WeinLetter #30: Deutscher Wein und Putins Krieg
Liebe Wein-Freund*in,
Du liest den 30. WeinLetter. Heute gibt's: Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die souveräne Ukraine auf die deutsche Weinbranche. Ja, schon klar, es ist wirklich ein Nebenpfad in diesen weltpolitischen Zeiten. Aber: Das hier ist ein WeinLetter und kein politik-militär-strategisches Magazin. Und: Die geopolitischen und globalökonomischen Konflikte unserer Zeit lassen sich zudem auch am Thema Wein ablesen. Es war nämlich so, dass der russische Markt zuletzt immer interessanter wurde - weil das USA-Geschäft plötzlich wegen der Strafzölle im Handelskrieg des Donald Trump gegen die Welt einbrach. Jetzt sind die Strafzölle wieder weg, der deutsche Wein-Export steigt auf einen Rekordwert - jetzt bricht das Russland-Geschäft wegen Wladimir Putin komplett zusammen. Über diese Verwerfungen berichte ich hier und über die große Soli-Aktion des Top-Mosel-Weinguts Selbach-Oster aus Zeltingen. Die Winzer füllen gerade 2 Fuder Riesling ab, mit Frieden-Etiketten auf den Flaschen +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Abre numa nova janela) Und vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo Knott
Frieden - auf Ukrainisch sowie Russisch und auf Deutsch: So sieht das Etikett der Soli-Flaschen des Mosel-Weinguts Selbach-Oster aus. Johannes und Barbara Selbach sowie die Kinder Sebastian und Hannah setzten diese Idee in wenigen Tagen um FOTO: WEINGUT SELBACH-OSTER
Geopolitik im Glas
Der russische Angriffskrieg trifft auch die deutsche Weinbranche. Diese reagiert mit dem Rückzug aus dem lukrativen Markt und Soli-Abfüllungen für die Ukraine. So wie das Weingut Selbach-Oster an der Mosel. Dabei hatte es doch erst Donald Trump hinter sich.
von Thilo Knott
Sie saßen beisammen, um den Tod der 95-jährigen Tante zu betrauern. Die ganze Familie traf sich, sie redeten auch über den russischen Feldzug gegen die Ukraine. „Dann hatten wir die Idee“, erzählt Johannes Selbach.
Johannes Selbach betreibt mit seiner Frau Barbara das Weingut Selbach-Oster in Zeltingen. Die nächste Generation, die Kinder Hannah und Sebastian, arbeitet schon mit. Sie bewirtschaften 24 Hektar an den Steillagen der Mittelmosel. Riesling, trocken, feinherb, Gutswein, Kabinett, Spätlese, Auslese, Trockenbeerenauslese. Die ganze Mosel-Riesling-Palette. Ein bisschen Weiß- und Spätburgunder gibt es noch.
Die Idee? „Wir machen eine Sonderabfüllung für die Ukraine und spenden die 10 Euro pro Flasche“, sagt Johannes Selbach. „Riesling aus einem Fuder mit 1.000 Litern – das sind 1.300 Flaschen.“ Sie entwarfen das blau-gelbe Etikett mit dem Wort Frieden - auf Deutsch sowie Ukrainisch wie Russisch. Dann berichtete Der Spiegel über die Aktion. „Die 1.300 Flaschen waren in einer Stunde verkauft.“ Sie beschlossen, ein zweites Fuder zu spenden. „Auch das war im nu weg, obwohl der Wein noch gar nicht auf der Flasche war." Am Mittwoch erst wurde abgefüllt. „Wir wurden von den Bestellungen überrollt“, sagt Johannes Selbach. Der Erlös geht jetzt an die Aktion "Deutschland hilft" für die Ukraine.
„Unsere Lebensgrundlage ist das Weinmachen – das machen wir jetzt für die Ukraine“: Sebastian und Johannes Selbach in den Riesling-Steillagen an der Mittelmosel FOTO: WEINGUT SELBACH-OSTER
Immer wieder liest man auch von Weinhandlungen, die Sonderaktionen machen und Teile des Erlöses an die Aktion „Deutschland hilft“ spenden (zum Beispiel hier (Abre numa nova janela) oder hier (Abre numa nova janela)). Die Aktion des renommierten Weinguts Selbach-Oster ist aber sicherlich die spektakulärste Hilfsaktion unter deutschen Winzern. „Die Bilder vom Krieg sind nur schwer zu ertragen. Hier wird Menschen ihre Lebensgrundlage weggenommen. Dieses Ohnmachtsgefühl ist ja nicht auszuhalten. Wir mussten etwas tun!“, sagt Johannes Selbach über die Motivation seiner Familie. Was tun? „Unsere Lebensgrundlage ist das Weinmachen – das machen wir jetzt auch und spenden für die Ukraine.“
Johannes Selbach ist von dem Krieg in der Ukraine nicht nur emotional betroffen. Sondern auch finanziell. 80 Prozent des Umsatzes macht er mit dem Export seiner Rieslinge ins Ausland. Nach Nordamerika, Europa, China – und Russland. „Das Russland-Geschäft hat sich sehr gut entwickelt“, sagt Selbach. Vorbei.
"Der Angriff widerspricht unseren Unternehmenswerten"
Das gilt für die meisten deutschen Winzer*innen, die Wein nach Russland verkauften. Gerade hat das Familienunternehmen Pieroth Wein GmbH die zwanzigjährige Zusammenarbeit mit dem russischen Partner Pieroth Russia beendet und die Verwendung des Namens Pieroth untersagt. „Die russische Aggression und der ungeheuerliche Angriff auf einen souveränen Staat sowie seine Bürgerinnen und Bürger wiedersprechen unseren Unternehmenswerten“, begründete Geschäftsführer Sebastian Potyka diesen Schritt.
Auch das Deutsche Weininstitut (DWI), das den hiesigen Wein im In- und Ausland repräsentiert und vermarktet, hat auf die Kriegshandlungen reagiert. Erst 2018 hat die Kommunikations- und Marketingorganisation ein „Wines of Germany"-Büro in Moskau eröffnet, weil der russische Markt Wachstumspotenzial hatte. Jetzt sagt die Geschäftsführerin des DWI, Monika Reule, dem WeinLetter zum Russland-Engagement: „Der Krieg in der Ukraine hat bereits direkte Auswirkungen auf unsere Aktivitäten vor Ort und die Zusammenarbeit mit den russischen Weinimporteuren. Wir werden die Zusammenarbeit zunächst auf Eis legen und die für die kommenden Monate geplanten Veranstaltungen absagen, da der Handel mit Russland de facto ausgesetzt ist.“ Ganz abbrechen will Monika Reule das Engagement in Russland nicht: „Wir wissen aus vielen Gesprächen sowohl mit unserer Wines of Germany-Vertretung als auch mit Handelspartnern in Russland, dass diese Verwandte und Freunde in der Ukraine haben und genauso geschockt sind und den Krieg ebenso ablehnen, wie wir selbst."
Eine Aufnahme von der "Riesling Week" in Moskau, wie 2019, wäre heute kaum vorstellbar: Tatjana Böhm, Leiterin der Vertretung "Wines of Germany" in der russischen Hauptstadt, steht neben Vladimir Glukhov von der Moskauer Gastrobar Cavina FOTO: DWI
Der Markt in Russland ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden für die deutsche Weinbranche. Das Exportvolumen stieg seit 2017 von 9.000 Hektolitern auf 30.000 Hektoliter, der Wert von zwei auf sieben Millionen Euro. Auch wenn das im Vergleich zum Ertrag des gesamten Weinumsatzes im Ausland von 357 Millionen Euro in 2021 nur knapp zwei Prozent ausmacht, ist der russische Markt im Ranking der Exportländer auf den 15. Rang geklettert.
"Russland war für uns ein Anker"
Er wurde auch wichtiger, weil ein anderer geopolitischer Konflikt den Export von deutschem Wein beeinflusste: der Handelskrieg von Donald Trump gegen China und Europa. Der US-Präsident warf mit Strafzöllen nur so um sich, und es traf auch das Konsumgut Deutscher Wein. Die USA sind dabei der wichtigste Weinexportmarkt für deutschen Wein. Das DWI schätzt den Wertverlust im Sanktionsjahr 2020 auf 19 Prozent der US-Ausfuhren und damit auf ein Minus von zwölf Millionen Euro, das zu verkraften ist. Mit der Rücknahme der Strafzölle im März 2021 hat sich das US-Geschäft entsprechend wieder erholt. Es umfasste in 2021 171.000 Hektoliter bei einem Umsatz von 65 Millionen Euro.
„In der Zeit der US-Strafzölle war Russland für uns ein Anker“, sagt Johannes Selbach. Denn auch für ihn sind die USA ein Hauptabnehmer seiner Rieslinge. Jetzt trifft ihn Putins Krieg gegen die Ukraine. Die Handelsstruktur sei mit dem Krieg dahin. „Unser russischer Weinimporteur, der gegen den Krieg ist, wie er uns versichert hat, wird pleite gehen“, prophezeit Selbach. „Wir werden das Geld für unseren letzten Export vermutlich nicht mehr sehen.“
WeinWissen #2: Weinanbau in der Ukraine
"Sie werden auch jetzt nicht aufgeben": Chateau Chizay in den Karpaten FOTO: WINES OF UKRAINE
Der Weinanbau in der Ukraine und die Angriffe aus Russland: Die ukrainischen Winzer mussten immer wieder große Rückschläge hinnehmen. Es waren nicht nur die Invasion auf der Krim 2014 und der aktuelle Angriffskrieg von Wladimir Putin, die den Weinbauern zusetzen – schon zu Sowjetzeiten litten die Ukrainer unter der Einflussnahme Moskaus. Einen der größten Eingriffe in das ukrainische Ökosystem Wein leistete sich ausgerechnet Michail Gorbatschow.
1. Die Fakten
Die Weinberge der Ukraine umfassten 2019 laut dem Weinbauverband Ukraine insgesamt rund 41.500 Hektar Rebfläche, von denen 1,33 Millionen Hektoliter Wein produziert wurden.
Es werden rund 180, zum Teil internationale, zum Großteil autochthone Rebsorten angebaut. Die fünf häufigsten weißen Rebsorten sind demnach: Rkatsiteli, Aligoté, Sauvignon Blanc, Chardonnay und Riesling. Die fünf häufigsten roten Rebsorten sind: Cabernet Sauvignon, Merlot, Odessky Cherny, Isabella und Pinot Noir. Seit 2014 steigt der Anteil trocken ausgebauter Weine im Vergleich zu Süßweinen.
Es gibt vier große Weinanbaugebiete in der Ukraine: Einmal sind es größere Gebiete im Südwesten rund um die Stadt Odessa, das zweigrößte Gebiet liegt auf der durch Russland annektierten Krim. Zudem gibt es Weinbau im Transkarpatien-Gebiet an den Grenzen zu Ungarn, Rumänien und der Slowakei. Ein kleineres Gebiet existiert noch südlich des Dnjepr-Flusses rund um die Städte Cherson und Dnjepropetrowsk.
2. Die Historie
Weinanbau hat in der Ukraine eine lange Geschichte, die bis 400 Jahre vor Christus zurückreicht. Bei archäologischen Ausgrabungen wurden aus dieser Zeit auf der Krim Kelteranlagen und Amphoren gefunden. Der Weinbau der Neuzeit begann im 19. Jahrhundert. Schlüsselfigur war hier Fürst Lev Golizyn. Er gründete im Jahre 1878 das noch bestehende Weingut Nowy Swet (Neue Welt) in Sudak. Golizyn gilt auch als Initiator des Krimsekts. Im Auftrag von Zar Nikolaus II. (1868-1918) gründete er das heute weltberühmte Staatsweingut Massandra. Die Ukraine wurde so der wichtigste Weinlieferant Russlands. Vor allem beliebt waren Süßweine.
Den ersten großen, weil strukturellen Rückschlag für den Weinbau in der Ukraine gab es schon Mitte der 1980er-Jahre: Russlands Präsident Michail Gorbatschow startete eine große Anti-Alkohol-Kampagne. Er ließ riesige Weinflächen in der Ukraine roden. So reduzierte sich der Flächenbestand von 225.000 Hektar auf weniger als 100.000 Hektar. Das warf den Weinbau weit zurück.
3. Die Krim-Annexion
Der Konflikt mit Russland trifft auch die Winzer*innen in der Ukraine hart: Das souveräne Land verlor durch die Krim-Annexion 2014 durch Wladimir Putin einen großen Teil seiner Weinflächen. Die Krim war das bedeutendste Weinanbaugebiet der Ukraine – bekannt durch den Krimsekt. Die Weinprodukte von der Krim stehen seitdem auf der Sanktionsliste der EU und der USA.
4. Der Putin-Krieg
Die Winzer*innen aus der Ukraine wollen dem Krieg trotzen. Sagen sie. Gerade erst haben sie den Branchenverband „Wines of Ukraine“ gegründet, zuvor vermarkteten die einzelnen Weingüter ihre Produkte auch international selbst. Der Verband hält trotz des Krieges daran fest, ukrainische Weine auf der ProWein im Mai in Düsseldorf vorzustellen. Victoria Agromakova, Geschäftsführerin von Wine&Spirits Ukraine, der großen Weinmesse in Kiew, sagte unlängst: „In den vergangenen acht Jahren haben die Winzer auf dem ukrainischen Festland unglaubliche Arbeit geleistet, und sie werden auch jetzt nicht aufgeben.“
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