnisse, Weltsichten eingeübt und intensiviert. Ich nenne das “neurechtes Identitäts- und Gefühlstraining”. So trägt etwa das gemeinsame Schimpfen am AfD-Stammtisch zum rebellischen, “widerständigen” Selbstverständnis bei. Im verbalen Ausbruch demonstrieren sich die Schimpfenden gegenseitig den Bruch mit der Welt des verachteten “Mainstreams” und vertiefen sich noch weiter in die neurechte Gefühlswelt. Auch wenn sich Menschen gemeinsam über geschlechtersensible Sprache, Klimaschutz oder Antidiskriminierung lustig machen, normalisieren und festigen sie dabei ihre ideologischen Überzeugungen. Sie erleben eine kollektive Selbstvergewisserung, bestätigen sich im Gefühl auf der richtigen Seite zu stehen. Den Spott verstehe ich auch als kollektive Ermächtigungsübung. Wenn man gemeinsam über die sogenannten “Altparteien” und deren Anhänger:innen lacht, erhebt man sich ja gemeinschaftlich über diejenigen, die man für realitätsfern und ideologisiert hält. Die Lachenden können sich also als Teil einer “aufgeklärten Widerstandsgemeinschaft” fühlen. Nicht zuletzt hüllt sich im Gelächter rechte Ideologie und herabsetzende Sprache in eine heitere, angenehme Atmosphäre.
In Ihrer Arbeit schreiben Sie, dass Stammtische eine besondere Rolle einnehmen. Welche?
Ich war bei kleineren, “intimeren” AfD-Stammtischveranstaltungen, in Nebenzimmern von Gasthöfen. Was ich dort beobachtet habe, betrifft in ähnlicher Weise vermutlich auch andere unmoderierte rechte Räume. Denken wir an digitale Räume, in denen es teils noch brutaler zugeht. Solche Räume sind rechte Wohlfühlzonen par excellence. Da können die eigenen Ansichten ungebremst artikuliert werden. Die AfD-Stammtischformate sind Einladungen zum gemeinsamen Losschimpfen. In der neurechten Gefühlsgemeinschaft werden sie dann als “Schutzräume” und “Freiräume” vor der “linken Meinungsdiktatur” erlebt.
Herabsetzende, brutale Aussagen über Geflüchtete, Klimaschützer:innen oder Politiker:innen werden dort zur gefühlten Befreiung aus moralischen Zwängen. Das entspricht auch dem neurechten Verständnis von “Meinungsfreiheit”. Keinen Widerspruch, etwa für rassistische Aussagen zu erhalten. Rechte Akteur:innen würden es gerne überall so bequem haben, wie am AfD-Stammtisch oder wie im Telegram-Chat.
Was können wir dagegen tun, dass die AfD noch erfolgreicher wird?
Es gibt keine schnelle Lösung. Die Problemlage ist komplex und vielschichtig. Und sie ist ja nicht von heute auf morgen entstanden. Neurechte Akteur:innen arbeiten seit langem an der rechten Normalisierung und sie haben mancherorts Gefühlshoheit erlangt. Es braucht daher einen langen Atem und nicht zuletzt die Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändern lässt.
Für die Gegenwart denke ich, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden müssen, dass es irgendein Argument oder eine Technik gibt, um AfD-Anhänger:innen, schnell “zurückzugewinnen”. Erstmal sollte es darum gehen, dass nicht noch mehr Menschen in die neurechte Gefühlswelt abdriften. Daher ist es auch so wichtig, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, demokratische Räume zu schützen und die weitere Normalisierung der neurechten Weltsicht zu stoppen.
Wie kann das klappen?
Es fängt im Alltag an: Widersprechen, wo es geht. Rechten Narrativen möglichst wenig Raum geben. Sich nicht auf die neurechte Weltdeutung einlassen. In Teilen der Parteienlandschaft passiert seit einiger Zeit aber das genaue Gegenteil, nämlich die Annäherung und Übernahme anti-migrantischer Positionen der AfD. Demokratische Parteien müssten aus meiner Sicht verstärkt eigene, auch andere Themen platzieren, und sich programmatisch und nicht bloß rhetorisch von der AfD abgrenzen. Wichtig wäre, attraktive Zukunftsvisionen zu formulieren oder zumindest Diskussionsräume dafür anzustoßen.
Ich halte es aber auch für wichtig, sich bewusst zu sein, dass die AfD für ihre Anhänger:innen eine attraktive und anziehende Gefühlsgemeinschaft ist. Die neurechte Gefühlsarbeit ist nicht zuletzt ein wirkmächtiger gesellschaftlicher Faktor, sie ist einflussreich. Entmutigen lassen, sollte man sich davon aber auch nicht.
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